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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 06.11.2002
Aktenzeichen: V R 75/01
Rechtsgebiete: AO 1977, UStG 1993, Richtlinie 77/388/EWG


Vorschriften:

AO 1977 § 227
AO 1977 § 233a
UStG 1993 § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a
UStG 1993 § 16 Abs. 1
UStG 1993 § 18 Abs. 1
UStG 1993 § 18 Abs. 3
Richtlinie 77/388/EWG Art. 33 Abs. 1
1. Die Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO 1977 in der ab 1997 geltenden Fassung setzt voraus, dass sich zwischen der festgesetzten Steuer und einer vorangegangenen Festsetzung ein Unterschiedsbetrag ergibt. Freiwillige Zahlungen des Steuerpflichtigen auf die Steuerschuld vor deren Festsetzung sind für die Zinsberechnung nach dem Soll-Prinzip grundsätzlich unbeachtlich.

2. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn der Steuerpflichtige einen Umsatz rechtsirrtümlich erst in dem auf die Entstehung der Steuerschuld folgenden Jahr --also vor Beginn des Zinslaufs nach § 233a Abs. 2 Satz 1 AO 1977-- erklärt und versteuert.


Gründe:

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GbR, betrieb die Erschließung und Bebauung eines Grundstücks mit Eigentumswohnungen sowie deren anschließende Veräußerung. Sie versteuerte ihre Umsätze gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) nach vereinbarten Entgelten.

Im Streitjahr 1997 veräußerte die Klägerin u.a. vier fertiggestellte Eigentumswohnungen steuerpflichtig an die Erwerber A, B, C und D. Von den vereinbarten Kaufpreisen waren zum 31. Dezember 1997 Zahlungen in Höhe von 251 439 DM zuzüglich 37 715,85 DM Umsatzsteuer noch nicht beglichen. Diese Beträge gingen erst im Folgejahr 1998 bei der Klägerin ein.

Die Klägerin erfasste die im Streitjahr 1997 (noch) nicht eingegangenen Restkaufpreiszahlungen erst in ihren Umsatzsteuer-Voranmeldungen für 1998 und in ihrer (am 6. April 1999 eingereichten) Umsatzsteuer-Jahreserklärung 1998.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) unterwarf im Anschluss an eine steuerliche Außenprüfung die erst 1998 vereinnahmten Entgelte für bereits 1997 ausgeführte Umsätze dagegen im Streitjahr 1997 der Umsatzsteuer und änderte mit Bescheid vom 26. Januar 2000 die Umsatzsteuer-Festsetzung für 1997 entsprechend. Zugleich setzte das FA Nachzahlungszinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO 1977) ausgehend von einem Unterschiedsbetrag von (abgerundet) 37 700 DM für einen Zeitraum von 9 Monaten (1. April 1999 bis 29. Januar 2000) in Höhe von 1 696 DM fest.

Hiergegen legte die Klägerin am 25. Februar 2000 Einspruch ein und beantragte, die Zinsen auf 0 DM festzusetzen. Hierzu legte sie eine berichtigte Umsatzsteuer-Erklärung für 1998 vor, aus der sich aufgrund des Wegfalls der nunmehr 1997 berücksichtigten Umsätze ein Erstattungsanspruch zu ihren Gunsten in Höhe von 37 715,80 DM ergab. Daneben beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 12. April 2000 den Erlass der Nachzahlungszinsen aus Billigkeitsgründen.

Durch Bescheid vom 12. März 2001 erließ das FA die festgesetzten Nachzahlungszinsen teilweise, und zwar in Höhe von 647 DM. Zur Begründung heißt es u.a.:

"Ihre Mandantin hat jedoch einen Zinsvorteil aus dem Vorgang erzielt, weil die in das Jahr 1997 vorgeholten Umsätze bereits in der Umsatzsteuervoranmeldung für das 4. Quartal 1997 hätten erfaßt werden müssen. Die entsprechende Umsatzsteuer wäre demnach bereits zum 10.01.1998 fällig gewesen. Tatsächlich hat Ihre Mandantin die Umsätze jedoch erst mit der Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen für das 1. bis 3. Quartal 1998 bzw. mit der Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung 1998 versteuert. Hieraus resultieren unter Berücksichtigung der mit Ihrem Schreiben der vom 8.11.2000 vorgelegten Berechnungen folgende Zinsvorteile:

|Betrag DM|Steuer DM| Beginn|Zinszeitraum Ende| Zins-monate|Zinsvorteil DM Umsätze I/98| 180.476,51 | 27.071,48| 10.01.98| 10.04.98| 3| 406,07 Umsätze II/98| 17.353,91| 2.603,09| 10.01.98| 10.07.98| 6| 78,09 Umsätze III/98| 8.395,66| 1,259,35| 10.01.98| 10.10.98| 9| 56,67 Umsätze 1998| 45.213,04| 6.781,96| 10.01.98| 10.04.99| 15| 508,65 Summe Zinsvorteil| 1049,48 Summe Zinsvorteil| (abgerundet) 1049,00 1049,48

festgesetzte Nachzahlungszinsen lt. Bescheid vom 26.01.2000| 1696,00 Differenz = zu erlassende Nachzahlungszinsen|647,00|"

Durch Einspruchsbescheid vom selben Tag wies das FA den Einspruch der Klägerin gegen die Zinsfestsetzung vom 26. Januar 2000 zurück.

Das Finanzgericht (FG) wies die daraufhin von der Klägerin erhobene Klage gegen die Zinsfestsetzung als unbegründet zurück (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2001, 1477).

Mit der vom FG zugelassenen Revision macht die Klägerin im Wesentlichen geltend:

1. Die Zinsberechnung verstoße gegen § 233a Abs. 2 Satz 1 AO 1977. Danach beginne der Zinslauf (erst) 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden sei (sog. Karenzfrist). Das FA habe lediglich die von der Klägerin 1998 angemeldete und bezahlte Umsatzsteuer in das Steuerjahr 1997 "vorgeholt". Innerhalb der Karenzfrist sei die Umsatzsteuer bezahlt worden, so dass ein Abstellen auf einen Unterschiedsbetrag zwischen Festsetzungssoll und Vorsoll gegen den Sinn und Zweck der Karenzfrist verstoße. Der gleiche Lebenssachverhalt und die gleiche Steuer würden in einen Nachzahlungsfall (1997) und einen Erstattungsfall (1998) künstlich zerteilt, so dass dem FA die Möglichkeit gegeben werde, durch Verzögerung der Änderungsveranlagung des Erstattungsjahres den Nachzahlungsfall in die Zeit nach Ablauf der Karenzfrist hineinlaufen zu lassen, obwohl die Steuer längst bezahlt sei.

2. Die Umstellung von Ist-Verzinsung auf Soll-Verzinsung durch § 233a AO 1977 verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip und führe zu einer nicht mehr beherrschbaren Komplizierung.

3. Die Verzinsung einer getilgten Steuer verstoße gegen das Verbot einer Übermaßbesteuerung und "elementare Rechtsprinzipien", weil bei einer Besteuerungsgrundlage von 0 DM die Belastung unendlich hoch sei. Im vorliegenden Fall solle sie --die Klägerin-- Nachzahlungszinsen bezahlen, obwohl sie einen erheblichen Liquiditätsnachteil gehabt habe.

4. Die Verzinsung der Umsatzsteuer sei mit europäischem Recht unvereinbar, weil sie gegen den Grundsatz der Belastungsneutralität innerhalb der Unternehmerkette verstoße und wegen ihrer erheblichen materiellen Belastung den Charakter einer nach Art. 33 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) unzulässigen Steuer habe.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung des FA vom 12. März 2001 die Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer 1997 unter Abänderung des Bescheids vom 26. Januar 2000 auf 0 DM herabzusetzen.

Das FA tritt der Revision entgegen.

II.

Die Revision ist unbegründet.

Das FG hat zutreffend entschieden, dass die angefochtene Festsetzung der Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer gerichtlich nicht zu beanstanden ist.

1. Führt die Festsetzung der Umsatzsteuer zu einem Unterschiedsbetrag i.S. des § 233a Abs. 3 AO 1977 ist dieser zu verzinsen (§ 233a Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Der Zinslauf beginnt 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 233a Abs. 2 Satz 1 AO 1977). Er endet mit Ablauf des Tages, an dem die Steuerfestsetzung wirksam wird (§ 233a Abs. 2 Satz 3 AO 1977).

2. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften sind erfüllt. Das ist zwischen den Beteiligten ebenso wenig streitig wie die Höhe und Berechnung der festgesetzten Zinsen (§ 238 AO 1977).

3. Die Zinsfestsetzung ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht deswegen rechtswidrig, weil sie (die Klägerin) vor Beginn des Zinslaufs nach § 233a Abs. 2 Satz 1 AO 1977 (hier: 1. April 1999), also innerhalb der sog. Karenzfrist, die streitigen Umsätze in voller Höhe (so die Klägerin) oder jedenfalls nahezu vollständig (so das FA) in den Umsatzsteuer-Voranmeldungen für das I. bis III. Quartal 1998 der Umsatzbesteuerung unterwarf und entsprechende Zahlungen geleistet hat.

a) Freiwillige Zahlungen des Steuerpflichtigen auf die Steuerschuld vor deren Festsetzung sind für die Zinsberechnung nach dem Soll-Prinzip des § 233a AO 1977 grundsätzlich unbeachtlich. Auch wenn das FA vor der Steuerfestsetzung Zahlungen des Steuerpflichtigen auf die Steuerschuld entgegengenommen hat und hierdurch die festgesetzte Steuerschuld getilgt ist, sind nach der im Streitfall anzuwendenden Fassung des § 233a Abs. 1 AO 1977 grundsätzlich Zinsen auf den "Unterschiedsbetrag" zu erheben (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 31. Mai 2001 IV B 141/00, BFH/NV 2001, 1375; Ruban in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 233a AO 1977 Rz. 18; Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 233a Rz. 9; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 233a AO 1977 Rz. 33).

Denn § 233a AO 1977 in der durch das Jahressteuergesetz (JStG) 1997 vom 20. Dezember 1996 (BGBl I 1996, 2049) geänderten Fassung setzt im Gegensatz zu der bis 1996 geltenden Gesetzesfassung nicht mehr eine "Steuernachforderung", sondern (lediglich) einen "Unterschiedsbetrag" voraus. Dadurch wollte der Gesetzgeber der Rechtsprechung (vgl. grundlegend BFH-Urteil vom 15. März 1995 I R 56/93, BFHE 177, 204, BStBl II 1995, 490) die Grundlage entziehen, wonach eine Steuerfestsetzung nicht zu einer Steuernachforderung i.S. des § 233a AO 1977 a.F. führen könne, wenn das FA freiwillige Leistungen auf die Steuerschuld vor deren Festsetzung annehme und hierdurch die festgesetzte Steuer insgesamt erfüllt worden sei (vgl. BTDrucks 13/5952, S. 56).

b) Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn der Steuerpflichtige einen Umsatz rechtsirrtümlich erst in dem auf die Entstehung der Steuerschuld folgenden Jahr --also vor Beginn des Zinslaufs nach § 233a Abs. 2 Satz 1 AO 1977-- erklärt und versteuert, wie dies im Streitfall geschehen ist.

4. Der Auffassung der Klägerin, das FA habe den gleichen Lebenssachverhalt und die gleiche Steuer künstlich in einen Nachzahlungsfall (1997) und einen Erstattungsfall (1998) zerteilt, so dass dem FA die Möglichkeit gegeben werde, durch Verzögerung der Änderungsveranlagung des Erstattungsjahres den Nachzahlungsfall in die Zeit nach Ablauf der Karenzfrist hineinlaufen zu lassen, vermag der Senat nicht zu folgen.

Das FA hat vielmehr die Umsatzsteuer entsprechend den gesetzlichen Vorschriften (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, § 16 Abs. 1, § 18 Abs. 1 und 3 UStG) festgesetzt. Für eine Verzögerung der Änderungsveranlagungen für die Jahre 1997 und 1998 gibt es keinen Anhaltspunkt.

5. Die Soll-Verzinsung nach § 233a AO 1977 verstößt entgegen der Ansicht der Klägerin nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip. Sie beruht vielmehr auf einer zulässigen gesetzlichen Typisierung und ist nicht verfassungswidrig (vgl. Ruban in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, a.a.O., § 233a AO 1977 Rz. 17, m.w.N.).

6. Soweit die Klägerin ferner geltend macht, die Verzinsung einer getilgten Steuer verstoße gegen das Verbot einer Übermaßbesteuerung und elementare Rechtsprinzipien, hat der Senat bereits entschieden, dass dieser Gesichtspunkt allenfalls im Rahmen von Billigkeitserwägungen nach § 227 AO 1977 berücksichtigt werden kann (vgl. Senatsurteil vom 11. Juli 1996 V R 18/95, BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259; BFH-Beschluss vom 30. Oktober 2001 X B 147/01, BFH/NV 2002, 505, m.w.N.).

So ist hier verfahren worden. Das FA hat in dem (im vorliegenden Verfahren nicht angefochtenen) Bescheid vom 12. März 2001 die festgesetzten Nachzahlungszinsen um 647 DM gemindert und dabei berücksichtigt, dass und wann die Klägerin die von ihr verspätet erklärten Umsätze vorangemeldet und gezahlt hat.

Für die in diesem Zusammenhang aufgestellte Behauptung der Klägerin, sie habe einen erheblichen Liquiditätsnachteil gehabt, sieht der Senat keine Grundlage.

7. Schließlich verstößt die Festsetzung von Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer entgegen der Ansicht der Klägerin weder gegen den Grundsatz der Belastungsneutralität innerhalb der Unternehmerkette noch gegen Art. 33 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG (vgl. Senatsurteil vom 9. Oktober 2002 V R 81/01, zur Veröffentlichung in BFHE vorgesehen; ein neutralisierter Abdruck der Entscheidung ist beigefügt).

Ende der Entscheidung

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