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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 08.12.1998
Aktenzeichen: VII B 227/98
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO, ZPO


Vorschriften:

AO 1977 § 90
AO 1977 § 93
AO 1977 § 97
FGO § 128 Abs. 1
FGO § 51 Abs. 1 Satz 1
FGO § 79 Abs. 1
FGO § 76 Abs. 1u. 2
FGO § 77 Abs. 1 Satz 2
ZPO § 42 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) ist vom Beklagten, Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) auf Haftung für Umsatzsteuer in Anspruch genommen worden. In dem deswegen anhängigen Klageverfahren wird u.a. darum gestritten, ob der Kläger, der Geschäftsführer der Steuerschuldnerin gewesen ist, den Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger beachtet hat. Das FA vertritt in diesem Zusammenhang die Auffassung, der Kläger habe seine Mitwirkungspflichten aus § 90 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht erfüllt; denn er habe keine Angaben gemacht, die die Ermittlung einer Haftungsquote ermöglicht hätten. Dem ist der Kläger entgegengetreten; er hat sich ferner dagegen gewandt, daß das FA die Auffassung vertrete, der Haftungsschuldner sei verpflichtet, seine Haftungsverbindlichkeit selbst zu ermitteln. Er hat das Finanzgericht (FG) um einen Hinweisbeschluß gebeten, sollte dieses die Auffassung des FA insoweit teilen.

Auf dieses Schreiben hat ihm der Berichterstatter beim FG folgendes mitgeteilt:

"In der Sache ... teilt der Berichterstatter die Ansicht des Beklagten. Der Kläger ist nach §§ 90, 93 und 97 AO verpflichtet, die zur Berechnung der Haftungsquote erforderlichen Angaben zu machen. Der Kläger wird deshalb aufgefordert, zu folgenden Fragen Stellung zu nehmen: ... ".

Der hierauf vom Kläger gegen den Berichterstatter, Richter am FG Sch, gestellte Befangenheitsantrag ist vom FG abgelehnt worden, nachdem sich Sch dienstlich dahin geäußert hatte, sein Schreiben an den Kläger sei keinesfalls als Ausdruck der Befangenheit dem Kläger gegenüber zu werten; vielmehr handele es sich um eine im Rahmen der Prozeßleitungsfunktion nach § 79 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geäußerte rechtliche Beurteilung des Berichterstatters, welche die Erfolgsaussicht der Klage nicht abschließend bewerte.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Klägers, die darauf gestützt wird, Sch habe in seinem Schreiben an den Kläger ohne jede Einschränkung die Rechtsauffassung des FA bestätigt und keine Hinweise darauf gegeben, daß dies eine vorläufige Rechtsmeinung sei.

Die zulässige Beschwerde (§ 128 Abs. 1 FGO) ist nicht begründet.

Der Ablehnungsgrund der Besorgnis der Befangenheit (§ 51 Abs. 1 Satz 1 FGO, § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung --ZPO--) ist gegeben, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen in die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen, ein Beteiligter also bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde (st. Rspr. des Bundesfinanzhofs --BFH--, u.a. Beschluß vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, 155, BStBl II 1985, 555).

Meinungsäußerungen eines Richters sprechen hingegen nicht gegen dessen Unvoreingenommenheit und Objektivität (BFH-Beschlüsse vom 5. März 1971 VI B 64/70, BFHE 102, 10, 13, BStBl II 1971, 527; vom 30. Juni 1989 VIII B 86/88, BFH/NV 1990, 175, und vom 22. Dezember 1989 VIII B 134/88, BFH/NV 1990, 713, 714). Es können also keine zureichenden Ablehnungsgründe darin gesehen werden, daß sich ein Richter vor Abschluß des Verfahrens eine vorläufige Meinung über die Sach- und Rechtslage gebildet hat und daß er diese kundtut. Ihm dies verwehren zu wollen, verbietet sich schon deshalb, weil der Vorsitzende bzw. der von ihm bestimmte Richter schon vor der mündlichen Verhandlung die Anordnungen treffen muß, die notwendig sind, um den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung erledigen zu können (§ 79 Abs. 1 FGO). Um solche insbesondere in § 76 Abs. 1 und 2, § 77 Abs. 1 Satz 2 FGO im einzelnen bezeichneten Maßnahmen ergreifen zu können, ist der Richter gewöhnlich dazu gezwungen, sich eine Meinung über die Rechtslage zu bilden; anderenfalls wäre er nicht in der Lage, z.B. auf die Abgabe vollständiger Erklärungen über tatsächliche Umstände (§ 76 Abs. 1 und 2 FGO) hinzuwirken (vgl. BFH-Beschluß in BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555). Deshalb läßt sich ein Ablehnungsgrund im allgemeinen nicht daraus herleiten, daß der Richter entsprechende Anordnungen trifft und dabei unter Umständen seine solchen Anordnungen zugrundeliegende (vorläufige) Würdigung der Sach- und Rechtslage erläutert.

Besorgnis der Befangenheit kann sich allenfalls aus der Art und Weise ergeben, wie ein Richter seine (vorläufige) Meinung, die er sich abschließend erst aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens bilden darf, vorträgt. Grund zur Besorgnis der Befangenheit kann bestehen, wenn der Richter in ungewöhnlicher, nach der Prozeßlage nicht verständlicher Weise subjektive Gewißheit erkennen läßt, so daß die Beteiligten Anlaß haben können zu befürchten, er ziehe nicht mehr in Betracht, die Sach- oder Rechtslage könne anders sein als er annimmt, und er sei dementsprechend diesbezüglichen Argumenten der Beteiligten gegenüber nicht mehr aufgeschlossen und unvoreingenommen (vgl. BFH-Beschluß in BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555).

Um keine Besorgnis der Befangenheit des Richters zu begründen, bedarf es aber bei Meinungsäußerungen nicht etwa stets eines ausdrücklichen Hinweises darauf, daß es sich um eine lediglich vorläufige, persönliche Meinung handelt (BFH-Beschluß vom 1. September 1992 VII B 138/92, BFH/NV 1993, 256). Namentlich für einen anwaltlich vertretenen Beteiligten versteht sich dies bei vernünftiger Betrachtung im allgemeinen von selbst; eine ausdrückliche, formelhafte Versicherung darüber in jedem Einzelfall ist deshalb überflüssig. Das Fehlen eines ausdrücklichen Hinweises des Richters darauf, daß seine Äußerung auf einer lediglich vorläufigen persönlichen Meinungsbildung beruht, kann also nicht ohne weiteres Anlaß zu der Besorgnis sein, der Richter habe sich bereits endgültig festgelegt, sofern nicht besondere, außergewöhnliche Umstände hinzutreten, die auf eine solche Einstellung hindeuten.

Soweit die Rechtsprechung des BFH gelegentlich darauf abgestellt hat, der Richter habe seine Meinungsäußerung ausdrücklich relativiert (BFH-Beschluß vom 9. Dezember 1987 III B 40/86, BFH/NV 1988, 251: durch Hinweis auf die "Aktenlage" und gleichzeitige Bitte um Stellungnahme), oder soweit der BFH die Befürchtung, der Richter sei voreingenommen, für gerechtfertigt gehalten hat, weil dieser seine Rechtsauffassung "nicht als vorläufig gekennzeichnet", sondern mit "eindeutiger Gewißheit" vorgetragen habe (BFH-Beschluß vom 29. April 1988 VI B 47/87, BFH/NV 1988, 794), beruhte dies auf den Gegebenheiten des Einzelfalls, ohne daß diesen Entscheidungen --wie die Beschwerde offenbar annimmt-- der Rechtssatz entnommen werden könnte, ohne einen solchen klarstellenden Hinweis darauf, daß die abschließende Meinungsbildung des Richters nach Schluß der mündlichen Verhandlung erfolgt, sei die Besorgnis seiner Befangenheit berechtigt. Vielmehr könnte selbst eine besonders freimütige Ausdrucksweise des Richters nicht Anlaß für die Besorgnis seiner Befangenheit sein, wenn der Richter sich dabei nicht z.B. einer evident unsachlichen, unangemessenen oder gar beleidigenden Sprache bedient hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 13. Januar 1987 IX B 12/84, BFH/NV 1987, 656; vom 31. August 1987 IV B 101/86, BFH/NV 1989, 169; vom 15. Juni 1988 IV B 33/87, BFH/NV 1990, 39; vom 6. Februar 1989 V B 119/88, BFH/NV 1990, 45, und vom 22. Mai 1991 IV B 104/90, BFH/NV 1992, 476).

Hierfür ist nichts vorgetragen; die Beschwerde beanstandet selbst nicht, daß Sch sich etwa in unsachlicher Form zur Anwendung des § 90 AO 1977 geäußert hat. Die Beschwerde hat dazu auch offenkundig keinerlei nachvollziehbaren oder gar berechtigten Anlaß. Sie verschweigt überdies, daß der Kläger selbst das FG befragt hat, wie es die sich für den Kläger aus § 90 AO 1977 ergebenden Pflichten beurteile. Sch hat dem Kläger lediglich die erbetene Antwort darauf erteilt. Um so weniger ist es nachvollziehbar, wenn der Kläger sich nunmehr glaubt darüber beschweren zu müssen, ohne bei der Würdigung der Mitteilung von Sch sein eigenes Verhalten zu berücksichtigen (zur Berücksichtigung der Prozeßgeschichte bei der Beurteilung eines Ablehnungsgesuchs vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1987, 656; in BFH/NV 1990, 175, und vom 27. September 1994 VIII B 64-76/94, BFH/NV 1995, 526).

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