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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 13.11.2008
Aktenzeichen: VII B 192/07
Rechtsgebiete: FGO, GVG, GG


Vorschriften:

FGO § 52 Abs. 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
FGO § 116 Abs. 3 S. 3
GVG § 192
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I.

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) war Alleingesellschafterin einer GmbH, die mit Kraftfahrzeugen handelte. Geschäftsführer der GmbH war der Ehemann der Klägerin. Unter Einschaltung eines Zwischenhändlers, der gegenüber der GmbH Scheinrechnungen ausstellte, kaufte der Ehemann der Klägerin von Privatpersonen Fahrzeuge an und machte gegenüber dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) unberechtigterweise Vorsteuerbeträge geltend. Wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung und versuchter Steuerhinterziehung wurde die Klägerin rechtskräftig verurteilt. Nach Ergehen des Strafurteils nahm das FA die Klägerin gemäß § 71 der Abgabenordnung als Haftungsschuldnerin in Anspruch. Der Einspruch führte zu einer Reduzierung der Haftungssumme. Die Klage hatte keinen Erfolg.

Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zu rügen sei die fehlerhafte Besetzung des FG. Ausweislich des Geschäftsverteilungsplans habe der Vorsitzende Richter am Finanzgericht (FG) L den Vorsitz führen müssen. Tatsächlich habe jedoch dessen Stellvertreter Richter am FG R in den mündlichen Verhandlungen den Vorsitz geführt. Selbst wenn ein Verhinderungsfall vorgelegen haben sollte, hätte der Richter am FG O und nicht Richter am FG S als Beisitzer an den mündlichen Verhandlungen teilnehmen müssen. Dies ergebe sich aus den Regelungen des Geschäftsverteilungsplans über die Beschlussunfähigkeit eines Senats. Das FG-Urteil beruhe somit auf einem Verfahrensfehler i.S. von § 119 Nr. 1 FGO. Darüber hinaus habe es die kurze Beratungszeit von weniger als zehn Minuten den Senatsmitgliedern nicht erlaubt, an der getroffenen Entscheidung mitzuwirken. Dies stelle einen Verstoß gegen § 192 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) dar. Hinsichtlich der Feststellung des FG, dass sie, die Klägerin in der Buchführung der GmbH tätig gewesen sei, habe das FG den entscheidungserheblichen Sachverhalt unzureichend aufgeklärt, den Gehörsanspruch verletzt, die Grundsätze eines fairen Verfahrens missachtet sowie eine Wahrunterstellung widersprüchlich behandelt. In der mündlichen Verhandlung sei dem FG das Kassenbuch der GmbH mit dem Antrag übergeben worden, den Zeugen G zu vernehmen sowie ein Gutachten eines Schriftsachverständigen zum Beweis dafür einzuholen, dass die Eintragungen im Kassenbuch ausschließlich durch den Zeugen G vorgenommen worden seien. Über diesen Beweisantrag sei vom FG nicht entschieden worden. Auf die in der Urteilsbegründung festgestellte Unvollständigkeit des Kassenbuchs hätte das FG hinweisen müssen. Keinesfalls hätte das FG aus der Unvollständigkeit den Schluss ziehen dürfen, dass es sich lediglich um eine für den Steuerberater der GmbH gefertigte Buchhaltung gehandelt habe. Durch seine Unterstellung, dass der Zeuge G das vorgelegte Kassenbuch geschrieben habe, habe das FG den Beweisantrag nicht erschöpfend behandelt.

Verfahrensfehlerhaft habe es das FG unterlassen, den Verfasser eines Schreibens einer Rechtsanwaltskanzlei zu vernehmen, in dem ausgeführt worden sei, dass zu dem Aufgabenbereich der Klägerin auch das Führen des Kassenbuchs gehörte. Im Hinblick auf ihre Einlassung in der mündlichen Verhandlung habe sich dem FG aufdrängen müssen, dass der Inhalt des Schreibens nicht habe stimmen können. Entgegen der Ansicht des FG hätten dem Akteninhalt konkrete Anhaltspunkte für die Schaffung eines die Verwirkung des Haftungsanspruchs begründenden Vertrauenstatbestandes entnommen werden können. In einem bei den Akten befindlichen Schreiben habe das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung X u.a. ausgeführt, dass von der Klägerin nie eine falsche Steuererklärung unterschrieben worden sei, und dass das Wissen um den Betrug zur Inanspruchnahme im Haftungswege nicht ausreiche.

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten. Es ist der Auffassung, dass das Gericht ordnungsgemäß besetzt gewesen sei. Der Vorsitzende Richter am FG L sei wegen eines Kuraufenthalts an der Übernahme des Vorsitzes gehindert gewesen. Die Besetzung des Senats habe den Präsidiums-Beschlüssen entsprochen. Allenfalls liege bei der Aktualisierung des Geschäftsverteilungsplans eine redaktionelle Unterlassung vor.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die gerügten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zum Teil nicht, wie es § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erfordert, schlüssig dargelegt sind, jedenfalls aber nicht vorliegen.

1.

Soweit die Klägerin in ihrer Beschwerde ohne nähere Konkretisierung ausführt, "ein Grund, weshalb der Vorsitzende Richter am FG L nicht den Vorsitz in dem Rechtsstreit innehatte, ist nicht gegeben", genügt dieses Vorbringen nicht den Darlegungserfordernissen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) wird durch das nicht substantiierte Vorbringen, ein Mitglied des erkennenden Gerichts habe sich ohne hinreichenden Hinderungsgrund vertreten lassen, keine Tatsache bezeichnet, die den Mangel der vorschriftswidrigen Besetzung ergibt (BFH-Beschluss vom 5. März 1970 V R 135/68, BFHE 98, 239, BStBl II 1970, 384).

2.

Hinsichtlich der Mitwirkung des Richters am FG S liegt die behauptete vorschriftwidrige Besetzung nicht vor. Ausweislich des Geschäftsverteilungsplans (III. Vertretung) treten bei Beschlussunfähigkeit eines Senats der Hauptstelle des Gerichts die beisitzenden Richter des Senats der Hauptstelle mit der nächstniedrigeren Ordnungszahl als Vertreter ein. Entsprechendes gilt bei Beschlussunfähigkeit eines Senats der Nebenstelle. Da es sich bei dem mit dem Streitfall befassten 14. Senat um einen Senat der Nebenstelle handelt, wird die Vertretung durch Angehörige des Senats der Nebenstelle mit der nächstniedrigeren Ordnungszahl wahrgenommen. Dies ist der 12. Senat. Nach dem Geschäftsverteilungsplan treten innerhalb des zur Vertretung berufenen Senats die beisitzenden Richter in der Reihenfolge als Vertreter ein, in der sie im Geschäftsverteilungsplan aufgeführt sind, beginnend mit dem letzten.

Im Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 2007 wird der Richter am FG S zwar als zweitletzter Richter und der Richter am FG O als letzter Richter aufgeführt, doch ergibt sich aus der Niederschrift zur Sitzung des Präsidiums am 29. April 2005, dass Richter O mit sofortiger Wirkung den stellvertretenden Vorsitz im 12. Senat übernommen hat. Durch diese Umbesetzung war er somit von einer Vertretung im Streitfall ausgeschlossen. Wie der Beschluss über die interne Geschäftsverteilung des 12. Senats vom 1. Januar 2007 --insbesondere der Vertretungsregelung-- zutreffend wiedergibt, ist Richter am FG O mit der Übernahme der Funktion des stellvertretenden Vorsitzenden in die Position des ersten Beisitzers gerückt.

Der vom FG vorgenommenen Vertretungsregelung liegt ein durchgängiges System zugrunde, das sich erkennbar im Geschäftsverteilungsplan fortsetzt. Entgegen der Auffassung der Klägerin wird damit nicht allein die Funktion des Richters zum Kriterium für die Festlegung der Vertretungsbefugnis bestimmt. Entscheidend bleibt nach wie vor die im Geschäftsverteilungsplan ausgewiesene Reihenfolge.

Der im 12. Senat vollzogene Wechsel in der Position des stellvertretenden Vorsitzenden wurde allerdings im gedruckten Geschäftsverteilungsplan das FG zunächst nicht nachvollzogen. Dieses redaktionelle Versäumnis vermag indes nicht zu einem Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes zu führen. Durch Auslegung des Geschäftsverteilungsplans und der hierzu gefassten Beschlüsse ließ sich im Streitfall --wie der senatsinterne Geschäftsverteilungsplan zeigt-- die Besetzung des zur Entscheidung berufenen Senats mit hinreichender Gewissheit im Voraus bestimmen. Die an die Bestimmtheit und Eindeutigkeit der Geschäftsverteilung zu stellenden Anforderungen waren damit erfüllt. Mängel bei der Auslegung und Anwendung des Geschäftsverteilungsplans können im Übrigen nur dann zu einer verfassungswidrigen Umsetzung führen, wenn die Anwendung auf unvertretbaren, mithin sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (Beermann in Beermann/Gosch, FGO § 119 Rz 16.3). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt.

3.

Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin liegt ein Verstoß gegen § 52 Abs. 1 FGO i.V.m. § 192 GVG nicht vor. Gemäß § 192 Abs. 1 GVG dürfen bei Entscheidungen Richter nur in der gesetzlich bestimmten Anzahl mitwirken. Gemäß § 5 Abs. 3 FGO entscheiden die Senate des FG in der Besetzung von drei Richtern und zwei ehrenamtlichen Richtern, soweit der Rechtsstreit nicht auf einen Einzelrichter übertragen worden ist. Wie sich aus dem Sitzungsprotokoll ergibt, haben an dem erstinstanzlichen Urteil drei Richter und zwei ehrenamtliche Richter mitgewirkt. Somit war das FG im Streitfall vorschriftsmäßig besetzt. Das Vorbringen der Klägerin, dass aufgrund der kurzen Beratungszeit von einer Mitwirkung der Senatsmitglieder i.S. von § 192 GVG nicht ausgegangen werden könne, vermag einen Verstoß gegen diese Vorschrift, die sicherstellen soll, dass die gesetzliche Anzahl der vorgeschriebenen Richter weder über- noch unterschritten wird, nicht zu belegen. Anforderungen an die Mindestdauer einer Beratung sind § 192 GVG nicht zu entnehmen.

4.

Das FG hat den Antrag auf Vernehmung des Zeugen G und Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht verfahrensfehlerhaft übergangen. Aus der Sicht des FG musste es diesem Antrag deshalb nicht nachgehen, weil es die Beweistatsache, dass das Kassenbuch von G, dem Ehemann der Klägerin, geschrieben worden ist, als wahr unterstellt hat. Die Vollständigkeit des Kassenbuchs hat die Klägerin mit ihren Anträgen, die lediglich auf die Urheberschaft abzielten, nicht unter Beweis gestellt. Da sich die Urkunde vor der Übergabe an das FG im Besitz der Klägerin befand, konnte das FG auch davon ausgehen, dass die Klägerin den Inhalt des Kassenbuchs zur Kenntnis genommen hatte. Eines Hinweises des FG in Bezug auf die Überprüfung des Buchs auf Vollständigkeit bedurfte es nicht. Denn die Klägerin hätte auch ohne einen entsprechenden Hinweis des Gerichts damit rechnen müssen, dass das FG den Inhalt des Kassenbuchs in jeder Hinsicht prüfen würde. Ihr etwaiges Versäumnis, den Inhalt des Kassenbuchs nicht selbst vor dessen Einführung als Beweismittel genau überprüft zu haben, kann sie nicht dem FG anlasten. Einen Verfahrensmangel vermag der Senat in der Vorgehensweise des Gerichts jedenfalls nicht zu erkennen.

Im Übrigen ist das Gericht nicht dazu verpflichtet, vor seiner Entscheidungsfindung seine Rechtsansicht mündlich oder schriftlich mitzuteilen bzw. die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte und Rechtsfragen im Voraus anzudeuten oder sogar umfassend zu erörtern (BFH-Beschlüsse vom 5. April 2006 I B 84/05, BFH/NV 2006, 1497, und vom 10. August 2005 VIII B 344/04, BFH/NV 2006, 78, m.w.N., sowie Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juli 1997 1 BvR 1934/93, BVerfGE 96, 189, Neue Juristische Wochenschrift 1997, 2305). Einen fachkundig vertretenen Prozessbeteiligten braucht es auf naheliegende rechtliche und tatsächliche Gesichtspunkte nicht hinzuweisen (BFH-Entscheidung vom 20. August 1998 XI B 110/95, BFH/NV 1999, 329).

5.

Soweit sich die Beschwerde dagegen wendet, dass das FG den Inhalt eines Schreibens eines früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin wörtlich genommen hat, aus dem hervorgeht, dass sich ihr Tätigkeitsbereich auch auf das Führen des Kassenbuchs erstreckte, rügt sie im Kern ihres Vorbringens die fehlerhafte Beweiswürdigung, die dem materiellen Recht zuzuordnen ist. Im Übrigen wird der behauptete Verfahrensmangel durch diesen Vortrag auch nicht belegt. Die Beschwerde vermag nicht schlüssig und überzeugend darzulegen, warum das FG an dem Inhalt des Schreibens derart stark hätte zweifeln sollen, dass sich ihm das Erfordernis der Vernehmung des Verfassers dieses Schreibens hätte aufdrängen müssen.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Klägerin ausweislich des Sitzungsprotokolls einen diesbezüglichen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt und damit ihr Rügerecht verloren hat. Da der im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz eine Verfahrensvorschrift ist, auf deren Einhaltung ein Beteiligter ausdrücklich oder durch Unterlassen einer rüge verzichten kann (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung), hat die Unterlassung der rechtzeitigen Rüge den endgültigen Rügeverlust --z.B. auch zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde-- zur Folge. Das Übergehen eines Beweisantrages oder einer unvollständigen Zeugeneinvernahme kann deshalb im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht mehr mit der Verfahrensrüge angegriffen werden, wenn der in der maßgeblichen Verhandlung selbst anwesende oder fachkundig vertretene Beteiligte, dem die Nichtbefolgung eines Beweisantrages oder die mangelhafte Sachaufklärung erkennbar war, den Verfahrensverstoß nicht gerügt und damit auf die Wahrnehmung seiner Rechte verzichtet hat (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Dezember 1999 VII B 183/99, BFH/NV 2000, 597). Dem kann die Klägerin nicht entgegenhalten, dass sie den Beweisantrag nicht habe stellen können, weil sie nicht habe wissen können, dass das FG die vorgelegten Buchführungsunterlagen als nicht vollständig ansehen würde. Denn die Frage ihrer Mitwirkung bei der Führung der Bücher war das zentrale Thema des Verfahrens. Sie hätte deshalb --zumindest vorsorglich-- dem insoweit gegen ihr Vorbringen sprechenden Schreiben des Bevollmächtigten entgegentreten und Beweis anbieten müssen.

6.

Auch mit ihrem Vorbringen hinsichtlich der behaupteten Verwirkung des Haftungsanspruchs wendet sich die Klägerin gegen die vermeintlich fehlerhafte Beweiswürdigung des FG. Der Auffassung des FG, dass Anhaltspunkte für die Annahme einer Verwirkung nicht zu erkennen seien, setzt die Klägerin ihre eigene Meinung entgegen, nach der sich ein solcher Anhaltspunkt in einem bei den Akten befindlichen Schreiben finden lasse. Die Beschwerde legt außerdem nicht schlüssig dar, warum das FG aufgrund einer behördeninternen Einschätzung des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung X, nach der das Wissen um den Tatbestand des Vorsteuerbetrugs zur Inanspruchnahme im Haftungswege nicht ausreiche, zu dem Schluss hätte kommen müssen, dass die Finanzbehörde einen Vertrauenstatbestand geschaffen habe. Denn das Schreiben war nicht für die Klägerin bestimmt gewesen. Erst durch Einsichtnahme in die Akten im Rahmen eines Strafverfahrens hat sich die Klägerin von diesem Schreiben selbst Kenntnis verschafft. In Anbetracht dieser Umstände ist der Vortrag der Klägerin, dass das FG verfahrensfehlerhaft eine entscheidungserhebliche Tatsache nicht zur Kenntnis genommen hat, nicht schlüssig.

Ende der Entscheidung

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