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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 16.11.2005
Aktenzeichen: VI R 151/00
Rechtsgebiete: EStG, LStR 1996


Vorschriften:

EStG § 19 Abs. 1 Nr. 1
EStG § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
LStR 1996 Abschn. 72 Abs. 4 Satz 2
Aufwendungen des Arbeitgebers aus Anlass einer Betriebsveranstaltung erlangen beim Überschreiten einer Freigrenze, die für die Jahre 1996 und 1997 200 DM je teilnehmendem Arbeitnehmer beträgt, ein derartiges Eigengewicht, dass sie in vollem Umfang als steuerpflichtiger Arbeitslohn zu werten sind (Bestätigung der Rechtsprechung).
Gründe:

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Sie betreibt Rechts- und Steuerberatung sowie Wirtschaftsprüfung. Die Klägerin gehört zur X-Gruppe, die Niederlassungen im In- und Ausland unterhält und in den Jahren 1996 und 1997 in Deutschland etwa 1 000 Arbeitnehmer beschäftigte.

Einmal jährlich veranstaltete die X-Gruppe für ihre Mitarbeiter ein Ski-Wochenende in Österreich, das jeweils im Januar stattfand und von Freitagnachmittag bis Sonntagabend dauerte. An diesen Veranstaltungen konnten alle Mitarbeiter aus den Niederlassungen in Deutschland und dem Ausland sowie die Angehörigen der betreffenden Arbeitnehmer teilnehmen. Während der Ski-Wochenenden wurde neben dem Programm für die Skifahrer auch ein Alternativ-Programm für Nicht-Skifahrer angeboten.

Nach den Angaben der Klägerin trugen die Angehörigen der Mitarbeiter die für ihre Teilnahme an den Ski-Wochenenden anfallenden Kosten selbst. Die Arbeitnehmer der Klägerin mussten die Kosten für zwei Abendessen und den Skipass tragen. Die übrigen Aufwendungen (Kosten der An- und Abreise mit Bussen, Aufwendungen für jeweils zwei Übernachtungen mit Frühstück sowie die Kosten des Rahmenprogramms) übernahm die Klägerin.

Im Jahr 1996 fand das Ski-Wochenende in der Zeit vom 26. Januar bis zum 28. Januar statt. Daran nahmen 72 Mitarbeiter aus N und acht Mitarbeiter aus der Niederlassung M teil. Die Aufwendungen der Klägerin für das Ski-Wochenende betrugen für die Mitarbeiter aus N 259,94 DM und für die Mitarbeiter aus M 251,41 DM pro Arbeitnehmer.

An dem im Jahr 1997 vom 24. Januar bis zum 26. Januar veranstalteten Ski-Wochenende nahmen 39 Mitarbeiter aus der Niederlassung in N und neun Mitarbeiter aus der M-Niederlassung teil. Die Aufwendungen der Klägerin für dieses Ski-Wochenende betrugen pro Arbeitnehmer aus der Niederlassung in N 229,13 DM und pro Arbeitnehmer aus M 236,22 DM.

Mit geänderten Lohnsteuer-Anmeldungen für Januar 1996 und Januar 1997 berücksichtigte die Klägerin für die Zuwendungen anlässlich der Ski-Wochenenden zusätzliche pauschale Lohnsteuer gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 5 181,69 DM für Januar 1996 und in Höhe von 2 765,57 DM für Januar 1997. Gleichzeitig legte sie gegen die geänderten Lohnsteuer-Anmeldungen Einspruch ein, den der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) als unbegründet zurückwies.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 496 veröffentlichten Gründen ab. Nach gefestigter Rechtsprechung seien Aufwendungen des Arbeitgebers für Betriebsveranstaltungen in vollem Umfang als Arbeitslohn zu erfassen, wenn ein bestimmter Höchstbetrag pro Arbeitnehmer überschritten werde. Dieser Höchstbetrag, der für die Streitzeiträume 200 DM betrage, sei im vorliegenden Fall überschritten.

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Die von der Rechtsprechung angenommene Freigrenze von 200 DM finde im Gesetz keine Stütze. Zur Setzung solcher Grenzen sei nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung nur der Gesetzgeber befugt. Die durch Abschn. 72 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 1993 eingeführte Freigrenze von 200 DM sei kein absoluter Wertmaßstab für die Streitzeiträume. Das FG habe sich zu Unrecht an diese Freigrenze gebunden gefühlt. Vielmehr habe stets eine auf den Sachverhalt bezogene Einzelfallprüfung stattzufinden. Selbst wenn für das Jahr 1993 aber ein Betrag von 200 DM je Arbeitnehmer als Freigrenze anzusehen gewesen sei, müsse dieser Betrag entsprechend dem gestiegenen Preisniveau für die Streitjahre 1996 und 1997 angepasst werden.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Lohnsteuer-Anmeldungen für Januar 1996 und Januar 1997 vom 12. November 1997 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21. August 1998 dahin zu ändern, dass die Aufwendungen für die Betriebsveranstaltungen nicht als steuerpflichtiger Arbeitslohn behandelt werden.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Zuwendungen der Klägerin an ihre Arbeitnehmer anlässlich der in den Streitjahren durchgeführten Ski-Wochenenden Arbeitslohn i.S. des § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG sind.

1. Nach ständiger Rechtsprechung sind Zuwendungen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer dann kein Arbeitslohn i.S. von § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG, wenn sie im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse getätigt werden. Ein solches ist grundsätzlich zu bejahen, wenn der Arbeitgeber anlässlich von Betriebsveranstaltungen Aufwendungen tätigt, um den Kontakt der Arbeitnehmer untereinander und damit das Betriebsklima zu fördern. Die lohnsteuerliche Wertung derartiger Zuwendungen hat der Senat seit dem Urteil vom 25. Mai 1992 VI R 85/90 (BFHE 167, 542, BStBl II 1992, 655) nicht mehr davon abhängig gemacht, ob die Vorteilsgewährung der Höhe nach üblich ist, sondern er ist von einer Freigrenze ausgegangen, bei deren Überschreitung die Zuwendungen in vollem Umfang als steuerpflichtiger Arbeitslohn zu qualifizieren sind (ebenso z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 25. Mai 1992 VI R 91/89, BFHE 168, 266, BStBl II 1992, 856; vom 6. Dezember 1996 VI R 48/94, BFHE 182, 142, BStBl II 1997, 331, und vom 31. Januar 1997 VI R 70/96, BFH/NV 1997, 400). Für die Jahre 1983 bis 1992 hat der Senat die Freigrenze auf 150 DM beziffert. Die Finanzverwaltung hat bald nach dem Ergehen der Senatsurteile vom 25. Mai 1992 ihrerseits mit Wirkung ab 1993 die Freigrenze für Zuwendungen bei Betriebsveranstaltungen auf 200 DM heraufgesetzt (Abschn. 72 Abs. 4 Satz 2 LStR 1993). Ab dem Veranlagungszeitraum 2002 legt die Finanzverwaltung eine Freigrenze von 110 € je Veranstaltung zugrunde (R 72 Abs. 4 Satz 2 LStR 2002).

2. Der Senat hält nach erneuter Überprüfung der Rechtfrage daran fest, dass Aufwendungen des Arbeitgebers anlässlich von Betriebsveranstaltungen beim Überschreiten eines bestimmten Betrags ein derartiges Eigengewicht erlangen, dass sie in voller Höhe als steuerpflichtiger Arbeitslohn zu werten sind. Für die Streitzeiträume 1996 und 1997 bemisst der Senat diese Freigrenze in Übereinstimmung mit Abschn. 72 Abs. 4 Satz 2 LStR 1996 je Arbeitnehmer auf 200 DM pro Veranstaltung.

Die Festlegung einer Freigrenze, bei deren Überschreitung Zuwendungen an Arbeitnehmer bei Betriebsveranstaltungen als Arbeitslohn zu qualifizieren sind, erfolgt nach der Rechtsprechung des Senats aus Gründen der Steuergerechtigkeit zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsanwendung (vgl. BFH-Urteil in BFHE 167, 542, BStBl II 1992, 655). Die Finanzgerichte und das Schrifttum sind dieser Rechtsprechung überwiegend gefolgt (z.B. Thüringer FG, Urteil vom 28. Juli 1999 III 711/98, EFG 1999, 1224; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 24. Aufl., § 19 Rz. 50 "Betriebsveranstaltung"; Pflüger in Herrmann/Heuer/ Raupach --HHR--, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, § 19 EStG Anm. 229; Blümich/Thürmer, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 19 EStG Rz. 280 "Betriebsveranstaltungen"; Küttner/Thomas, Personalbuch 2005, Stichwort: Betriebsveranstaltung, Rz. 3, 9; Hartz/Meeßen/ Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort: Betriebsveranstaltungen, Tz. 24 f.). Auch die Finanzverwaltung hat sich der Rechtsprechung des Senats angeschlossen (vgl. Abschn. 72 Abs. 4 Satz 2 LStR 1993).

Neue Gesichtspunkte, die der Senat bisher nicht erwogen hat und die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten, sind weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

a) Mit der von der Klägerin vertretenen Auffassung, der BFH verletze mit der Annahme einer Freigrenze die Befugnisse richterlicher Rechtsanwendung und verstoße gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung, hat sich der Senat bereits in seinem Urteil in BFHE 167, 542, BStBl II 1992, 655 auseinander gesetzt und ist dieser Ansicht nicht gefolgt. Daran ist festzuhalten.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sind die Finanzgerichte im Steuerrecht im Rahmen und nach Maßgabe gesetzlicher Ermächtigung zur typisierenden Gesetzesauslegung berechtigt (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 31. Mai 1988 1 BvR 520/83, BVerfGE 78, 214, 227 ff., 230 ff., und vom 4. Februar 2005 2 BvR 1572/01, BFH/NV, Beilage, 2005, 112).

Im Streitfall ist im Wege der Auslegung von § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG die Einordnung von Zuwendungen bei Betriebsveranstaltungen als Entlohnung oder als Zuwendungen im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers vorzunehmen. Die im Wege richterlicher Rechtsfortbildung erfolgte Auslegung des § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG überschreitet nicht die Grenze, die der Entwicklung des Rechts von Verfassungs wegen gesetzt ist. Der Senat differenziert die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale des § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG (Vorteile, die für eine Beschäftigung gewährt werden) bei Betriebsveranstaltungen nach dem Wert der zugewandten Vorteile. Die typisierende Annahme, dass Vorteile bei Betriebsveranstaltungen nur bis zu einer bestimmten Höhe im überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers stehen und deshalb keinen Arbeitslohn darstellen, steht sowohl mit der gesetzgeberischen Grundentscheidung des § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG als auch mit den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung in Einklang. Denn der Schluss, dass Zuwendungen anlässlich von Betriebsveranstaltungen Arbeitslohn darstellen, ist anhand der Höhe des dem Arbeitnehmer insgesamt gewährten Vorteils möglich. Die Höhe des Vorteils ist ein geeignetes Beurteilungskriterium. Die Abgrenzung zwischen Arbeitslohn und Zuwendungen im überwiegend eigenbetrieblichen Interesse ist anhand dieses Merkmals schlüssig durchführbar (vgl. auch Pflüger in HHR, § 19 EStG Anm. 229; Barein in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 19 Tz. 243; Küttner/Thomas, a.a.O., Stichwort: Betriebsveranstaltung, Rz. 9).

b) Bei dem Betrag von 200 DM, ab dem Zuwendungen anlässlich von Betriebsveranstaltungen als Arbeitslohn zu qualifizieren sind, handelt es sich auch für die Streitzeiträume 1996 und 1997 um eine angemessene materiell-rechtliche Typisierung. Nachdem die Finanzverwaltung mit Wirkung ab 1993 die Freigrenze für Zuwendungen bei Betriebsveranstaltungen auf 200 DM angehoben hat, sieht der Senat keine Notwendigkeit, diese Freigrenze für die Streitzeiträume nochmals heraufzusetzen. Das FG hat insoweit zutreffend und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats (vgl. BFH-Urteil in BFHE 182, 142, BStBl II 1997, 331) darauf abgestellt, dass auch andere Pauschbeträge nicht laufend, sondern nur von Zeit zu Zeit an die wirtschaftliche Entwicklung angepasst werden.

c) Der von der Klägerin vertretenen Auffassung, die Freigrenze müsse branchenspezifisch betrachtet werden, vermag der Senat ebenfalls nicht beizutreten. Der BFH hat bereits in seinem Urteil in BFHE 167, 542, BStBl II 1992, 655 hervorgehoben, dass die Freigrenze aus Gründen der Steuergerechtigkeit für alle Arbeitnehmer gilt. Hierdurch werden nicht unter Verletzung des Gleichheitssatzes gemäß Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes ungleiche Sachverhalte gleich behandelt. Vielmehr wird auf vergleichbare Sachverhalte (Zuwendungen des Arbeitgebers bei Betriebsveranstaltungen an Arbeitnehmer) ein einheitlicher Wertmaßstab angewendet. Die Branche, zu der der Arbeitgeber, der die Betriebsveranstaltung ausrichtet, bzw. der an dieser Veranstaltung teilnehmende Arbeitnehmer gehören, ist kein taugliches Differenzierungskriterium zur Beantwortung der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein dem Arbeitnehmer gewährter geldwerter Vorteil durch das Dienstverhältnis veranlasst ist und damit Arbeitslohn darstellt.

3. Nach diesen Grundsätzen ist die Vorentscheidung nicht zu beanstanden. Die Aufwendungen der Klägerin für die Ski-Wochenenden haben nach den tatsächlichen Feststellungen des FG jeweils über 200 DM pro Arbeitnehmer gelegen. Das FG hat deshalb zu Recht Arbeitslohn angenommen.

Da schon die Höhe der Aufwendungen für die Ski-Wochenenden der Annahme entgegensteht, die Klägerin habe die Veranstaltungen aus weitaus überwiegend eigenbetrieblichen Interessen durchgeführt, kommt es im Streitfall auf die Dauer der Veranstaltungen nicht mehr an.

Schließlich hat sich das FG --entgegen der Meinung der Klägerin-- bei seiner Entscheidung nicht an Abschn. 72 Abs. 4 Satz 2 LStR 1996 gebunden gesehen. Verwaltungsvorschriften, mit denen eine vorgesetzte Behörde verwaltungsintern auf eine bestimmte Gesetzesauslegung und -anwendung durch ihre nachgeordneten Behörden hinwirkt, sind grundsätzlich nicht Maßstab, sondern Gegenstand richterlicher Kontrolle (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 78, 214, 227, m.w.N.). Dies hat auch das FG nicht verkannt. Es hat sich bei seiner Entscheidung vielmehr in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise an der Rechtsprechung des Senats orientiert und sich diese ohne Rechtsfehler zu Eigen gemacht.

Ende der Entscheidung

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