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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 09.07.2003
Aktenzeichen: V R 57/02
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO, KO


Vorschriften:

AO 1977 § 227
AO 1977 § 240
AO 1977 a.F. § 251 Abs. 3
FGO § 46
KO § 63 Nr. 1
KO § 144 Abs. 1
KO § 145 Abs. 2
1. Die Erhebung von Säumniszuschlägen ist sachlich unbillig, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich ist und deshalb die Ausübung von Druck zur Zahlung ihren Sinn verliert. Das FA ist regelmäßig nicht verpflichtet, bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung des Steuerpflichtigen mehr als die Hälfte der verwirkten Säumniszuschläge zu erlassen.

2. Die Frage, ob seit Eröffnung des Konkursverfahrens laufende Säumniszuschläge gemäß § 63 Nr. 1 KO im Konkursverfahren nicht geltend gemacht werden dürfen, kann in einem vom Konkursverwalter angestrengten Verfahren wegen Erlasses aus Billigkeitsgründen nicht entschieden werden. Hierüber ist gemäß § 251 Abs. 3 AO 1977 a.F. durch Feststellungsbescheid zu entscheiden.

3. Für den Erlass der Säumniszuschläge zur Lohnsteuer gelten keine Besonderheiten.


Gründe:

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Konkursverwalter über das Vermögen des Kaufmanns H (Gemeinschuldner).

Mit Beschluss vom 20. Januar 1997 ordnete das Amtsgericht Düsseldorf die Sequestration des Geschäftsbetriebs des Gemeinschuldners an und bestellte den Kläger zum Sequester. Am 9. Juni 1997 wurde das Konkursverfahren eröffnet; der Kläger wurde zum Konkursverwalter bestellt.

In der Folgezeit meldete der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) Steuerforderungen und hierauf zu entrichtende Säumniszuschläge zur Konkurstabelle an.

Mit Schreiben vom 4. Februar 2000 beantragte der Kläger den Erlass sämtlicher Säumniszuschläge, soweit sie über den Tag der Sequestrationsanordnung vom 20. Januar 1997 hinaus berechnet wurden.

Das FA erließ daraufhin die Hälfte (von 90 846 DM, somit 45 423 DM) der nach dem 20. Januar 1997 entstandenen Säumniszuschläge zur Einkommensteuer (einschließlich Solidaritätszuschlag) und zur Umsatzsteuer (Letztere überwiegen). Einen Erlass der Säumniszuschläge zur Lohnsteuer wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung lehnte das FA ab, da die Annahme einer Zahlungsunfähigkeit hinsichtlich der Lohnsteuer begrifflich schon deshalb ausscheide, weil der Arbeitgeber in keinem Fall mit der einzubehaltenden und abzuführenden Lohnsteuer belastet werde (Schreiben vom 20. März 2000). Daraufhin teilte der Kläger mit, dass er mit einem nur hälftigen Erlass der Säumniszuschläge ab Anordnung der Sequestration nicht einverstanden sei.

Mit Schreiben vom 6. April 2000 meinte der Kläger, dass das FA offensichtlich die Auswirkungen eines Konkursverfahrens verkenne; es werde daher abschließend um die Erteilung eines rechtsmittelfähigen Bescheids gebeten.

Das FA behandelte dieses Schreiben als erneuten Antrag auf Erlass der Säumniszuschläge und lehnte diesen mit Bescheid vom 28. April 2000 ab. Zur Begründung wies es darauf hin, dass ein Vorrang der Konkursordnung vor der Abgabenordnung nicht erkennbar sei. Der Antrag auf vollständigen Erlass der Säumniszuschläge ab Anordnung der Sequestration werde daher auch weiterhin abgelehnt.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) hielt es für ermessensgerecht, dass das FA nur die Hälfte der nach Zahlungsunfähigkeit entstandenen Säumniszuschläge zur Einkommensteuer und Umsatzsteuer erlassen habe. Nicht zu beanstanden sei auch die Ablehnung, die Säumniszuschläge zur Lohnsteuer --ganz oder auch nur zur Hälfte-- zu erlassen. Der Arbeitgeber ziehe die Lohnsteuer gewissermaßen nur treuhänderisch für den Arbeitnehmer und den Steuerfiskus ein. Wirtschaftlich handele es sich um fremde Gelder, die der Arbeitgeber nicht sach- und zweckwidrig selbst verwenden dürfe. Deshalb müsse auch ein Erlass der Lohnsteuer Ausnahmefällen vorbehalten bleiben. Nichts anderes gelte für die Säumniszuschläge auf die nicht abgeführte Lohnsteuer durch den Arbeitgeber; sie behielten auch im Falle von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung grundsätzlich ihre Funktion als Druckmittel, die (fremde) Steuer rechtzeitig und in voller Höhe einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen. Das habe zur Folge, dass auch kein hälftiger Erlass der Säumniszuschläge zur Lohnsteuer in Betracht komme.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts. Der Zweck von Säumniszuschlägen, als Druckmittel zu rechtzeitiger Zahlung zu fungieren, könne im Konkursverfahren nicht mehr erreicht werden. Im Übrigen müsse berücksichtigt werden, dass ein Weiterlaufen der Säumniszuschläge einer Zinsbelastung gleichkomme; Zinsen auf Konkursforderungen seien nach § 63 Nr. 1 der Konkursordnung (KO) ausdrücklich ausgeschlossen. Eine Sonderbehandlung der Säumniszuschläge zur Lohnsteuer sei nicht gerechtfertigt. Im Übrigen habe das FA die Säumniszuschläge zur Lohnsteuer aus überhöhten Schätzungsbeträgen berechnet.

Das FA ist der Revision entgegengetreten. Es meint, die Säumniszuschläge zur Lohnsteuer seien gar nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

II.

Die Revision ist unbegründet, soweit sie die Säumniszuschläge zur Einkommensteuer und Umsatzsteuer betrifft; sie ist teilweise begründet, soweit sie die Säumniszuschläge zur Lohnsteuer betrifft; insoweit führt sie zur Aufhebung der Vorentscheidung und der Ablehnungsbescheide und zur Verpflichtung des FA, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.

1. Säumniszuschläge zur Einkommensteuer und Umsatzsteuer

Bei der Ablehnung des vom Kläger begehrten Erlasses von festgesetzten Säumniszuschlägen gemäß § 227 der Abgabenordnung (AO 1977) handelt es sich um eine Ermessensentscheidung des FA. Nach § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) können Ermessensentscheidungen durch das FG nur darauf überprüft werden, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

a) Ein Erlass von Säumniszuschlägen ist nach ständiger Rechtsprechung aus sachlichen Billigkeitsgründen geboten, wenn ihre Einziehung im Einzelfall, insbesondere mit Rücksicht auf ihren Zweck, nicht mehr zu rechtfertigen ist, weil die Erhebung --obwohl der Sachverhalt den gesetzlichen Tatbestand erfüllt-- den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft.

Säumniszuschläge sind ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll. Darüber hinaus verfolgt die Vorschrift des § 240 AO 1977 den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten. Durch Säumniszuschläge werden schließlich auch die Verwaltungsaufwendungen abgegolten, die bei den verwaltenden Körperschaften dadurch entstehen, dass Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgemäß zahlen.

Sachlich unbillig ist die Erhebung von Säumniszuschlägen insoweit, als dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich ist und deshalb die Ausübung von Druck zur Zahlung ihren Sinn verliert. Das FA ist aber regelmäßig nicht verpflichtet, bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung des Steuerpflichtigen mehr als die Hälfte der verwirkten Säumniszuschläge zu erlassen, da die Säumniszuschläge auch nach Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit weiterhin dem Zweck dienen, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten (vgl. Bundesfinanzhof --BFH--, Urteile vom 16. Juli 1997 XI R 32/96, BFHE 184, 193, BStBl II 1998, 7; vom 18. Juni 1998 V R 13/98, BFH/NV 1999, 10, und vom 19. Dezember 2000 VII R 63/99, BFHE 193, 524, BStBl II 2001, 217, m.w.N.). Diese Grundsätze gelten auch für nach Stellung des Konkursantrags entstandene Säumniszuschläge (vgl. BFH-Urteil in BFHE 193, 524, BStBl II 2001, 217).

Demnach hat das FG zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Erlass von mehr als der Hälfte der Säumniszuschläge zur Einkommensteuer und Umsatzsteuer verneint, soweit diese nach Stellung des Konkursantrags entstanden sind.

b) Die Vorschrift des § 63 Nr. 1 KO kann im vorliegenden Erlassverfahren nicht berücksichtigt werden.

Nach dieser Vorschrift können seit der Eröffnung des Konkursverfahrens laufende Zinsen im Konkursverfahren nicht geltend gemacht werden. Hierunter fallen wohl auch Säumniszuschläge, soweit sie nicht bereits wegen der Insolvenz des Steuerschuldners zu erlassen waren und erlassen worden sind. Im Rahmen des § 39 der Insolvenzordnung (InsO) --der an die Stelle des § 63 KO getreten ist-- stellt die Finanzverwaltung die Säumniszuschläge ausdrücklich den in § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO genannten Zinsen gleich (Bundesministerium der Finanzen, Schreiben vom 17. Dezember 1998 IV A 4 -S 0550- 28/98, BStBl I 1998, 1500, unter 4.4). Im Rahmen des § 63 Nr. 1 KO kann kaum anderes gelten. Die nach Eröffnung des Konkursverfahrens anfallenden Säumniszuschläge durften demnach nicht im Konkursverfahren geltend gemacht werden.

Eine abschließende Entscheidung ist im vorliegenden Verfahren jedoch nicht möglich.

aa) Soweit das FA die nach Eröffnung des Konkursverfahrens entstandenen Säumniszuschläge zur Konkurstabelle angemeldet hat und dieser Anmeldung weder vom Kläger (Konkursverwalter) noch von einem Konkursgläubiger im Prüfungstermin widersprochen worden ist, gilt Folgendes:

Wird ein Steueranspruch zur Konkurstabelle angemeldet und widerspricht im Prüfungstermin weder der Konkursverwalter noch ein Konkursgläubiger, so gilt die Steuerforderung nach Bestand, Betrag und Vorrecht als festgestellt (§ 144 Abs. 1 KO). Die Eintragung in die Konkurstabelle wirkt hinsichtlich der festgestellten Forderung wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber allen Konkursgläubigern (§ 145 Abs. 2 KO). Die Forderung als solche kann von diesen Beteiligten nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden. Bei dieser Sachlage sind im Billigkeitsverfahren geltend gemachte Einwendungen gegen die sachliche Richtigkeit der Konkursanmeldung (nur) nach denselben Grundsätzen zu berücksichtigen wie in einem Erlassverfahren erhobene Einwendungen gegen bestandskräftig festgesetzte Steuern (BFH-Urteil vom 15. Juli 1992 II R 59/90, BFHE 168, 310, BStBl II 1993, 613).

Nach ständiger Rechtsprechung rechtfertigt allein die Einwendung, die bestandskräftige Steuerfestsetzung sei materiell-rechtlich falsch, noch nicht die Annahme einer sachlichen Härte. Nach der Rechtsprechung des BFH wird vielmehr eine sachliche Überprüfung bestandskräftiger Steuerfestsetzungen im Billigkeitsverfahren lediglich dann zugelassen, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig falsch ist und wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich und nicht zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 30. April 1981 VI R 169/78, BFHE 133, 255, BStBl II 1981, 611, und in BFHE 168, 310, BStBl II 1993, 613).

Diese Voraussetzungen für das Vorliegen einer sachlichen Härte sind im Streitfall nicht erfüllt. Dem Kläger war es zumutbar, der --jedenfalls seiner Ansicht nach-- rechtswidrigen Anmeldung der Säumniszuschläge zur Konkurstabelle zu widersprechen.

bb) Hat der Prüfungstermin noch nicht stattgefunden oder hat der Kläger der Anmeldung der Säumniszuschläge bereits im Prüfungstermin widersprochen, so hat das FA --falls es gleichwohl auf seinem Rechtsstandpunkt beharrt-- die Konkursforderung gemäß § 251 Abs. 3 AO 1977 durch schriftlichen Verwaltungsakt festzustellen. Gegen diesen Feststellungsbescheid ist der Einspruch und anschließend die Klage zum FG gegeben. In diesem Anfechtungsverfahren ist dann verbindlich zu klären, ob die Vorschrift des § 63 Nr. 1 KO der Anmeldung der seit der Konkurseröffnung laufenden Säumniszuschläge entgegensteht. Eine abweichende Entscheidung im vorliegenden Billigkeitsverfahren ist nicht zulässig.

2. Säumniszuschläge zur Lohnsteuer

Die oben genannten Grundsätze gelten auch für die Säumniszuschläge zur Lohnsteuer.

a) Entgegen der Auffassung des FA sind auch die Säumniszuschläge zur Lohnsteuer Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, da das FG auch über sie entschieden hat.

Die Klage betraf auch die Säumniszuschläge zur Lohnsteuer. Das FA hatte ihren Erlass im Schreiben vom 20. März 2000 ausdrücklich abgelehnt. Offensichtlich sah das FA in diesem Schreiben selbst einen rechtsmittelfähigen Bescheid. Im (mit Rechtsmittelbelehrung versehenen) Ablehnungsbescheid vom 28. April 2000 heißt es nämlich wörtlich: "Hinsichtlich Ihres Hinweises auf einen rechtsmittelfähigen Bescheid verweise ich auf § 356 Abs. 2 AO." Nach dieser Vorschrift ist die Einlegung eines Einspruchs binnen eines Jahres seit Bekanntgabe des Verwaltungsakts zulässig, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben ist. Demgemäß durfte der Kläger gegen den Bescheid vom 20. März 2000 Einspruch einlegen. Im Übrigen bezieht sich der Ablehnungsbescheid vom 28. April 2000 "auf den bisher geführten Schriftwechsel", wiederholt also den Inhalt des Bescheids vom 20. März 2000.

Demgemäß durfte das FG auch davon ausgehen, dass der nicht näher konkretisierte Einspruch "gegen den Bescheid vom 28.4.2000" auch die Säumniszuschläge zur Lohnsteuer erfasste. Dass das FA auf diese in den Gründen der Einspruchsentscheidung vom 31. Juli 2000 nicht mehr näher einging, schloss gemäß § 46 FGO eine Sachentscheidung des FG nicht aus.

b) Diese hält allerdings einer rechtlichen Überprüfung durch den Senat nicht Stand. Für den Erlass der Säumniszuschläge zur Lohnsteuer gelten nämlich dieselben Grundsätze wie für den Erlass der Säumniszuschläge zur Einkommensteuer und zur Umsatzsteuer.

Der Konkursverwalter darf die Lohnsteuerschulden ebenso wie die übrigen (eigentlichen) Steuerschulden des Gemeinschuldners nur nach den Vorschriften der Konkursordnung begleichen. Daran ändert auch nichts der Umstand, dass der Schuldner der Lohnsteuer gemäß § 38 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) der Arbeitnehmer ist und der Arbeitgeber nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG für die Lohnsteuer haftet. Nach § 240 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 lösen die dort genannten Haftungsschulden die Säumniszuschläge unter denselben Voraussetzungen aus, wie die in § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 genannten Steuerschulden. Die Säumniszuschläge zur Lohnsteuer sind unter denselben Voraussetzungen gemäß § 227 AO 1977 zu erlassen wie die übrigen Säumniszuschläge. Sie können unter denselben Voraussetzungen zur Konkurstabelle angemeldet werden wie die übrigen Säumniszuschläge.

Die vollständige Ablehnung des Erlasses der Säumniszuschläge zur Lohnsteuer war demnach nicht rechtmäßig. Da es dem Senat verwehrt ist, das dem FA verbleibende Ermessen selbst auszuüben, war dieses gemäß § 101 Satz 2 FGO zu verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.

Ende der Entscheidung

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