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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 16.08.2006
Aktenzeichen: V B 207/05
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 115 Abs. 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war in den Jahren 1993 bis 1995 (Streitjahre) als selbständiger Bauunternehmer tätig. In seinen Umsatzsteuererklärungen machte er u.a. den Abzug von Vorsteuerbeträgen aus (Subunternehmer-)Rechnungen des B und der S-GmbH geltend. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) versagte diesen Vorsteuerabzug mit der Begründung, B habe an den Kläger keine Leistungen erbracht bzw. B sei nicht der leistende Unternehmer gewesen; ähnlich verhalte es sich mit der S-GmbH, die als Teil einer groß angelegten, gewerbsmäßigen Steuerhinterziehung nur die Funktion einer "Servicefirma" gehabt habe, die ihren "Benutzern" als "Servicepaket" ihren Namen, die Steuernummer, Unbedenklichkeitsbescheinigungen, sonstige Bestätigungen sowie Briefbögen und Rechnungsvordrucke überlassen habe, ohne eigene aktive Geschäfte zu betreiben. Das Landgericht (LG) X hat vier "Drahtzieher" der gewerbsmäßigen Steuerhinterziehung zu Freiheitsstrafen von bis zu acht Jahren verurteilt. Obwohl zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass die in den Rechnungen von B und der S-GmbH ausgewiesenen Leistungen vom Kläger tatsächlich empfangen --und seinen eigenen Auftraggebern weiterberechnet-- wurden, kam nach Auffassung des FA ein Vorsteuerabzug mangels Identität von Rechnungsaussteller und leistendem Unternehmer nicht in Betracht.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Die Beweisaufnahme durch das Finanzgericht (FG) ergab, dass B von angeblichen Leistungen an den Kläger nichts wusste, er wurde von verschiedenen Zeugen auch nicht als der auf den Baustellen aufgetretene Unternehmer erkannt. Auf der Grundlage der Feststellungen des LG X und der Vernehmung des Zeugen G kam das FG auch zu dem Ergebnis, dass die S-GmbH an den Kläger keine Leistungen erbracht habe. Selbst wenn der Kläger gutgläubig die Bauleistungen von den Benutzern der Firmenpapiere des B und der S-GmbH empfangen habe, scheide ein Vorsteuerabzug mangels Identität von Rechnungsaussteller und leistendem Unternehmer aus (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. § 14 des Umsatzsteuergesetzes --UStG-- 1993). Hinsichtlich der in den Rechnungen der S-GmbH ausgewiesenen Umsatzsteuer gelte dies selbst bei Gutgläubigkeit des Klägers, weil die S-GmbH hinsichtlich der Bauleistungen auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu sog. Strohmanngeschäften rechtlich nicht als Leistender angesehen werden könne. Das FG hat die Revision nicht zugelassen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde und rügt verschiedene Verfahrensmängel sowie Abweichung des FG von der Rechtsprechung des BFH. Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.

Wegen Einkommensteuer 1993 bis 1995 ist ein Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unter dem Az. X B 191/05 mit Beschluss vom 8. August 2006 entschieden worden.

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Nichtzulassung kann mit der Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

1. Die behaupteten Verfahrensmängel liegen nicht vor.

a) Der gerügte Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), der zur fälschlichen Folgung des FG geführt hat, "dass die S-GmbH kein Leistungserbringer i.S. des UStG gewesen sei", ist nicht feststellbar. Eine diesbezügliche Rüge muss besonders detailliert begründet werden, weil sie sowohl das materielle Recht als auch die Handhabung von Verfahrensrecht betreffen kann (BFH-Beschlüsse vom 5. April 1994 V B 164/93, BFH/NV 1995, 883; vom 2. April 2002 X B 56/01, BFH/NV 2002, 947). Der Kläger wendet sich insoweit nur gegen die Folgerungen des FG aus dem festgestellten Sachverhalt (die Feststellungen im Strafurteil des LG, die sich das FG zu Eigen machte). Eine ggf. fehlerhafte Würdigung ist aber kein Verfahrensfehler, es sei denn, das FG hätte Beweisregeln falsch angewendet.

Das FG kam zum Schluss, dass nach den Feststellungen des LG jedenfalls nicht die S-GmbH die von ihr abgerechneten Leistungen an den Kläger erbrachte; insoweit sind Rechtsfehler nicht erkennbar. Es hat im Übrigen nicht "auf die fehlende Unternehmereigenschaft" der S-GmbH abgestellt, wie der Kläger in der Beschwerdebegründung vorträgt.

Das FG hat auch nicht deshalb gegen den klaren Inhalt der Akten verstoßen, weil es davon ausgegangen ist, dass der Kläger die Rechnungen der S-GmbH "fast ausnahmslos" bar bezahlt habe.

Zum einen hat der Kläger mit dem Vorbringen, er habe mindestens dreimal mit Scheck bezahlt (wovon einer nachweislich dem Konto der S-GmbH gutgeschrieben wurde) nicht substantiiert dargelegt, dass die Vorentscheidung unter Zugrundelegung der dort vertretenen materiell-rechtlichen Auffassung möglicherweise anders getroffen worden wäre, wenn dem FG der vermeintliche Verfahrensfehler nicht unterlaufen wäre. Die Zahlung von rund 20 000 DM mittels Barscheck bei einem Bruttoumsatz des Klägers mit der S-GmbH von 405 152 DM ändert an der Auffassung des FG nichts, dass auch im Baugewerbe die Barzahlung nicht als unverfänglicher Normalfall angesehen werden könne. Außerdem hat das FG die fehlende Gutgläubigkeit des Klägers auch auf Umstände der Geschäftsanbahnung und der Abwicklung der Arbeiten auf den Baustellen gestützt.

Zum anderen hat der Kläger im FG-Verfahren die Scheckzahlung nicht dargelegt; dies wäre aber erforderlich gewesen, wenn das FA schon im Vorverfahren und in der Einspruchsentscheidung die ausschließliche Barzahlung betonte.

b) Eine Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, § 96 Abs. 2 FGO) wegen einer "Überraschungsentscheidung" liegt nicht vor.

Eine Überraschungsentscheidung ist nur dann gegeben, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeobachter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen musste. Ein Hinweis auf nahe liegende rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte ist zumindest dann nicht erforderlich, wenn der Kläger fachkundig vertreten ist (BFH-Beschluss vom 20. August 1998 XI B 110/95, BFH/NV 1999, 329). Da es im gesamten Verfahren von Anfang an um die Zweifel an der Identität seines Geschäftspartners ging, musste dem Kläger klar sein, dass den näheren Umständen seiner Geschäftsbeziehungen zur S-GmbH entscheidende Bedeutung zukommt; entsprechend hat der Kläger im FG-Verfahren auch den Antrag gestellt, Zeugen zu den Umständen der Geschäftsanbahnung und der Durchführung der Arbeiten zu vernehmen; das FG hat einen entsprechenden Beweisbeschluss gefasst. Deshalb konnte es für den --fachkundig vertretenen-- Kläger nicht überraschend sein, dass das FG seine Entscheidung auch auf Fehlen eines schlüssigen Vortrags des Klägers zur Geschäftsanbahnung mit der S-GmbH, die Überprüfung ihrer Leistungsfähigkeit, die näheren Umstände der Verhandlungsführung sowie der Überwachung der Arbeiten gestützt hat.

2. Auch die behaupteten Divergenzen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO) liegen nicht vor.

a) Die Entscheidung des FG weicht nicht von der Rechtsprechung des BFH zu sog. Strohmanngeschäften ab. Das FG hat den ab-strakten Rechtssatz des vom Kläger zitierten BFH-Beschlusses vom 31. Januar 2001 V B 108/01 (BFHE 198, 208, BStBl II 2004, 622 - insoweit identisch mit den anderen vom Kläger zitierten BFH-Entscheidungen) seiner Entscheidung auf Seite 13 des Urteils ausdrücklich zugrunde gelegt.

b) Auch eine Abweichung vom BFH-Urteil vom 23. Februar 1999 IX R 19/98 (BFH/NV 1999, 1157) ist mit der Rüge, das FG habe bei der Würdigung der Aussage eines Zeugen die überlange Verfahrensdauer nicht hinreichend zu Gunsten des Klägers berücksichtigt, nicht schlüssig dargelegt. Eine die einheitliche Rechtsprechung gefährdende Abweichung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO liegt nur dann vor, wenn das FG bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Rechtsauffassung vertritt als der BFH oder ein anderes FG (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 4. Juni 2003 VII B 138/01, BFHE 202, 231, BStBl II 2003, 790, 794, m.w.N.).

Ausschlaggebend war im zitierten Urteil des IX. Senats weniger die Zeitdauer zwischen dem Entstehen der streitigen Steuer und der Entscheidung des FG, sondern das Verhalten des FG: Trotz Entscheidungsreife hatte es den Fall nahezu fünf Jahre nicht bearbeitet, obwohl ihm bekannt war, dass eine maßgebliche Zeugin, die während der Untätigkeit des FG verstarb, bei Klageerhebung bereits 81 Jahre alt war. Insofern kann der Sachverhalt nicht mit dem vorliegenden Streitfall verglichen werden, in dem das Urteil drei Jahre und vier Monate nach Eingang der Klagebegründung gesprochen sowie eine Zeugenvernehmung durchgeführt wurde und der Zeuge G aussagte, er gehe davon aus, auch zum damaligen Zeitpunkt nicht gewusst zu haben, wie die Geschäftsanbahnung des Klägers mit der S-GmbH erfolgt sei.

Ende der Entscheidung

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