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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 31.03.2008
Aktenzeichen: III B 132/07
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war vom 7. Juni 2006 bis zum 23. Januar 2007 befristet außerhalb Deutschlands bei niederländischen Arbeitgebern beschäftigt, hatte jedoch seinen Wohnsitz zusammen mit seiner Ehefrau und seinen beiden Kindern in Deutschland.

Mit Bescheid vom 19. Oktober 2006 hob die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) die Kindergeldfestsetzung rückwirkend ab Juli 2006 auf, weil der Kläger außerhalb Deutschlands erwerbstätig und deshalb das Kindergeld (Familienbeihilfe) dort zu beantragen sei (Art. 13 ff. der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern --VO (EWG) 1408/71-- (konsolidierte Fassung, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 28 vom 30. Januar 1997, S. 1).

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte im Wesentlichen aus, nach Art. 13 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. a i.V.m. Art. 73 VO (EWG) 1408/71 habe ein Arbeitnehmer, der in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union wohne, jedoch in einem anderen Mitgliedstaat arbeite, Anspruch auf Familienleistungen nach dem Recht des Beschäftigungslandes. Der Anspruch auf Familienleistungen im Beschäftigungsland schließe den Anspruch auf Familienleistungen im Wohnsitzstaat aus. Unerheblich sei, ob es sich bei dem Beschäftigungsverhältnis außerhalb Deutschlands um ein befristetes oder unbefristetes Beschäftigungsverhältnis handle. Nur bei einer Entsendung, deren voraussichtliche Dauer 12 Monate nicht überschreite, unterliege der Arbeitnehmer nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. a VO (EWG) 1408/71 weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats. Eine Entsendung setzte aber die Beibehaltung des Arbeitsverhältnisses in Deutschland voraus.

Mit der Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen Verfahrensmängeln und grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Er trägt sinngemäß vor, es sei zu klären, ob die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften, die einen Anspruch auf Familienleistungen nach den Vorschriften des Beschäftigungslandes vorsähen, nur auf Dauerarbeitsverhältnisse anzuwenden seien. Das FG habe seinen, des Klägers, Sachvortrag nicht berücksichtigt, dass er nur kurzzeitig und befristet in den Niederlanden tätig gewesen sei. Es habe ausschließlich auf die Beschäftigung im Ausland abgestellt. Auch habe es das FG versäumt, eine Vorabentscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) einzuholen, obwohl erhebliche Zweifel daran bestünden, dass die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften auch für kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse gälten.

II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird durch Beschluss zurückgewiesen (§ 132 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 96 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 FGO) zuzulassen.

a) Der Kläger rügt sinngemäß, das FG habe seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), weil es nicht berücksichtigt habe, dass er nur kurzfristig und befristet im Ausland tätig gewesen sei. Bei der Prüfung, ob ein solcher Verfahrensfehler vorliegt, ist der materiell-rechtliche Standpunkt des FG zugrunde zu legen. Nach der materiell-rechtlichen Auffassung des FG kommt es aber für die Anwendung der VO (EWG) 1408/71 nicht darauf an, ob das Arbeitsverhältnis im Ausland nur kurze Zeit dauerte oder zeitlich befristet war, sondern nur darauf, ob der Kläger im Ausland beschäftigt war.

b) Das FG hat auch nicht gegen das Verbot der Entziehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes) verstoßen, weil es kein Vorabentscheidungsersuchen eingeholt hat. Denn als Instanzgericht war das FG nicht nach Art. 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der nach dem 1. Mai 1999 geltenden Fassung verpflichtet, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Mai 1990 2 BvL 12/88 u.a., BVerfGE 82, 159; Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 25. Juni 1991 VII B 33/91, BFH/NV 1992, 286; Senatsbeschluss vom 29. November 2007 III S 30/06 (PKH), nicht veröffentlicht, juris).

2. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, da sich die Antwort ohne weiteres aus dem Gesetz und der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung ergibt.

a) Art. 13 Abs. 2 Buchst. a VO (EWG) 1408/71 setzt lediglich ein Beschäftigungsverhältnis in einem Mitgliedsstaat außerhalb Deutschlands voraus. Es ist unerheblich, ob es sich dabei um ein befristetes oder unbefristetes Beschäftigungsverhältnis handelt.

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH handelt es sich bei Titel II der VO (EWG) 1408/71, zu dem Art. 13 gehört, um ein vollständiges und einheitliches System von Kollisionsnormen, das Arbeitnehmer, die innerhalb der Gemeinschaft grenzüberschreitend tätig werden, dem System der sozialen Sicherheit nur eines Mitgliedstaats unterwerfen soll, um die Kumulierung anwendbarer nationaler Rechtsvorschriften und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben können, zu vermeiden (vgl. Urteile vom 3. Mai 1990 C-2/89, Kits van Heijningen, Slg. 1990, I-1755; vom 13. März 1997 C-131/95, Huijbrechts, Slg. 1997, I-1409, und vom 11. Juni 1998 C-275/96, Kuusijärvi, Slg. 1998, I-3419). Der europäische Verordnungsgeber hat sich für den Grundsatz entschieden, dass eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, den Rechtsvorschriften dieses Staats unterliegt, und zwar auch, wenn sie in einem anderen Mitgliedstaat wohnt. Nach Art. 73 VO (EWG) 1408/71 hat der Arbeitnehmer für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften seines Beschäftigungsstaats, als ob die Familienangehörigen im Gebiet dieses Staats wohnten. Nur durch den Anschluss des Arbeitnehmers an ein einziges System der sozialen Sicherheit kann der Zweck der Verordnung erreicht werden, das anwendbare System für den Arbeitnehmer vorhersehbar zu machen und somit ihm gegenüber Rechtssicherheit zu gewähren (EuGH-Urteil vom 10. Februar 2000 C-202/97, Fitzwilliam Executive Search Ltd., Slg. 2000, I-883).

b) Von diesem Grundsatz der Bindung des Arbeitnehmers an das Sozialsystem seines Beschäftigungsstaats lässt die VO (EWG) 1408/71 nur wenige, ausdrücklich angeordnete Ausnahmen zu. Für eine kurzfristige Beschäftigung des Arbeitnehmers in einem anderen Mitgliedstaat befindet sich eine Ausnahmeregelung in Art. 14 Abs. 1 Buchst. a VO (EWG) 1408/71. Danach unterliegt eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats von einem Unternehmen, dem sie gewöhnlich angehört, abhängig beschäftigt wird und die von diesem Unternehmen in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats entsandt wird, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit 12 Monate nicht überschreitet. Eine Entsendung wird nach der Rechtsprechung des EuGH aber nur dann angenommen, wenn der Arbeitnehmer während seiner kurzfristigen Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat noch eine arbeitsrechtliche Bindung zu dem Unternehmen mit Betriebsstätte im ersten Mitgliedstaat hat und diesem Unternehmen untersteht (EuGH-Urteile vom 5. Dezember 1967 C-19/67, van der Vecht, Slg. 1967, 462, und vom 17. Dezember 1970 C-35/70, Manpower, Slg. 1970, 1251).

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