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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 07.09.2007
Aktenzeichen: V B 97/07
Rechtsgebiete: UStG, FGO


Vorschriften:

UStG § 4 Nr. 9 Buchst. b
FGO § 69 Abs. 2 Satz 2
FGO § 69 Abs. 3 Satz 1
FGO § 69 Abs. 7
FGO § 128 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) ist eine GmbH. Gegenstand ihres Unternehmens ist der Betrieb von Geldspielgeräten.

Mit ihrer Umsatzsteuervoranmeldung für das II. Kalendervierteljahr 2006 vom 10. August 2006 erklärte sie die Umsätze aus dem Betrieb der Geldspielgeräte als steuerpflichtig. Die Antragstellerin ermittelte eine Umsatzsteuervorauszahlung von 3 157,34 €.

Gleichzeitig legte sie gegen diese Umsatzsteuervoranmeldung Einspruch ein --über den der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) noch nicht entschieden hat-- und beantragte deren Aussetzung der Vollziehung (AdV).

Am 11. August 2006 übersandte sie eine berichtigte Umsatzsteuervoranmeldung für das II. Kalendervierteljahr 2006. In dieser behandelte sie die Umsätze aus dem Betrieb von Glücksspielen mit Geldeinsatz in Höhe von netto 43 471 € als steuerfrei. Aufgrund der dadurch verminderten abziehbaren Vorsteuerbeträge ermittelte sie eine Umsatzsteuervorauszahlung von 753,03 €.

Zur Begründung ihres Antrags auf AdV der Umsatzsteuervoranmeldung für das II. Kalendervierteljahr 2006 berief sich die Antragstellerin unmittelbar auf Art. 13 Teil B Buchst. f und Art. 33 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG).

Den Antrag auf AdV lehnte das FA ab.

Der im Anschluss daran beim Finanzgericht (FG) gestellte Antrag hatte Erfolg (Beschluss des FG Düsseldorf vom 27. März 2007 5 V 3840/06 A (U), Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1116).

Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Beschwerde des FA. Es trägt im Wesentlichen vor, es gebe keine ernsthaften Gründe, die für eine Unvereinbarkeit des § 4 Nr. 9 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG n.F.) i.d.F. des Art. 2 des Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen vom 28. April 2006 (BGBl I 2006, 1095, BStBl I 2006, 353) mit Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG sprächen. Das FG gehe von der Vorstellung aus, Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG sehe eine Befreiung nicht allgemein für Glücksspiele mit Geldeinsatz vor, sondern für einzelne Kategorien des Glücksspiels, somit für die in der Bestimmung aufgeführten Wetten, Lotterien und sonstigen Glücksspiele mit Geldeinsatz. Daher sei zwingend im Bereich jeder dieser Kategorien zumindest teilweise eine Umsatzsteuerbefreiung vorzusehen. Der Wortlaut der Bestimmung spreche jedoch gegen diese Auffassung.

Das FA beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Finanzgerichts Düsseldorf vom 27. März 2007 5 V 3840/06 A (U) aufzuheben und den Antrag abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

II. Die gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) statthafte Beschwerde des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Die AdV des angefochtenen Verwaltungsaktes durch das FG ist nicht zu beanstanden.

1. Gemäß § 69 Abs. 7 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO soll die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes auf Antrag u.a. dann ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 6. März 2000 V B 170/99, BFH/NV 2000, 1147).

Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige, gegen sie sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen bewirken oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen aufwerfen. Ernstliche Zweifel können danach auch bestehen, wenn die streitige Rechtsfrage höchstrichterlich noch nicht entschieden wurde und im Schrifttum oder auch in der Rechtsprechung der Finanzgerichte unterschiedliche Auffassungen vertreten werden (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 18. Oktober 1989 IV B 149/88, BFHE 158, 426, BStBl II 1990, 71; in BFH/NV 2000, 1147; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 69 FGO Rz 311, m.w.N.; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 69 Rz 87).

Die AdV setzt nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 6. Juni 2002 V B 110/01, BFHE 199, 55, BFH/NV 2002, 1267, unter II. 1., m.w.N., und vom 25. November 2005 V B 75/05, BFHE 212, 176, BStBl II 2006, 484).

2. Nach diesen Grundsätzen sind im Streitfall ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes zu bejahen.

Das FG hat zutreffend ausgeführt, dass der BFH bislang zu der streitigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage noch nicht entschieden hat, ob § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG n.F. mit der Richtlinienbestimmung des Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG insoweit vereinbar ist, als er "sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz" im Sinne der Richtlinienbestimmung von der Steuerbefreiung ausnimmt. Diese Rechtsfrage war im Gesetzgebungsverfahren und ist im Schrifttum umstritten. Das Für und Wider hat das FG dargelegt (die Richtlinienkonformität bejahen: Entwurf eines Zwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes, BTDrucks 15/5558, Gegenäußerung der Bundesregierung, BTDrucks 15/5812; Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltung, BTDrucks 16/634, 11, Begründung II. Besonderer Teil, zu Art. 2; Entwurf eines Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltung, BTDrucks 16/634, Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates, BTDrucks 16/749, zu den Nrn. 5 bis 7; Klenk in Rau/ Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 9 Rz 133.2, a.E.; Huschens in Vogel/Schwarz, UStG, § 4 Nr. 9 Rz 14 und 15j; Dziadkowski, Internationales Steuerrecht --IStR-- 2006, 685, 688; derselbe, der Umsatz-Steuer-Berater --UStB-- 2007, 16; Jahndorf/Oellerich, Umsatzsteuer-Rundschau 2007, 457. Die Richtlinienkonformität verneinen: Stellungnahme des Bundesrates, Entwurf eines Zwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes, BRDrucks 326/05, Stellungnahme des Bundesrates, Entwurf eines Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltung, BRDrucks 937/05, Nr. 5, zu Art. 2 Nr. 1); dem folgend Thill/Puls, UStB 2006, 166, 168 ff.; P. Weymüller in Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, E § 4 Nr. 9 Rz 211 ff.). Ferner hat das FG Aussagen aus den Schlussanträgen zu einschlägigen Verfahren des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) berücksichtigt und seine Zweifel darauf gestützt.

Dies genügt für die Annahme ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes (vgl. Birkenfeld in HHSp, § 69 FGO Rz 311, sowie Korf, IStR 2007, 519 - Anm. zum Beschluss des FG Düsseldorf vom 27. März 2007 5 V 4521/06 A(U)), ohne dass im Eilverfahren eine Vorabentscheidung des EuGH gemäß Art. 234 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften einzuholen wäre (vgl. BFH-Beschluss vom 17. Dezember 1997 I B 108/97, BFHE 185, 30, BStBl II 1998, 558, m.w.N.).

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