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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 28.06.2006
Aktenzeichen: VII B 305/05
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 129
AO 1977 § 129 Satz 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
FGO § 116 Abs. 3 Satz 3
FGO § 118 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurden für das Jahr 1991 als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Steuerfestsetzung für diesen Veranlagungszeitraum wurde vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) mehrfach geändert. So erging (u.a.) unter dem 24. April 1998 ein Steuerbescheid, der die Einkommensteuer auf 0 DM festsetzte, woraus sich nach Anrechnung abgeführter Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer und Körperschaftsteuer ein Betrag von - 514 854 DM ergab, der unter Hinzurechnung bereits gezahlter Steuern in Höhe von 54 620 DM zu einem Einkommensteuer-Erstattungsbetrag von 569 474 DM führte. Mit einem weiteren Änderungsbescheid vom 31. August 1998 wurde die Einkommensteuer auf 569 474 DM festgesetzt, woraus sich nach Anrechnung vorgenannter Steuerabzugsbeträge ein verbleibender Steuerbetrag in Höhe von 54 620 DM ergab; im Abrechnungsteil war nunmehr allerdings als bereits gezahlte Steuer ein Betrag von 319 748 DM aufgeführt, was im Ergebnis zu einer Einkommensteuererstattung in Höhe von 265 128 DM (zuzüglich der jeweiligen Erstattungsbeträge für Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer) führte. In der zwischen diesen Bescheiddaten liegenden Zeit hatte das FA zwei weitere Änderungsbescheide vom 21. Juli bzw. 3. August 1998 erstellt, die jedoch nicht bekannt gegeben worden waren. Der nächste Änderungsbescheid vom 7. Mai 1999 setzte die Einkommensteuer wiederum auf 0 DM fest und führte im Anrechnungs-/Abrechnungsteil dieselben Beträge wie der Änderungsbescheid vom 24. April 1998 auf.

Mit Bescheid vom 4. Januar 2002 änderte das FA den Abrechnungsteil des Steuerbescheids vom 7. Mai 1999 und forderte die Kläger zur Zahlung noch offener 298 850,52 DM (= 152 800 €) auf. Auf den hiergegen eingelegten Einspruch erließ das FA unter dem 4. Dezember 2002 einen entsprechenden Abrechnungsbescheid.

Das Finanzgericht (FG) wies die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage ab. Das FG urteilte, es sei zweifelhaft, ob im Streitfall entsprechend der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) der Abrechnungsteil des Steuerbescheids mangels Verwaltungsaktqualität nicht in Bestandskraft erwachsen und somit änderbar sei, da unter der Rubrik "bereits gezahlt" auch Einkommensteuervorauszahlungen enthalten seien, auf deren Anrechnung der Steuerpflichtige einen gesetzlichen Anspruch habe. Jedenfalls sei aber im Streitfall die Berichtigung des Abrechnungsteils des Steuerbescheids gemäß § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) möglich, da die im Steuerbescheid vom 31. August 1998 unter der Rubrik "bereits gezahlt" aufgeführten Beträge zu hoch ausgewiesen seien, was durch einen Vergleich mit dem vorangegangenen Steuerbescheid vom 24. April 1998 erkennbar sei und sich als eine offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 129 AO 1977 darstelle. Da der sich aus dem Steuerbescheid vom 24. April 1998 ergebende Erstattungsbetrag nicht ausgezahlt und in dem Zeitraum bis zum folgenden Änderungsbescheid vom 31. August 1998 keine Zahlungen geleistet worden seien --was die Kläger beides gewusst hätten--, habe die mit der Bescheidänderung vorgenommene Erhöhung der festgesetzten Einkommensteuer von 0 DM auf 569 474 DM schlechterdings nicht dazu führen können, dass nunmehr ein Erstattungsanspruch der Kläger in Höhe von 265 128 DM ausgewiesen wurde. Die Ursache dieses Fehlers habe darin gelegen, dass vergessen worden sei, die Folgen, die der nicht bekannt gegebene Änderungsbescheid vom 21. Juli 1998 auf die Berechnungsprogramme des FA gehabt habe, wieder rückgängig zu machen. Die Sachbearbeiterin des FA habe zwar den nicht bekannt gegebenen Änderungsbescheid vom 3. August 1998 richtigerweise --weil nicht wirksam-- durch Computer-Eingabe des Werts "90" zur Kennziffer 17.10 neutralisiert, habe dies jedoch hinsichtlich des Änderungsbescheids vom 21. Juli 1998 unterlassen, weshalb der Computer diesen Bescheid fälschlicherweise als bekannt gegeben behandelt habe. Als Grund für dieses Unterlassen komme allein ein bloßes Vergessen in Betracht, da --was auch die vorgenommene Stornierung des Änderungsbescheids vom 3. August 1998 zeige-- es zum Standardwissen eines Finanzbeamten gehöre, dass nicht bekannt gegebene Bescheide durch die genannte Eingabe in den Computer zu neutralisieren seien. Ein Fehler der Sachbearbeiterin bei der Tatsachenwürdigung oder Rechtsanwendung sei nicht ersichtlich.

Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger, welche sie auf den Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative der Finanzgerichtsordnung --FGO--) stützen. Die Anwendung des § 129 AO 1977 durch das FG sei willkürlich und fehlerhaft; der dem FG unterlaufene Fehler sei von erheblichem Gewicht und geeignet, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu schädigen.

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Es kann offen bleiben, ob mit der Beschwerde die Voraussetzungen für den geltend gemachten Zulassungsgrund schlüssig dargelegt sind, wie es § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erfordert; jedenfalls liegt der Zulassungsgrund nicht vor.

Der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO erfasst zunächst die Fälle der sog. Divergenzrevision und erfordert darüber hinaus auch dann eine Entscheidung des BFH, wenn die einheitliche Beantwortung einer Rechtsfrage nur durch eine Entscheidung des BFH gesichert werden kann. Letzteres kann der Fall sein, wenn --was die Beschwerde im Streitfall geltend macht-- dem FG bei der Auslegung und Anwendung des Rechts Fehler von so erheblichem Gewicht unterlaufen sind, dass sie, würden sie nicht von einem Rechtsmittelgericht korrigiert, geeignet wären, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. Februar 2002 VII B 141/01, BFH/NV 2002, 798; vom 7. Juli 2004 VII B 344/03, BFHE 206, 226, BStBl II 2004, 896). Im Streitfall ist es jedoch nicht ersichtlich, dass dem FG ein solcher Fehler unterlaufen ist.

Nach § 129 Satz 1 AO 1977 kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. "Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten" im Sinne dieser Vorschrift sind einem Schreib- oder Rechenfehler ähnliche mechanische Versehen. Ist dagegen die mehr als nur theoretische Möglichkeit eines Rechtsirrtums gegeben, liegt kein mechanisches Versehen und damit keine offenbare Unrichtigkeit vor (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 24. Juli 1984 VIII R 304/81, BFHE 141, 485, BStBl II 1984, 785; vom 28. November 1985 IV R 178/83, BFHE 145, 226, BStBl II 1986, 293; vom 5. Februar 1998 IV R 17/97, BFHE 185, 345, BStBl II 1998, 535). Dementsprechend können Fehler bei Eintragungen in Eingabewertbögen für die automatische Datenverarbeitung als rein mechanische Versehen offenbare Unrichtigkeiten i.S. des § 129 Satz 1 AO 1977 sein, etwa bei Irrtümern über den Ablauf des maschinellen Verfahrens, Verwendung falscher Schlüsselzahlen oder Übersehen notwendiger Eintragungen. Es ist aber auch denkbar, dass fehlerhafte Eingaben auf einem Rechtsirrtum beruhen, denn durch die Zuordnung von Daten zu bestimmten Kennziffern wird auch der Wille zu einer bestimmten rechtlichen Behandlung dieser Daten durch das festgelegte Datenverarbeitungsprogramm dokumentiert (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Mai 2002 VII B 179/01, BFH/NV 2002, 1316; BFH-Urteil in BFHE 185, 345, BStBl II 1998, 535).

Soweit das FG es im Streitfall offen gelassen hat, ob dem vom FA korrigierten Abrechnungsteil des Steuerbescheids überhaupt Verwaltungsaktqualität zukommt, jedenfalls aber --sollte ein Verwaltungsakt insoweit vorliegen-- die Möglichkeit seiner Berichtigung gemäß § 129 Satz 1 AO 1977 bejaht hat, ist es von diesen vorgenannten rechtlichen Grundsätzen ausgegangen. Ein Fehler des FG bei der Rechtsanwendung liegt daher nicht vor. Soweit die Beschwerde die Beurteilung des FG, wonach der der Sachbearbeiterin des FA unterlaufene Fehler als ein bloßes mechanisches Versehen anzusehen sei, welches die Berichtigungsmöglichkeit gemäß § 129 Satz 1 AO 1977 eröffne, für unzutreffend hält, wendet sie sich gegen die Tatsachenwürdigung durch das FG.

Nach den Feststellungen des FG beruhte der Fehler des FA, dessen Korrektur streitig ist, auf einer unterlassenen Eingabe in das Computer-Programm, durch die der nicht bekannt gegebene Änderungsbescheid vom 21. Juli 1998 hätte storniert werden müssen. Ob bei solchen Eingabefehlern ein bloßes mechanisches Versehen oder aber ein die Berichtigung nach § 129 AO 1977 ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum des Sachbearbeiters vorliegt, muss nach den Verhältnissen des Einzelfalles beurteilt werden. Dabei handelt es sich um eine Tatfrage, die der revisionsgerichtlichen Prüfung nur in eingeschränktem Umfang unterliegt und nur auf Verstöße gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze überprüft werden kann (vgl. Senatsbeschluss in BFH/NV 2002, 1316; BFH-Urteil in BFHE 185, 345, BStBl II 1998, 535).

Derartige Verstöße sind im Streitfall jedoch weder dargelegt noch ersichtlich. Vielmehr ist die vom FG vorgenommene Würdigung, dass die Sachbearbeiterin gewusst habe, dass nicht bekannt gegebene Bescheide durch die entsprechende Eingabe im Computer-Programm zu neutralisieren seien, dass hinsichtlich des Änderungsbescheids vom 21. Juli 1998 als Grund für das Unterlassen der Eingabe allein ein bloßes Vergessen in Betracht komme und ein Fehler der Sachbearbeiterin bei der Tatsachenwürdigung oder Rechtsanwendung nicht ersichtlich sei, möglich und weder durch Denkgesetze noch allgemeine Erfahrungssätze ausgeschlossen. An diese Tatsachenwürdigung wäre der Senat daher in einem Revisionsverfahren gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden.

Soweit die Beschwerde meint, dass es auch in Betracht komme, dass die Sachbearbeiterin die Tatsachen fehlerhaft beurteilt habe, indem sie den Änderungsbescheid vom 21. Juli 1998 als bekannt gegeben angesehen habe, zeigt sie keinen Rechtsfehler des FG, sondern nur eine andere, ihrer Ansicht nach zutreffende Würdigung der Tatsachen auf. Anders als die Beschwerde meint, hat das FG auch nicht etwa einen allgemeinen Rechtssatz aufgestellt, dass im Fall einer einmaligen Richtigbehandlung durch den Sachbearbeiter (hier: hinsichtlich des Änderungsbescheids vom 3. August 1998) eine anderweitige Falschbehandlung stets als ein mechanischer Fehler i.S. des § 129 Satz 1 AO 1977 anzusehen sei. Das FG hat vielmehr den Umstand, dass die Stornierung des Änderungsbescheids vom 3. August 1998 nicht unterblieben ist, lediglich als ein Indiz im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung berücksichtigt.

Soweit die Beschwerde rügt, dass das FG die Sachbearbeiterin nicht als Zeugin vernommen hat, kommt nicht der Zulassungsgrund gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO, sondern allenfalls ein Verfahrensmangel gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO in Betracht, den die Beschwerde aber --wie sie klar gestellt hat-- ausdrücklich nicht geltend machen will. Im Übrigen fehlt es auch an der schlüssigen Darlegung einer Verletzung der dem FG obliegenden Sachaufklärungspflicht.

Ende der Entscheidung

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