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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 18.03.2009
Aktenzeichen: III R 64/07
Rechtsgebiete: GG, EStG, ZDG


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 2
GG Art. 12a Abs. 2
EStG § 32
EStG § 62 Abs. 1
EStG § 63 Abs. 1 S. 2
ZDG § 14b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I.

Die im Jahr 1984 geborene Tochter (T) des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) nahm nach dem Ende ihrer Schulausbildung vom 15. September 2003 bis 25. August 2004 an einem von der "Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V." durchgeführten sozialen Friedensdienst in der Tschechischen Republik teil. Sie betreute alte Gemeindemitglieder der Jüdischen Gemeinde in X. Neben freier Gemeinschaftsunterkunft und Verpflegung erhielt sie ein monatliches Taschengeld in Höhe von 70 EUR.

Mit Bescheid vom 9. September 2003 hob die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) die Festsetzung des Kindergeldes ab August 2003 auf. Der von T geleistete Dienst erfülle nicht die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für den streitigen Zeitraum geltenden Fassung.

Mit dem Einspruch machte der Kläger geltend, der von T geleistete Dienst entspreche einem Dienst i.S. des § 14b des Zivildienstgesetzes (ZDG). Es verstoße gegen Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG), zum Zivildienst verpflichtete Söhne, die einen solchen Dienst leisteten zu berücksichtigen, Töchter dagegen nicht. Die Familienkasse wies den Einspruch als unbegründet zurück.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.

Mit der Revision trägt der Kläger vor, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG sei auf den Streitfall analog anzuwenden, da der von T geleistete Dienst einem Dienst im Ausland i.S. des § 14b ZDG entspreche. T sei lediglich nicht als Kriegsdienstverweigerin anerkannt. Dies könne eine Ungleichbehandlung aber nicht rechtfertigen.

Er beantragt sinngemäß,

den Bescheid vom 9. September 2003 und die Einspruchsentscheidung vom 9. Januar 2004 aufzuheben.

Die Familienkasse beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Zu Recht hat das FG die Gewährung von Kindergeld abgelehnt.

1.

Im Streitzeitraum wird ein Kind, welches das 18. Lebensjahr, aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG für die Gewährung von Kindergeld berücksichtigt, wenn es ein freiwilliges soziales Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres in der Bekanntmachung der Neufassung vom 15. Juli 2002 (BGBl. I 2002, 2596) --FSJG--, ein freiwilliges ökologisches Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres in der Bekanntmachung der Neufassung vom 15. Juli 2002 (BGBl. I 2002, 2600) --FÖJG--, einen Freiwilligendienst im Sinne des Beschlusses Nr. 1031/2000/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2000 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- 2000 Nr. 1 117, 1) --EFD-- oder einen anderen Dienst im Ausland i.S. von § 14b ZDG leistet.

2.

§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG ist im Streitfall nicht unmittelbar anwendbar. Hiervon gehen auch die Beteiligten aus. Die Voraussetzungen für eine entsprechende Anwendung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG i.V.m. § 14b ZDG liegen entgegen der Auffassung des Klägers nicht vor.

a)

Eine Analogie setzt eine planwidrige Regelungslücke voraus. Eine solche Regelungslücke liegt vor, wenn eine Regelung gemessen an ihrem Zweck unvollständig, d.h. ergänzungsbedürftig ist und wenn ihre Ergänzung nicht einer vom Gesetzgeber beabsichtigten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 2. Juni 2005 III R 86/03, BFHE 210, 137, BStBl II 2005, 756).

b)

Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, lässt § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG keine planwidrige Regelungslücke erkennen. Es sollen nur die Kinder steuerrechtlich berücksichtigt werden, die einen Freiwilligendienst leisten, der die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG in Verbindung mit der jeweiligen Verweisungsnorm erfüllt.

Das Kindergeld dient der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums eines Kindes und, soweit es dafür nicht erforderlich ist, der Förderung der Familie (§ 31 Sätze 1 und 2 EStG). Ein Anspruch auf Kindergeld besteht bis zur Volljährigkeit des Kindes uneingeschränkt, weil der Gesetzgeber typisierend von einer Belastung der Eltern durch Unterhaltsaufwendungen ausgeht, solange die Kinder minderjährig sind. Volljährige Kinder werden dagegen nur berücksichtigt, wenn sie einen der Tatbestände des § 32 Abs. 4 und 5 EStG erfüllen, bei denen der Gesetzgeber typisierend annimmt, dass den Eltern trotz der Volljährigkeit Unterhaltsaufwendungen entstehen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 15. Juli 2003 VIII R 47/02, BFHE 203, 106, BStBl II 2003, 848), wie z.B. bei einem volljährigen Kind, das seine Ausbildung noch nicht beendet hat. Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a bis c EStG wird daher u.a. Kindergeld gewährt, wenn sich das Kind in Ausbildung oder in einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten von höchstens vier Monaten befindet oder auf einen Ausbildungsplatz wartet, sofern seine Einkünfte und Bezüge den maßgebenden Jahresgrenzbetrag (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) nicht übersteigen. In § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG werden die im Einzelnen aufgeführten freiwilligen Dienste der Ausbildung gleichgestellt.

Entgegen der Auffassung des Klägers enthält § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG keine zu einer Analogie berechtigende ungewollte Regelungslücke. Aus Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Zweck der Vorschrift ergibt sich, dass der Gesetzgeber die Kindergeldberechtigung bei Freiwilligendiensten eines volljährigen Kindes auf die konkret umschriebenen Dienste beschränken wollte. Die Dienste im Sinne des FSJG und des FÖJG wie auch die EFD sind jugendpolitische Bildungsangebote, die der beruflichen und persönlichen Orientierung dienen. Sie werden pädagogisch begleitet und sollen den Jugendlichen soziale, kulturelle und interkulturelle Kompetenzen vermitteln und ihr Verantwortungsbewusstsein für das Gemeinwohl stärken (vgl. z.B. Broschüre des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Freiwilliges Soziales Jahr, Freiwilliges Ökologisches Jahr, 5. Aufl. 2000; ABlEG 2000 Nr. 1 217, 2). Der Gesetzgeber sieht diese Dienste als --an Lernzielen ausgerichtete-- Bildungsdienste an (vgl. Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Jugendfreiwilligendiensten, welches das FSJG und das FÖJG zusammenfasst, BTDrucks 16/6519, 1, 12 ff.) und ordnet sie deshalb den in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG geregelten Tatbeständen der Ausbildung des Kindes zu (vgl. Helmke in Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach A, I. Kommentierung, § 32 Rz 86).

Da bei diesen Diensten aber in der Regel keine Kenntnisse und Fähigkeiten für den angestrebten Beruf vermittelt werden, sondern die pädagogische Begleitung und die vorgeschriebenen Seminare überwiegend der Persönlichkeitsbildung und Orientierung der Jugendlichen dienen, ist es verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten, das Existenzminimum eines Kindes, das einen solchen Dienst leistet, bei den Eltern von der Einkommensteuer freizustellen. Der Gesetzgeber fördert diese Dienste unter anderem durch die (Weiter-)Gewährung von Kindergeld (vgl. z.B. § 4 FSJG, § 4 FÖJG), um einen Anreiz für die Leistung solcher Dienste zu schaffen und die damit verbundenen Nachteile auszugleichen (vgl. BTDrucks 16/6519, 12). Es liegt im Rahmen seines Gestaltungsspielraums, nur solche Dienste durch die Gewährung von Kindergeld zu fördern, bei denen durch die pädagogische Begleitung die mit der Förderung verfolgten Ziele gewährleistet werden.

Von den ausbildungsähnlichen Diensten nach dem FSJG und FÖJG sowie den EFD sind die Dienste im Ausland i.S. des § 14b ZDG zu unterscheiden, die keine pädagogische Begleitung erfordern und deren Absolvierung nur bei Söhnen zu einem Kindergeldanspruch führen kann. Nach § 14b Abs. 1 ZDG werden anerkannte Kriegsdienstverweigerer unter weiteren Voraussetzungen nicht zum Zivildienst herangezogen, wenn sie unentgeltlich einen Dienst im Ausland leisten, der das friedliche Zusammenleben der Völker fördern will und der von einem nach § 14b Abs. 3 ZDG anerkannten Träger durchgeführt wird. Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG i.V.m. § 14b ZDG zu berücksichtigen sind daher lediglich nach § 1 des Wehrpflichtgesetzes (WpflG) zum Wehrdienst verpflichtete Kinder (nur Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an), die aufgrund ihrer Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer nach § 3 WpflG ihre Wehrpflicht durch den Zivildienst zu erfüllen haben und anstelle des Zivildienstes einen Dienst im Ausland i.S. des § 14b ZDG leisten. Aus der Bezugnahme auf das ZDG wird deutlich, dass der Gesetzgeber Dienste im Ausland zur Förderung des friedlichen Zusammenlebens der Völker nur dann als Tatbestand zur Gewährung von Kindergeld anerkennen will, wenn dieser Dienst anstelle des Zivildienstes geleistet wird. Andere Kinder, die einen vergleichbaren Dienst leisten, sollen ersichtlich nicht berücksichtigt werden.

3.

Die Regelung ist nach der Überzeugung des Senats verfassungsgemäß, so dass weder eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nach Art. 100 Abs. 1 GG noch eine verfassungskonforme Auslegung in Betracht kommt.

Entgegen der Auffassung des Klägers verstößt § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG nicht gegen Art. 3 Abs. 2 GG ("Männer und Frauen sind gleichberechtigt") oder gegen Art. 3 Abs. 3 GG ("Niemand darf wegen seines Geschlechtes ... benachteiligt oder bevorzugt werden."). Denn die unterschiedliche Behandlung knüpft nicht an das Geschlecht an, sondern daran, dass ein Kind zum Wehrdienst bzw. zum Zivildienst herangezogen wird. Daher erhält der Kindergeldberechtigte auch für einen Sohn, der einen Friedensdienst im Ausland leistet, nur dann Kindergeld, wenn dieser den Friedensdienst anstelle des Zivildienstes leistet, nicht aber, wenn er nicht einberufen wird und deshalb auch nicht zum Zivildienst verpflichtet ist oder wenn er den Friedensdienst zusätzlich zum Zivildienst erbringt (vgl. Senatsurteil vom 17. Dezember 2008 III R 62/06, BFH/NV 2009, 747).

Im Übrigen wäre eine auf der Wehrpflicht beruhende unterschiedliche Behandlung von Söhnen und Töchtern mit Art. 3 Abs. 2 oder Abs. 3 GG vereinbar. Denn nach Art. 12a Abs. 1 GG dürfen nur Männer der allgemeinen Wehrpflicht unterworfen und nur Wehrpflichtige, die aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigern, zum Zivildienst verpflichtet werden (Art. 12a Abs. 2 GG). Da Art. 12a GG den gleichen verfassungsrechtlichen Rang wie Art. 3 Abs. 2 und 3 GG hat, verstößt die Beschränkung der Wehrpflicht auf Männer nicht gegen das Diskriminierungsverbot (Urteil des BVerfG vom 13. April 1978 2 BvF 1/77 u.a., BVerfGE 48, 127; Beschluss des BVerfG vom 27. März 2002 2 BvL 2/02, Neue Juristische Wochenschrift 2002, 1709). Daraus folgt, dass eine an die Wehrpflicht anknüpfende unterschiedliche Berücksichtigung von Söhnen und Töchtern beim Kindergeld ebenfalls verfassungsrechtlichen Vorgaben entspräche.

Die unterschiedliche steuerrechtliche Berücksichtigung von Kindern, die einen Friedensdienst im Ausland leisten, verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

Einen Friedensdienst im Ausland sieht der Gesetzgeber als eine angemessene, dem Zivildienst gleichwertige Tätigkeit für anerkannte Kriegsdienstverweigerer an. Als hoheitlicher staatlicher Dienst kann der Zivildienst aber nur auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland geleistet werden. Deshalb kann ein Dienst im Ausland nur durch Freistellung vom Zivildienst berücksichtigt werden (Amtliche Begründung zu Art. 4 Nr. 5 des Gesetzes vom 13. Juni 1986, BRDrucks 483/85). Damit entfällt auch der gesetzliche Anspruch auf Besoldung nach § 35 Abs. 1 ZDG i.V.m. § 2 ff. des Wehrsoldgesetzes (insbesondere Wehrsold, Verpflegung und Unterbringung, Dienstbekleidung, Heilfürsorge, besondere Zuwendung, Entlassungsgeld) und gegebenenfalls Leistungen zur Sicherung des Lebensbedarfs nach dem Unterhaltssicherungsgesetz (§ 78 ZDG). Da der Friedensdienst im Ausland nach § 14b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZDG unentgeltlich zu leisten ist, geht der Gesetzgeber davon aus, dass den Eltern weiterhin Unterhaltsaufwendungen für den Sohn entstehen. Dies gilt zwar für alle Eltern, deren Kinder einen Friedensdienst im Ausland absolvieren. Die unterschiedliche Behandlung ist jedoch dadurch gerechtfertigt, dass ein zum Wehrdienst herangezogenes Kind, das den Kriegsdienst verweigert, zum Zivildienst oder an dessen Stelle zu einem Friedensdienst im Ausland verpflichtet ist, während andere Kinder --wie die Tochter des Klägers-- diesen Dienst freiwillig erbringen.

Ende der Entscheidung

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