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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 26.11.2008
Aktenzeichen: VII B 142/07
Rechtsgebiete: VO Nr. 1430/79, FGO


Vorschriften:

VO Nr. 1430/79 Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1
FGO § 115 Abs. 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt.
FGO § 116 Abs. 3 S. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I.

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) begehrt die Erstattung von Tabaksteuer, die der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt) gegen sie als Hauptverpflichtete im gemeinschaftlichen Versandverfahren festgesetzt hat, weil in diesem Versandverfahren beförderte Zigaretten der zollamtlichen Überwachung entzogen worden sind.

Das Verfahren befindet sich im zweiten Rechtsgang. Die auf Erstattung der Tabaksteuer gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) mit Urteil vom 29. Juli 1998 4 K 3331/93 VTa ab. Auf die Revision der Klägerin hob der beschließende Senat mit Urteil vom 30. August 2005 VII R 1/00 (BFHE 210, 379, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2006, 53) das FG-Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück, nachdem er ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) gerichtet und dieser die ihm gestellten Fragen mit Urteil vom 29. April 2004 C-222/01 (Slg. 2004, I-4683, ZfZ 2004, 228) beantwortet hatte. Der Senat entschied, dass die Klägerin nach vorgenanntem EuGH-Urteil zwar keinen Erstattungsanspruch aus Rechtsgründen habe, dass ihr jedoch ein Erstattungsanspruch aus Billigkeitsgründen nach Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 (VO Nr. 1430/79) des Rates vom 2. Juli 1979 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. 1 175/1) zustehen könnte, weil der Umstand, dass die Zuwiderhandlungen im gemeinschaftlichen Versandverfahren von einem von den Zollbehörden eingesetzten verdeckten Ermittler begangen oder provoziert worden seien, einen besonderen Umstand im Sinne dieser Vorschrift darstelle. Allerdings könne eine offensichtliche Fahrlässigkeit der Klägerin im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Versandverfahren nicht ausgeschlossen werden. Die zur Beurteilung dieser Frage erforderlichen Tatsachenfeststellungen müssten im zweiten Rechtsgang vom FG nachgeholt werden.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gründe des Urteils des beschließenden Senats in BFHE 210, 379, ZfZ 2006, 53 verwiesen.

Das FG wies die Klage auch im zweiten Rechtsgang ab und urteilte, dass die Voraussetzungen für eine Erstattung der Tabaksteuer aus Billigkeitsgründen nicht vorlägen, weil die Klägerin offensichtlich fahrlässig gehandelt habe. Aufgrund ihrer langjährigen Tätigkeit als Zigarettenhersteller sei die Klägerin als eine erfahrene Abgabenschuldnerin anzusehen, der in der Vergangenheit umfangreiche zoll- und verbrauchsteuerrechtliche Bewilligungen erteilt worden seien. Die Klägerin habe die Höhe der auf Zigaretten ruhenden Abgaben und das Abgabenrisiko im Fall einer Nichtgestellung gekannt. Es müsse ihr auch bekannt gewesen sein, dass ab 1992 in Deutschland ein umfangreicher Handel mit unversteuerten Zigaretten stattgefunden habe. In Anbetracht dieser Abgabenrisiken habe die Klägerin bei der Auswahl des Frachtführers nicht mit der erforderlichen Sorgfalt gehandelt, da sie auf dessen Auswahl keinen Einfluss genommen, sondern jeden als Frachtführer akzeptiert und auch keine Sicherungsmaßnahmen zur ordnungsgemäßen Erledigung des Versandverfahrens getroffen habe. Ihr sei nicht einmal bekannt gewesen, mit welchem Beförderungsmittel die Zigaretten befördert worden seien, da sich in ihren Unterlagen nicht die zutreffenden Kennzeichen der für den Transport verwendeten Zugmaschine und des Aufliegers befunden hätten. Weder habe sie Maßnahmen zur Überwachung des Transports ergriffen noch von ihrem Kunden Sicherheiten verlangt. Unter Berücksichtigung der Gestellungspflicht der Klägerin für hoch steuerbare Waren, mit denen Schwarzhandel betrieben werde, stelle die Eröffnung eines Versandverfahrens ohne jede erkennbare Sicherung der Gestellungspflicht ein offensichtlich fahrlässiges Handeln dar. Die offensichtliche Fahrlässigkeit sei der Klägerin vorzuwerfen, denn sie sei das Ergebnis einer fehlerhaften Organisation, in der sich die Klägerin um die Erfüllung der auf der Hand liegenden und gefährdeten Pflichten eines Hauptverpflichteten nicht gekümmert habe.

Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, welche sie auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) stützt.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe z.T. nicht schlüssig dargelegt sind, wie es § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO verlangt, jedenfalls aber nicht vorliegen.

1.

Die in Art. 13 Abs. 1 VO Nr. 1430/79 geregelte Erstattung von Eingangsabgaben aus Billigkeitsgründen setzt neben dem Vorliegen besonderer Umstände, die im Streitfall gegeben sind, voraus, dass der Beteiligte nicht in betrügerischer Absicht oder offensichtlich fahrlässig gehandelt hat. Was unter offensichtlicher Fahrlässigkeit zu verstehen und welche Merkmale insoweit zu prüfen sind, ist durch die Rechtsprechung des EuGH geklärt. Zur Beantwortung der Frage, ob dieser besondere Grad der Fahrlässigkeit im Einzelfall vorliegt, müssen insbesondere die Komplexität der Vorschriften, deren Nichterfüllung die Abgabenschuld begründet, sowie die Erfahrung und die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers berücksichtigt werden (EuGH-Urteil vom 11. November 1999 C-48/98, Slg. 1999, I-7877, ZfZ 2000, 12, Rz 55-58). Dabei sind die im Rahmen des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex für die Prüfung, ob der Irrtum der Zollbehörde einem Wirtschaftsteilnehmer erkennbar war, heranzuziehenden Kriterien entsprechend anzuwenden (EuGH-Urteil vom 13. März 2003 C-156/00, Slg. 2003, I-2527, ZfZ 2003, 189). Zweifellos handelt es sich bei der offensichtlichen Fahrlässigkeit um einen besonderen Grad der Fahrlässigkeit, so dass einfach-fahrlässiges Handeln zwar nicht ausreicht; andererseits ist aber der Begriff der offensichtlichen Fahrlässigkeit so auszulegen, dass die Anzahl der Fälle, in denen erstattet oder erlassen wird, begrenzt bleibt (EuGH-Urteil in Slg. 1999, I-7877, ZfZ 2000, 12, Rz 52).

Die letztgenannte Aussage des EuGH-Urteils spricht bereits eindeutig gegen die von der Beschwerde vertretene Auffassung, dass für offensichtliche Fahrlässigkeit das bewusste In-Kauf-Nehmen eines Fehlers und seiner Folgen zu fordern sei. Auch ist es --anders als die Beschwerde meint-- nicht klärungsbedürftig, ob die offensichtliche Fahrlässigkeit "mit gleichen oder ähnlichen Maßstäben" auszufüllen ist, wie sie "den deutschen Begriff der groben Fahrlässigkeit prägen". Es handelt sich um einen Begriff des Gemeinschaftsrechts, für dessen Ausfüllung nicht ähnliche Begriffe des nationalen Rechts, sondern allein diejenigen durch das vorgenannte EuGH-Urteil bezeichneten Kriterien maßgeblich sind. Im Übrigen zeigt die Beschwerde nicht auf, welche konkrete Bedeutung für den Streitfall die Beantwortung dieser von ihr gestellten Frage in einem Revisionsverfahren hätte.

Von den vorstehend genannten rechtlichen Kriterien des EuGH ist das FG bei seiner Entscheidung ausgegangen. Wenn demgegenüber die Beschwerde meint, dass das FG die offensichtliche Fahrlässigkeit mit dem Fehlen der erforderlichen Sorgfalt gleichgesetzt habe und offenbar jede Fahrlässigkeit für ausreichend halte, rügt sie die falsche Anwendung der rechtlichen Maßstäbe, was jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen kann, weil damit kein Zulassungsgrund gemäß § 115 Abs. 2 FGO dargetan wird. Im Übrigen ist die Rüge aber auch unbegründet. Das FG hat geurteilt, dass sich die Klägerin um die Erfüllung auf der Hand liegender Pflichten eines Hauptverpflichteten nicht gekümmert habe, was zeigt, dass das FG einen gesteigerten Grad der Fahrlässigkeit geprüft und bejaht hat.

2.

Ebenfalls nicht klärungsbedürftig ist die von der Beschwerde bezeichnete Frage, ob die "besonderen Umstände und die zu fordernde Fahrlässigkeit in einem komplementären Verhältnis" stehen müssen. Die Voraussetzung des besonderen Falles sowie das erforderliche Fehlen einer betrügerischen Absicht bzw. offensichtlicher Fahrlässigkeit sind getrennt voneinander zu prüfen. Ob es sich so verhält --wie es die Beschwerde für den Streitfall geltend machen will--, dass die Umstände solcher Art waren, dass der Beteiligte die abgabenrechtlichen Folgen auch bei gesteigerter Sorgfalt nicht hätte vermeiden können, offensichtliche Fahrlässigkeit also zu verneinen ist, ist eine Frage des Einzelfalles, die einer grundsätzlichen Klärung in einem Revisionsverfahren nicht zugänglich ist (vgl. Senatsbeschluss vom 17. August 2007 VII B 1/07, BFH/NV 2008, 123).

3.

In Wahrheit macht die Beschwerde mit diesem und auch mit ihrem übrigen Vorbringen (betreffend die Zustände im Beitrittsgebiet, die unterbliebene Beanstandung der Versandpapiere durch die niederländische Zollverwaltung sowie das üblicher Praxis entsprechende kaufmännische Verhalten auf Seiten der Klägerin) geltend, dass das FG aus den festgestellten Tatsachen unzutreffende Schlüsse gezogen und unter Anlegung zu strenger Anforderungen offensichtliche Fahrlässigkeit auf Seiten der Klägerin bejaht habe, obwohl deren Versäumnisse bei der Anmeldung und Durchführung des Versandverfahrens nur als einfache Fahrlässigkeit anzusehen seien. Damit wendet sich die Beschwerde aber allein gegen die materielle Richtigkeit der Entscheidung des FG, was nicht zur Zulassung der Revision führen kann, weil damit kein Zulassungsgrund gemäß § 115 Abs. 2 FGO dargetan wird (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4. Juli 2002 IX B 169/01, BFH/NV 2002, 1476, m.w.N.).

4.

Der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) in Gestalt der Divergenz ist nicht schlüssig dargelegt, denn die Beschwerde bezeichnet keinen Rechtssatz aus Entscheidungen des BFH oder des EuGH, von denen ein die FG-Entscheidung tragender Rechtssatz abweicht. Sie macht --wie ausgeführt-- nur geltend, dass das FG die hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der offensichtlichen Fahrlässigkeit zu berücksichtigenden Kriterien nicht richtig angewandt und die Tatsachen unzutreffend gewürdigt habe.

Ende der Entscheidung

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