Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 05.05.2009
Aktenzeichen: VI R 77/06
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1
EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2
EStG § 9 Abs. 2 Satz 3
1. Steuerpflichtige mit einer entsprechenden Behinderung können für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte anstelle der Entfernungspauschalen die tatsächlichen Aufwendungen in Abzug bringen (§ 9 Abs. 2 Satz 3 EStG).

2. Behinderte haben jedoch nach dem eindeutigen Wortlaut des § 9 Abs. 2 Satz 3 EStG nur die Wahl, die Wegekosten entweder einheitlich nach den Entfernungspauschalen oder einheitlich nach den tatsächlichen Aufwendungen zu bemessen. Eine Kombination von Entfernungspauschale und tatsächlichen Aufwendungen bei der Bemessung der Wegekosten ist mit § 9 Abs. 2 Satz 3 EStG nicht vereinbar.


Gründe:

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), deren Grad der Behinderung 90 v.H. beträgt, war im Streitjahr nichtselbstän€dig tätig. Im Rahmen der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2003 machte sie Wegekosten für 195 Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in B geltend. Ihren Angaben zufolge fuhr sie zunächst mit ihrem PKW von ihrer Wohnung aus 17 km bis zum Bahnhof nach A. Die verbleibenden 82 km nach B legte sie mit der Bahn zurück. Die Höhe der Aufwendungen für öffentliche Verkehrsmittel gab die Klägerin mit insgesamt 1 682 € an. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt FA ) berück€sichtigte für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte Werbungskosten in Höhe von 6 360 € (1 248 € <Wegekosten PKW> + 5 112 € <Wegekosten Öffentlicher Personennahverkehr>).

Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Da sie zu 90 v.H. erwerbsgemindert sei, seien die Fahrten mit dem PKW zum Bahn€hof nicht lediglich in Höhe von 0,36/0,40 € je Entfernungski€lometer und damit insgesamt in Höhe von 1 248 €, sondern nach § 9 Abs. 2 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG) mit den tatsächlichen Kos€ten hier pauschal mit 0,30 € je gefahrenem Kilometer und damit insgesamt in Höhe von 1 989 € zu berücksichtigen.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage nach erfolglosem Vorver€fahren ab. Zur Begründung führte das FG im Wesentlichen aus, dass die von der Klägerin begehrte Kombination des Ansatzes der Entfernungspauschale für das öffentliche Verkehrsmittel Bahn nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG und der tatsächlichen Aufwendungen für die Nutzung des PKW mit § 9 Abs. 2 Satz 3 EStG nicht vereinbar sei (Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 36).

II.

Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Be€teiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegen€heit zur Stellungnahme.

1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Sätze 1 und 2 EStG sind Wer-bungskosten auch Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Zur Abgeltung dieser Auf€wendungen ist für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die Arbeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für je€den vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und Ar€beitsstätte von 0,36 € für die ersten 10 km und 0,40 € für je€den weiteren Kilometer anzusetzen, höchstens jedoch 5 112 € im Kalenderjahr; ein höherer Betrag ist anzusetzen, soweit der Arbeitnehmer einen eigenen oder ihm zur Nutzung überlassenen Kraftwagen benutzt. Durch die Entfernungspauschalen sind sämt€liche Aufwendungen abgegolten, die durch die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte veranlasst sind (§ 9 Abs. 2 Satz 1 EStG).

a) Allerdings können Behinderte, deren Grad der Behinderung wie bei der Klägerin mindestens 70 v.H. beträgt, für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte anstelle der Entfer-nungspauschalen die tatsächlichen Aufwendungen in Abzug brin€gen (§ 9 Abs. 2 Satz 3 EStG). Danach sind die Wegekosten bei Benutzung eines PKW entweder nach individuellen anhand der nachgewiesenen Fahrzeugaufwendungen ermittelten Kilometer€sätzen oder ohne Einzelnachweis nach pauschalierten Kilometer€sätzen (H 38 des Lohnsteuer-Handbuchs 2003) zu berechnen (Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach HHR , § 9 EStG Rz 643; von Bornhaupt, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 9 Rz F 103; Frotscher in Frotscher, EStG, 6. Aufl., Freiburg 1998 ff., § 9 Rz 150 f.). Auch bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist der Abzug der tatsächlichen Kosten anstelle der Entfernungspauschalen für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und für Familienheimfahrten zulässig.

b) Steuerpflichtige mit einer entsprechenden Behinderung haben jedoch nach dem eindeutigen Wortlaut des § 9 Abs. 2 Satz 3 EStG nur die Wahl, die Wegekosten entweder einheitlich nach den Entfernungspauschalen oder einheitlich nach den tatsächli€chen Aufwendungen zu bemessen. Dies kommt wie die Vorinstanz überzeugend ausführt durch das Wort "an Stelle" in § 9 Abs. 2 Satz 3 EStG deutlich zum Ausdruck (vgl. Schmidt/ Drenseck, EStG, 27. Aufl., § 9 Rz 186 unter Hervorhebung durch Kursivschrift "anstelle der Entfernungspauschale"). Darüber hinaus bezieht sich die Verwendung des Plurals "Entfernungs€pauschalen" in § 9 Abs. 2 Satz 3 EStG ersichtlich auf die Ent€fernungspauschale für die Wege zwischen Wohnung und Arbeits€stätte nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG und die Entfernungs€pauschale für Familienheimfahrten nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG. Damit ist die von der Klägerin begehrte Kombination von Entfernungspauschale und tatsächlichen Aufwendungen bei der Bemessung der Wegekosten mit § 9 Abs. 2 Satz 3 EStG nicht ver€einbar (Küttner/Thomas, Personalbuch 2008, Stichwort Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, Rz 28; Schmidt/Drenseck, a.a.O.).

c) Eine andere Wahlmöglichkeit, als anstelle der Pauschbeträge für Aufwendungen zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (und für Familienheimfahrten) die tatsächlichen Kosten anzusetzen, sieht § 9 Abs. 2 Satz 3 EStG nicht vor. Eine wie die Kläge€rin meint weitergehende Besserstellung von Menschen mit ei€ner Behinderung i.S. des § 9 Abs. 2 Satz 3 Nrn. 1 und 2 EStG hat der Gesetzgeber erkennbar nicht geregelt. Dies ergibt sich darauf weist das FG zutreffend hin sowohl aus dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 EStG als auch unter Einbeziehung der Regelun€gen in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nrn. 4 und 5 EStG aus dem in dem Regel-Ausnahme-Verhältnis der Sätze 1 bis 3 des § 9 Abs. 2 EStG zum Ausdruck kommenden systematischen Gesetzeszusammen€hang.

d) Das vom FG gefundene Auslegungserlebnis entspricht auch Sinn und Zweck der Vorschrift. § 9 Abs. 2 Satz 3 EStG erwei-tert für Behinderte aus sozialen Gründen den Fahrtkostenabzug auf die tatsächlichen Aufwendungen (HHR/Bergkemper, a.a.O.). Mit der Regelung soll vor dem Hintergrund nicht kostendecken€der Pauschalen typisierend dem Umstand Rechnung getragen wer€den, dass erheblich gehbehinderte Personen nur eingeschränkt auf öffentliche Verkehrsmittel ausweichen können (Zimmer in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 9 Rz 962; von Bornhaupt, a.a.O., § 9 Rz F 95, A 174 f.). Eine "Meistbegünstigung" ist hierzu nicht erforderlich, der Abzug der tatsächlichen Kosten vielmehr ausreichend.

Auch die umwelt- und verkehrspolitischen Ziele, die der Ge-setzgeber mit der Einführung der Entfernungspauschale umzuset€zen suchte, verlangen im Streitfall nicht nach der Kombination der Entfernungspauschale für öffentliche Verkehrsmittel und der tatsächlichen Aufwendungen für die PKW-Nutzung. Die steu€erliche Entlastungswirkung der Entfernungspauschale sollte Wettbewerbsgleichheit zwischen den Verkehrsträgern schaffen und die Ausgangslage für den öffentlichen Personennahverkehr verbessern (BTDrucks 14/4242, S. 5). Im Streitfall kann keine Rede davon sein, dass dies durch die Entscheidung der Vorin€stanz nicht erreicht werde. Vorliegend steht den tatsächlichen Aufwendungen der Klägerin für die Nutzung der Bahn in Höhe von 1 682 € eine einkünftemindernde Entfernungspauschale in Höhe von 5 112 € gegenüber. Im Übrigen begehrt die Klägerin keine weitere steuerliche Entlastung für die Wegestrecke, die sie mit der Bahn zurückgelegt hat, sondern macht weitere Aufwen€dungen für die Nutzung des PKW geltend. Umwelt- und verkehrs€politischen Vorstellungen entspricht dieses Begehren jeden€falls nicht.

e) Schließlich vermag der Revision auch nicht der Hinweis der Klägerin auf die BFH-Urteile vom 4. April 2008 VI R 85/04 (BFHE 221, 11, BStBl II 2008, 887) und VI R 68/05 (BFHE 221, 17, BStBl II 2008, 890) zum Erfolg zu verhelfen. Danach kommt es u.a. auch bei der Berechnung der Entfernungspauschale auf die tatsächlichen Nutzungsverhältnisse an.

Nach diesen Grundsätzen ist die Vorentscheidung nicht zu bean€standen. Sowohl das FG als auch das FA sind davon ausgegangen, dass die Klägerin die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit verschiedenen Verkehrsmitteln zurückgelegt hat, und haben für jede Teilstrecke wie dies bei Park-and-ride-Fällen üb€lich ist die entsprechende Entfernungspauschale angesetzt (vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 11. Dezember 2001, BStBl I 2001, 994 Tz 1.6). Die Notwendig€keit einer "teilstreckenbezogenen Betrachtungsweise" ist dem Grunde nach auch zwischen den Beteiligten unstreitig. Streitig ist vielmehr, ob die Klägerin ihr Wahlrecht Entfernungspau-schale oder tatsächliche Kosten für beide zurückgelegten Teilstrecken nur einheitlich ausüben kann. Hierfür geben die BFH-Urteile in BFHE 221, 11, BStBl II 2008, 887, und in BFHE 221, 17, BStBl II 2008, 890 jedoch keine Grundlage. Insbeson€dere lässt sich aus diesen Entscheidungen nicht herleiten, dass die Klägerin für die mit dem PKW zurückgelegte Teilstre€cke die tatsächlichen Kosten gemäß § 9 Abs. 2 Satz 3 EStG an€setzen und für die mit der Bahn zurückgelegte restliche Teilstrecke die Entfernungspauschale nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG geltend machen kann.



Ende der Entscheidung

Zurück