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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 11.02.2003
Aktenzeichen: VII B 212/02
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 118 Abs. 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) führte im Februar und März 1996 Rettungsdecken aus Kunststoff aus der Volksrepublik China ein und meldete diese unter der Unterpos. 3005 90 99 der Kombinierten Nomenklatur (KN) zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr an. Bei den Rettungsdecken handelt es sich um 0,2 mm dicke Folien unterschiedlicher Größen aus Polyethylenterephthalat, die entweder beidseitig mit einer Aluminiumschicht oder jeweils einseitig mit einer Aluminium- und einer Lackschicht überzogen sind. Die in Plastiktüten einzeln verpackten Rettungsdecken sind zum Einsatz bei der Versorgung von Unfallopfern bestimmt, die darin eingewickelt werden, damit der Körper nicht auskühlt.

Im Anschluss an eine Außenprüfung kam das Hauptzollamt, dessen Zuständigkeit zwischenzeitlich auf den Beklagten und Beschwerdegegner (Hauptzollamt --HZA--) übergegangen ist, zu dem Ergebnis, dass die Rettungsdecken in die Unterpos. 3920 62 10 KN als Folien aus Polyethylenterephthalat einzureihen seien. Dementsprechend forderte das Hauptzollamt mit Steueränderungsbescheid vom 29. Januar 1999 ... DM Zoll von der Klägerin nach.

Nach erfolglosem Einspruch (Einspruchsentscheidung vom 3. Januar 2000) erhob die Klägerin Klage vor dem Finanzgericht (FG). Das FG wies die Klage ab und führte dazu im Wesentlichen aus, die Rettungsdecken seien in die Unterpos. 3920 62 10 KN einzureihen. Eine Einreihung in die Pos. 3005 KN scheide aus. Die Pos. 3005 KN erfasse Verbandmaterial, das bei Verletzungen oder Erkrankungen direkt auf die verletzte oder erkrankte Stelle des Körpers aufgebracht werde, das diesen Teil des Körpers vor weiteren äußeren Einwirkungen schütze oder verletzte Knochen oder Gelenke in einer Ruhestellung halte und damit zu einer Schmerzlinderung oder einer Unterstützung des Heilungsprozesses beitrage. Solchen Zwecken dienten die Rettungsdecken nicht. Mit ihrer Hilfe würden vielmehr Unfallopfer vor Auskühlung bewahrt, ohne dass hierbei verletzte oder erkrankte Körperstellen versorgt würden. Die Rettungsdecken könnten zwar besonders bei Unfallopfern geeignet sein, die Brandverletzungen erlitten hätten. Dennoch werde die Brandverletzung mit der Rettungsdecke nicht verbunden, behandelt oder sonst versorgt. Die Rettungsdecke diene auch hier dem Schutz vor Auskühlung, den es beispielsweise nicht bedürfe, wenn sich die verletzte Person in einer warmen Umgebung befinde.

Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin. Sie trägt vor, der Rechtsfrage, ob Waren in Aufmachung für den Einzelverkauf zu medizinischen Zwecken auch dann mit Watte, Gaze und Binden vergleichbar seien, wenn sie der Verhinderung einer weiteren Verschmutzung von Wunden oder einer medizinisch unerwünschten Verschlechterung des Zustands einer verletzten Person --etwa durch Auskühlung-- dienen würden, komme grundsätzliche Bedeutung zu. Entgegen der vom FG vertretenen Auffassung könne es für die Einreihung einer Ware in die Pos. 3005 KN nicht darauf ankommen, ob diese direkt auf die verletzte oder erkrankte Stelle des Körpers aufgebracht werde. Denn auch die ausdrücklich in Pos. 3005 KN genannten Waren, wie Watte, Binden und Pflaster, würden nicht direkt auf Wunden aufgebracht. Entscheidend sei, dass die Ware medizinischen Zwecken diene. Die Rettungsdecken würden bei Brandverletzungen vergleichbar einem Verband auch dem Zweck dienen, weitere Verschmutzungen der Brandwunden zu verhindern. Des Weiteren sei die insbesondere bei Brandverletzungen auftretende Auskühlung des Körpers mit der Bedrohung durch einen Blutverlust zu vergleichen.

Die von ihr formulierte Rechtsfrage betreffe eine Vielzahl von Einführern und Einfuhren, weil Rettungsdecken nach den einschlägigen DIN-Normen in Kraftfahrzeug- und Betriebsverbandskästen vorzuhalten seien. Ferner handele es sich bei dem vorliegenden Rechtsstreit um einen Musterprozess für eine große Anzahl von Steueränderungsbescheiden. Darüber hinaus sei die von ihr angestrebte Klärung in einem Revisionsverfahren geeignet, Rechtssicherheit bei der Auslegung der Pos. 3005 KN zu schaffen. Die vom FG vorgenommene Auslegung der Pos. 3005 KN sei nicht mit der Einreihung von Dreieckstüchern durch die deutsche und schwedische Zollverwaltung zu vereinbaren. Dreieckstücher würden weder direkt auf Wunden aufgebracht noch zur Stabilisierung von Knochenbrüchen oder Gelenken eingesetzt. Dreieckstücher würden vielmehr verwendet, um einen mit einem Verband bereits stabilisierten Arm bequemer halten zu können. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sowie zur Vermeidung der Verlagerung von Einfuhren von Rettungsdecken und Dreieckstüchern innerhalb der Gemeinschaft sei es geboten, eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) einzuholen.

Das HZA ist der Beschwerde entgegengetreten.

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor, weil der Rechtssache die von der Klägerin geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) nicht zukommt und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO).

Es kann dahinstehen, ob die Klägerin die von ihr behauptete grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in der erforderlichen Weise dargelegt hat (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Die von ihr formulierte Rechtsfrage ist jedenfalls nicht klärungsbedürftig bzw. nicht klärungsfähig.

Die von der Klägerin aufgeworfene Tarifierungsfrage ist nach Auffassung des Senats nicht klärungsbedürftig, weil sie eindeutig so zu entscheiden ist, wie es das FG in dem angefochtenen Urteil getan hat. Der Vortrag der Klägerin ist nicht geeignet, hieran Zweifel zu erwecken.

a) Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, dass von der Pos. 3005 KN neben den dort ausdrücklich genannten Waren ("Watte, Gaze, Binden... Verbandzeug, Pflaster zum Heilgebrauch und Senfpflaster") nur solche Erzeugnisse erfasst werden, die nach ihrer Funktion mit derartigen Waren verglichen werden können. Dies ergibt sich unzweifelhaft aus dem Begriff "dergleichen" in der deutschen Fassung der Pos. 3005 KN. In der französischen Fassung der Pos. 3005 KN wird insoweit der Begriff "articles analogues" und in der englischen Fassung der Pos. 3005 KN der Begriff "similar articles" verwendet. Es ist durch die Rechtsprechung des EuGH geklärt, dass die Gleichartigkeit der in der Pos. 3005 KN genannten Waren in ihrer Funktion zu sehen ist, nämlich eine Wunde zu bedecken oder zu schützen, um deren Heilung zu erleichtern oder zu beschleunigen (vgl. EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 37/82 --Bevrachtingskantoor--, EuGHE 1982, 3481 Rdnr. 8 --zu der Vorgängerregelung der Tarifnummer 30.04 des Gemeinsamen Zolltarifs--). Nichts anderes folgt aus den Erläuterungen zum Harmonisierten System (ErlHS), die ein wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen darstellen (vgl. etwa die EuGH-Urteile vom 19. Mai 1994 Rs. C-11/93 --Siemens Nixdorf--, EuGHE 1994, I-1945 Rdnr. 11 und 12; vom 9. Dezember 1997 Rs. C-143/96 --Knubben--, EuGHE 1997, I-7039 Rdnr. 14). Nach den ErlHS zu Pos. 3005 KN Rz. 01.0 bis Rz. 06.0 gehören zur Pos. 3005 KN neben den Waren wie Watte, Gaze, Binden auch andere Arten von Verbänden. Diesen Waren ist ihr Zweck gemeinsam, eine Wunde zu bedecken oder zu schützen, um deren Heilung zu erleichtern oder zu beschleunigen.

b) Anders als die Klägerin meint, kommt es daher nicht allein auf die abstrakte Verwendung zu medizinischen Zwecken an. Für die Einreihung einer Ware in die Pos. 3005 KN ist vielmehr erforderlich, dass sie nach ihrer Funktion mit den dort ausdrücklich aufgeführten Waren verglichen werden kann. Dies ist jedoch auch nach Ansicht des Senats hinsichtlich der Rettungsdecken nicht der Fall. Wie das FG für den Senat bindend festgestellt hat (§ 118 Abs. 2 FGO), dienen die von der Klägerin eingeführten Rettungsdecken dazu, Unfallopfer darin einzuwickeln, damit deren Körper nicht auskühlt. Eine derartige, einem Verband noch nicht einmal ähnliche Funktion ist nicht geeignet, die erforderliche Gleichartigkeit mit den in der Pos. 3005 KN ausdrücklich genannten Waren zu begründen.

c) Soweit die Klägerin behauptet, die Rettungsdecken würden bei Brandverletzungen ähnlich einem Verband auch dazu dienen, eine weitere Verschmutzung der Brandwunden zu verhindern, wäre die in diese Richtung von ihr formulierte Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Da der BFH als Revisionsgericht grundsätzlich an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), können Rechtsfragen, die sich nur stellen können, wenn von einem anderen als dem vom FG festgestellten Sachverhalt ausgegangen wird, in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 15. Juni 2000 IX B 5/00, BFH/NV 2000, 1238, 1239; vom 9. Oktober 2001 VIII B 30/01, BFH/NV 2002, 191). Nach den vom FG in seinem Urteil getroffenen und von der Klägerin nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen dienen die von ihr eingeführten Rettungsdecken dem Schutz von Unfallopfern vor einem Auskühlen ihres Körpers und nicht dazu, weitere Verschmutzungen von Brandwunden zu verhindern. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Ausführungen des FG, die sich auf den Vortrag der Klägerin zum Einsatz der Rettungsdecken bei Brandverletzungen beziehen. Das FG ist dem Vortrag der Klägerin zwar insoweit gefolgt, als sich die Rettungsdecken besonders für den Einsatz bei Brandverletzungen eignen könnten, weil sie sich bei einem Kontakt mit der verbrannten Haut nicht mit dieser verbinden würden. Gleichwohl ist das FG nach den von ihm getroffenen Feststellungen davon ausgegangen, dass die Rettungsdecken auch hier dem Schutz vor Auskühlung dienen.

Unbeschadet dessen kann für die Einreihung einer Ware in die Pos. 3005 KN nicht entscheidend sein, welche medizinisch erwünschten Nebenfolgen ihr Einsatz hat. Allein die medizinische Zweckbestimmung reicht nach dem Wortlaut der Pos. 3005 KN nicht aus. Maßgeblich kann vielmehr nur sein, ob die Ware vergleichbar dem in der Pos. 3005 KN genannten Verbandzeug in erster Linie dazu bestimmt ist, eine Wunde zu bedecken oder zu schützen, um deren Heilung zu erleichtern oder zu beschleunigen (vgl. EuGH-Urteil in EuGHE 1982, 3481 Rdnr. 8). Dies ist bei den von der Klägerin eingeführten Rettungsdecken indessen nicht der Fall, weil sie als solche dem Schutz von Unfallopfern vor Auskühlung dienen.

Entsprechendes gilt für die Behauptung der Klägerin, die bei Brandverletzungen auftretende Auskühlung des Körpers sei mit der Bedrohung durch einen Blutverlust zu vergleichen. Dies ist vom FG nicht festgestellt worden. Darüber hinaus kann das Einwickeln eines Unfallopfers in eine Rettungsdecke nicht mit dem Anbringen eines einen weiteren Blutverlust verhindernden Verbands gleichgesetzt werden. Die Klägerin behauptet selbst nicht, dass die Rettungsdecken dazu dienen, blutende Wunden zu bedecken und hierdurch einen weiteren Blutverlust zu vermeiden.

d) Die Frage der zutreffenden Einreihung von Dreieckstüchern wäre in einem Revisionsverfahren gleichfalls nicht klärungsfähig. Insbesondere kann offen bleiben, ob derartige Waren der Pos. 3005 KN zuzuweisen sind. In einem Revisionsverfahren könnte es nur um die Einreihung der Rettungsdecken gehen, weil nur deshalb Zoll von der Klägerin mit dem angefochtenen Steueränderungsbescheid vom 29. Januar 1999 nachgefordert worden ist. Die von der Klägerin eingeführten Rettungsdecken können zudem nach ihrer Funktionsweise nicht mit den von ihr beschriebenen Dreieckstüchern verglichen werden. Während die Rettungsdecken nach den vom FG getroffenen Feststellungen dem Schutz von Unfallopfern vor einem Auskühlen ihres Körpers dienen, sollen die Dreieckstücher dazu eingesetzt werden, das Halten eines mit einem Verband bereits stabilisierten Armes zu erleichtern. Hierbei handelt es sich um völlig verschiedenartige Verwendungszwecke.

e) Die Revision ist schließlich nicht zuzulassen, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordern würde (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO). Die Zulassung der Revision kommt hiernach u.a. bei einer Abweichung der Vorentscheidung von einer Entscheidung des EuGH oder des BFH in Betracht (vgl. Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 115 FGO Rz. 190; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 49). Dies ist von der Klägerin nicht dargetan worden. Auf die zutreffende Einreihung von Dreieckstüchern kann es hier --wie dargelegt-- nicht ankommen.

Das Urteil des FG weicht im Übrigen auch nicht von den Grundsätzen des EuGH-Urteils in EuGHE 1982, 3481 Rdnr. 8 ab. Soweit das FG ausgeführt hat, die Pos. 3005 KN erfasse Verbandmaterial, das bei Verletzungen oder Erkrankungen direkt auf die verletzte oder erkrankte Stelle des Körpers aufgebracht werde, das diesen Teil des Körpers vor weiteren äußeren Einwirkungen schütze oder verletzte Knochen oder Gelenke in einer Ruhestellung halte und damit zu einer Schmerzlinderung oder einer Unterstützung des Heilungsprozesses beitrage, handelt es sich hierbei ersichtlich um eine alternative Aufzählung der Beschaffenheitsmerkmale von Waren i.S. der Pos. 3005 KN ("oder"). Im Kern entspricht dies der vom EuGH in seinem Urteil in EuGHE 1982, 3481 Rdnr. 8 entwickelten Begriffsbestimmung.

Insgesamt ist es der Klägerin damit nicht gelungen, Zweifel an der vorgenommenen Einreihung der Rettungsdecken in die Unterpos. 3920 62 10 KN zu erwecken. Damit ist die aufgeworfene Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig; ihr kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. In einem künftigen Revisionsverfahren träfe den Senat daher auch keine Verpflichtung, die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung gemäß Art. 234 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vorzulegen (vgl. EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81 --C.I.L.F.I.T.--, EuGHE 1982, 3415 Rdnr. 16).

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