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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 17.09.2002
Aktenzeichen: IV B 108/02
Rechtsgebiete: ZPO, FGO, AO 1977


Vorschriften:

ZPO § 321a
ZPO § 41 Nr. 3
FGO § 51 Abs. 1
FGO § 69 Abs. 3
FGO § 69 Abs. 5
FGO § 129 Abs. 1
FGO § 128 Abs. 3 Satz 1
AO 1977 § 173
AO 1977 § 164 Abs. 2
AO 1977 § 173 Abs. 2
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der nach dem Mitwirkungsplan des Senats in der Sache IV B 108/02 zuständige Richter X hat angezeigt, der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) sei sein Vetter. Dieser Umstand könne die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit begründen. Der Vorsitzende hat diese Anzeige des Richters den Beteiligten zur Stellungnahme übersandt (s. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 8. Juni 1993 1 BvR 878/90, BVerfGE 89, 28). Der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin hat daraufhin bestätigt, dass sein Vater und der Vater des Richters Brüder gewesen seien. Schon aus optischen Gründen sei es besser, wenn dem Selbstablehnungsgesuch stattgegeben würde. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) hat keine Stellungnahme abgegeben.

X ist im Streitfall nicht nach § 51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 41 Nr. 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO) von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen. Denn es besteht kein Verwandtschaftsverhältnis zu einem der Verfahrensbeteiligten. Die Verwandtschaft mit einem Verfahrensbevollmächtigten führt nicht zur Ausschließung vom Richteramt (Hartmann in Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 60. Aufl. 2002, § 41 Rz. 11).

Es liegt jedoch ein Grund vor, der die Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen würde. Nach Auffassung des Senats ist ein Verwandtschaftsverhältnis i.S. des § 41 Nr. 3 ZPO zu einem Verfahrensbevollmächtigten geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu begründen. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob der Richter sich selbst für befangen hält. Unmaßgeblich ist auch, ob der Senat der Überzeugung ist, der betroffene Richter werde sich nicht beeinflussen lassen. Entscheidend ist ausschließlich, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. etwa Beschluss des BVerfG vom 24. April 1996 2 BvR 1639/94, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1996, 2022, m.w.N.). Dass solche Zweifel bestehen können, wird im Streitfall durch die Äußerung des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin bestätigt, dem Selbstablehnungsgesuch solle schon aus optischen Gründen stattgegeben werden. Ob tatsächlich eine Befangenheit des Richters vorliegt, ist nicht entscheidend (Senatsbeschluss vom 14. Dezember 1999 IV B 112/98, BFH/NV 2000, 738).

Der Senat entscheidet danach in der Besetzung mit dem geschäftsplanmäßigen Vertreter des X.

II.

Die Antragstellerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), in deren Eigentum mehrere Grundstücke in A stehen. In den Streitjahren 1996 bis 1998 verkaufte sie die Grundstücke E-Straße (1996) und K-Straße (1998). Das FA beurteilte die Verkäufe nach einer Außenprüfung als Bestandteil eines gewerblichen Grundstückshandels und erfasste die Gewinne von 513 836,71 DM (1996) bzw. 481 750,98 DM (1998) in entsprechend geänderten Gewinnfeststellungsbescheiden. Über die dagegen erhobenen Einsprüche, mit denen --entsprechend der vorangegangenen Außenprüfung-- eine Zuordnung der veräußerten Grundstücke zum Privatvermögen geltend gemacht wird, ist noch nicht entschieden.

Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) der Gewinnfeststellungsbescheide 1996 bis 1998 lehnten zunächst das FA und anschließend auch das Finanzgericht (FG) ab. Es beständen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide. Für das Jahr 1997 mache die Antragstellerin eine Rechtswidrigkeit des Änderungsbescheids nicht einmal geltend. Aber auch die Erfassung der Veräußerungsgewinne in den Jahren 1996 und 1998 begegne keinen Bedenken. Selbst wenn zwischen der Anschaffung und der Veräußerung der beiden Grundstücke sowie eines 1995 veräußerten Grundstücks mehr als fünf Jahre vergangen seien, lägen hinreichende Merkmale für einen gewerblichen Grundstückshandel der Antragstellerin vor. Die fehlerhafte Zuordnung von Grundstücken zum Privatvermögen im Rahmen der vorangegangenen Prüfung bewirke keine Änderungssperre für die angefochtenen Bescheide. Zu Unrecht berufe sich die Antragstellerin auch auf eine tatsächliche Verständigung oder eine bindende Zusage. Schließlich sei die AdV nicht wegen einer unbilligen Härte (§ 69 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 FGO) zu gewähren.

Die Beschwerde ließ das FG nicht zu.

Mit am 14. Juni 2002 beim BFH eingegangenem Schreiben ihres Bevollmächtigten erhebt die Antragstellerin gleichwohl Beschwerde gegen den Beschluss des FG (zugestellt am 15. Mai 2002). Sie rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Das FG habe sich nicht mit den Urteilen des BFH vom 12. Juli 2001 VII R 68/00 (BFHE 196, 317, BStBl II 2002, 44) und vom 13. September 2001 IV R 79/99 (BFHE 196, 195, BStBl II 2002, 2) auseinander gesetzt. Auf diese Entscheidungen habe sie, die Antragstellerin, sich schriftsätzlich bezogen und vorgetragen, dass nach Treu und Glauben das FA an einer Änderung gehindert sei, weil es nicht alle Ermittlungsmöglichkeiten genutzt habe. Die Außenprüfung habe sich die Gesellschaftsverträge nicht vorlegen lassen. Zu Unrecht sei das FA auch davon ausgegangen, dass es im Rahmen einer GbR private und betriebliche Grundstücke geben könne. Das FA hätte die Änderung nur auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) stützen können, weil es die Grundstücke abweichend von den endgültigen Bescheiden für 1991 bis 1993 zum Betriebsvermögen deklariere. Den betreffenden Vortrag der Antragstellerin und die genannten Urteile des BFH habe das FG ignoriert.

Die Beschwerde sei zwar grundsätzlich nicht statthaft. In Ausnahmefällen habe der BFH sie aber als zulässig angesehen (BFH-Beschlüsse vom 11. September 1987 VI B 78-79/87, BFH/NV 1988, 254; vom 17. August 1995 II B 6/95, BFH/NV 1996, 218). Das gelte auch für die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs. Dieser Mangel könne zwar nach der Rechtsprechung des BFH nur im Rahmen eines statthaften und zulässigen Rechtsmittels geprüft werden (Beschlüsse vom 1. September 1987 VIII B 33/87, BFH/NV 1988, 457; vom 17. Mai 1994 I B 234/93, BFH/NV 1995, 47). Dem sei jedoch nicht zu folgen, weil damit das Grundrecht des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ausgehebelt werde. Im Übrigen sei auch die Verfassungsbeschwerde, die eigentlich zulässig sein müsse, kein Rechtsmittel. In der Entscheidung in BFH/NV 1995, 47 baue der BFH keine logische Gedankenkette auf, sondern zitiere sich mittelbar selber. Es sei in einem Rechtsstaat nicht angängig, dass ein FG im Aussetzungsverfahren Rechtsprechung des BFH, auf die hingewiesen worden sei, ignoriere.

Hinzu komme, dass die Antragstellerin dadurch genötigt werde, das BVerfG anzurufen. Der Zugang zum BVerfG sei aber durch § 90 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) erst nach Erschöpfung des Rechtswegs eröffnet. Zunächst müsse versucht werden, grobes prozessuales Unrecht durch Einlegung eines außerordentlichen Rechtsbehelfs im fachgerichtlichen Verfahren zu beseitigen (BVerfG-Beschlüsse vom 24. Juni 2002 1 BvR 575/02, Deutsches Verwaltungsblatt --DVBl-- 2002, 1112; vom 9. Dezember 1996 2 BvR 2316/96, NJW 1997, 1301; vom 15. August 1996 2 BvR 662/95, NJW 1997, 46).

Die Beschwerde sei trotz § 129 Abs. 1 FGO rechtzeitig erhoben worden. Denn mangels einer schriftlichen Rechtsbehelfsbelehrung sei die Frist nicht in Lauf gesetzt worden.

Die Antragstellerin beantragt,

die Beschwerde gegen den Beschluss des FG Köln vom 24. April 2002 2 V 592/02 zuzulassen.

Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Die Beschwerde ist unzulässig und war deshalb zu verwerfen.

1. Nach § 128 Abs. 3 Satz 1 FGO steht den Beteiligten die Beschwerde gegen die Entscheidung über die AdV gemäß § 69 Abs. 3 und 5 FGO nur zu, wenn sie in der Entscheidung zugelassen worden ist. Das FG hat die Beschwerde nicht zugelassen, vielmehr ausdrücklich auf die Unanfechtbarkeit des Beschlusses hingewiesen.

2. Eine außerordentliche Beschwerde ist im Streitfall nicht gegeben. Die Statthaftigkeit eines solchen, in der FGO nicht vorgesehenen Rechtsbehelfs hat die Rechtsprechung ausnahmsweise für Sonderfälle greifbarer Gesetzeswidrigkeit in Erwägung gezogen, d.h. für Fälle, in denen die erstinstanzliche Entscheidung jeglicher Grundlage entbehrt und damit eine nicht hinnehmbare Gesetzeswidrigkeit zur Folge hat (vgl. Senatsbeschlüsse vom 18. Oktober 2000 IV B 98/00, BFH/NV 2001, 332, und vom 26. August 1991 IV B 135/90, BFH/NV 1992, 509). Der kraft Gesetzes unanfechtbare Beschluss muss demgemäß unter schwerwiegender Verletzung von Verfahrensvorschriften zustande gekommen sein oder auf einer Gesetzesauslegung beruhen, die offensichtlich dem Wortlaut und dem Zweck des Gesetzes widerspricht und die eine Gesetzesanwendung zur Folge hat, die durch das Gesetz ersichtlich ausgeschlossen werden sollte (BFH-Beschluss vom 22. November 1994 VII B 144/94, BFH/NV 1995, 791, m.w.N.).

Ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist oder ob seit In-Kraft-Treten des Zivilprozessreformgesetzes vom 27. Juli 2001 (BGBl I 2001, 1887) mit der Einfügung des § 321a in die ZPO eine außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit generell nicht mehr statthaft ist (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 7. März 2002 IX ZB 11/02, NJW 2002, 1577, und Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 16. Mai 2002 6 B 28, 29/02, NJW 2002, 2657; Müller, NJW 2002, 2743, 2746 f.), bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Die Antragstellerin trägt nämlich einen außergewöhnlichen und schwerwiegenden Rechtsverstoß im Sinne der bisherigen Rechtsprechung nicht schlüssig vor. Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs eröffnete den außerordentlichen Beschwerdeweg schon bislang nicht (BFH-Beschlüsse vom 26. Mai 1977 V B 7/77, BFHE 122, 256, BStBl II 1977, 628, und in BFH/NV 1996, 218; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 128 Rz. 16). Ein solcher Verstoß könnte allenfalls mit einer Gegenvorstellung beim Ausgangsgericht gerügt werden. Damit würde dem Anliegen Rechnung getragen, Gehörsverletzungen ohne Einschaltung des BVerfG zu beseitigen.

3. Im Übrigen wäre die Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs aber auch unbegründet. Aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses ergibt sich, dass sich das FG mit dem Einwand der Antragstellerin auseinander gesetzt hat, das FA hätte auf der Grundlage des § 173 AO 1977 vorgehen und die Grundsätze von Treu und Glauben beachten müssen. Hierzu heißt es in dem Beschluss zutreffend, Änderungsgrundlage sei § 164 Abs. 2 AO 1977, weil die angefochtenen Bescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gestanden hätten. Weder eine Änderungssperre nach § 173 Abs. 2 AO 1977 noch Treu und Glauben könnten bewirken, dass die fehlerhaften Ergebnisse der vorangegangenen Prüfung einer zu dem richtigen Ergebnis führenden Änderung der Bescheide für die Streitjahre entgegenstehen.

Ende der Entscheidung

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