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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 25.11.2005
Aktenzeichen: V B 75/05
Rechtsgebiete: UStG 1993, UStDV 1999, FGO


Vorschriften:

UStG 1993 § 4 Nr. 1 Buchst. b
UStG 1993 § 6a Abs. 1
UStG 1993 § 6a Abs. 3
UStG 1993 § 6a Abs. 4
UStDV 1999 § 17a
UStDV 1999 § 17c
FGO § 69 Abs. 2
FGO § 69 Abs. 3 Satz 1
1. Es ist noch nicht geklärt, welche Anforderungen an den Nachweis einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung zu stellen sind und unter welchen Voraussetzungen sich ein Unternehmer auf die Regelung zum Gutglaubensschutz in § 6a Abs. 4 UStG berufen kann.

2. Ist die Rechtslage nicht eindeutig, ist über die zu klärenden Fragen im summarischen Verfahren auf Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsakts nicht abschließend zu entscheiden.

3. Zu den Voraussetzungen, unter denen die Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsaktes von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden kann.


Gründe:

I.

Streitig ist, ob die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit innergemeinschaftlicher Lieferungen nach § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) vorliegen.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) betreibt seit 1997 --neben seiner Tätigkeit als Unternehmensberater und Dozent-- einen Handel mit hochwertigen Kraftfahrzeugen. In den Jahren 2000 und 2001 (Streitjahre) lieferte er 79 Fahrzeuge an sechs verschiedene spanische Unternehmen sowie 2 Fahrzeuge an ein belgisches Unternehmen.

Der Antragsteller behandelte diese Umsätze als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen. Die den sieben Unternehmen erteilten Umsatzsteuer-Identifikationsnummern waren zum Zeitpunkt der Verkäufe gültig. Der Antragsteller hatte sich dies vor der Abwicklung der Verkäufe durch das Bundesamt für Finanzen (BfF) nach § 18e UStG bestätigen lassen. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die 79 Fahrzeuge tatsächlich nach Spanien verbracht wurden.

Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung versagte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die Anerkennung der mit den sieben Unternehmen getätigten Umsätze als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen mit der Begründung, dass es sich dabei um lediglich rechtlich existente, wirtschaftlich jedoch inaktive Scheinunternehmen handele. Das FA erließ am 12. Juni 2003 einen entsprechend geänderten Umsatzsteuerbescheid für 2000 und am 17. Juni 2003 entsprechende Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für die Monate Januar bis September 2001.

Der Antragsteller hat gegen diese Bescheide Einspruch eingelegt. Über die Einsprüche hat das FA noch nicht entschieden.

Der Antrag des Antragstellers auf Aussetzung der Vollziehung der Bescheide wurde sowohl vom FA als auch vom Finanzgericht (FG) abgelehnt. Das FG führte zur Begründung aus, nach summarischer Prüfung ergäben sich keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide, da der Antragsteller die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit nicht gemäß § 6a Abs. 3 Satz 2 UStG i.V.m. § 17a Abs. 1 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1999 (UStDV) durch Belege nachgewiesen habe.

Das FG ließ die Beschwerde zu, da zur Frage des Belegnachweises beim Bundesfinanzhof (BFH) das Revisionsverfahren V R 52/03 anhängig sei.

Während des Beschwerdeverfahrens hat das FA am 7. September 2005 einen Umsatzsteuerbescheid für 2001 gegen den Antragsteller erlassen.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide für 2000 vom 12. Juni 2003 und für 2001 vom 7. September 2005 ohne Sicherheitsleistung insoweit auszusetzen, als in diesen Bescheiden die Steuerfreiheit innergemeinschaftlicher Lieferungen versagt worden ist.

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers ist begründet. Sie führt zur Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide in der beantragten Höhe gegen Sicherheitsleistung.

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das FG die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes auf Antrag u.a. dann aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden (§ 69 Abs. 3 Satz 2 FGO).

Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind anzunehmen, wenn bei überschlägiger Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige, gegen sie sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen bewirken oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen aufwerfen. Die Aussetzung der Vollziehung setzt nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 6. Juni 2002 V B 110/01, BFHE 199, 55, BFH/NV 2002, 1736, unter II. 1., m.w.N.).

2. Für die Entscheidung des Streitfalls ist entscheidend, welche Anforderungen an den Nachweis einer innergemeinschaftlichen Lieferung gemäß § 6a Abs. 3 UStG zu stellen sind. Ggf. kommt auch die Anwendung des § 6a Abs. 4 UStG in Betracht.

a) Eine --gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG steuerfreie-- innergemeinschaftliche Lieferung ist nach § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG u.a. dann gegeben, wenn

- der Unternehmer oder sein Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet,

- der Abnehmer ein Unternehmer ist, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat und

- der Erwerb des Gegenstands der Lieferung beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterliegt.

Nach § 6a Abs. 3 Satz 1 UStG müssen die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG vom Unternehmer nachgewiesen sein. Das Bundesministerium der Finanzen kann mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung bestimmen, wie der Unternehmer den Nachweis zu führen hat (§ 6a Abs. 3 Satz 2 UStG). Dazu ist in § 17a Abs. 1 UStDV geregelt worden, dass bei innergemeinschaftlichen Lieferungen der Unternehmer im Geltungsbereich dieser Verordnung durch Belege nachweisen muss, dass er oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet hat; dies muss sich aus den Belegen eindeutig und leicht nachprüfbar ergeben (sog. Belegnachweis). Ferner bestimmt § 17c Abs. 1 Satz 1 UStDV, dass bei innergemeinschaftlichen Lieferungen der Unternehmer im Geltungsbereich dieser Verordnung die Voraussetzungen der Steuerbefreiung einschließlich Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers buchmäßig nachweisen muss; die Voraussetzungen müssen gemäß § 17c Abs. 1 Satz 2 UStDV "eindeutig und leicht nachprüfbar aus der Buchführung zu ersehen" sein (sog. Buchnachweis).

b) Nach § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG ist eine Lieferung, die der Unternehmer als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung behandelt hat, obwohl die Voraussetzungen nach § 6a Abs. 1 UStG nicht vorliegen, gleichwohl als steuerfrei anzusehen, wenn die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte.

3. Die Voraussetzungen von § 6a Abs. 3 und Abs. 4 UStG sind noch nicht abschließend geklärt.

a) Vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften sind zu den Voraussetzungen steuerfreier innergemeinschaftlicher Lieferungen die Verfahren Rs. C-146/05 (auf Vorlage des Senats vom 10. Februar 2005 V R 59/03, BFHE 208, 502, BStBl II 2005, 537) und Rs. C-409/04 (auf Vorlage des Britischen High Court of Justice vom 6. Mai 2004) anhängig.

Zudem liegen dem Senat mehrere Revisionen zur Frage des Nachweises innergemeinschaftlicher Lieferungen nach § 6a Abs. 3 UStG und zum Gutglaubensschutz nach § 6a Abs. 4 UStG vor (V R 52/03, Vorinstanz: FG München, Urteil vom 31. Juli 2003 14 K 4876/02, "Entscheidungen der Finanzgerichte" --EFG-- 2003, 1738; V R 41/04, Vorinstanz: FG Köln, Urteil vom 6. Mai 2004 15 K 1590/03, EFG 2004, 1802; V R 26/05, Vorinstanz: FG Köln, Urteil vom 27. Januar 2005 10 K 1367/04, EFG 2005, 822, und V R 43/05, Vorinstanz: FG München, Urteil vom 28. April 2005 14 K 1519/03, EFG 2005, 1485). Dabei haben die FG jeweils die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

Die Verfahren betreffen zwar andere Sachverhalte. Die zu erwartenden Entscheidungen lassen aber gleichwohl rechtliche Erkenntnisse auch für den Streitfall erwarten.

b) Angesichts dieser ungeklärten Rechtslage war die beantragte Aussetzung der Vollziehung zu gewähren.

Ist die Rechtslage nicht eindeutig, ist über die zu klärenden Fragen im summarischen Beschlussverfahren nicht abschließend zu entscheiden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 30. November 2000 V B 187/00, BFH/NV 2001, 657; vom 14. Oktober 2002 V B 60/02, BFH/NV 2003, 87, unter II. 3., m.w.N.).

4. Allerdings war die Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen.

a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 FGO kann auch die finanzgerichtliche Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Durch die Verknüpfung mit einer Sicherheitsleistung sollen Steuerausfälle bei einem für den Steuerpflichtigen ungünstigen Verfahrensausgang vermieden werden. Eine diesbezügliche Gefahr kann insbesondere aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen bestehen. Andererseits entfällt das öffentliche Interesse an der Vermeidung von Steuerausfällen, wenn mit Gewissheit oder großer Wahrscheinlichkeit ein für den Steuerpflichtigen günstiger Prozessausgang zu erwarten ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 26. Mai 1988 V B 26/86, BFH/NV 1989, 403, unter 1. b aa; vom 24. Oktober 2000 V B 144/00, BFH/NV 2001, 493; vom 29. November 2004 V B 78/04, BFH/NV 2005, 650).

b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt es im Rahmen sachgerechter Ausübung des richterlichen Ermessens, die dem Antragsteller zugebilligte Aussetzung der Vollziehung mit der Anordnung einer Sicherheitsleistung in Höhe des Umfangs der Aussetzung zu verknüpfen.

Eine Gefährdung der umstrittenen Umsatzsteueransprüche ergibt sich aus den eigenen Darlegungen des Antragstellers, wonach seine wirtschaftliche Existenz und die seiner Familie "unmittelbar bedroht" wäre, wenn die Aussetzung der Vollziehung nicht gewährt würde (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 3. Februar 1993 I B 90/92, BFHE 170, 197, BStBl II 1993, 426, 430; Birkenfeld in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rz. 388).

Davon, dass mit Gewissheit oder großer Wahrscheinlichkeit ein für den Antragsteller günstiger Prozessausgang zu erwarten ist, kann nicht ausgegangen werden.

Ende der Entscheidung

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