Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 09.08.2001
Aktenzeichen: III R 14/01
Rechtsgebiete: ZPO, FGO


Vorschriften:

ZPO § 85 Abs. 2
FGO § 155
FGO § 56 Abs. 1
FGO § 115 Abs. 1
FGO § 120 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Das Finanzgericht (FG) wies die vom Kläger und Revisionskläger (Kläger) erhobene Klage wegen einer übermäßigen Einkommensteuerbelastung in den Streitjahren 1997 und 1998 unter Fortführung des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11. August 1999 XI R 77/97 (BFHE 189, 413, BStBl II 1999, 771) als unbegründet ab und ließ die Revision zu. Nach der dem Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrung war u.a. die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem BFH schriftlich einzulegen. Am Schluss der Rechtsmittelbelehrung wird sowohl die Postanschrift des BFH als auch der Telefax-Anschluss mitgeteilt.

Das Urteil des FG ist ausweislich der Postzustellungsurkunde den Prozessvertretern am 27. Februar 2001 zugestellt worden.

Die Prozessvertreter legten namens des Klägers mit am 27. März 2001 (15.25 Uhr) beim FG München eingegangenen Telefax Revision ein und beantragten, die Frist zur Begründung bis zum 30. Juni 2001 zu verlängern. Das FG München übermittelte die Revisionsschrift per Telefax am 28. März 2001 (11.31 Uhr) an den BFH.

Auf den Hinweis des Vorsitzenden des erkennenden Senats mit Schreiben vom 23. April 2001 auf die verspätete Einlegung der Revision beantragten die Prozessvertreter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist. Zur Begründung trugen sie vor, für die Fristversäumnis sei das Vertrauen auf die seit Jahrzehnten geltende Regelung des § 120 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) a.F. auslösend gewesen. Die Revision sei deshalb beim FG in München und nicht unmittelbar bei dem erst neuerdings zuständigen BFH eingelegt worden. Dem Kläger könne dieser Rechtsirrtum seiner Prozessbevollmächtigten nicht vorgeworfen werden. Insbesondere sei die einem Steuerberater mögliche und zumutbare Sorgfalt nicht bereits deshalb außer Acht gelassen, dass im Vertrauen auf die seit Jahrzehnten geltende Gesetzeslage die Zuständigkeit bei Einlegung der Revision nicht erneut überprüft worden sei. Auch ein fachkundiger Steuerberater müsse sich grundsätzlich auf die Fortgeltung verfahrensrechtlicher Vorschriften, insbesondere von Zuständigkeitsregelungen, verlassen dürfen. Verfahrensrecht sei --im Gegensatz zum materiellen Recht-- immer auf eine gewisse Kontinuität hin angelegt. Deshalb bestehe auch ein besonderes Vertrauen in dessen Fortgeltung.

Dies erfordere es, Anpassungsprobleme an die seit dem 1. Januar 2001 geänderte Zuständigkeit für eine gewisse Übergangszeit im Rahmen des Verschuldens angemessen entlastend auch zu Gunsten steuerberatender Berufe zu berücksichtigen. Dies gelte umso mehr, als bisher die FGO die Zuständigkeit abweichend von allen anderen Prozessordnungen, insbesondere der Zivilprozeßordnung (ZPO) und der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), geregelt gehabt habe.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) beantragt, den Antrag auf Wiedereinsetzung abzulehnen.

II. Die Revision ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§§ 124 Abs. 1, 126 Abs. 1 FGO).

1. Nach der gemäß Art. 6 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (veröffentlicht am 22. Dezember 2000 in BGBl I 2000, 1757) geänderten Fassung des § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO, ist die gemäß § 115 Abs. 1 FGO vom FG zugelassene Revision bei dem BFH innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen.

Die Revision gegen das am 27. Februar 2001 den Prozessvertretern des Klägers mit Postzustellungsurkunde ordnungsgemäß zugestellte vollständige Urteil des FG ist dem BFH verspätet, nämlich erst per Telefax durch das FG München am Mittwoch, den 28. März 2001, zugegangen (vgl. § 121 Satz 1, § 54 Abs. 2 FGO, § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--).

2. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der einmonatigen Revisionsfrist kann nicht entsprochen werden. Die Prozessvertreter waren nicht ohne ihr Verschulden gehindert, die gesetzlich geregelte Monatsfrist zur Einlegung der Revision einzuhalten (§ 56 Abs. 1 FGO).

Der Kläger muss sich das Verschulden seiner Prozessvertreter gemäß § 85 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 155 FGO zurechnen lassen (vgl. BFH-Urteil vom 28. Juni 1989 I R 67/85, BFHE 157, 305, BStBl II 1989, 848, 850).

Ein Verschulden i.S. des § 56 Abs. 1 FGO ist, jedenfalls wenn es sich um die Fristversäumnis eines Steuerberaters oder Rechtsanwalts handelt, nur dann zu verneinen, wenn die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt angewendet worden ist (vgl. BFH-Beschluss vom 16. August 1993 VII B 163/93, BFH/NV 1994, 384, 385). Diese Sorgfaltsanforderungen haben die Prozessbevollmächtigten bei der Einlegung der Revision gegen das FG-Urteil nicht gewahrt.

Von Angehörigen der steuerberatenden Berufe, die als Prozessbevollmächtigte ein Rechtsmittel einlegen, muss erwartet werden, dass sie die Voraussetzungen und die Anforderungen für dieses Rechtsmittel kennen oder sich zumindest davon Kenntnis verschaffen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 23. November 1992 III B 76/92, BFH/NV 1994, 105; vom 7. Januar 1998 VII B 222/97, BFH/NV 1998, 616). Insbesondere aber mussten die Prozessbevollmächtigten des Klägers die der geänderten Gesetzeslage entsprechende, dem angefochtenen Urteil beigefügte ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung des FG beachten, nach der unmissverständlich die zugelassene Revision beim BFH einzulegen war. Die Rechtsmittelbelehrung enthielt zudem ausschließlich Angaben zur Postanschrift des BFH und dessen Telefaxnummer.

Die Prozessbevollmächtigten mussten auf jeden Fall diese eindeutige Rechtsmittelbelehrung beachten (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. Oktober 1995 II B 69/95, BFH/NV 1996, 336, 337, m.w.N.; vom 26. März 1986 IV B 111/85, BFH/NV 1988, 29, 30, und vom 30. Juni 1986 IV B 2/86, BFH/NV 1987, 782, 783). Unter diesen Umständen besteht hier auch kein Anlass zu entscheiden, ob grundsätzlich im Hinblick auf die Änderung der zuständigen Empfangsbehörde im Wege eines Vertrauensschutzes für eine gewisse Übergangszeit das Verschuldensmaß gemildert werden könnte, zumal eine solche Frist keinesfalls bis Ende März 2001 erstreckt werden könnte (vgl. zum Vertrauensschutz bei einer geänderten Rechtsprechung BFH-Urteil vom 14. März 1996 IV R 44/95, BFHE 179, 569, BStBl II 1996, 319, unter 3. der Gründe; Beschluss vom 4. Juni 1997 IV B 128/96, BFH/NV 1997, 876).

Schließlich hat das FG die Revisionsschrift unverzüglich sogar per Telefax bereits am Vormittag des 28. März 2001 an den BFH weitergeleitet, so dass eine Mitverantwortung des FG für die verspätete Einlegung des Rechtsmittels nicht in Betracht kommt (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 8. November 1996 VII R 89/96, BFH/NV 1997, 492; Urteil vom 4. Juni 1992 IV R 123-124/91, BFHE 169, 132, BStBl II 1993, 125, 126; Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 20. Juni 1995 1 BvR 166/93, BVerfGE 93, 99; ferner BFH-Beschluss vom 10. August 1977 II R 89/77, BFHE 123, 14, BStBl II 1977, 769; Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 7. März 1978 VI ZB 18/77, Neue Juristische Wochenschrift 1978, 1486 zur Beachtung von Gesetzesänderungen).

3. Da die Revision danach verworfen werden muss und der Rechtsstreit zur Entscheidung reif ist, kommt eine Vorabentscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist nicht in Betracht (vgl. BFH-Beschluss vom 20. Februar 1990 VII R 125/89, BFHE 159, 573, BStBl II 1990, 546, unter II. 1. der Gründe).

Ende der Entscheidung

Zurück