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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 29.07.1998
Aktenzeichen: II R 65/96
Rechtsgebiete: GrEStG (BY), FGO, AO 1977


Vorschriften:

GrEStG (BY) § 16a Satz 2
FGO § 33 Abs. 1 Nr. 4
FGO § 118 Abs. 1 Satz 2
FGO § 126 Abs. 3 Nr. 2
FGO § 160 Abs. 2 a.F.
AO 1977 § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
AO 1977 § 170 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erwarb mit notariell beurkundetem Vertrag vom 20. Dezember 1979 von der A-KG ein im Bundesland Bayern gelegenes Grundstück zum Kaufpreis von ... DM zuzüglich ... DM für Erschließungskosten.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) stellte diesen Grunderwerb mit Bescheid vom 9. April 1980 nach Art. 1 Nr. 1 Buchst. a des früheren Bayerischen Gesetzes über die Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau (GrESWG) vorläufig von der Grunderwerbsteuer frei. Zuvor hatte die Klägerin gegenüber dem FA erklärt, auf dem Grundstück binnen zehn Jahren vier Gebäude bezugsfertig errichten zu wollen, deren Wohnungen nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz vom 27. Juni 1956 (BGBl I, 523, BStBl I 1956, 388) grundsteuerbegünstigt seien. Zur Glaubhaftmachung der Bauabsicht legte die Klägerin einen Generalunternehmervertrag vom 19. Dezember 1979 vor, nach dem die B-KG zur Herstellung der Gebäude gegen eine Gesamtvergütung von ... DM verpflichtet war.

Der Wohnraum wurde 1981 bezugsfertig und als steuerbegünstigt anerkannt. Die Anerkennungsbescheide der betreffenden Stadt gingen am 26. April 1983 beim FA ein.

Am 17. Mai 1984 wurde dem FA aufgrund einer Kontrollmitteilung nach einer Betriebsprüfung bekannt, daß die Vertragspartner der Klägerin, die A-KG sowie die B-KG unmittelbar bzw. mittelbar zu 100 v.H. von Herrn X und seiner Ehefrau beherrscht wurden. Das FA vertrat daraufhin die Auffassung, einheitlicher Gegenstand des Grundstückskauf- sowie des Generalunternehmervertrags sei das schlüsselfertig bebaute Grundstück; die Klägerin habe entgegen ihrer Erklärung kein unbebautes Grundstück zur eigenen Bebauung erworben. Es sah deshalb die Voraussetzungen für die Nacherhebung der Steuer gemäß Art. 4 GrESWG als erfüllt an und setzte mit Bescheid vom 15. Juli 1988 aus einer Gegenleistung von ... DM Grunderwerbsteuer gegen die Klägerin in Höhe von ... DM zuzüglich eines Nacherhebungszuschlages in Höhe von ... DM fest.

Auf die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) den angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung aufgehoben und die Auffassung vertreten, daß bei Erlaß des Steuerbescheids vom 15. Juli 1988 bereits Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Das FA habe spätestens am 26. April 1983 mit Eingang der Anerkennungsbescheide der Stadt Kenntnis i.S. des § 16a des früheren Bayerischen Grunderwerbsteuergesetzes --GrEStG (BY)-- vom Abschluß der Bebauung gehabt. Ab diesem Zeitpunkt sei das FA verpflichtet gewesen, den Steuerfall abschließend zu prüfen. Die Festsetzungsfrist habe folglich spätestens mit Ablauf des Jahres 1983 begonnen und mit Ablauf des Jahres 1987 geendet. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1997, 297 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung von Art. 4 Abs. 1 Satz 1 GrESWG i.V.m. Art. 1 Nr. 1 a GrESWG und § 16a GrEStG (BY). Entgegen der Auffassung des FG habe das FA aufgrund der von der Stadt übersandten Anerkennungsbescheide keine Kenntnis davon erlangt, daß die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung des Grunderwerbs weggefallen seien.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, sowie hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Die Klägerin ist der Ansicht, § 16a Satz 2 GrEStG (BY) sei auf den Streitfall nicht anwendbar, weil das FA im Streitfall von Anfang an vollständige Kenntnis von dem steuerpflichtigen Vorgang gehabt habe.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Der Senat ist an einer materiell-rechtlichen Überprüfung des mit der Revision angefochtenen FG-Urteils nicht gehindert, obwohl die hier maßgeblichen Streitfragen Landesrecht, d.h. das frühere GrEStG (BY) betreffen. Die Vorschriften des GrEStG (BY) sind --trotz des Wegfalls des § 160 Abs. 2 FGO a.F. zum 1. Januar 1993-- nach § 118 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO und Art. 5 Satz 1 und 2 des Bayerischen Gesetzes zur Ausführung der Finanzgerichtsordnung, zuletzt geändert durch Gesetz vom 1. Dezember 1985 (Gesetz- und Verordnungsblatt 1985, 760), weiterhin revisibles Recht (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 12. Juni 1996 II R 57/94, BFH/NV 1997, 199, m.w.N.; vgl. Sack, Früheres Grunderwerbsteuerrecht der Länder allenfalls noch zum Teil revisibel, Deutsches Steuerrecht 1995, 1615, unter 5.).

2. Das Urteil des FG beruht auf einer Verletzung des § 16a GrEStG (BY). Der Senat vermag der Rechtsauffassung des FG nicht zu folgen, daß das FA aufgrund der ihm im Jahre 1983 zugegangenen Anerkennungsbescheide Kenntnis von dem steuerpflichtigen Vorgang (Nacherhebungstatbestand) im Sinne dieser Vorschrift erlangt hat.

Nach § 16a Satz 2 GrEStG (BY) beginnt die Festsetzungsfrist für die Grunderwerbsteuer in den Fällen, in denen die Beteiligten eine für Zwecke der Grunderwerbsteuer vorgeschriebene Anzeige nicht rechtzeitig eingereicht haben, nicht vor Ablauf des Jahres, in dem das FA Kenntnis von dem steuerpflichtigen Vorgang erhalten hat, spätestens jedoch fünf Jahre nach dem Ablauf des Jahres, in dem der Steueranspruch entstanden ist. Bei der Anwendung dieser Vorschrift hat das FG verkannt, daß nach der Rechtsprechung des Senats das FA nur dann "Kenntnis von dem steuerpflichtigen Vorgang erhalten hat", wenn es positive Kenntnis aller Merkmale erlangt, die zur Verwirklichung des Nachversteuerungstatbestandes geführt haben (Senatsurteil vom 3. Oktober 1984 II R 151/83, BFHE 142, 169, BStBl II 1985, 100). Positive Kenntnis der Umstände, die das FA im Streitfall zu der Annahme veranlaßt haben, die Klägerin habe --entgegen der von ihr ursprünglich erklärten Absicht, die Gebäude selbst zu errichten,-- von einer eng verbundenen Veräußererseite ein bebautes Grundstück erworben und deshalb den Nachversteuerungstatbestand ausgelöst, hat es --entgegen der Auffassung des FG-- durch die Anerkennungsbescheide nicht erlangt. Denn aus diesen ergab sich lediglich der Zeitpunkt der Fertigstellung der Gebäude und der Umstand der Anerkennung des neuerrichteten Wohnraums als steuerbegünstigt. Auch der Umstand, daß das FA nach Kenntniserlangung von der Fertigstellung der Gebäude in der Lage bzw. --wie das FG meint-- verpflichtet war, sich durch eigene Ermittlungshandlungen Kenntnis von den maßgeblichen Umständen zu verschaffen, steht --anders als das FG angenommen hat-- der Anwendung des § 16a GrEStG (BY) nicht entgegen. Denn allein die Möglichkeit, sich Kenntnis von den maßgeblichen Umständen zu verschaffen, steht der positiven Kenntnis dieser Umstände nicht gleich.

Das auf einer anderen Rechtsauffassung beruhende Urteil des FG ist aufzuheben.

3. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat keine Feststellungen getroffen, die es dem Senat ermöglichten, abschließend zu prüfen, ob der Nachversteuerungstatbestand des Art. 4 Abs. 1 Satz 2 GrESWG wegen der Aufgabe des steuerbegünstigten Zwecks (eigene Errichtung der Gebäude) durch die Klägerin erfüllt wurde.

Das FG wird deshalb im zweiten Rechtsgang zunächst zu prüfen und die notwendigen Feststellungen zu treffen haben, ob die Klägerin, die im Zeitpunkt des Abschlusses des Grundstückskaufvertrages bereits hinsichtlich der Bebauung des Grundstücks durch Abschluß des Generalunternehmervertrages festgelegt war (vgl. hierzu Senatsentscheidungen vom 6. März 1991 II R 133/87, BFHE 164, 117, BStBl II 1991, 532, und vom 8. Februar 1995 II R 19/92, BFH/NV 1995, 823), von einer personell, wirtschaftlich oder gesellschaftsrechtlich miteinander eng verbundenen Veräußererseite ein bebautes Grundstück erworben hat (vgl. Senatsentscheidungen vom 6. Dezember 1989 II R 72/87, BFH/NV 1991, 344, und vom 6. Dezember 1989 II R 145/87, BFH/NV 1991, 345).

Sollte das FG bei dieser Prüfung zu dem Ergebnis gelangen, daß die Klägerin entgegen ihrer ursprünglichen Erklärung ein bebautes Grundstück erworben hat, ist der vorliegende Erwerbsvorgang nicht nach Art. 1 Nr. 1 a GrESWG von der Besteuerung auszunehmen, da diese Vorschrift den Erwerb eines unbebauten Grundstücks voraussetzt. Die Steuer ist in diesem Fall gemäß Art. 4 Abs. 1 Satz 2 GrESWG wegen der Aufgabe des steuerbegünstigten Zwecks nachzuerheben.

Bei der dann notwendigen Prüfung des Beginns und des Ablaufs der Festsetzungsfrist hat das FG zu beachten, daß wegen der Tatbestandswirkung der antragsgemäß erteilten materiell vorläufigen Grunderwerbsteuerbefreiung (vgl. Senatsurteil vom 24. Februar 1982 II R 42/80, BFHE 135, 237, BStBl II 1982, 405) für das Entstehen der Grunderwerbsteuer und den Lauf der Festsetzungsfrist nicht mehr der ursprünglich der Grunderwerbsteuer unterliegende Rechtsvorgang (Grundstückskaufvertrag), sondern der Zeitpunkt der Verwirklichung des Nacherhebungstatbestands maßgeblich ist (vgl. Senatsurteile vom 12. Juni 1996 II R 3/93, BFHE 180, 474, BStBl II 1996, 485, und vom 19. Juli 1995 II R 38/92, BFH/NV 1996, 352; zum Umfang der Tatbestandswirkung vgl. Senatsurteile vom 10. September 1986 II R 9/84, BFH/NV 1987, 737; vom 22. Juli 1987 II R 92/85, BFH/NV 1988, 664, und Senatsbeschluß vom 8. September 1993 II B 164/92, BFH/NV 1994, 407).

Der Nacherhebungstatbestand gemäß Art. 4 Abs. 1 Satz 2 GrESWG ist in diesen Fällen mit der Fertigstellung des Gebäudes verwirklicht, weil zu diesem Zeitpunkt endgültig feststeht, daß der Erwerber den steuerbegünstigten Zweck nicht erfüllt bzw. aufgegeben hat (Senatsurteil in BFHE 180, 474, BStBl II 1996, 485). Sollte das FG feststellen, daß die Klägerin ein bebautes Grundstück erworben hat, hätte im Streitfall die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres 1981 begonnen und mit Ablauf des Jahres 1985 geendet (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 1 der Abgabenordnung --AO 1977--).

Hinsichtlich des Beginns der Festsetzungsfrist ist jedoch § 16a Satz 2 GrEStG (BY) zu beachten. Diese Vorschrift setzt eine Anzeigepflicht und deren Nichterfüllung sowie positive Kenntnis des FA hinsichtlich der Umstände voraus, die zur Nacherhebung der Steuer geführt haben. Sollte die Klägerin den steuerbegünstigten Zweck tatsächlich aufgegeben haben, hätte sie diesen Umstand dem FA anzeigen müssen (vgl. § 4 Abs. 4 der Durchführungsverordnung zum Grunderwerbsteuergesetz vom 30. März 1940 --RGBl I 1940, 595--). Das FG wird hier noch prüfen müssen, zu welchem Zeitpunkt das FA positive Kenntnis von den Umständen erlangt hat, die zur (möglichen) Nacherhebung der Steuer geführt haben, und insoweit auch der Behauptung der Klägerin nachzugehen haben, das FA habe schon 1983 hiervon Kenntnis erhalten.



Ende der Entscheidung

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