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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 19.05.2004
Aktenzeichen: III R 36/02
Rechtsgebiete: FGO, EStG, AO 1977


Vorschriften:

FGO § 46 Abs. 2
FGO § 45
FGO § 46
FGO § 44 Abs. 1
FGO § 45 Abs. 1
FGO § 45 Abs. 1 Satz 1
FGO § 46 Abs. 1 Satz 1
FGO § 44
EStG § 26 Abs. 2 Satz 1
EStG § 26a
AO 1977 § 278 Abs. 2
AO 1977 § 268 ff.
AO 1977 § 347 Abs. 1 Satz 2
AO 1977 § 348
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die --seit 1997 geschiedenen-- Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) beantragten mit ihren gemeinsamen Einkommensteuererklärungen für 1992 und 1993 die Zusammenveranlagung.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) veranlagte die Kläger abweichend von den eingereichten Erklärungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung zusammen zur Einkommensteuer 1992 und 1993 (Einkommensteuerbescheide vom 22. April 1996).

Mit ihren dagegen am 16. Mai 1996 erhobenen Sprungklagen, die mangels Zustimmung des FA als Einsprüche zu behandeln waren, begehrten die Kläger zunächst aus formalen Gründen die ersatzlose Aufhebung der Einkommensteuerbescheide für 1992 und 1993.

Mit Schreiben vom 14. und 15. November 1997 beantragten die Kläger beim FA die getrennte Veranlagung zur Einkommensteuer 1988 bis 1993 mit der Begründung, sie hätten bereits seit Jahren dauernd getrennt gelebt. Mit Schreiben vom 24. November 1997 nahm das FA gegenüber dem Bevollmächtigten des Klägers zu diesem Antrag sowie dem gleichzeitig gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide wie folgt Stellung:

"Entgegen den Angaben in den Einkommensteuererklärungen 1988 - 1993 erklären Sie nunmehr, seit Jahren dauernd getrennt zu leben. Bitte erläutern Sie diese widersprüchliche Erklärung und legen Sie schriftliche Erklärungen beider Ehegatten vor, aus denen sich ergibt, seit wann sie dauernd getrennt leben. Ihren o.a. Anträgen kann ich leider nicht entsprechen."

Der Bevollmächtigte des Klägers teilte daraufhin mit Schreiben vom 27. November 1997 dem FA u.a. mit, sowohl die Klägerin als auch der Kläger hätten schriftlich gegenüber dem FA die bisherige Form der Zusammenveranlagung für die Veranlagungszeiträume 1988 bis 1993 widerrufen. Stattdessen sei die getrennte Veranlagung gewählt worden, unabhängig davon, ab wann die "Ex-Eheleute" dauernd getrennt gelebt hätten. Die Anträge und Unterlagen lägen insoweit vollständig dem FA zur Entscheidung vor.

Schließlich forderte der Bevollmächtigte das FA mit Schreiben vom 22. Dezember 1997 auf, innerhalb von 14 Tagen nach Zugang dieses Schreibens die getrennten Einkommensteuerveranlagungen für die Jahre 1988 bis 1993 durchzuführen. Anderenfalls werde eine Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erhoben. Ggf. werde um umgehende Zustimmung zur Sprungklage gemäß § 45 FGO gebeten.

Am 20. Januar 1998 erhoben die Kläger Untätigkeitsklage, die sie in der mündlichen Verhandlung vom 24. April 1998 hinsichtlich der Jahre 1988 bis 1991 wegen doppelter Rechtshängigkeit zurücknahmen. Im Übrigen wurde die Sache vertagt. Anschließend beantragten sie ausdrücklich Einzelveranlagungen für die Streitjahre 1992 und 1993.

Während des Klageverfahrens, am 26. Juni 1998, wies das FA die als Einsprüche zu behandelnden Sprungklagen vom 16. Mai 1996 unter teilweiser Abhilfe als unbegründet zurück und lehnte die Einzelveranlagung für die Streitjahre ab.

Im Lauf des weiteren Verfahrens beantragten die Kläger schließlich, das FA zu verpflichten, sie für die Streitjahre 1992 und 1993 getrennt zur Einkommensteuer zu veranlagen.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und verpflichtete das FA zur getrennten Veranlagung der Kläger für die Jahre 1992 und 1993. Die Voraussetzungen für eine getrennte Veranlagung nach den §§ 26 Abs. 2 Satz 1, 26a des Einkommensteuergesetzes (EStG) seien erfüllt. Die übereinstimmend erklärte Wahl der getrennten Veranlagung sei nicht willkürlich, weil die Kläger persönliche und wirtschaftlich verständliche sowie vernünftige Gründe hierfür vorgetragen hätten (Verlustvor- und -rücktrag). Nach bisheriger Rechtsprechung könne ein Missbrauch nur bei einseitiger Ausübung des Wahlrechts in Betracht kommen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. Mai 1999 XI R 97/94, BFHE 189, 63, BStBl II 1999, 762). Ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen liege auch nicht deshalb vor, weil mit einer getrennten Veranlagung die Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahmen verbunden wäre.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

Die geänderte Ausübung des Veranlagungswahlrechts sei rechtsmissbräuchlich und deshalb unbeachtlich. Mit der Durchführung einer getrennten Veranlagung gemäß § 26a EStG könnten die Kläger keine wirtschaftlichen und steuerlichen Vorteile erlangen. Alleiniger Grund sei der Versuch, die Voraussetzungen des § 278 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zu beseitigen, um eine Vollstreckung in das vom Kläger auf die Klägerin übertragene Vermögen zu vereiteln. Indes sei ihrem berechtigten Interesse, ihre Haftung zu beschränken, durch den bestandskräftigen Aufteilungsbescheid vom 22. August 1996 gemäß §§ 268 ff. AO 1977 hinreichend Rechnung getragen worden.

Als sachlicher Grund für die Ausübung des Wahlrechts werde grundsätzlich auch anerkannt, nicht verbrauchte --eigene-- Verluste im Rahmen des Verlustvor- und -rücktrags zu erhalten. Im Streitfall seien indes nach Aktenlage keine entsprechenden vor- oder rücktragbaren Verluste vorhanden.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil des FG ist aufzuheben und die Klage durch Prozessurteil als unzulässig abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).

Verfahrensfehlerhaft hat das FG über die Verpflichtungsklage auf Durchführung der getrennten Veranlagung zur Einkommensteuer 1992 und 1993 durch das FA in der Sache entschieden.

Der BFH hat von Amts wegen auch noch im Revisionsverfahren in jeder Verfahrenslage das Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzungen im finanzgerichtlichen Klageverfahren zu prüfen (BFH-Urteil vom 16. November 1984 VI R 176/82, BFHE 143, 27, BStBl II 1985, 266).

1. Eine Klage, die auf Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts gerichtet ist (§ 40 Abs. 1 Halbsatz 2 FGO), ist --vorbehaltlich der §§ 45 und 46 FGO-- nur zulässig, wenn das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist (§ 44 Abs. 1 FGO).

a) Ein solches außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren (Einspruchsverfahren) ist im Streitfall nicht durchgeführt worden. Die Kläger hatten zwar gegen die Zusammenveranlagungsbescheide vom 22. April 1996 jeweils Sprungklagen erhoben, die als Einsprüche zu behandeln waren. Die getrennte Veranlagung war aber nicht Gegenstand der Einspruchsverfahren. In den während des Klageverfahrens ergangenen Einspruchsentscheidungen hat das FA unter teilweiser Abhilfe nur über das Anfechtungsbegehren der Kläger entschieden und über den --kurze Zeit vor Erlass der Einspruchsentscheidung gestellten-- Antrag auf Einzelveranlagung.

b) Auch eine unvollständige Rechtsbehelfsentscheidung, die einzelne Begehren des Einspruchsführers unberücksichtigt lässt, kann zwar die Sachentscheidungsvoraussetzungen des erfolglos durchgeführten Vorverfahrens nach § 44 Abs. 1 FGO erfüllen (BFH-Urteil vom 27. September 2001 X R 134/98, BFHE 196, 400, BStBl II 2002, 176, m.w.N.). Ein solcher Fall liegt indes hier nicht vor. Mit ihren Einsprüchen hatten die Kläger die ersatzlose Aufhebung der Einkommensteuerbescheide für 1992 und 1993 wegen formaler Mängel der vom FA für die Streitjahre durchgeführten Außenprüfung begehrt. Die Geltendmachung des Veranlagungswahlrechts betrifft jedoch nicht die Steuerfestsetzung selbst, sondern ist lediglich eine Rechtsfolge der --abweichenden-- Ausübung des Wahlrechts. Wegen der Verschiedenartigkeit der Veranlagungsarten ist insoweit jeweils ein eigenständiges Veranlagungsverfahren durchzuführen. Das auf die Aufhebung der Zusammenveranlagungsbescheide gerichtete Einspruchsbegehren enthielt nicht zugleich das Begehren auf Verpflichtung des FA zur getrennten Veranlagung, zumal es an einem anfechtbaren Ablehnungsbescheid fehlte.

2. Ein Vorverfahren ist im Streitfall auch nicht ausnahmsweise unter den Voraussetzungen einer sog. Sprungverpflichtungsklage nach § 45 Abs. 1 FGO entbehrlich.

a) Eine zulässige Sprungklage setzt voraus, dass das FA zuvor einen Antrag auf Erlass des begehrten Verwaltungsaktes mindestens durch einen Verwaltungsakt abgelehnt hat (BFH-Urteile vom 9. August 1989 II R 145/86, BFHE 158, 11, BStBl II 1989, 981, und vom 5. Juni 1991 II R 83/88, BFH/NV 1992, 267).

b) Das FA hat aber über den Antrag der Kläger auf getrennte Veranlagung bisher nicht verbindlich entschieden. Die Kläger haben ihr Begehren auf getrennte Veranlagung vielmehr vor einer Ablehnung durch einen Verwaltungsakt beim FG im Klagewege geltend gemacht. Das Schreiben des FA vom 24. November 1997 kann nicht als Verwaltungsakt ausgelegt werden. Zur Begründung verweist der Senat auf sein Urteil vom 19. Mai 2004 III R 18/02 zur Einkommensteuer 1988.

c) Außerdem hat das FA einer Verpflichtungsklage ohne Verfahren nicht gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 FGO innerhalb eines Monats nach Zustellung der Klageschrift gegenüber dem Gericht zugestimmt. Die Zustimmung bedarf einer prozessualen Erklärung gegenüber dem Gericht. Das bloße Unterlassen einer Erklärung reicht ebenso wenig aus wie die rügelose Einlassung zur Sache (BFH-Urteil in BFHE 143, 27, BStBl II 1985, 266).

d) Eine Untätigkeitssprungklage wird durch die Sonderregelung in § 46 FGO ausgeschlossen. Eine vor Erlass eines ablehnenden Verwaltungsaktes erhobene Sprungklage in der Form der sog. Vornahmeklage ist vielmehr unheilbar unzulässig (BFH-Urteil vom 16. Januar 2002 II R 52/00, BFH/NV 2002, 1053; Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 45 FGO Rz. 13, m.w.N.). Auch der nachträgliche Erlass des Verwaltungsaktes oder die Ablehnung des Antrages heilt die Unzulässigkeit der Klage nicht (Urteil des FG des Saarlandes vom 5. November 1998 2 K 281/95, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1999, 126, rechtskräftig; Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 45 FGO Rz. 13).

3. Die Voraussetzungen für eine von Amts wegen zu prüfende Untätigkeitsklage nach § 46 FGO liegen ebenfalls nicht vor.

Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO ist eine Verpflichtungsklage abweichend von § 44 FGO ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens zulässig, wenn über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist.

Ist kein Einspruch möglich, weil das FA über den Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts nicht entscheidet, muss vor Erhebung der Klage ein sog. Untätigkeitseinspruch gemäß § 347 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 eingelegt werden. Nach dieser Vorschrift ist ein Einspruch auch dann statthaft, wenn geltend gemacht wird, dass über einen vom Einspruchsführer gestellten Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes binnen angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist.

Ist --wie im Streitfall-- der Einspruch als Rechtsbehelf nicht nach § 348 AO 1977 ausgeschlossen, so ist eine Verpflichtungsklage wegen Unterlassens eines beantragten Verwaltungsaktes (§ 40 Abs. 1 2. Alternative FGO) grundsätzlich erst nach erfolglosem Untätigkeitseinspruch zulässig (vgl. auch BFH-Urteil vom 29. Oktober 1981 I R 89/80, BFHE 134, 245, BStBl II 1982, 150).

Die Kläger haben im Streitfall indes weder gegen einen ablehnenden Verwaltungsakt Einspruch einlegen können noch haben sie einen sog. Untätigkeitseinspruch gemäß § 347 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 erhoben.

Da der Untätigkeitseinspruch nicht befristet ist (vgl. § 355 Abs. 2 AO 1977), können die Kläger aber, sofern die Finanzbehörde über ihre Anträge auf getrennte Veranlagung nicht sachlich entscheidet, noch entsprechende Untätigkeitseinsprüche einlegen.



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