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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 28.10.2008
Aktenzeichen: IX R 16/08
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 1
EStG § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2
EStG § 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 2a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, errichtete auf einem in ihrem Eigentum stehenden Grundstück ein Alten- und Pflegeheim (bezugsfertig im August 1997; Herstellungskosten 2 592 630,72 EUR) und verpachtete es an eine GmbH, die eine Seniorenresidenz betreibt. In den Jahren 1997 bis 2001 gewährte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) antragsgemäß Absetzungen für Abnutzung (AfA) gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr anzuwendenden Fassung (EStG) von 2,5%.

Im Dezember 2002 wurde ein Anbau fertig gestellt (Herstellungskosten 1 647 782,41 EUR), bei dem es sich nicht um einen selbständigen Gebäudeteil handelt. In der Feststellungserklärung für das Streitjahr 2002 begehrte die Klägerin AfA von 2,5% für den Altbestand bis zur Fertigstellung des Anbaus und ab 1. Dezember von 4% für den Restbuchwert des Altbaus zum 30. November sowie für den Anbau (AfA-Betrag 72 397,63 EUR). Das FA gewährte bei einer AfA-Bemessungsgrundlage von 4 240 412 EUR eine AfA nach § 7 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a EStG von 2% (84 808 EUR) für das gesamte Jahr. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

Im Klageverfahren machte die Klägerin insbesondere geltend, dass die tatsächliche Lebensdauer eines Pflegeheims lediglich 25 bis 35 Jahre betrage. Für Hotels werde in der Regel eine Nutzungsdauer von 40 Jahren unterstellt und die amtlichen AfA-Tabellen für "Sozialgebäude der Werksfürsorge" in der chemischen Industrie wiesen eine Nutzungsdauer von 33 Jahren aus. Eine anderweitige Nutzung des Gebäudes komme nicht in Betracht, da eine Nutzung als Hotel am Standort scheitere, ebenso an der Grundrissplanung. Eine Wohnraumnutzung erfordere einen massiven Eingriff in die Gebäudesubstanz; die Grundrisse ließen eine unmittelbare Wohnnutzung nicht zu.

Das Finanzgericht (FG) entschied, dass der Gewinnermittlung ein AfA-Satz von 3% ausgehend von einer Bemessungsgrundlage von 4 240 412 EUR zugrunde zu legen sei, indem es die tatsächliche Nutzungsdauer in Anlehnung an § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG auf 33 Jahre schätzte. Das Gesamtgebäude werde, obwohl Privatvermögen, im Rahmen eines Betriebes genutzt. Die Klägerin dürfe gegenüber Steuerpflichtigen, die ein Pflegeheim im Betriebsvermögen hielten und schon nach § 7 Abs. 4 Nr. 1 EStG zur AfA in Höhe von 3% berechtigt seien, nicht gleichheitswidrig schlechter gestellt werden. In welchem Umfang die intensive Nutzung eines Pflegeheimes Auswirkungen auf die Gebäudesubstanz und damit auch die technische Nutzungsdauer habe, könne der Senat offen lassen, da er aufgrund der Gesamtumstände des Streitfalls davon ausgehe, dass die wirtschaftliche Nutzungsdauer verkürzt sei. Ein wirtschaftlicher Verbrauch sei anzunehmen, wenn sich aufgrund der Änderungen der Heimmindestbauverordnung (HeimMindBV) und der sonstigen einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen die Mindestfläche der Doppel- und Einzelzimmer erhöhen werde, so dass sich die derzeit 96 Heimplätze auf 60 bis 65 reduzieren würden und entsprechend dem Klägervortrag eine wirtschaftliche Nutzung als Alten- und Pflegeheim nicht mehr möglich wäre. Nach Auffassung des Senats käme auch eine Nutzung als Hotel oder Wohnungen nicht in Betracht, da dies erhebliche bauliche Veränderungen voraussetzen würde.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA, mit der es die Verletzung von § 76 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sowie des materiellen Rechts (§ 7 Abs. 4 Satz 1 und 2 EStG) rügt. Insbesondere habe das FG die für die Bestimmung der Nutzungsdauer maßgebenden Tatsachen nicht festgestellt. Die höhere Nutzungsintensität eines Alten- und Pflegeheims könne allenfalls eine kürzere Nutzungsdauer bei der Inneneinrichtung begründen, deren Erneuerung Erhaltungsaufwand darstelle, nicht aber eine kürzere Nutzungsdauer des Gebäudes selbst.

Das FA beantragt,

das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Die Tatsachenfeststellungen des FG und ihre Würdigung tragen die Annahme einer tatsächlichen Nutzungsdauer des streitbefangenen Gebäudes von 33 Jahren sowie die entsprechende Festlegung eines AfA-Satzes von 3% nicht.

1. Die Gebäude-AfA bestimmt sich nach § 7 Abs. 4 EStG.

a) Gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG sind bei Gebäuden, die nach dem 31. Dezember 1924 fertig gestellt worden sind, als AfA jährlich 2% abzuziehen, soweit die Voraussetzungen der Nr. 1 nicht erfüllt sind. Gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG betragen die AfA bei Gebäuden, soweit sie zu einem Betriebsvermögen gehören und nicht Wohnzwecken dienen und der Bauantrag nach dem 31. März 1985 gestellt worden ist, jährlich 3%.

b) Gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG können anstelle der Absetzungen nach § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG die der tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes entsprechenden AfA vorgenommen werden. Nutzungsdauer i.S. von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG ist gemäß § 11c Abs. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung der Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann. Die zu schätzende Nutzungsdauer wird bestimmt durch den technischen Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung sowie rechtliche Gegebenheiten, welche die Nutzungsdauer eines Gegenstands begrenzen können. Auszugehen ist von der technischen Nutzungsdauer, also dem Zeitraum, indem sich das Wirtschaftsgut technisch abnutzt. Sofern die wirtschaftliche Nutzungsdauer kürzer als die technische Nutzungsdauer ist, kann sich der Steuerpflichtige hierauf berufen (ständige Rechtsprechung, Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4. März 2008 IX R 16/07, BFH/NV 2008, 1310, m.w.N.).

Eine mit wirtschaftlicher Abnutzung begründete kürzere Nutzungsdauer kann den AfA nur zugrunde gelegt werden, wenn das Wirtschaftsgut vor Ablauf der technischen Nutzungsdauer objektiv wirtschaftlich verbraucht ist. Ein wirtschaftlicher Verbrauch ist nur anzunehmen, wenn die Möglichkeit einer wirtschaftlich sinnvollen (anderweitigen) Nutzung oder Verwertung endgültig entfallen ist (BFH-Urteil in BFH/NV 2008, 1310, m.w.N.). Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls. Die hierzu notwendige Beurteilung obliegt dem FG als Tatsacheninstanz (ständige Rechtsprechung, BFH-Urteil in BFH/NV 2008, 1310, m.w.N.).

c) § 7 Abs. 4 EStG stellt eine gesetzliche Typisierung der Nutzungsdauer i.S. von § 7 Abs. 1 Satz 2 EStG dar. Das FG hat danach im Rahmen von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG den Zeitraum zu schätzen, in dem das Gebäude erfahrungsgemäß vom jeweiligen Eigentümer verwendet werden kann (vgl. BFH-Urteile vom 9. Dezember 1999 III R 74/97, BFHE 191, 125, BStBl II 2001, 311 unter II.1., sowie vom 18. September 2003 X R 54/01, BFH/NV 2004, 474). Maßgebend ist die objektive Nutzbarkeit unter Berücksichtigung der besonderen betriebstypischen Beanspruchung. Dies kann dazu führen, dass das FG nach Maßgabe von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG eine tatsächliche Nutzungsdauer für ein zum Privatvermögen gehörendes Gebäude annimmt, welche der vom Gesetzgeber für Gebäude im Betriebsvermögen typisierten AfA gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG entspricht. Angesichts der gesetzlichen Differenzierung in § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG nach Maßgabe einer Zugehörigkeit zum Betriebsvermögen kann das FG jedoch nicht § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG typischerweise auf Gebäude anwenden, die sich im Privatvermögen befinden, aber betrieblich genutzt werden. Vielmehr ist insoweit stets eine Einzelfallentscheidung zu treffen. § 7 Abs. 4 und 5 EStG gehen aus steuer- und wohnungspolitischen Gründen von einer kurzen Lebensdauer von Gebäuden aus (BFH-Urteil in BFH/NV 2004, 474 unter II.2., m.w.N.), die zu dem auf den jeweiligen Eigentümer zu beziehen ist. Die sachliche Rechtfertigung für die Differenzierung zwischen Betriebsvermögen und Privatvermögen in § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG besteht in der im Einkommensteuergesetz angelegten unterschiedlichen Veräußerungsgewinnbesteuerung von Wirtschaftsgütern im Betriebsvermögen und im Privatvermögen (Werndl, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 7 EStG Rz E 51). Zwar hat der BFH entschieden, dass die Frage, ob Heizungs-, Fahrstuhl- sowie Be- und Entlüftungsanlagen einer gegenüber dem Gebäude gesonderten Absetzung für Abnutzung unterliegen, für Gebäude des Privatvermögens und des Betriebsvermögens gleich zu beurteilen ist (BFH-Beschluss vom 26. November 1973 GrS 5/71, BFHE 111, 242, BStBl II 1974, 132). Dies beruht jedoch darauf, dass der Wortlaut der § 7, § 9 Nr. 6 EStG (nunmehr § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 EStG) keinen Anhaltspunkt für eine unterschiedliche Beurteilung gab.

d) Maßgeblich ist die objektive Nutzbarkeit des Wirtschaftsguts durch Berücksichtigung der besonderen Beanspruchung, der es im Einzelfall unterliegt. Diese ist vom FG festzustellen.

Als Hilfsmittel für die Schätzung der Nutzungsdauer hat das Bundesministerium der Finanzen (BMF) unter Beteiligung der Fachverbände der Wirtschaft AfA-Tabellen herausgegeben. Sie berücksichtigen sowohl die technische als auch die wirtschaftliche Nutzungsdauer eines Wirtschaftsguts und haben zunächst die Vermutung der Richtigkeit für sich, ohne dass sie jedoch für die Gerichte bindend wären (BFH-Urteil in BFHE 191, 125, BStBl II 2001, 311, m.w.N.). Will das FG von der in der amtlichen AfA-Tabelle zugrunde gelegten Nutzungsdauer eines Wirtschaftsguts generell und nicht nur wegen der Besonderheiten des Einzelfalls abweichen, erfordert dies eine Auseinandersetzung mit den Erkenntnisgrundlagen der Finanzverwaltung, auf denen die AfA-Tabelle beruht (BFH-Urteil vom 8. November 1996 VI R 29/96, BFH/NV 1997, 288). Die amtlichen AfA-Tabellen des BMF sind auch im Rahmen des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG anwendbar, wenn das im Privatvermögen gehaltene Wirtschaftsgut im Rahmen eines Betriebes genutzt wird (FG des Saarlandes, Urteil vom 8. November 2006 1 K 336/03, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2007, 1000; Schmidt/Kulosa, § 7 EStG Rz 105). Die AfA-Tabellen stellen maßgeblich nicht darauf ab, in welcher Art von Vermögen ein Wirtschaftsgut gehalten wird, sondern darauf, wo und wie es genutzt wird. Durch die Heranziehung der AfA-Tabelle wird nicht etwa die gesetzliche Typisierung der Nutzungsdauer in § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG verdrängt (so Urteil des Niedersächsischen FG vom 7. September 1993 I 637/88, EFG 1994, 96), sondern vielmehr eine gleichheitsgerechte Anwendung von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG erreicht. Insoweit sind die AfA-Tabellen anzuwenden, soweit sie nach der Einschätzung des FG den Einzelfall vertretbar abbilden (Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 19. Aufl., § 5 Rz 25).

2. Nach diesen Maßstäben kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben.

Zutreffend geht das FG zwar davon aus, dass das streitbefangene Pflegeheim nicht Wohnzwecken dient, da die Bewohner nicht die tatsächliche Sachherrschaft über ihre Unterkunft ausüben (BFH-Urteil vom 30. September 2003 IX R 2/00, BFHE 203, 359, BStBl II 2004, 221). Auch konnte das FG offenlassen, inwieweit die intensive Nutzung des Gebäudes als Pflegeheim dessen technische Nutzungsdauer verkürzt, indem es maßgeblich auf die wirtschaftliche Nutzungsdauer abstellte. Es fehlt jedoch an einer Würdigung der im Streitfall konkret für eine kürzere wirtschaftliche Nutzungsdauer sprechenden Gesichtspunkte. Insbesondere verifiziert das FG nicht die von den Beteiligten vorgetragenen gesetzlichen Anforderungen an die Zimmeraufteilung eines Pflegeheims und deren zu erwartende Änderung. Es stellt zwar fest, dass ein wirtschaftlicher Verbrauch anzunehmen sei, "wenn sich auf Grund der Änderung der HeimMindBV und der sonstigen einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen die Mindestfläche der Doppel- und Einzelzimmer erhöhen wird, so dass sich die derzeit 96 Heimplätze auf 60 bis 65 reduzieren würden und nach dem Vortrag der Klägerin eine wirtschaftliche Nutzung als Alten- und Pflegeheim nicht mehr möglich wäre". Dem folgt jedoch keine einzelfallbezogene Prüfung, sondern lediglich ein Hinweis darauf, dass nach Auffassung des Senats auch eine Nutzung als Hotel oder als Wohnungen nicht in Betracht komme, da dies erheblich bauliche Veränderungen voraussetzen würde. Inwieweit derartige Veränderungen im Einzelfall mit Kosten verbunden wären, die eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung ausschließen würden, bleibt offen.

Soweit sich die Revision auf AfA-Tabellen zur Nutzungsdauer von Hotelgebäuden und Sozialräumen aus der chemischen Industrie stützt, können solche, soweit vorhanden, jedenfalls nicht unbesehen auf Pflegeheime übertragen werden. Auch insoweit fehlt es an einer finanzgerichtlichen Würdigung. Ebenso wenig aber wie für Hotelgebäude (dazu FG Baden-Württemberg, Urteil vom 5. Februar 1992 13 K 44/89, EFG 1992, 723) kann für Pflegeheime allgemein ohne besonderen Nachweis im Einzelfall eine kürzere Nutzungsdauer für die Bemessung der AfA angenommen werden, als sie der gesetzlichen Typisierung des § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG zugrunde liegt. Allein daraus, dass das streitbefangene Gebäude betrieblich genutzt wird, kann im Rahmen von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht eine kürzere Nutzungsdauer für im Privatvermögen befindliche Gebäude (§ 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG) geschlussfolgert werden.

Das FG wird die für die Anwendung von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG im Einzelfall erforderliche Tatsachenwürdigung vorzunehmen haben.



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