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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 28.05.2009
Aktenzeichen: III R 43/07
Rechtsgebiete: EStG, GG


Vorschriften:

EStG § 52 Abs. 61a S. 2
EStG § 62 Abs. 2
GG Art. 3 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) lebt seit 1999, ihr Sohn seit August 2002 in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik). Im November 2002 erließ die Ausländerbehörde eine Ausweisungsverfügung, die allerdings aus humanitären Gründen nicht vollzogen wurde. Seit April 2003 war die Klägerin nach §§ 55, 56 des Ausländergesetzes (AuslG 1990) ausländerrechtlich geduldet.

Im April 2003 und Juni 2003 beantragte die Klägerin Kindergeld für ihren Sohn. Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) lehnte den Antrag durch Bescheid vom 15. August 2003 ab, der hiergegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und verpflichtete die Familienkasse, Kindergeld für den Zeitraum April 2003 bis Dezember 2004 zu gewähren (Urteil vom 9. Mai 2007 10 K 983/04, Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1254). Es war der Ansicht, § 62 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) n.F. sei entgegen seinem Wortlaut einschränkend dahin auszulegen, dass der Ausschluss von Ausländern von der Kindergeldberechtigung nicht für solche Eltern gelte, die auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden könnten und die sich seit mindestens einem Jahr ununterbrochen in der Bundesrepublik aufhielten. Die Erstreckung der gesetzlichen Neuregelung auf Altfälle sei verfassungsrechtlich unzulässig. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe dem Gesetzgeber in dem zum Bundeskindergeld ergangenen Beschluss vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97 (BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114) eine Frist bis zum 1. Januar 2006 gesetzt, bis zu dem die verfassungswidrige Regelung der Kindergeldberechtigung von Ausländern in § 62 Abs. 2 EStG a.F. zu ersetzen gewesen sei. Diese Frist habe der Gesetzgeber nicht eingehalten.

Zur Begründung der Revision trägt die Familienkasse vor, die Neuregelung der Kindergeldberechtigung von Ausländern in § 62 Abs. 2 EStG n.F. sei verfassungsrechtlich unbedenklich.

Die Familienkasse beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Kindergeld nach § 62 Abs. 2 EStG n.F.

1.

Die Neuregelung der Kindergeldberechtigung von Ausländern in § 62 Abs. 2 EStG ist mit Wirkung vom 1. Januar 2006 in Kraft getreten und erfasst gemäß § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG alle Sachverhalte, bei denen --wie im Streitfall-- das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist (Art. 2 des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006, BGBl. I 2006, 2915). Die Gesetzesänderung war eine Reaktion auf den Beschluss des BVerfG in BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114, in dem dieses den nahezu wortgleichen § 1 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes 1993 als insoweit unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ansah, als die Gewährung von Kindergeld allein von der Art der ausländerrechtlichen Genehmigung nach dem AuslG 1990 abhing. Der Senat hat mit Urteilen vom 15. März 2007 III R 93/03 (BFHE 217, 443, BFH/NV 2007, 1234) sowie vom 22. November 2007 III R 54/02 (BFHE 220, 45, BFH/NV 2008, 457) entschieden, dass der Gesetzgeber bei der Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums handelte, als er die Kindergeldberechtigung von Ausländern vom Besitz bestimmter Aufenthaltstitel nach dem Aufenthaltsgesetz abhängig machte und bei einzelnen Titeln, die einen schwächeren aufenthaltsrechtlichen Status vermitteln, darüber hinaus von einem mindestens dreijährigen rechtmäßigen, gestatteten oder geduldeten Aufenthalt im Bundesgebiet sowie von einer berechtigten Erwerbstätigkeit, vom Bezug laufender Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch oder von der Inanspruchnahme von Elternzeit (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c Nr. 3 EStG). An den Grundsätzen dieser Urteile hält der Senat fest.

2.

Der Senat teilt die vom FG geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 62 Abs. 2 EStG n.F. nicht.

a)

Art. 3 Abs. 1 GG gebietet es nicht, in Fällen, in denen ein Ausländer rechtmäßig oder rechtswidrig in die Bundesrepublik einreist und --z.B. wegen eines tatsächlichen Abschiebungshindernisses-- damit zu rechnen ist, dass er auf absehbare Zeit nicht mehr ausreist, von Anfang an oder nach einer gewissen Zeit Kindergeld zu gewähren, weil von einem Daueraufenthalt auszugehen sei (Senatsurteil in BFHE 220, 45, BFH/NV 2008, 457).

b)

Die in § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG angeordnete Rückwirkung der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG auf noch nicht bestandskräftig entschiedene Fälle ist entgegen der Ansicht des FG auch nicht deshalb verfassungswidrig, weil der Gesetzgeber den bis zum 1. Januar 2006 befristeten Regelungsauftrag des BVerfG in der Entscheidung in BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114 bis zu diesem Zeitpunkt nicht erfüllt hat (s. Senatsurteil in BFHE 220, 45, BFH/NV 2008, 457).

3.

Im Streitfall besaß die Klägerin für den streitigen Zeitraum keine ausländerrechtliche Genehmigung, die ihr einen Anspruch auf Kindergeld nach § 62 Abs. 2 EStG einräumte. Ihr Aufenthalt in der Bundesrepublik war ausländerrechtlich lediglich geduldet (§§ 55, 56 AuslG 1990). Ein Anspruch auf Kindergeld scheidet deshalb aus (Senatsurteile in BFHE 217, 443, BFH/NV 2007, 1234, und in BFHE 220, 45, BFH/NV 2008, 457).

Ende der Entscheidung

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