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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 04.05.2004
Aktenzeichen: VII B 54/03
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 71
FGO § 56
FGO § 56 Abs. 1
FGO § 56 Abs. 2
FGO § 116 Abs. 3
FGO § 116 Abs. 3 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war alleiniger Geschäftsführer einer inzwischen im Handelsregister gelöschten GmbH und wurde vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) für Umsatzsteuer 1979 und 1980 gemäß § 71 der Abgabenordnung (AO 1977) wegen Steuerhinterziehung als Haftungsschuldner in Anspruch genommen. Einspruch und Klage gegen den Haftungsbescheid hatten keinen Erfolg. Mit Urteil vom 23. August 1994 VII R 93/93 hob der erkennende Senat das Urteil des Finanzgerichts (FG) auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an das FG zurück. Dieses hat nach Durchführung der mündlichen Verhandlung die Klage erneut als unbegründet abgewiesen. Es kam nach Bewertung aller im Streitfall gegebenen Umstände und unter Berücksichtigung der vorliegenden Akten und des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme zu dem Ergebnis, dass der Kläger den Tatbestand der Steuerhinterziehung mehrfach verwirklicht habe und der Haftungsbescheid somit zu Recht ergangen sei.

Mit Schriftsatz vom 20. Februar 2003 legte der Kläger Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ein, ohne die Beschwerde zu begründen. Nachdem der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben der Geschäftsstelle des Senats vom 14. April 2003 unter Hinweis auf § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) darauf hingewiesen worden war, dass die nach § 116 Abs. 3 FGO vorgeschriebene Frist am 24. März 2004 abgelaufen sei und die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde bisher nicht vorliege, ging die Begründung am 30. April 2003 per Telefax beim Bundesfinanzhof (BFH) ein. Gleichzeitig mit der Begründung beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen unverschuldeter Fristversäumung.

Hierzu trägt er vor, dass die Sekretärin Frau K den Ablauf der Frist für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde aus nicht nachvollziehbaren Gründen nicht auf den 23. März 2003, sondern auf den 23. April 2003 in den Fristenkalender eingetragen habe. Dieses Versehen sei erst durch das Schreiben der Geschäftsstelle des Senats vom 14. April 2003 entdeckt worden. Das erstinstanzliche Urteil sei ihm zusammen mit dem Empfangsbekenntnis am 23. Januar 2003 vorgelegt worden. Dabei habe er Frau K ausdrücklich gefragt, ob sie die Frist für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde eingetragen habe. Dies habe Frau K bejaht. Unmittelbar kontrolliert habe er dies jedoch nicht. Das Urteil selbst sei ordnungsgemäß mit der Frist für die Erhebung der Nichtzulassungsbeschwerde versehen gewesen. Die Frist für die Erhebung der Nichtzulassungsbeschwerde sei im Fristenkalender auf den 20. Februar 2003 datiert worden. Es habe daher keine Veranlassung bestanden, gerade die streitgegenständliche Frist bei Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde nochmals zu überprüfen.

Ergänzend trägt der Prozessbevollmächtigte des Klägers vor, dass er von seinem Sekretariat neben dem täglich eingesehenen Fristenkalender jeweils am Freitag für die folgende Woche eine Wochenübersicht über die in der kommenden Woche anstehenden Fristen erhalte. Aufgrund der Osterfeiertage habe diese Wochenübersicht den Zeitraum vom 14. April bis zum 2. Mai 2003 umfasst. Trotz all dieser Vorkehrungen sei die fehlerhafte Eintragung der Frist bis zum Hinweis des BFH übersehen worden. Frau K würde bereits seit Juli 1998 für den Prozessbevollmächtigten zu dessen vollsten Zufriedenheit und stets fehlerfrei arbeiten. Sie sei eine sehr gut ausgebildete, mit hervorragenden Zeugnissen versehene und sorgfältig überwachte Anwaltsgehilfin. In der dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beigefügten eidesstattlichen Versicherung bestätigt Frau K das Vorbringen des Prozessbevollmächtigten. Aus einem für sie nicht mehr nachvollziehbaren Versehen habe sie die Frist für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde erst auf den 23. April 2003 eingetragen.

Mit Schriftsatz vom 14. August 2003 hat der Prozessbevollmächtigte darauf hingewiesen, dass jede Sekretärin bei der Arbeitsaufnahme einen Ordner mit Arbeitsanweisungen erhalte. Die Arbeitsanweisung Nr. 5 enthalte Vorgaben zur Eingangspost und Fristenüberwachung. Auch Frau K habe diesen Ordner erhalten und den Empfang auch schriftlich bestätigt. Gemäß Ziffer 6 dieser Arbeitsanweisung erfolge regelmäßig eine Kontrolle der Fristenerfassungen in der Form, dass die persönlichen Fristenkalender neben der alltäglichen Benutzung alle ein bis zwei Monate zur stichprobenweisen Kontrolle den jeweiligen Berufsträgern vorgelegt würden. Im Übrigen würden die Arbeitsanweisungen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Rahmen von vierteljährlich stattfindenden Bürobesprechungen anlässlich von Einzelfällen angesprochen und bei Bedarf ergänzt. Damit würden alle Vorkehrungen getroffen, die nach vernünftigem Ermessen geeignet seien, eine Fristversäumnis auszuschließen. Eine von der Rechtsprechung des BFH geforderte "Belehrung" des Büropersonals sei gegeben. Ein Organisationsverschulden scheide somit aus.

Das FA tritt dem Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und der Beschwerde entgegen. Es ist der Auffassung, dass ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten vorliegen würde. Dieser habe es im Streitfall versäumt, die Eintragung der Beschwerdebegründungsfrist zu überwachen. Spätestens bei der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde hätte er die Begründungsfrist nochmals selbst kontrollieren müssen. Diese Rechtsauffassung werde durch die Entscheidung des BFH vom 14. März 2003 III B 157/02 (BFH/NV 2003, 933) bestätigt. Danach treffe den Prozessbevollmächtigten mit der Vorlage einer Fristsache die volle Verantwortung für die fristgerechte Bearbeitung. Etwaige Büroversehen bei der Fristeintragung könnten bei fristgerechter Vorlage eine Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist nicht entschuldigen. Im Streitfall seien zudem die Vorkehrungen zur Fristenkontrolle unzureichend gewesen. Der Prozessbevollmächtigte habe den Nachweis nicht erbracht, wann und wie er seine Bürokräfte über die Einhaltung von Fristen belehrt und wie er die Einhaltung der erforderlichen Belehrung überwacht habe.

II. Die Beschwerde des Klägers ist, da sie nicht in der gesetzlichen Frist begründet worden ist und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann, als unzulässig zu verwerfen (§ 132 FGO).

1. Nach § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO ist die Beschwerde innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Das angefochtene Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen Empfangsbekenntnis am 23. Januar 2003 zugestellt worden. Die zweimonatige Begründungsfrist endete somit am 24. März 2003 (§ 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung --ZPO-- und § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Beim BFH eingegangen ist die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zusammen mit dem Antrag auf Gewährung der Wiedereinsetzung hingegen erst mit Telefax am 30. April 2003, mithin nach Ablauf der in § 116 Abs. 3 FGO vorgeschriebenen Begründungsfrist.

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde kann nach § 56 Abs. 1 FGO nicht gewährt werden.

a) Eine solche Wiedereinsetzung ist auf Antrag zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist gehindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer gesetzlichen Frist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag durch präsente Beweismittel glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Hiernach schließt jedes Verschulden die Einsetzung in den vorigen Stand aus (vgl. Senatsbeschluss vom 6. November 1997 VII R 113/97, BFH/NV 1998, 709). Der Beteiligte muss sich ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).

b) Ein Prozessbevollmächtigter, der zur Begründung seines Antrags auf Wiedereinsetzung vorbringt, er habe die Notierung und Kontrolle der maßgeblichen Frist einer zuverlässigen und erfahrenen Bürokraft überlassen, muss darlegen, dass kein Organisationsfehler vorliegt, d.h. dass er alle Vorkehrungen dafür getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und dass er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen über die Notierung und Kontrolle von Fristen Sorge getragen hat (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Februar 2002 VII B 150/01, BFH/NV 2002, 795, m.w.N.).

Im Streitfall hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers innerhalb der nach § 56 Abs. 2 FGO vorgeschriebenen Frist keine ausreichenden Angaben darüber gemacht, in welcher Weise er seiner Verpflichtung zur Belehrung und Überwachung des Büropersonals nachgekommen ist. Vielmehr hat er lediglich vorgetragen, dass die sonst äußerst zuverlässige Sekretärin Frau K aus nicht nachvollziehbaren Gründen die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde in den Fristenkalender fehlerhaft eingetragen habe. Auf kanzleiinterne Anweisungen hat sich der Prozessbevollmächtigte nur in Zusammenhang mit der Notierung der Frist zur Einlegung der Beschwerde auf dem Deckblatt der Ausfertigung des Urteils berufen, ohne den Inhalt dieser Anweisungen näher zu erläutern. Zudem hat er darauf hingewiesen, dass er wöchentlich eine Übersicht über die in der kommenden Woche anstehenden Fristen erhalte. Mit diesem Vorbringen wird jedoch eine von der Rechtsprechung des BFH geforderte regelmäßige Belehrung und Überwachung der Bürokräfte nicht schlüssig dargelegt. Auch in dem Umstand, dass sich der Prozessbevollmächtigte am Tag der Zustellung des Urteils bei Frau K mündlich vergewissert hat, ob die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde eingetragen sei, vermag der Senat eine Belehrung über die Einhaltung von Fristen nicht zu erkennen. Es handelt sich vielmehr um eine Nachfrage in einem konkreten Einzelfall. Dem Vortrag des Prozessbevollmächtigten kann somit nicht entnommen werden, wann und wie er seine Bürokräfte entsprechend belehrt und wie er die Einhaltung dieser Belehrung überwacht hat. Aufgrund der vorgetragenen Tatsachen kann ein Organisationsverschulden nicht ausgeschlossen werden.

Erst im Schriftsatz vom 14. August 2003 hat der Prozessbevollmächtigte den Text der Arbeitsanweisung zur Fristenüberwachung übersandt und auf vierteljährlich stattfindende Bürobesprechungen und auf die regelmäßige Vorlage der persönlichen Fristenkalender zu Kontrollzwecken hingewiesen. Dabei handelt es sich um einen neuen verspäteten Tatsachenvortrag zur Büroorganisation, der keine Berücksichtigung mehr finden kann (vgl. BFH-Entscheidung vom 8. Mai 1996 X B 12/96, BFH/NV 1996, 833, m.w.N.).

c) Unabhängig davon ist im Streitfall von einem eigenen Verschulden des Prozessbevollmächtigten auszugehen. Denn nach der Rechtsprechung des BFH ist ein Prozessbevollmächtigter verpflichtet, den Fristablauf eigenverantwortlich zu kontrollieren, wenn und sobald ihm eine Fristsache zur Vorbereitung einer fristgebundenen Handlung vorgelegt wird (BFH-Entscheidungen vom 29. Oktober 1999 VI R 36/99, BFH/NV 2000, 470, sowie vom 8. April 1992 II R 73/91, BFH/NV 1992, 829, m.w.N.). Mit der Vorlage einer Fristsache trifft den Prozessbevollmächtigten die volle Verantwortung für die fristgerechte Bearbeitung, so dass er sich ab diesem Zeitpunkt nicht mehr darauf berufen kann, die Fristversäumung sei auf ein Büroversehen zurückzuführen (vgl. BFH-Entscheidung in BFH/NV 2003, 933). Denn trotz Übertragung der Fristenkontrolle auf eine zuverlässige und sorgfältig ausgewählte Person bleibt der Prozessbevollmächtigte verpflichtet, den Fristablauf eigenverantwortlich nachzuprüfen, wenn ihm die Sache zur Vorbereitung der fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt wird (Senatsbeschluss vom 7. November 1995 VII R 34/94, BFH/NV 1996, 343, m.w.N.).

Die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers unterzeichnete Beschwerdeschrift trägt das Datum vom 20. Februar 2003. Am gleichen Tag ist der Schriftsatz per Telefax an den BFH übermittelt worden. Dies lässt den Schluss zu, dass dem Prozessbevollmächtigten die Fristsache am 20. Februar 2003 zur Bearbeitung vorgelegt worden ist und somit das Stadium der Fachbearbeitung erreicht war. Spätestens in diesem Zeitpunkt hatte der Prozessbevollmächtigte die Entscheidung zu treffen, ob er die Nichtzulassungsbeschwerde sofort begründen wollte oder nicht. Seine Entscheidung, die Begründung mit einem gesonderten Schriftsatz nachzureichen, hätte er zum Anlass nehmen müssen, die Dauer der Frist zur Begründung nochmals selbst zu überprüfen, um eine Fristversäumung in jedem Fall auszuschließen. Denn die Begründungsfrist für die Nichtzulassungsbeschwerde gehört --anders als die Einlegungsfrist-- nicht zu den üblichen, häufig vorkommenden und einfach zu berechnenden Fristen. Vielmehr verlangt die Einhaltung der Begründungsfrist eine besondere Sorgfalt des Prozessbevollmächtigten bei der Notierung der Frist und der Überwachung des damit betrauten Personals (vgl. Senatsbeschluss in BFH/NV 1996, 343). Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass dem Prozessbevollmächtigten im Zeitpunkt der fachlichen Bearbeitung eine Überwachungs- und Kontrollpflicht ausschließlich hinsichtlich der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde obliegt und er die Frist zur Begründung der Beschwerde bis zu einer evtl. Wiedervorlage unbeachtet lassen kann. Dies gilt auch dann, wenn sich der Prozessbevollmächtigte wie im Streitfall im Zeitpunkt der Bestätigung des Empfangs des erstinstanzlichen Urteils lediglich mündlich nach der ordnungsgemäßen Eintragung der Begründungsfrist erkundigt, jedoch eine unmittelbare Kontrolle unterlassen hat.

Ende der Entscheidung

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