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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 13.04.2000
Aktenzeichen: V R 56/99
Rechtsgebiete: AO 1977


Vorschriften:

AO 1977 § 365 Abs. 3
BUNDESFINANZHOF

Die Unzulässigkeit eines verspätet eingelegten Einspruchs wird nicht dadurch beseitigt, dass das FA während des Einspruchsverfahrens einen Steueränderungsbescheid bekannt gibt.

AO 1977 § 365 Abs. 3

Urteil vom 13. April 2000 - V R 56/99 -

Vorinstanz: Niedersächsisches FG (EFG 1999, 1210)


Gründe

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betrieb Spielhallen. Ihre Umsätze mit Spielgeräten erklärte sie in den als Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung wirkenden Umsatzsteueranmeldungen für 1987 vom 6. März 1989, für 1988 vom 22. Januar 1990 und für 1989 vom 29. Oktober 1990. Sie benutzte zur Bestimmung der Bemessungsgrundlagen dabei den von der Finanzverwaltung angewendeten Vervielfältiger.

Mit Schreiben vom 10. Juli 1992 legte die Klägerin Einsprüche gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen 1987 bis 1989 ein und beantragte, die Entscheidung darüber bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung über die Höhe der Bemessungsgrundlage für Umsätze mit Spielgeräten zurückzustellen.

Durch Bescheide vom 26. August 1992 hob der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) den Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 3 der Abgabenordnung --AO 1977--), unter dem die Steuerfestsetzungen für 1987 bis 1989 ergangen waren, auf. In dem Schreiben vom 17. November 1994 teilte die Klägerin dem FA mit, ihre Einsprüche mit dem Schreiben vom 10. Juli 1992 seien als Änderungsanträge nach § 164 Abs. 2 AO 1977 anzusehen.

Das FA verwarf die Einsprüche durch die Einspruchsentscheidung vom 28. Februar 1995 als unzulässig, weil sie verspätet eingelegt worden seien.

Die dagegen nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage, die nur gegen die Steuerfestsetzungen für 1988 und 1989 gerichtet war, führte zur Aufhebung der Einspruchsentscheidung. Das Finanzgericht (FG) war der Auffassung, die ursprünglich unzulässigen Einsprüche seien zulässig geworden, nachdem das FA mit Bescheiden vom 26. August 1992 die Vorbehalte der Nachprüfung aufgehoben habe. Die Änderungsbescheide seien nach § 365 Abs. 3 AO 1977 (in der seinerzeit geltenden Fassung) kraft Gesetzes Gegenstand des Einspruchsverfahrens geworden. Sie seien rechtswidrig, weil das FA den Fall sachlich nicht geprüft habe. Wegen der weiteren Begründung wird auf das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 1210 veröffentlichte Urteil des FG Bezug genommen.

Mit der Revision rügt das FA fehlerhafte Anwendung von § 365 Abs. 3 AO 1977 a.F. Es vertritt die Ansicht, die Steueränderungsbescheide seien weder nach § 365 Abs. 3 AO 1977 Gegenstand der Einspruchsverfahren geworden noch seien die unzulässigen Einsprüche durch die Bekanntgabe dieser Bescheide zulässig geworden.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.

II.

Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung wird aufgehoben und die Klage wird abgewiesen. Das FG hat § 365 Abs. 3 AO 1977 unzutreffend angewendet.

1. Gegen die als Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung wirkenden Anmeldungen der Umsatzsteuer für 1988 und 1989 vom 22. Januar 1990 und vom 29. Oktober 1990 (§ 18 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes --UStG-- 1980, § 150 Abs. 1 Satz 2, § 167 Abs. 1, § 168 Satz 1 AO 1977) hat die Klägerin am 10. Juli 1992, somit verspätet nach mehr als einem Monat Einsprüche eingelegt (§ 347 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 355 Abs. 1 AO 1977). Diese Einsprüche hat das FA deshalb zu Recht ohne Prüfung in der Sache durch die Einspruchsentscheidung vom 28. Februar 1995 als unzulässig verworfen (§ 358 Satz 1 AO 1977).

Das FA durfte die Steuerfestsetzungen inhaltlich ändern, soweit es dazu durch eine Befugnisnorm (vgl. dazu Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11. Mai 1999 IX R 72/96, BFH/NV 1999, 1446) berechtigt war.

2. Etwas anderes folgt auch nicht aus § 365 Abs. 3 AO 1977 (i.d.F. vor dem 1. Januar 1996). Die Vorschrift bestimmt: Wird der angefochtene Verwaltungsakt geändert oder ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Einspruchsverfahrens. Die durch Art. 1 Nr. 48 Buchst. b des Steuerbereinigungsgesetzes 1986 (vom 19. Dezember 1985, BGBl I 1985, 2436, BStBl I 1985, 735) eingefügte Vorschrift soll nach der Gesetzesbegründung (BTDrucks 10/1636, S. 51 zu § 365 Abs. 3 AO 1977) verhindern, dass der Rechtsbehelfsführer ohne Einlegung eines erneuten Rechtsbehelfs aus dem außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren hinausgedrängt wird, wenn der ursprüngliche Verwaltungsakt durch einen neuen Verwaltungsakt ersetzt wird.

Ist das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren gegen den ursprünglichen Verwaltungsakt durch einen unzulässigen Rechtsbehelf begonnen worden, kann auch der neue Verwaltungsakt in diesem Verfahren in der Sache nicht geprüft werden.

Dass § 365 Abs. 3 AO 1977 von einem zulässigen Einspruch gegen den ursprünglichen Verwaltungsakt ausgeht, folgt aus § 358 Satz 2 AO 1977. Die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs ist Sachentscheidungsvoraussetzung. Sie räumt der Finanzbehörde kein Ermessen ein. Sie lässt auf einen "verfristeten" Einspruch keine andere als die vorgeschriebene Entscheidung ("ist als unzulässig zu verwerfen") zu.

Die bezeichnete Auslegung des § 365 Abs. 3 AO 1977 entspricht der Rechtsprechung des BFH zu § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Danach kann die Unzulässigkeit einer Klage nicht durch einen Antrag nach § 68 FGO behoben werden (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 28. Februar 1990 I R 165/85, BFH/NV 1991, 75 zu B. 2. b). Gegen bestandskräftige Bescheide geht ein Antrag nach § 68 FGO ins Leere (vgl. BFH-Beschluss vom 10. November 1998 I B 84, 85/98, BFH/NV 1999, 644, unter II. 1. c).

3. Die in dem Schreiben vom 17. November 1994 von der Klägerin vertretene Auffassung, ihre Einsprüche in dem Schreiben vom 10. Juli 1992 seien als Änderungsanträge anzusehen, steht dem vorbezeichneten Ergebnis ebenfalls nicht entgegen. Die Klägerin hätte die Bescheide vom 26. August 1992, in denen die beigefügten Vorbehalte der Nachprüfung aufgehoben worden waren (§ 164 Abs. 3 Satz 1 AO 1977), rechtzeitig mit der Begründung anfechten müssen, das FA habe die beantragte Änderung nicht durchgeführt. Die nunmehr vorbehaltlosen Steuerfestsetzungen (§ 164 Abs. 3 Satz 2 AO 1977) konnten weder durch einen Änderungsantrag vom 10. Juli 1992 noch vom 17. November 1994 geändert werden.

4. Abweichend von der Vorentscheidung sind mithin die Bescheide vom 26. August 1992 nicht nach § 365 Abs. 3 AO 1977 Gegenstand des Einspruchsverfahrens geworden, weil das Verfahren durch unzulässige Einsprüche gegen die ursprünglichen Steuerfestsetzungen für 1988 und 1989 begonnen worden ist. Das Urteil des FG wird deshalb aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen, weil die Entscheidung des FA, die Einsprüche gegen die ursprünglichen Steuerfestsetzungen für 1988 und 1989 als unzulässig zu verwerfen (§ 358 Satz 2 AO 1977), nicht zu beanstanden ist.

Ende der Entscheidung

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