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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 28.11.2006
Aktenzeichen: III R 6/06
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4 Satz 2
EStG § 70 Abs. 4

Entscheidung wurde am 11.01.2007 korrigiert: Stichworte wurden hinzugefügt
Ein bestandskräftiger Bescheid, mit dem die Familienkasse die Festsetzung von Kindergeld im laufenden Kalenderjahr wegen der den Jahresgrenzbetrag (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) voraussichtlich übersteigenden Einkünfte und Bezüge des Kindes aufgehoben hat (Prognoseentscheidung), ist nicht nach § 70 Abs. 4 EStG zu ändern, wenn der Jahresgrenzbetrag allein deshalb unterschritten wird, weil nach der späteren Entscheidung des BVerfG die Arbeitnehmerbeiträge des Kindes zur gesetzlichen Sozialversicherung abweichend von der bisher vorherrschenden Rechtsauffassung nicht in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einzubeziehen sind.
Gründe:

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hat eine im Jahr 1983 geborene Tochter, die am 1. Dezember 2000 eine Ausbildung zur Augenoptikerin begann. Die monatliche Brutto-Ausbildungsvergütung der Tochter betrug nach der Ausbildungsbescheinigung vom 26. Januar 2001 ab 1. August 2001 1 100 DM. Nach der "Bescheinigung über die Fortdauer bzw. das Ende der Berufsausbildung" vom 15. Juli 2002 erhöhte sich die Vergütung ab 1. Juli 2002 auf monatlich 789,14 €. Weiter sollte die Tochter danach in den Monaten Juni und November 2002 Sonderzuwendungen in Höhe von jeweils 307 € brutto erhalten.

Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) errechnete nach diesen Angaben voraussichtliche Einkünfte der Tochter im Jahr 2002 in Höhe von 7 679,36 €, indem sie von den Einnahmen in Höhe von insgesamt 8 723,36 € den Arbeitnehmer-Pauschbetrag von 1 044 € (§ 9a Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes in der für das Jahr 2002 geltenden Fassung --EStG--) abzog. Da die Einkünfte der Tochter den maßgeblichen Jahresgrenzbetrag im Jahr 2002 von 7 188 € (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) überschritten, hob die Familienkasse mit Bescheid vom 3. September 2002 die Festsetzung des Kindergeldes ab Januar 2002 auf. Der Bescheid wurde nicht angefochten.

Mit Schreiben vom 21. Juli 2005 beantragte der Kläger unter Vorlage der Abrechnung der Brutto-Netto-Bezüge für den Monat Dezember 2002 erneut Kindergeld für seine Tochter für das Jahr 2002 sowie für Januar 2003. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02 (BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) seien auch die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge von den Einkünften der Tochter abzuziehen. Ihr Jahresbruttoeinkommen habe 9 537 € betragen. Nach Abzug der von ihr gezahlten Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 1 993 € und der Werbungskostenpauschale von 920 € ergebe sich ein Betrag von 6 624 €, so dass ein Anspruch auf Kindergeld bestehe.

Mit Bescheid vom 29. Juli 2005 setzte die Familienkasse Kindergeld von Oktober 2002 bis Januar 2003 fest. Der Beschluss des BVerfG in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 sei auf alle offenen Fälle anzuwenden. Da die Kindergeldfestsetzung mit bestandskräftigem Bescheid vom 3. September 2002 ab Januar 2002 aufgehoben worden sei, könne das Kindergeld frühestens ab dem Folgemonat der Bekanntgabe des Aufhebungsbescheids, also ab Oktober 2002, festgesetzt werden. Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos.

Unter Änderung des Bescheids vom 3. September 2002 verpflichtete das Finanzgericht (FG) die Familienkasse, dem Kläger für den Zeitraum Januar bis September 2002 Kindergeld zu gewähren. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 1445 veröffentlicht.

Das FG führte im Wesentlichen aus, die Einkünfte und Bezüge der Tochter überschritten im Jahr 2002 nach Abzug der gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge nicht den Jahresgrenzbetrag von 7 188 €. Dies habe sich erst nach dem Erlass des Bescheids über die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung herausgestellt, so dass der Bescheid nach § 70 Abs. 4 EStG zu ändern sei. § 70 Abs. 4 EStG eröffne stets eine Berichtigungsmöglichkeit, wenn die abschließende Überprüfung nach Ablauf des Kalenderjahres abweichend von der Prognoseentscheidung der Familienkasse ein Unter- oder Überschreiten des Grenzbetrages ergebe, da vor diesem Zeitpunkt die tatsächliche Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes nicht feststehe. Prognoseentscheidungen trügen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht den Charakter der Vorläufigkeit in sich.

Die Familienkasse rügt mit ihrer Revision sinngemäß die Verletzung des § 70 Abs. 4 EStG.

Sie beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Entgegen der Auffassung des FG kann für den Zeitraum Januar bis September 2002 kein Kindergeld gewährt werden, da der Bescheid, mit dem die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für diesen Zeitraum aufgehoben hat, bestandskräftig geworden ist und die Voraussetzungen für eine Änderung dieses Bescheids nach § 70 Abs. 4 EStG nicht vorliegen.

1. Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG besteht kein Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von mehr als 7 188 € im Kalenderjahr (2002) hat.

2. Die Familienkasse hat mit dem Bescheid vom 3. September 2002 die Kindergeldfestsetzung ab Januar 2002 aufgehoben, weil nach ihrer Berechnung die Einkünfte und Bezüge des Kindes im Kalenderjahr 2002 den Jahresgrenzbetrag überstiegen. Da der Kläger nicht innerhalb der Monatsfrist des § 355 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) Einspruch eingelegt hat, ist der Bescheid bestandskräftig geworden. Die darin getroffene Regelung über den Kindergeldanspruch ist bindend bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe dieses Bescheids, also bis Ende September 2002 (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 25. Juli 2001 VI R 78/98, BFHE 196, 253, BStBl II 2002, 88).

Die Bestandskraft des Aufhebungsbescheids vom 3. September 2002 wird durch den Beschluss des BVerfG in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 nicht berührt. Nach § 79 Abs. 2 Satz 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) bleiben nicht mehr anfechtbare Entscheidungen, die auf einer gemäß § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm beruhen, grundsätzlich unberührt. Dies gilt analog, wenn das BVerfG --wie im Streitfall-- lediglich die Auslegung einer Norm für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt hat (Senatsurteil vom 28. Juni 2006 III R 13/06, BFH/NV 2006, 2204, m.w.N.).

Der Bescheid ist auch wirksam. Denn ein Bescheid, der auf einer von einer Entscheidung des BVerfG abweichenden Auslegung einer Rechtsnorm beruht, ist zwar rechtswidrig, aber nicht nichtig (Senatsurteil in BFH/NV 2006, 2204, m.w.N.).

3. Der bestandskräftige Bescheid vom 3. September 2002 kann nicht nach § 70 Abs. 4 EStG aufgehoben oder geändert werden.

a) Nach dieser Vorschrift ist eine Kindergeldfestsetzung aufzuheben oder zu ändern, wenn nachträglich bekannt wird, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Jahresgrenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG über- oder unterschreiten. Die gesetzliche Formulierung ist insoweit ungenau, als der Kindergeldanspruch nicht davon abhängt, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Jahresgrenzbetrag unterschreiten, sondern dass sie ihn nicht überschreiten (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG).

b) Nach seinem Wortlaut betrifft § 70 Abs. 4 EStG die Aufhebung oder Änderung einer Kindergeldfestsetzung. Unter Kindergeldfestsetzung ist nicht nur ein Bescheid zu verstehen, mit dem Kindergeld festgesetzt wird, sondern auch ein Bescheid, mit dem ein Antrag auf Kindergeld abgelehnt oder --wie im Streitfall-- eine Kindergeldfestsetzung aufgehoben wird. Denn § 70 Abs. 4 EStG ordnet die Aufhebung oder Änderung der "Kindergeldfestsetzung" auch für den Fall an, dass das Unterschreiten bzw. das Nichtüberschreiten des Grenzbetrags nachträglich bekannt wird. Diese Tatbestandsalternative würde leerlaufen, würde man für die Anwendbarkeit des § 70 Abs. 4 EStG eine positive Kindergeldfestsetzung fordern. § 70 Abs. 4 EStG ist damit zu Gunsten wie zu Lasten des Kindergeldberechtigten anwendbar (vgl. Felix, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 70 Rdnr. E 3; Helmke in Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach A, I. Kommentierung, § 70 EStG Rz. 18.2; Greite in Korn, § 70 EStG Rz. 21).

c) § 70 Abs. 4 EStG rechtfertigt eine Aufhebung oder Änderung des Kindergeldbescheids aber nur, wenn nachträglich bekannt wird, dass sich die Einkünfte und Bezüge entgegen der Prognose im laufenden Kalenderjahr erhöht oder vermindert haben, nicht aber, wenn sich ein von der Prognose abweichender Betrag ergibt, weil sich nach Erlass des Kindergeldbescheids --wie hier aufgrund einer Entscheidung des BVerfG-- die Rechtsauffassung zur Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG geändert hat (vgl. auch Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes --DA-FamEStG-- 70.6 Satz 6 1. Spiegelstrich, BStBl I 2004, 743, 817; a.A. Helmke in Helmke/Bauer, a.a.O., § 70 EStG Rz. 18.2).

Diese Auslegung folgt aus dem Zweck des § 70 Abs. 4 EStG sowie der Gesetzessystematik. Für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in ihr zum Ausdruck kommende objektivierte Wille maßgebend, so wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt (vgl. Urteil des BVerfG vom 21. Mai 1952 2 BvH 2/52, BVerfGE 1, 299, 312; BFH-Urteil vom 29. März 2001 IV R 49/99, BFHE 195, 257, BStBl II 2001, 437, m.w.N.).

Die Korrekturmöglichkeit nach § 70 Abs. 4 EStG ist erforderlich, weil das Kindergeld im Laufe des Kalenderjahres monatlich gezahlt wird (vgl. § 31 Satz 3, § 71 EStG), ein Anspruch darauf aber grundsätzlich nur dann besteht, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes den maßgebenden Jahresgrenzbetrag (§ 62, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) nicht überschreiten (Senatsurteil vom 15. Dezember 2005 III R 82/04, BFHE 212, 213, BFH/NV 2006, 1008).

Anspruchsvoraussetzungen wie z.B. die Zugehörigkeit zum Haushalt des Anspruchsberechtigten oder die Ausbildung des Kindes kann die Familienkasse zeitnah ermitteln. Ändern sich die Verhältnisse, ist die Festsetzung des Kindergeldes mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben oder zu ändern (§ 70 Abs. 2 EStG). Ob die Einkünfte und Bezüge eines Kindes hingegen den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschreiten oder nicht überschreiten, ist in der Regel endgültig erst nach Ablauf des Jahres feststellbar (Senatsurteil in BFH/NV 2006, 2204, m.w.N.).

Wird zu Beginn oder während des Kalenderjahres Kindergeld für ein volljähriges Kind beantragt, hat die Familienkasse vor Festsetzung und Auszahlung des Kindergelds aufgrund der bis dahin bekannten Tatsachen die voraussichtlich im Kalenderjahr anfallenden Einkünfte und Bezüge des Kindes zu ermitteln. Wegen der Ungewissheit über die künftige Entwicklung der Einkünfte und Bezüge muss die Familienkasse die Möglichkeit haben, einen positiven oder negativen Kindergeldbescheid zu ändern, wenn sich nach Ablauf des Jahres herausstellt, dass die Einkünfte und Bezüge abweichend von der Prognose der Familienkasse aufgrund der bei der Prognoseentscheidung bekannten Tatsachen den maßgebenden Jahresgrenzbetrag überschreiten bzw. nicht überschreiten.

Mit der Einführung des § 70 Abs. 4 EStG durch Art. 1 Nr. 21 i.V.m. Art. 8 Abs. 1 des Zweiten Gesetzes zur Familienförderung vom 16. August 2001 (BGBl I 2001, 2074, BStBl I 2001, 533) sollte sichergestellt werden, dass die Festsetzung von Kindergeld für ein volljähriges Kind nach Ablauf des Kalenderjahres korrigiert werden kann, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Jahresgrenzbetrag "entgegen einer früheren Prognoseentscheidung der Familienkasse" überschreiten oder nicht überschreiten (BTDrucks 14/6160, S. 14). Eine Prognose (Vorhersage) wird hinsichtlich der im Lauf des Kalenderjahrs erst zufließenden Einnahmen und der voraussichtlich anfallenden Ausgaben (Werbungskosten) getroffen. Das nachträgliche Bekanntwerden vom Überschreiten oder Nichtüberschreiten des Jahresgrenzbetrags bezieht sich somit auf von der Prognose abweichende tatsächliche Änderungen hinsichtlich des Betrags der Einkünfte und Bezüge, nicht aber auf Änderungen, die auf nachträglich ergangener Rechtsprechung zur Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG beruhen.

Daher ist § 70 Abs. 4 EStG nicht anwendbar, wenn die Einkünfte und Bezüge den Jahresgrenzbetrag nur deshalb unterschreiten, weil aufgrund der Entscheidung des BVerfG nach Erlass des bestandskräftigen Kindergeldbescheids abweichend von der bisherigen Rechtsauffassung (vgl. BFH-Urteil vom 4. November 2003 VIII R 59/03, BFHE 204, 126, BStBl II 2004, 584, m.w.N.) Sozialversicherungsbeiträge des Kindes von den Einkünften abzurechnen sind.

Die Systematik der Änderungsvorschriften in § 70 EStG bestätigt dieses Auslegungsergebnis.

Änderungen der für den Anspruch auf Kindergeld erheblichen Verhältnisse sind nach § 70 Abs. 2 EStG mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse zu berücksichtigen, also gegebenenfalls auch rückwirkend. Materielle Fehler eines Kindergeldbescheids, d.h. Rechtsanwendungsfehler können dagegen nach § 70 Abs. 3 Satz 2 EStG nur mit Wirkung ab dem auf die Bekanntgabe der Neufestsetzung oder Aufhebung folgenden Monat --d.h. mit Wirkung für die Zukunft-- korrigiert werden.

Die für den Kindergeldanspruch erheblichen (tatsächlichen) Verhältnisse haben sich im Streitfall nicht geändert. Der Aufhebungsbescheid vom 3. September 2002 ist aber materiell fehlerhaft, weil die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung auf einer rechtswidrigen Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG beruht. Denn die Familienkasse hat --entsprechend der damals vorherrschenden Rechtsauffassung-- nicht berücksichtigt, dass Sozialversicherungsbeiträge zur Bestreitung des Lebensunterhalts nicht zur Verfügung stehen und deshalb nicht als Einkünfte in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag einbezogen werden dürfen. Die Entscheidung des Gesetzgebers, materielle Fehler eines Kindergeldbescheids nur für die Zukunft zu korrigieren, würde unterlaufen, wenn ein während des Jahres ergangener Kindergeldbescheid aufgrund einer Entscheidung des BVerfG zur Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nach § 70 Abs. 4 EStG aufzuheben oder zu ändern wäre. Denn eine Aufhebung oder Änderung nach Ablauf des Kalenderjahres gemäß § 70 Abs. 4 EStG aufgrund einer geänderten Rechtsauffassung würde zu einer rückwirkenden Korrektur für das abgelaufene Kalenderjahr führen.

Auch wird in § 70 Abs. 4 EStG --anders als in § 70 Abs. 3 EStG in dessen Satz 3-- keine entsprechende Anwendung des § 176 AO 1977 angeordnet. § 176 AO 1977 schützt das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die Bestandskraft von Steuerbescheiden, soweit sie auf einer ihm günstigen Gesetzgebung, Rechtsprechung oder Verwaltungsvorschrift beruhen (vgl. BFH-Urteil vom 11. April 2002 V R 26/01, BFHE 198, 238, BStBl II 2004, 317, m.w.N.; Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 176 Rz. 1). Hätte der Gesetzgeber mit der Schaffung des § 70 Abs. 4 EStG auch Korrekturen von bestandskräftigen Kindergeldbescheiden bei Änderung der Auslegung einer Norm durch die Rechtsprechung ermöglichen wollen, hätte er in § 70 Abs. 4 EStG ebenfalls auf § 176 AO 1977 verwiesen.

d) Nach diesen Grundsätzen hat das FG den Aufhebungsbescheid vom 3. September 2002 zu Unrecht nach § 70 Abs. 4 EStG geändert. Die Tochter erzielte im Kalenderjahr 2002 ein Bruttoeinkommen von 9 537 €. Abzüglich des Arbeitnehmerpauschbetrags von 1 044 € ergeben sich Einkünfte in Höhe von 8 493 €, die den für das Kalenderjahr 2002 maßgebenden Jahresgrenzbetrag von 7 188 € übersteigen. Die Entscheidung des BVerfG, nach der die Sozialversicherungsbeiträge nicht in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag einzubeziehen sind, ist erst nach Bestandskraft des Aufhebungsbescheids vom 3. September 2002 ergangen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1 i.V.m. § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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