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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 07.04.2005
Aktenzeichen: V R 5/04
Rechtsgebiete: UStG 1999, InsO, ZPO


Vorschriften:

UStG 1999 § 1 Abs. 1 Nr. 1
InsO § 35
InsO § 36
InsO § 55 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 811 Nr. 5
Nimmt der Schuldner während des Insolvenzverfahrens eine neue Erwerbstätigkeit auf, indem er durch seine Arbeit und mit Hilfe von nach § 811 Nr. 5 ZPO unpfändbaren Gegenständen steuerpflichtige Leistungen erbringt, zählt die hierfür geschuldete Umsatzsteuer nicht nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu den Masseschulden.
Gründe:

I.

Streitig ist, ob die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf Grund einer neuen gewerblichen Tätigkeit des Schuldners entstandene Umsatzsteuerschuld eine Masseverbindlichkeit darstellt.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen des S (Schuldner). Dieser betrieb unter der Fa. "X-Bau, Inhaber S" ein Bauunternehmen. Mit Beschluss vom 31. März 2000 eröffnete das Amtsgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen des S, untersagte ihm, über sein Vermögen zu verfügen und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Dieser nahm den Betrieb mangels vorhandener Mittel nicht wieder auf und meldete das Gewerbe mit Schreiben vom 25. Juli 2000 ab.

Zum 1. Januar 2001 meldete S ein neues Gewerbe unter der Fa. "A-Bau, Inhaber S" und betrieb dieses auch. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) teilte S eine Steuernummer zu. Unter dieser gab S Umsatzsteuervoranmeldungen ab. Trotz Aufforderung durch den Kläger hat S den pfändbaren Neuerwerb nicht an die Masse abgeführt.

Da der Kläger keine Voranmeldung abgab, setzte das FA ihm gegenüber für das Jahr 2002 eine Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung in Höhe von 2 940 € fest.

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt. Es war der Meinung, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf Grund einer neuen gewerblichen Tätigkeit des Schuldners entstandene Umsatzsteuerschuld sei keine Masseverbindlichkeit (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2004, 1171).

Hiergegen wendet sich das FA mit der vorliegenden Revision, mit der es Verletzung materiellen Rechts (§ 55 der Insolvenzordnung --InsO--, § 18 Abs. 4 des Umsatzsteuergesetzes 1999 --UStG--) rügt.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. S hat mit seinem (neuen) Bauunternehmen Leistungen gegen Entgelt i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG ausgeführt. Er schuldet deshalb --was zwischen den Parteien auch nicht streitig ist-- die Umsatzsteuer auf diese Umsätze nach § 18 UStG, §§ 46, 47 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV).

2. Die Feststellungen des FG reichen nicht aus, um beurteilen zu können, ob die von S geschuldete Umsatzsteuer nach § 51 Nr. 1 InsO zu den Masseverbindlichkeiten gehört.

Nach dieser Vorschrift sind Masseverbindlichkeiten die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden.

a) Entgegen der Auffassung des FG kann diese Vorschrift nicht dahin verstanden werden, dass die von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO erfassten Verbindlichkeiten nur durch Handlungen des Insolvenzverwalters begründet werden können. Sie können vielmehr auch "in anderer Weise" begründet werden. Bereits zu § 58 Nr. 2 der Konkursordnung (KO) ist der Bundesfinanzhof (BFH) in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, dass Massekosten für die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Masse nicht nur solche Ausgaben sind, die durch die Amtstätigkeit des Konkursverwalters ausgelöst werden (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 24. Juni 1992 V R 130/89, BFH/NV 1993, 201; vom 7. November 1995 VII R 26/95, BFH/NV 1996, 379, unter 5., und vom 16. August 2001 V R 59/99, BFHE 196, 341, BStBl II 2003, 208, unter 3. c).

b) Fraglich erscheint aber, ob die streitbefangenen Umsatzsteuerschulden "durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse" begründet wurden.

Als Verwertung der Masse ist auch die ertragbringende Nutzung der zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögensgegenstände anzusehen (so bereits zur Konkursmasse BFH-Urteil vom 15. März 1995 I R 82/93, BFHE 177, 257).

Das FG hätte deshalb prüfen müssen, ob S in seinem neuen Betrieb Gegenstände einsetzte, die zur Insolvenzmasse gehören.

Nach § 35 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Nicht zur Insolvenzmasse gehören aber Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen (§ 36 Abs. 1 Satz 1 InsO). Bei Personen, die aus ihrer körperlichen oder geistigen Arbeit oder sonstigen persönlichen Leistungen ihren Erwerb ziehen, unterliegen die zur Fortsetzung dieser Erwerbstätigkeit erforderlichen Gegenstände nicht der Zwangsvollstreckung (§ 811 Nr. 5 der Zivilprozessordnung --ZPO--); sie fallen deshalb auch nicht in die Insolvenzmasse. Die Umsatzsteuer aus der Erwerbstätigkeit von Personen, die durch ihre Arbeit und mit Hilfe von nach § 811 Nr. 5 ZPO unpfändbaren Gegenständen steuerpflichtige Leistungen erbringen, zählt deshalb nicht nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu den Masseschulden.

c) Zu den Personen, die gemäß § 811 Nr. 5 ZPO aus ihrer körperlichen oder geistigen Arbeit oder sonstigen persönlichen Leistungen ihren Erwerb ziehen, gehören auch Bauunternehmer, soweit ihre persönliche Arbeit die Hauptsache ist (vgl. Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 63. Aufl., München 2005, § 811 Rn. 35).

Das FG wird deshalb prüfen müssen, ob S ebenfalls zu diesem Personenkreis gehört und seine Umsätze mit Hilfe von Gegenständen erzielte, die nach § 811 Nr. 5 ZPO unpfändbar waren.

3. Auf die Frage, ob die Entgelte, die der Schuldner für seine steuerpflichtige Tätigkeit erhält, gemäß § 35 InsO in die Insolvenzmasse fallen und ob der Insolvenzverwalter sie zur Masse ziehen muss (vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. März 2003 IX ZB 388/02, Zeitschrift für Insolvenzrecht --ZInsO-- 2003, 413), kommt es nicht an. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG unterliegen nämlich nicht die Entgelte für die Lieferung von Gegenständen und sonstige Leistungen der Umsatzsteuer, sondern die Lieferungen und die sonstigen Leistungen selbst. Entscheidend ist deshalb, ob die Steuerschulden aus einer insolvenzfreien Tätigkeit des Schuldners herrühren (so auch Landgericht Erfurt, Urteil vom 30. Oktober 2002 3 O 2992/01, ZInsO 2002, 1090) und nicht, ob die Entgelte in die Insolvenzmasse fallen.

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