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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 29.08.2001
Aktenzeichen: IX B 117/00
Rechtsgebiete: FGO, ZPO, 2.FGOÄndG


Vorschriften:

FGO § 128 Abs. 2
FGO § 51 Abs. 1
ZPO § 42 Abs. 2
2.FGOÄndG Art. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erhoben vor dem Finanzgericht (FG) Klage gegen den sie betreffenden Einkommensteuerbescheid 1995. Während des Klageverfahrens lehnten sie den Berichterstatter des FG, Richter am FG Y, wegen Befangenheit ab. Anlass dafür war das Verhalten dieses Richters in einem anderen Verfahren, in dem der Kläger als Prozessbevollmächtigter aufgetreten war. Zur Begründung ihres Ablehnungsantrags in dem hier anhängigen Verfahren verwiesen die Kläger auf ihr Vorbringen in anderen vor demselben Senat des FG anhängigen Verfahren. Der betreffende Richter habe u.a. am Telefon gesagt: "Offensichtlich ist Herr Z nicht in der Lage, seine Praxis so zu organisieren, dass Fristen eingehalten werden können. Bei den ständigen Abwesenheiten ist dies auch kein Wunder. Auch das Finanzamt hat schon überlegt, die Kammer einzuschalten." In einem anderen Verfahren habe der Richter telefonisch erklärt: "Alles was aus dem Hause Z kommt, ist eine einzige Katastrophe." In einem weiteren Telefonat habe der Richter erklärt: "Sie nehmen doch wohl nicht ernstlich an, dass ich 29 Seiten Fax in dieser Sache lesen werde?" U.a. aus diesen Äußerungen leiten die Kläger die Befangenheit des betreffenden Richters her, die sich auf alle Verfahren auswirke, in denen der Kläger als Prozessbevollmächtigter tätig sei. Wegen der weiteren Einzelheiten verweisen die Kläger auf ihr Vorbringen im Verfahren IV B 118/00. Über diese Beschwerde hat der IV. Senat mit Beschluss vom 28. Mai 2001 entschieden. Dieser Beschluss ist den Beteiligten dieses Verfahrens bekannt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die dortige Wiedergabe des Vorbringens Bezug genommen.

Das FG lehnte den Antrag ab und verwies zur Begründung auf seinen Beschluss im Verfahren 15 K 940/96 F (NV), dessen Inhalt ebenfalls im Beschluss des IV. Senats vom 28. Mai 2001 IV B 118/00 mitgeteilt ist und auf den Bezug genommen wird. Darin führt das FG u.a. aus, bei objektiver und vernünftiger Betrachtung lasse sich allein aus dem Umstand, dass dem Berichterstatter nach den vielen ergebnislosen Fristverlängerungsanträgen und den vom Prozessvertreter wiederholt nicht eingehaltenen Zusagen nach mehr als vier Jahren seit Erhebung der Klage offensichtlich der Geduldsfaden gerissen sei, kein ernstliches Indiz dafür ableiten, dass der Berichterstatter nicht unvoreingenommen sei und die Besorgnis bestehe, dass er im vorliegenden Verfahren unsachlich oder willkürlich entscheiden werde. Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrer Beschwerde. Sie wiederholen ihr Vorbringen, das bereits im Beschluss des IV. Senats vom 28. Mai 2001 IV B 118/00 wiedergegeben ist und auf das hier zur Vermeidung von Wiederholungen ebenfalls Bezug genommen wird.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) hat sich nicht geäußert.

1. Die Beschwerde ist statthaft. Zwar kann nach § 128 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757) ein Beschluss über die Ablehnung von Gerichtspersonen nicht mehr mit der Beschwerde angefochten werden. Nach Art. 4 2.FGOÄndG richtet sich die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs gegen eine gerichtliche Entscheidung aber nach den bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Vorschriften, wenn die Entscheidung vor dem 1. Januar 2001 verkündet oder zugestellt worden ist. Im Streitfall ist der angefochtene Beschluss des FG vor dem 1. Januar 2001 zugestellt worden, so dass die Beschwerde gegeben ist.

2. Nach § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Gründe für ein solches Misstrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, dass der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden wird. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Entscheidung wirklich von Voreingenommenheit beeinflusst ausfiele. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von seinem Standpunkt aus bei Anlegung des angeführten objektiven Maßstabs Anlass hat, Voreingenommenheit zu befürchten (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555, und vom 11. Januar 1995 IV B 104/93, BFH/NV 1995, 629).

Freimütige oder saloppe Formulierungen geben grundsätzlich noch keinen Anlass zur Besorgnis der Befangenheit (BFH-Beschlüsse vom 8. Dezember 1998 VII B 227/98, BFH/NV 1999, 661; vom 27. September 1994 VIII B 64-76/94, BFH/NV 1995, 526, und vom 31. August 1987 IV B 101/86, BFH/NV 1989, 169). Evident unsachliche oder unangemessene sowie herabsetzende und beleidigende Äußerungen des Richters können aber die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn sie den nötigen Abstand zwischen Person und Sache vermissen lassen (BFH-Beschlüsse vom 13. Januar 1987 IX B 12/84, BFH/NV 1987, 656; vom 6. Februar 1989 V B 119/88, BFH/NV 1990, 45, und vom 21. November 1991 V B 157/91, BFH/NV 1992, 479).

3. Im Streitfall hat der Richter am FG Y als Berichterstatter eine Haltung gegenüber dem Kläger als Prozessbevollmächtigten eines anderen Verfahrens erkennen lassen, die aus der Sicht der Kläger bei Anlegen objektiver Maßstäbe die Besorgnis rechtfertigt, der Richter werde in der Sache nicht unvoreingenommen entscheiden. Die anlässlich der Telefonate gefallenen und vom Berichterstatter des FG nicht in Abrede gestellten Äußerungen können nicht mehr als freimütig formulierte, aber sachbezogene Erklärungen zur Förderung der betroffenen Verfahren angesehen werden. Sie machen vielmehr deutlich, dass ein gespanntes persönliches Verhältnis zwischen dem Richter und dem Kläger entstanden und eine Trennung zwischen Person und Sache nicht mehr gewährleistet ist.

In einem solchen Fall besteht die Besorgnis der Befangenheit, selbst wenn den Richter an dieser Entwicklung kein Verschulden trifft (vgl. BFH in BFH/NV 1998, 1360). So verständlich es ist, dass einem Richter, wenn der Prozessbevollmächtigte wiederholt seine Pflicht zur Prozessförderung grob verletzt, mit den Worten des FG "der Geduldsfaden reißt", macht dies doch zugleich deutlich, dass spätestens in diesem Augenblick eine rein sachlich bestimmte Bearbeitung des Rechtsstreits durch den Richter nicht mehr zweifelsfrei gewährleistet ist. Das gilt jedenfalls, wenn der betreffende Richter zum Berichterstatter berufen ist. Im Übrigen ist auch zu berücksichtigen, dass sich das zwischen dem Richter und dem Kläger bestehende Spannungsverhältnis im Streitfall, auch soweit es auf Vorgängen im anderen Verfahren beruht, unmittelbar auswirken könnte. Der Kläger tritt hier nicht für einen fremden Dritten als Prozessbevollmächtigter auf, sondern ist gleichzeitig im Verfahren über seine eigene Einkommensteuerveranlagung betroffen.

4. Diese Beurteilung wird durch die --den Beteiligten ebenfalls bekannten-- Beschlüsse des X. Senats des BFH vom 2. Mai 2001 X B 125/00 und X B 3/01 nicht in Zweifel gezogen. Der X. Senat hat seine Entscheidungen auf die Erwägung gestützt, dass die Befangenheitsgesuche gegen den Richter am FG Y zu Unrecht auf ein Verhalten dieses Richters in anderen Verfahren gestützt worden seien, an denen die jeweiligen Kläger nicht beteiligt gewesen seien. Spannungen oder Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Prozessbevollmächtigten und dem abgelehnten Richter, die in einem anderen Verfahren zutage getreten seien, könnten nur dann eine Besorgnis der Befangenheit in dem konkreten Verfahren begründen, wenn eine ablehnende Einstellung auch in diesem Verfahren in Erscheinung getreten sei. Der abgelehnte Richter, der nicht Berichterstatter in diesem Verfahren gewesen sei, sei bis zum Zeitpunkt des Ablehnungsgesuchs in diesen Streitsachen überhaupt nicht tätig geworden. Diese Erwägungen sind auf den Streitfall nicht übertragbar. Denn der Richter am FG Y war im Verfahren der Kläger zum Berichterstatter bestellt. Sein Verhalten gegenüber dem Kläger als Prozessbevollmächtigten in anderen Verfahren wirkt sich unmittelbar auch auf das hier strittige Verfahren aus, in dem es um die Einkommensteuerveranlagung des Klägers und seiner Ehefrau geht.

5. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Die Kosten fallen dem im Klageverfahren unterliegenden Beteiligten zur Last (BFH-Beschluss vom 8. Dezember 1994 VII B 172/93, BFH/NV 1995, 634, unter 3.).



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