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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 14.10.2004
Aktenzeichen: VI R 82/02
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5
Unterhält ein unverheirateter Arbeitnehmer am Ort des Lebensmittelpunkts seinen Haupthausstand, so kommt es für das Vorliegen einer doppelten Haushaltsführung nicht darauf an, ob die ihm dort zur ausschließlichen Nutzung zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten den bewertungsrechtlichen Anforderungen an eine Wohnung gerecht werden.
Gründe:

I.

Streitig ist, ob ein im Streitjahr 1997 nicht verheirateter Arbeitnehmer am Ort seines Lebensmittelpunkts einen eigenen Hausstand i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) unterhalten hat.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wohnte seit Abschluss seiner Berufsausbildung im Jahre 1987 in einem Anwesen seiner Eltern, das aus zwei durch eine Grundmauer verbundenen älteren Häusern besteht. Er bewohnte in einem der Häuser ein Wohn- und Schlafzimmer sowie eine Küche im Obergeschoss, die zur Treppe abgeschlossen waren. Im Erdgeschoss desselben Hauses wohnte die Schwester des Klägers. Beiden gemeinsam stand eine vom Treppenhaus her zugängliche Sanitäreinheit zur Verfügung. Das angrenzende Gebäude bewohnten die Eltern. Der Kläger entrichtete seit Bezug der Räumlichkeiten regelmäßig einen Betrag in Höhe von monatlich 300 DM an seine Eltern und trug damit auch in voller Höhe die laufenden Kosten seines Hausstands.

Im Juni 1996 nahm der Kläger bei einer Firma in München eine nichtselbständige kaufmännische Tätigkeit auf. Zu diesem Zweck bezog er in der Nähe von München ein Appartement in einem Boardinghaus. An den Wochenenden hielt sich der Kläger weiterhin regelmäßig in seinem 542 Kilometer entfernten Heimatort auf.

In seiner Einkommensteuererklärung für 1997 machte der Kläger unter anderem 13 200 DM an Unterkunftskosten für das Boardinghaus sowie Fahrtkosten für 46 Wochenendheimfahrten als Werbungskosten geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte nur die Fahrtkosten als Fahrten zwischen Lebensmittelpunkt und Arbeitsplatz (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG) steuermindernd.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, die Räumlichkeiten im Heimatort stellten einen "eigenen" Hausstand des Klägers dar, der klar von demjenigen seiner Eltern im Nachbargebäude und in ausreichendem Maße von dem seiner Schwester im gleichen Haus getrennt gewesen sei. Dass der Kläger mit seiner Schwester gemeinsam eine zentrale Sanitäreinrichtung habe nutzen müssen, stehe bei ansonsten getrennten Wohnungseinheiten einer jeweils eigenen Haushaltsführung der beiden Wohnparteien nicht entgegen. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 77 veröffentlicht.

Mit seiner Revision rügt das FA, das FG habe den Begriff des "eigenen Hausstands" unzutreffend ausgelegt. Dieser setze nach Abschn. 43 Abs. 3 der Lohnsteuer-Richtlinien 1996 (LStR) eine den Lebensbedürfnissen entsprechende Wohnung des Arbeitnehmers voraus. Dafür seien die Kriterien entscheidend, nach denen im Bewertungsrecht der Wohnungsbegriff ausgelegt werde. Bei der gebotenen Auslegung nach der Verkehrsauffassung unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse müsse heutzutage der Sanitärbereich zum unverzichtbaren Merkmal einer Wohnung gehören.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

II.

Der Senat sah keinen Anlass, den Termin zur mündlichen Verhandlung aufgrund des Schreibens des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 12. Oktober 2004 zu verlegen. Der Prozessbevollmächtigte hat erklärt, dass ohne ihn verhandelt werden könne. Hinreichende Gründe für eine Verlegung sind im Übrigen auch nicht vorgebracht worden.

Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat die Aufwendungen des Klägers für das Appartement am Beschäftigungsort zu Recht als Werbungskosten berücksichtigt.

1. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG sind notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, Werbungskosten. Eine doppelte Haushaltsführung liegt nach Nr. 5 Satz 2 der Vorschrift vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Auch ein alleinstehender Arbeitnehmer kann einen doppelten Haushalt führen (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5. Oktober 1994 VI R 62/90, BFHE 175, 430, BStBl II 1995, 180, und zuletzt vom 4. November 2003 VI R 170/99, BFHE 203, 386, BStBl II 2004, 16).

2. Ein nicht verheirateter Arbeitnehmer unterhält einen eigenen Hausstand im Sinne der Vorschrift allerdings nur dann, wenn er am Ort seines Lebensmittelpunkts eine eigenständige, seinen Lebensbedürfnissen entsprechende Wohnung aus eigenem oder abgeleitetem Recht nutzen kann. Dabei muss es sich um den Haupthausstand handeln. Der Arbeitnehmer muss sich an dessen Führung sowohl finanziell als auch durch seine persönliche Mitwirkung maßgeblich beteiligen (BFH-Urteil vom 12. September 2000 VI R 165/97, BFHE 193, 282, BStBl II 2001, 29).

a) Sofern der Arbeitnehmer nicht alleiniger Eigentümer oder Mieter der Wohnung ist, muss anhand einer Gesamtbetrachtung der Umstände des Falles untersucht werden, ob der Hausstand jedenfalls auch ihm als eigener zugerechnet werden kann. Wesentlich ist, dass das Verbleiben des Steuerpflichtigen in der Wohnung sichergestellt ist (BFH-Urteil in BFHE 203, 386, BStBl II 2004, 16).

Nutzt der Arbeitnehmer die Wohnung nicht allein, muss er sie aber zumindest gleichberechtigt mitbenutzen können. Er hat daher jedenfalls dann keinen eigenen Hausstand inne, wenn er etwa im elterlichen Haushalt lediglich noch ein Zimmer bewohnt oder wenn er als Gast in einen fremden Hausstand eingegliedert ist, auf dessen Führung er keinen wesentlich bestimmenden oder wenigstens mitbestimmenden Einfluss ausüben kann (vgl. BFH-Urteile in BFHE 175, 430, BStBl II 1995, 180; in BFHE 193, 282, BStBl II 2001, 29; in BFHE 203, 368, BStBl II 2004, 16).

b) Die durch das Leben am Beschäftigungsort zusätzlich entstehenden notwendigen Aufwendungen können grundsätzlich auch dann zu Werbungskosten führen, wenn die Wohnverhältnisse des Steuerpflichtigen am Ort seines Lebensmittelpunkts vergleichsweise einfach oder beengt sein sollten (vgl. BFH-Urteil vom 27. Juli 1990 VI R 5/88, BFHE 161, 521, BStBl II 1990, 985; Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 9 Anm. 506; Blümich/ Thürmer, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, 15. Aufl., § 9 EStG Rz. 348; von Bornhaupt in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 9 Rdnr. G 32). Denn die auf die Auswärtstätigkeit zurückzuführenden, beruflich veranlassten Mehraufwendungen fallen ungeachtet dessen an, wie hoch der Grundaufwand des Arbeitnehmers für seine Lebensführung am Ort des Haupthausstands im Einzelnen tatsächlich ist.

Deshalb kommt es nicht darauf an, ob die dem Arbeitnehmer zur ausschließlichen Nutzung zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten den bewertungsrechtlichen Anforderungen an eine Wohnung gerecht werden (vgl. Hessisches FG, Urteil vom 19. März 1997 13 K 2384/94, EFG 1998, 32; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 23. Aufl., § 9 Rz. 141).

c) Der eigene Hausstand außerhalb des Beschäftigungsorts muss jedoch für den Arbeitnehmer zugleich Haupthausstand und Lebensmittelpunkt sein. Allein das Vorhalten einer Wohnung für gelegentliche Besuche oder für Ferienaufenthalte ist noch nicht als Unterhalten eines Hausstands i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG zu werten.

Diesem Umstand kommt bei der Beurteilung der doppelten Haushaltsführung nicht verheirateter Arbeitnehmer besondere Bedeutung zu. Indizien hierfür können sich etwa aus einem Vergleich von Größe und Ausstattung der Wohnungen des Arbeitnehmers sowie aus der Dauer und der Häufigkeit der jeweiligen Aufenthalte ergeben; ausschlaggebend ist dabei die Abwägung und Bewertung der Umstände des Einzelfalles (BFH-Urteile in BFHE 175, 430, BStBl II 1995, 180; in BFHE 203, 386, BStBl II 2004, 16, sowie zu den Voraussetzungen im Einzelnen vom 10. Februar 2000 VI R 60/98, BFH/NV 2000, 949; vom 22. Februar 2001 VI R 192/97, BFH/NV 2001, 1111).

3. Die Entscheidung des FG entspricht diesen Grundsätzen. Seine Auffassung, dass der Kläger im Streitjahr in seinem Heimatort den Haupthausstand unterhalten hat, ist nicht zu beanstanden.

a) Das FG hat festgestellt, dass der Kläger in einem mit dem elterlichen Haus nur durch die Grundmauern verbundenen Nachbargebäude wohnte. Es hat weiter festgestellt, dass er diese Wohnung aufgrund der mit seinen Eltern getroffenen Absprachen seit 1987 dauerhaft zu eigenen Wohnzwecken nutzen konnte und dass er seitdem durch monatliche Zahlungen auch die laufenden Kosten dieses Hausstands getragen hat.

b) Unerheblich ist, dass der Kläger sich die Sanitäreinrichtung mit seiner Schwester teilen musste. Denn die ihm von den Eltern überlassenen Räumlichkeiten ermöglichten ihm eine eigenständige Haushaltsführung, ohne dass er dabei als Gast in einen fremden, seiner Einflussnahme nicht unterliegenden Hausstand eingegliedert gewesen wäre.

c) Das FG ist in Übereinstimmung mit den Beteiligten davon ausgegangen, dass sich der Lebensmittelpunkt des Klägers im Streitjahr noch im Heimatort befand. Dafür sprechen auch die regelmäßigen wöchentlichen Heimfahrten des Klägers und die bloß auf einen vorübergehenden Aufenthalt angelegte Anmietung eines Appartements in einem Boardinghaus am neuen Beschäftigungsort.

Ende der Entscheidung

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