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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 20.11.2007
Aktenzeichen: VII B 340/06
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 68
FGO § 104 Abs. 2
FGO § 105 Abs. 1 Satz 2
FGO § 105 Abs. 4 Satz 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
FGO § 127
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war Geschäftsführer einer GmbH, der der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) aufgrund der vom Kläger veranlassten Umsatzsteuervoranmeldung für das III. Quartal 1997 und der Umsatzsteuerjahreserklärung 1997 erhebliche Beträge erstattete. Nachdem in einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung festgestellt worden war, dass die den Erklärungen zugrunde liegenden Lieferungen und Zahlungen so nicht erfolgt waren, änderte das FA die Festsetzungen, der Änderungsbescheid wurde schließlich bestandskräftig. Nachdem der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH gestellt war, nahm das FA den Kläger wegen der Umsatzsteuerrückstände der GmbH in Haftung. Einspruch und Klage gegen den Haftungsbescheid, mit denen der Kläger sein Verschulden sinngemäß damit bestritt, dass ihm die zutreffende Bewertung der eingereichten Belege erst nachträglich bekannt geworden sei, blieben hinsichtlich der Festsetzung für das III. Quartal 1997 und der Jahressteuerfestsetzung 1997 erfolglos. In einem im Verlaufe des Klageverfahrens erlassenen Änderungsbescheid führte das FA aus, der Kläger habe insoweit durch die Ausstellung unrichtiger Lieferungs- und Zahlungsquittungen und durch die Abgabe unrichtiger Anmeldungen seine Pflichten verletzt. Das Finanzgericht (FG) sah die grob fahrlässige Pflichtverletzung des Klägers darin, der Steuerberaterin der GmbH gegenüber unzutreffende Eingangs- und Ausgangsumsätze angegeben zu haben, welche zu einer unzutreffenden Umsatzsteuervoranmeldung für das III. Quartal geführt hätten, und diese Umsätze selbst in der Jahresanmeldung 1997 erklärt zu haben.

Der Kläger beantragt, die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen, weil das angefochtene Urteil auf Verfahrensmängeln beruhe.

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vom Kläger gerügten Verfahrensmängel liegen nicht vor.

1. Soweit der Kläger --zutreffend-- rügt, dass die zugestellte Ausfertigung des Urteils entgegen § 105 Abs. 1 Satz 2 FGO nicht die Unterschriften der (Berufs-)Richter, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, trägt, sondern nur dreimal die Unterschrift des Vorsitzenden, wobei sich nur in Bezug auf die Unterschrift eines der beiden Beisitzer ein Verhinderungsvermerk findet, ergibt sich daraus kein Verfahrensfehler. Dem Unterschriftserfordernis des § 105 Abs. 1 Satz 2 FGO ist genügt, wenn die in den Gerichtsakten verbleibende Urschrift einer Entscheidung von den mitwirkenden Berufsrichtern unterschrieben ist (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 7. Mai 2003 IX B 13/03, BFH/NV 2003, 1203). Dieses Erfordernis ist im vorliegenden Fall erfüllt. Denn auf dem in der Akte des FG befindlichen Originalurteil findet sich neben der Unterschrift des Vorsitzenden und der vom Vorsitzenden ersetzten Unterschrift des einen Beisitzers auch die Unterschrift der Berichterstatterin. Der offensichtliche Schreibfehler auf der Ausfertigung des Urteils ist revisionsrechtlich unbeachtlich.

2. Auch die Rüge, das angefochtene Urteil sei nicht binnen zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung der Geschäftsstelle übermittelt worden, denn es sei erst mehr als sechs Wochen später durch die Geschäftsstelle ausgefertigt worden, geht ins Leere. Denn ausweislich der finanzgerichtlichen Akte ist der schriftlich abgefasste Tenor der getroffenen Entscheidung fünf Tage nach der mündlichen Verhandlung bei der Geschäftsstelle eingegangen. Damit ist der Regelung des § 104 Abs. 2 FGO i.V.m. der entsprechenden Anwendung des § 105 Abs. 4 Satz 2 FGO Genüge getan (BFH-Beschluss vom 30. April 2001 VII B 28/01, BFH/NV 2001, 1287). Der Kläger hat offensichtlich von seinem Rechtsanspruch auf formlose Auskunftserteilung nach Ablauf von zwei Wochen nach Schluss der mündlichen Verhandlung, ob das Urteil eingegangen ist und wie die Entscheidungsformel lautet (Senatsbeschluss in BFH/NV 2001, 1287), keinen Gebrauch gemacht. Zweifel an der rechtzeitigen Hinterlegung der Entscheidung sind danach weder dargelegt noch sonst ersichtlich.

3. Als weiteren Verfahrensmangel macht der Kläger geltend, das Urteil beruhe auf Annahmen, die in sich widersprüchlich seien und vom klaren Inhalt der Akten und dem Vortrag der Parteien abwichen; auch handele es sich insoweit um eine den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzende Überraschungsentscheidung. Der Kläger begründet diesen Vorwurf sinngemäß damit, dass das FG vermeintlich die Erstattungen im September und Oktober 1998 als den durch den Kläger verursachten Schaden und als haftungsbegründendes Verschulden ansieht, dass der Kläger "spätestens im September 1998" die Eingangs- und Ausgangsumsätze als falsch erkannt habe. Von zurückzufordernden Steuererstattungen in 1998 sei im Verfahren zuvor niemals die Rede gewesen, vielmehr sei es immer um eine Vorsteuererstattung für das III. Quartal 1997 vom 22. Oktober 1997 gegangen.

Auch dieses Beschwerdevorbringen rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des BFH liegt eine Überraschungsentscheidung und damit ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör-- vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der alle oder einzelne Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen mussten (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 24. April 1990 VIII R 170/83, BFHE 160, 256, BStBl II 1990, 539; vom 31. Juli 1991 VIII R 23/89, BFHE 165, 398, BStBl II 1992, 375; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 119 Rz 10a, m.w.N.). Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt erst dann vor, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt oder auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter --selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen-- nicht zu rechnen brauchte, so dass dies im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags gleichkommt (BVerfG-Beschlüsse vom 15. Januar 1999 1 BvR 1274/92, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1999, 3326; vom 12. Juni 2003 1 BvR 2285/02, NJW 2003, 2524, jeweils mit weiteren Nachweisen der Rechtsprechung).

Von einer derartigen Verhinderung des Vortrags kann im Streitfall gerade hinsichtlich der das haftungsbegründende Verschulden des Klägers tragenden Umstände keine Rede sein. Das FG hat den Kläger im Erörterungstermin dazu gehört, was es mit den der Umsatzsteuervoranmeldung für das III. Quartal 1997 und der Jahressteuererklärung 1997, beide Gegenstand des Haftungsbescheides, zugrunde gelegten Rechnungen und Quittungen auf sich habe. Der Kläger hat im Anschluss daran vorgetragen, dass es nicht gerechtfertigt sei, ihm wegen der Vorlage dieser Belege beim FA einen Schuldvorwurf zu machen, da er zu diesem Zeitpunkt nicht habe annehmen müssen, unrichtige Angaben zu machen. Das FG führt dagegen in seinen Entscheidungsgründen zur Begründung der grob fahrlässigen Pflichtverletzung des Klägers aus, dass dem Kläger bei Übergabe der fehlerhaften Belege an die Steuerberaterin mit dem Auftrag, eine entsprechende Voranmeldung zu erstellen, und bei seiner Unterschrift auf der Jahressteuererklärung im September 1998 bekannt gewesen sei, dass die Eingangs- und Ausgangsumsätze tatsächlich in abweichender Höhe getätigt worden seien. Es ist danach offensichtlich, dass der vom FG bewertete Sachverhalt für den Kläger nicht überraschend gewesen sein kann. Darauf, ob das FG die Umstände richtig bewertet hat, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.

Der Kläger rügt im Grunde nicht die mangelnde Erörterung einer Entscheidungsgrundlage durch das FG, sondern dass das FG bei der Prüfung des haftungsbegründenden Verschuldens auf einen falschen Zeitpunkt (nämlich auf Mitte 1998 statt auf die Abgabe der Voranmeldung im Oktober 1997) abgestellt habe. Damit wendet er sich gegen die Richtigkeit der Vorentscheidung, macht aber keinen Grund für die Zulassung der Revision geltend (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 22. Februar 2007 VI B 29/06, BFH/NV 2007, 969).

4. Der Erlass des der Entscheidung des FG entsprechenden Haftungsänderungsbescheides während des anhängigen Beschwerdeverfahrens ist für die vorliegende Entscheidung unbeachtlich. Der Bescheid ist gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens geworden, ohne dass sich --in dem mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochtenen Umfang-- materiell an der Entscheidung etwas geändert hätte. Eine grundsätzlich entsprechend § 127 FGO mögliche Zurückverweisung der Sache an das FG erübrigt sich daher (vgl. BFH-Beschluss vom 18. Dezember 2003 II B 31/00, BFHE 204, 35, BStBl II 2004, 237).

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