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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 30.04.2009
Aktenzeichen: V R 15/07
Rechtsgebiete: UStG, AO


Vorschriften:

UStG § 15
AO § 163
AO § 227
1. § 15 UStG 1993 schützt nicht den guten Glauben an die Erfüllung der Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug.

2. Liegen die materiellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug wegen unzutreffender Rechnungsangaben nicht vor, kommt unter Berücksichtigung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes ein Vorsteuerabzug im Billigkeitsverfahren (§§ 163, 227 AO) in Betracht.

3. Macht der Steuerpflichtige im Festsetzungsverfahren geltend, ihm sei der Vorsteuerabzug trotz Nichtvorliegens der materiell-rechtlichen Voraussetzungen zu gewähren, ist die Entscheidung über die Billigkeitsmaßnahme nach § 163 Satz 3 AO regelmäßig mit der Steuerfestsetzung zu verbinden.


Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Berechtigung des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) zum Vorsteuerabzug aus Rechnungen des Unternehmens "W-Automobile" im Streitjahr 1998.

Der Kläger betrieb in den Streitjahren als Einzelunternehmer einen Gebrauchtwagenhandel in E. Im Zeitraum zwischen dem 6. Januar 1998 und dem 13. Februar 1998 erwarb der Kläger von "W-Automobile" mehrere hochwertige Fahrzeuge.

Die Rechnungen des W geben als dessen Geschäftsadresse X-Ring in W an. Unter dieser Anschrift hatte W teilmöblierte Räume mit sechs PKW-Stellplätzen angemietet. Die Räume waren mit Schreibtisch, Computer und Telefon ausgestattet. Bis zu einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt im Dezember 1997 nutzte W tatsächlich diese Räume; danach war in den Büroräumen niemand mehr anzutreffen. Der Verwalter und Mitmieter der Immobilie, D, konnte in den Geschäftsräumen niemanden erreichen, als er die Stromabrechnung vom 15. Dezember 1997 kassieren wollte, und traf auch danach in den Geschäftsräumen niemanden mehr an. Der Umsatzsteuer-Sonderprüfer des Finanzamts W suchte vergeblich die Geschäftsräume des W am 16. Januar 1998 zu einem mit W telefonisch vereinbarten Prüfungstermin sowie am 27. Januar 1998 und 20. Februar 1998 auf. Der Prüfer konnte W ab 16. Januar 1998 telefonisch nicht mehr erreichen. Am Gebäude war zu diesem Zeitpunkt noch ein Schild mit dem Hinweis auf die Räume des Unternehmens "W-Automobile" in der 1. Etage angebracht gewesen, die Klingel war ebenfalls gekennzeichnet. Auf der Briefkastenanlage war kein Hinweis auf "W-Automobile" vorhanden. Gebrauchte oder neue Kfz waren auf dem Gelände nicht abgestellt.

Ein Geschäftspartner des Klägers traf am 13. Februar 1998 W vor dessen angeblichen Geschäftsräumen, um dort einen PKW für den Kläger zu erwerben und abzuholen. Im Übrigen wickelten der Kläger und W die Fahrzeugkäufe am Betriebssitz des Klägers ab und die Fahrzeuge wurden dort übergeben.

Der Kläger hatte sich vor der Aufnahme des Geschäftskontakts mit W im Jahr 1997 einen "Nachweis der Eintragung als Unternehmer" des Finanzamts G vom 1. Juli 1997 zusenden lassen, in der bestätigt wird, dass W in H als Unternehmer unter einer bestimmten Steuernummer erfasst sei. Ferner legte der Kläger die Kopie eines Schreibens des damaligen Bundesamts der Finanzen (BfF) vom 8. September 1997 vor, das an W, X-Ring, W, adressiert ist. Die Kopie enthält nicht den Inhalt des Schreibens, sondern schließt mit der Betreffzeile: "Bestätigungsverfahren nach § 18 e Umsatzsteuergesetz Ihr Antrag vom 08.09.1997".

Die Berechtigung zum Vorsteuerabzug aus den Rechnungen des Unternehmens "S-Automobile", die Gegenstand der Revision des Klägers war, ist nach der Rücknahme der Revision mit Zustimmung des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt --FA--) durch den Kläger nicht mehr im Streit.

In seiner Umsatzsteuererklärung für 1998 zog der Kläger u.a. die in den Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer aus den Lieferungen von W in Höhe von 63 482,60 DM ab. Die Erklärung führte zu einer Festsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 der Abgabenordnung --AO--).

Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung versagte das FA mit Bescheid vom 24. August 2001 insoweit den Vorsteuerabzug.

Der Einspruch blieb erfolglos.

Die Klage hatte hinsichtlich der Vorsteuerbeträge aus den Lieferungen von W Erfolg, wurde aber in Bezug auf den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen von "S-Automobile" abgewiesen.

Das Finanzgericht (FG) führte in seinem Urteil aus, Leistender sei W gewesen. Der in den Rechnungen angegebene Sitz des Unternehmens "W-Automobile" habe zum Zeitpunkt der Lieferungen nicht bestanden. Dem Kläger sei Vertrauensschutz hinsichtlich der Rechnungen des W zu gewähren. Vertrauensschutz werde zwar nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bislang abgelehnt (BFH-Urteile vom 8. Dezember 1988 V R 28/84, BFHE 155, 427, BStBl II 1989, 250; vom 1. Februar 2001 V R 6/00, BFH/NV 2001, 941). Vertrauensschutz sei aber nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 6. Juli 2006 Rs. C-439/04 und C-440/04, Kittel und Recolta Recycling (Slg. 2006, I-6161, BFH/NV Beilage 2006, 454) zu gewähren, wenn ein Wirtschaftsteilnehmer alle Maßnahmen treffe, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden könnten, um sicherzustellen, dass seine Umsätze nicht in einen Betrug --sei es eine Mehrwertsteuerhinterziehung oder sonstigen Betrug-- einbezogen seien.

Hinsichtlich der Lieferungen von "W-Automobile" habe der Kläger diese Voraussetzungen erfüllt. Er habe anhand der "Bescheinigungen des Finanzamts G zur Ansässigkeit der Firma W und des Bundesamts für Finanzen geprüft, ob die Firma W umsatzsteuerlich geführt" worden sei. Ferner habe sich der Kläger den Personalausweis des W vorlegen lassen und sich von der Übereinstimmung seines Vertragspartners W und des Rechnungsausstellers überzeugt. Zudem habe ein Geschäftspartner des Klägers nochmals im Streitjahr den Firmensitz des W persönlich aufgesucht. Zwar habe der Kläger nicht für jede einzelne Lieferung überprüft, ob der Sitz noch existiert habe. Eine derartige Anforderung übersteige aber die Zumutbarkeitsgrenzen im Wirtschaftsverkehr und beeinträchtigt diesen nachhaltig.

Gegen dieses Urteil legten sowohl das FA als auch der Kläger Revision ein und rügen Verletzung materiellen Rechts. Der Kläger hat seine Revision mit Schriftsatz vom 9. April 2009 zurückgenommen; dem hat das FA zugestimmt.

Das FA ist der Ansicht, § 15 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG 1993) sehe keinen Vertrauensschutz vor; dieser ergebe sich auch nicht aus der Rechtsprechung des EuGH.

Das FA beantragt,

das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision des FA zurückzuweisen.

Hilfsweise

beantragt er,

das Verfahren auszusetzen und dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Darf das Recht zur Ausübung des Vorsteuerabzugs gemäß Art. 18 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) allein mit der Begründung versagt werden, der Steuerpflichtige verfüge nicht über eine Rechnung, die die zur Zeit der Leistungsausführung zutreffende Anschrift des leistenden Unternehmers enthält, wenn der Steuerpflichtige auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte, dass die Anschrift bei Ausführung der Leistung nicht mehr zutreffend war?

2.

Falls die erste Frage zu verneinen ist: Stellt die Beurteilung, ob der Steuerpflichtige die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns beachtet und alle Maßnahmen getroffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, so dass dem Steuerpflichtigen der Vorsteuerabzug zu gewähren ist, eine Verfahrensmodalität dar, die nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats ist?

3.

Falls die zweite Frage zu verneinen ist: Darf das innerstaatliche Recht die Gewährung des Vorsteuerabzugs mit der Begründung gemäß Frage 1 versagen und die Prüfung, ob dadurch die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung sind, insbesondere die Grundsätze der Rechtssicherheit, der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes, verletzt werden, einem (gesonderten) Billigkeitsverfahren vorbehalten oder sind diese Grundsätze bereits bei der Auslegung des materiellen innerstaatlichen Rechts im Festsetzungsverfahren zu berücksichtigen?

Der Vorsteuerabzug aus den Rechnungen von W dürfe ihm, dem Kläger, nicht versagt werden, weil er alle ihm zumutbaren Anstrengungen unternommen habe.

Im Streitjahr seien die Anforderungen in Art. 22 Abs. 3 Buchst. b 5. Spiegelstrich der Richtlinie 77/388/EWG in der Fassung der Richtlinie 2001/115/EG des Rates vom 20. Dezember 2001 (Rechnungsrichtlinie) an eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung noch nicht in Kraft gewesen. Es könne deshalb nicht verlangt werden, dass die Rechnungen des W diese Voraussetzungen erfüllten. Gemeinschaftsrechtlich habe im Streitjahr eine Rechnung zwingend lediglich das Entgelt und den Steuerbetrag enthalten müssen.

Auch im nationalen Recht habe sich der Verweis in § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1993 auf § 14 UStG 1993 lediglich auf die Legaldefinition der Rechnung in § 14 Abs. 4 UStG 1993 bezogen, nicht jedoch auf die Anforderungen des § 14 Abs. 1 Satz 2 UStG 1993. Ausreichend sei deshalb, dass --wie hier-- eine Abrechnung eines Unternehmers über eine Leistung vorgelegen habe, in der Umsatzsteuer offen ausgewiesen gewesen sei.

Zwar seien die Mitgliedstaaten gemäß Art. 22 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG berechtigt gewesen, zusätzliche Angaben auf der Rechnung zu verlangen. Aus dem Urteil des EuGH vom 21. April 2005 Rs. C-25/03, HE (Slg. 2005, I-3123, BFH/NV Beilage 2005, 196) folge aber, dass die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug von den Mitgliedstaaten nur von zusätzlichen Rechnungsangaben abhängig gemacht werden dürfe, wenn dies erforderlich sei, um die Erhebung der Mehrwertsteuer und ihre Überprüfung durch die Finanzverwaltung zu sichern und Steuerhinterziehungen zu verhindern. Diese Maßnahmen dürften insbesondere nicht so eingesetzt werden, dass sie die Neutralität der Mehrwertsteuer in Frage stellten.

Außerdem müsse berücksichtigt werden, dass der Sitz des W tatsächlich bis Mitte Dezember 1997 an der Rechnungsadresse bestanden habe. Es gehe deshalb nicht wie im Urteil des BFH vom 6. Dezember 2007 V R 61/05 (BFHE 221, 55, BStBl II 2008, 695) um einen Scheinsitz. Bei einer --wie hier-- länger andauernden Geschäftsbeziehung könne dem Leistungsempfänger nicht zugemutet werden, sich bei jedem Leistungsbezug erneut und ohne konkreten Anlass vom Fortbestand des Sitzes des leistenden Unternehmers zu überzeugen.

Jedenfalls aber sei ihm, dem Kläger, der Vorsteuerabzug nach Vertrauensschutzgrundsätzen zu gewähren. Aus den Urteilen des EuGH Kittel und Recolta Recycling in Slg. 2006, I-6161, BFH/NV Beilage 2006, 454, vom 12. Januar 2006 Rs. C-354/03, C-355/03, C-484/03, Optigen u.a. (Slg. 2006, I-483, BFH/NV Beilage 2006, 144), vom 11. Mai 2006 Rs. C-384/04, FTI (Slg. 2006, I-4191, BFH/NV Beilage 2006, 312), vom 27. September 2007 Rs. C-409/04, Teleos u.a. (Slg. 2007, I-7797, BFH/NV Beilage 2008, 25), vom 21. Februar 2008 Rs. C-271/06, Netto Supermarkt (BFH/NV Beilage 2008, 199) folge, dass der Vorsteuerabzug nicht versagt werden dürfe, wenn der Steuerpflichtige die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns beachtet und alle Maßnahmen getroffen habe, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden könnten, um die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs sicherzustellen. Die Gewährung von Vertrauensschutz sei ein ungeschriebener Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung, der bei der Auslegung des materiellen Rechts und damit bereits im Festsetzungsverfahren zu berücksichtigen sei.

II.

Die Revision des FA ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Über die Revision des Klägers war nach deren Rücknahme nur noch hinsichtlich der Kosten zu entscheiden.

Die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 14 UStG 1993 lagen hinsichtlich der aus den streitigen Rechnungen des W geltend gemachten Vorsteuerbeträge nicht vor. Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes können im Festsetzungsverfahren nicht berücksichtigt werden.

1.

Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1993 kann der Unternehmer die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG 1993 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen.

Gemeinschaftsrechtliche Grundlage dieser Vorschriften sind Art. 17, 18 und 22 der Richtlinie 77/388/EWG. Nach Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG ist der Steuerpflichtige befugt, "die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen" abzuziehen, "die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden", "soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden". Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG lautet: "Um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, muß der Steuerpflichtige a) über die nach Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a) abziehbare Steuer eine nach Artikel 22 Absatz 3 ausgestellte Rechnung besitzen. ..." Gemäß Art. 22 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG muss die Rechnung "getrennt den Preis ohne Steuer und den auf die einzelnen Steuersätze entfallenden Steuerbetrag sowie gegebenenfalls die Steuerbefreiung ausweisen". Nach Art. 22 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG legen die Mitgliedstaaten "die Kriterien fest, nach denen ein Dokument als Rechnung betrachtet werden kann".

a)

Eine ordnungsgemäße Rechnung mit gesondertem Umsatzsteuerausweis gehört zu den materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug (ständige Rechtsprechung, zuletzt BFH-Beschluss vom 31. Juli 2007 V B 156/06, BFH/NV 2008, 416, m.w.N.; BFH-Urteil vom 1. Juli 2004 V R 33/01, BFHE 206, 463, BStBl II 2004, 861, unter II.2.).

b)

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats müssen die Angaben im Abrechnungspapier eine eindeutige und leicht nachprüfbare Feststellung des leistenden Unternehmers ermöglichen. Rechnungsaussteller und leistender Unternehmer müssen grundsätzlich identisch sein (BFH-Urteil vom 17. September 1992 V R 41/89, BFHE 169, 540, BStBl II 1993, 205, unter II.2.b; BFH-Beschluss vom 31. Januar 2002 V B 108/01, BFHE 198, 208, BStBl II 2004, 622, m.w.N.). Hierfür ist die Angabe der zutreffenden Anschrift in der Rechnung erforderlich (BFH-Urteil in BFHE 221, 55, BStBl II 2008, 695, unter II.3.). Denn diese ermöglicht der Finanzverwaltung zu überprüfen, ob tatsächlich der abrechnende Unternehmer den in der Rechnung ausgewiesenen Umsatz ausgeführt hat.

Dass trotz einer fehlerhaften Anschrift der leistende Unternehmer auf andere Weise ermittelt werden kann, ist entgegen der Ansicht des Klägers für die Frage, ob die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug vorliegen, ohne Bedeutung. Denn die Angabe der richtigen Anschrift in der Rechnung dient gerade dazu, die Voraussetzungen für den Sofortabzug der Vorsteuer überprüfen zu können. Der Vorsteuerabzug steht dem Unternehmer deshalb erst bei Vorlage einer Rechnung mit der zutreffenden Anschrift des leistenden Unternehmers zu.

c)

Dies entspricht den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben.

aa)

Gemäß Art. 22 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG in der im Streitjahr geltenden Fassung legen die Mitgliedstaaten die Kriterien fest, unter denen ein Dokument als Rechnung betrachtet werden kann. Hierzu hat der EuGH entschieden: Die Mitgliedstaaten sind befugt, über die Angaben nach Art. 22 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG hinaus zusätzliche Angaben in der Rechung zu verlangen, um die genaue Erhebung der Mehrwertsteuer zu sichern und Steuerhinterziehungen zu verhindern. Diese Anforderungen dürfen aber nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die Erhebung der Mehrwertsteuer und ihre Überprüfung durch die Finanzverwaltung zu sichern. Außerdem dürfen solche Angaben nicht durch ihre Zahl oder ihre technische Kompliziertheit die Ausübung des Rechts zum Vorsteuerabzug praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (EuGH-Urteile vom 14. Juli 1988 Rs. C-123/87, C-330/87, Jeunehomme, Slg. 1988, I-4517, Umsatzsteuer-Rundschau 1989, 381 Randnrn. 16, 18; HE in Slg. 2005, I-3123, BFH/NV Beilage 2005, 196 Randnrn. 78, 80, m.w.N.).

bb)

Das Erfordernis, dass für den Vorsteuerabzug die Rechnung die vollständige Anschrift des leistenden Unternehmers enthalten muss, entspricht diesen Anforderungen. Dies bestätige Art. 22 Abs. 3 Buchst. b 5. Spiegelstrich der Richtlinie 77/388/EWG in der Fassung der Richtlinie 2001/115/EG des Rates vom 20. Dezember 2001 zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG mit dem Ziel der Vereinfachung, Modernisierung und Harmonisierung der mehrwertsteuerlichen Anforderungen an die Rechnungsstellung (sog. Rechnungsrichtlinie) und Art. 226 Nr. 5 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem. Danach müssen Rechnungen "für Mehrwertsteuerzwecke" --d.h. für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug-- den vollständigen Namen und die vollständige Adresse des Steuerpflichtigen und seines Kunden enthalten. Diese Regelung war zwar im Streitjahr 1998 noch nicht in Kraft, belegt aber, dass das Gemeinschaftsrecht offensichtlich davon ausgeht, dass das Erfordernis der vollständigen Adresse des Rechnungsausstellers weder über das hinausgeht, was erforderlich ist, um die Erhebung der Mehrwertsteuer und ihre Überprüfung durch die Finanzverwaltung zu sichern, noch die Ausübung des Rechts zum Vorsteuerabzug praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert.

Die Auffassung des Klägers, es genüge eine Adresse, die es ermögliche, durch weitere Ermittlungen die zutreffende Anschrift des Unternehmers schließlich festzustellen, lässt sich weder mit dem Zweck des Art. 22 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG in der im Streitjahr geltenden Fassung noch mit dem Prinzip des Sofortabzugs der Vorsteuer vereinbaren.

d)

Dem Kläger steht der Vorsteuerabzug aus den streitigen Rechnungen des W mangels zutreffender Rechnungsanschrift nicht zu. Denn nach der revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Würdigung des FG (vgl. BFH-Beschluss vom 4. Februar 2003 V B 81/02, BFH/NV 2003, 670) hat der in den Rechnungen angegebene Sitz im Zeitpunkt der Erstellung der Rechnungen des W nicht mehr bestanden. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens stand für das FG fest, dass nur bis zu einem nicht näher ermittelbaren Zeitpunkt vor dem 15. Dezember 1997 W an der Rechnungsadresse nachweisbar geschäftlich aktiv gewesen sei. Das FG stützt sich insoweit im Wesentlichen auf die Feststellungen, dass weder der Verwalter der Immobilie, D, noch der Prüfer des Finanzamts W zu verschiedenen Zeitpunkten W in den Geschäftsräumen angetroffen haben. Zwar habe ein Geschäftspartner des Klägers diesen am 13. Februar 1998 vor den Geschäftsräumen getroffen. Dies schließe aber nicht aus, dass die Geschäftsräume selbst nicht mehr genutzt worden seien. Auch der Zusammenhang mit der angekündigten Prüfung durch das Finanzamt W lege den Schluss nahe, dass W die Geschäftsräume geräumt habe, um der Prüfung zu entgehen. Diese Würdigung ist möglich, verstößt nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze und bindet den Senat daher (§ 118 Abs. 2 FGO).

Die Angabe einer Anschrift, an der im Zeitpunkt der Rechnungsausstellung keinerlei geschäftliche Aktivitäten stattfinden, reicht als zutreffende Anschrift nicht aus (vgl. BFH-Urteile vom 27. Juni 1996 V R 51/93, BFHE 181, 197, BStBl II 1996, 620; vom 19. April 2007 V R 48/04, BFHE 217, 194, BStBl II 2009, 315, unter II.C.1.a; in BFHE 221, 55, BStBl II 2008, 695, unter II.3.c).

2.

Die vom Kläger geltend gemachten Vorsteuerbeträge sind auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes abziehbar.

a)

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sieht § 15 UStG 1993 den Schutz des guten Glaubens an die Erfüllung der Vorsteuerabzugsvoraussetzungen nicht vor (BFH-Urteile in BFHE 155, 427, BStBl II 1989, 250, unter II.2.; in BFH/NV 2001, 941, unter II.2.c, m.w.N.; BFH-Beschlüsse vom 30. Oktober 2001 V B 92/01, BFH/NV 2002, 381; vom 13. Februar 2008 XI B 202/06, BFH/NV 2008, 1216; vom 15. Februar 2008 XI B 180/07, BFH/NV 2008, 1169; vom 12. März 2008 XI B 206/06, BFH/NV 2008, 1212).

Hieran hält der Senat fest.

b)

Dem steht die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Kittel und Recolta Recycling in Slg. 2006, I-6161, BFH/NV Beilage 2006, 454 nicht entgegen. Diese Entscheidung betrifft nicht --wie vorliegend-- den Fall, dass die objektiven Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug fehlen und der Steuerpflichtige den Vorsteuerabzug unter Hinweis auf die Grundsätze von Treu und Glauben gleichwohl beansprucht. Vielmehr ist nach dieser Entscheidung der Vorsteuerabzug selbst dann zu verweigern, wenn die objektiven Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug zwar vorliegen, jedoch aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war (Randnr. 59). Diese Rechtsprechung, der sich der Senat im Urteil in BFHE 217, 194, BStBl II 2009, 315, unter II.C.2. angeschlossen hat, erweitert danach nicht das Recht auf Vorsteuerabzug hinsichtlich des Vertrauensschutzes, sondern begrenzt es, weil eine "betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Gemeinschaftsrecht ... nicht erlaubt" ist (Randnr. 54).

3.

Allerdings haben die Mitgliedstaaten bei der Ausübung der Befugnisse, die ihnen die Gemeinschaftsrichtlinien übertragen, die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung sind, zu beachten. Hierzu zählen insbesondere die Grundsätze der Rechtssicherheit, der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes (EuGH-Urteile Netto-Supermarkt in BFH/NV Beilage 2008, 199 Randnr. 18; vom 14. September 2006 Rs. C-181/04 bis 183/04, Elmeka, Slg. 2006, I-8167, BFH/NV Beilage 2007, 61 Randnr. 31; FTI in Slg. 2006, I-4191, BFH/NV Beilage 2006, 312 Randnr. 29; vom 18. Dezember 1997 Rs. C-286/94, C-340/95, C-401/95, C-47/96, Molenheide, Slg. 1997, I-7281 Randnrn. 45 ff.). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es dabei, dass die Mitgliedstaaten Mittel einsetzen, die es zwar erlauben, das vom innerstaatlichen Recht verfolgte Ziel zu erreichen, die jedoch die Ziele und Grundsätze des einschlägigen Gemeinschaftsrechts möglichst wenig beeinträchtigen (EuGH-Urteile Netto-Supermarkt in BFH/NV Beilage 2008, 199 Randnr. 19; Teleos in Slg. 2007, I-7797, BFH/NV Beilage 2008, 25 Randnr. 52; Molenheide in Slg. 1997, I-7281 Randnr. 46). Demnach ist es zwar legitim, dass die Maßnahmen der Mitgliedstaaten darauf abzielen, die Ansprüche der Staatskasse möglichst wirksam zu schützen; sie dürfen aber nicht über das hinausgehen, was hierzu erforderlich ist. Soweit die einschlägigen Regelungen auch dem Ziel dienen, der Steuerhinterziehung vorzubeugen, rechtfertigt dies mitunter hohe Anforderungen an den Steuerpflichtigen (EuGH-Urteil Netto-Supermarkt in BFH/NV Beilage 2008, 199 Randnr. 22).

a)

Grundsätze des Vertrauensschutzes aufgrund besonderer Verhältnisse des Einzelfalles können nach nationalem Recht nicht im Rahmen der Steuerfestsetzung nach §§ 16, 18 UStG 1993, sondern nur im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme gemäß §§ 163, 227 AO Berücksichtigung finden.

Dem steht das Gemeinschaftsrecht nicht entgegen. Denn nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind mangels einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung die Verfahrensmodalitäten, die den Schutz der dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats (EuGH-Urteil vom 15. März 2007 Rs. C-35/05, Reemtsma, Slg. 2007, I-2425, BFH/NV Beilage 2007, 293 Randnr. 40, m.w.N.; vgl. auch EuGH-Urteil vom 19. September 2000 Rs. C-454/98, Schmeink & Cofreth und Strobel, Slg. 2000, I-6973, BFH/NV Beilage 2001, 33 Randnrn. 65, 66, Leitsatz 2 zur Berichtigung von zu Unrecht in Rechnung gestellter Mehrwertsteuer).

b)

Die Entscheidung nach § 163 AO ist zwar grundsätzlich eine Ermessensentscheidung (Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 Gms-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603 zu § 131 der Reichsabgabenordnung; BFH-Urteil vom 21. August 1997 V R 47/96, BFHE 183, 304, BStBl II 1997, 781), die im finanzgerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt überprüfbar ist (§ 102 FGO). Erfordern aber gemeinschaftsrechtliche Regelungen eine Billigkeitsmaßnahme, ist das in § 163 AO eingeräumte Ermessen des FA auf Null reduziert (BFH-Urteil vom 30. Juli 2008 V R 7/03, BFHE 223, 372, BFH/NV 2009, 438, unter II.5.; vgl. auch BFH-Urteil vom 8. März 2001 V R 61/97, BFHE 194, 517, BStBl II 2004, 373, unter II.5.). Macht der Steuerpflichtige --wie hier-- Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes im Festsetzungsverfahren geltend, wird die Entscheidung über die Billigkeitsmaßnahme gemäß § 163 Satz 3 AO regelmäßig mit der Steuerfestsetzung zu verbinden sein.

4.

Liegen die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nach § 15 UStG 1993 wegen unzutreffender Rechnungsangaben nicht vor, kann im Billigkeitsverfahren gleichwohl ausnahmsweise nach dem allgemeinen Rechtsgrundsatz des Vertrauensschutzes ein Vorsteuerabzug nach den Grundsätzen des EuGH in den Urteilen Teleos in Slg. 2007, I-7797, BFH/NV Beilage 2008, 25 und Netto-Supermarkt in BFH/NV Beilage 2008, 199 in Betracht kommen, wenn der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer gutgläubig war und alle Maßnahmen ergriffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sich von der Richtigkeit der Angaben in der Rechnung zu überzeugen und seine Beteiligung an einem Betrug ausgeschlossen ist. Im Billigkeitsverfahren könnte auch dem vom Kläger hervorgehobenen Gesichtspunkt Rechnung getragen werden, dass im vorliegenden Verfahren ein verhältnismäßig kurzer Zeitraum zwischen der Aufgabe des in der Rechnung genannten Sitzes und der Ausstellung der Rechnung liegt. Eine pauschale "Karenzzeit", in der das Vertrauen des Rechnungsempfängers auf das Fortbestehen des Sitzes des Rechnungsausstellers geschützt wird, kommt aus Gründen der Normenklarheit im Tatbestand des § 15 Abs. 1 UStG 1993 und damit im Festsetzungsverfahren nicht in Betracht.

5.

Ob dem Kläger aus Vertrauensschutzgesichtspunkten der Vorsteuerabzug zu gewähren ist, kann der Senat aus den o.g. Gründen im vorliegenden Verfahren nicht entscheiden. In einem Billigkeitsverfahren wäre u.a. zu klären, ob es sich um Barkäufe gehandelt hat, da an die Sorgfalts- und Nachweispflichten des den Vorsteuerabzug begehrenden Unternehmers bei einem Barkauf hochwertiger PKW hohe Anforderungen zu stellen sind (BFH-Urteil vom 15. Juli 2004 V R 1/04, BFH/NV 2005, 81, unter II.2.b; BFH-Beschlüsse vom 12. Juli 2006 V B 213/05, BFH/NV 2006, 2139, jeweils zur steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung; vom 3. August 2007 V B 73/07, BFH/NV 2007, 2368). Es wäre ggf. auch zu klären, worin der Vertrauenstatbestand zu sehen sein könnte. Auf die Bestätigung des Finanzamts G vom 1. Juli 1997, in der als Adresse des W eine von der Rechnungsadresse abweichende Anschrift in H genannt wird, wird sich ein Vertrauen des Klägers an das Bestehen des Sitzes am X-Ring in W jedenfalls nicht stützen lassen. Auch das Treffen des Geschäftspartners des Klägers mit W am 13. Februar 1998 kann beim Kläger kein Vertrauen gebildet haben, weil der Sitz des W zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr bestanden hatte. Im Billigkeitsverfahren wird ggf. auch zu klären sein, wie und wann der Kläger sich im Jahr 1997 vom Sitz des W überzeugt hat und wie das an W gerichtete Schreiben des damaligen BfF in den Besitz des Klägers gelangt ist. Bei Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte dürften am Vorliegen der Voraussetzungen eines Vorsteuerabzugs aus Billigkeitsgründen erhebliche Zweifel bestehen.

Ende der Entscheidung

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