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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 19.09.2006
Aktenzeichen: VII B 93/06
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 69
FGO § 96 Abs. 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
FGO § 116 Abs. 3 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter einer GmbH. Als aufgrund von Betriebsprüfungen für die Jahre 1994 bis 1999 erhebliche Steuernachforderungen im Dezember 2001 fällig gestellt wurden, beantragte der Kläger im Dezember 2001 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH. Im April 2002 wurde das Verfahren eröffnet.

Am 7. August 2002 nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) den Kläger wegen Umsatzsteuerschulden der GmbH für den Zeitraum September bis November 2001 in Haftung. Der Einspruch blieb erfolglos. Nach Klageerhebung setzte das Finanzgericht (FG) auf Antrag des Klägers die Vollziehung des Haftungsbescheides aus, weil es Zweifel daran hatte, ob das FA ausreichend ermittelt hatte, dass der Kläger den Fiskus durch Bevorzugung etwaiger Privatgläubiger im Haftungszeitraum benachteiligt habe und damit die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme als Haftender nach § 69 der Abgabenordnung (AO 1977) erfüllt seien.

Die Klage wurde abgewiesen. Das FG war der Auffassung, das FA habe den Kläger ermessensfehlerfrei für die ungekürzte Steuerschuld in Anspruch genommen, da er nicht geltend gemacht habe, auch andere Gläubiger aus Gründen der Mittelknappheit nicht oder nur anteilig befriedigt zu haben, sondern im Gegenteil erklärt habe, die Forderungen des FA hätten befriedigt werden können und es seien bis zuletzt keine wesentlichen Verbindlichkeiten vorhanden gewesen. Durch die erst im Dezember 2001 fällig gestellten weiteren Steuerverbindlichkeiten sei der Kläger nicht gehindert gewesen, die Umsatzsteuern für September bis November 2001 rechtzeitig zu bezahlen, auch wenn die zu erwartenden Steuernachforderungen bereits absehbar gewesen seien.

Der Kläger beantragt, die Revision zuzulassen, weil die Entscheidung des FG eine Überraschungsentscheidung sei und damit auf einem Verfahrensfehler beruhe. Obwohl sich an dem zu Grunde liegenden Sachverhalt im Vergleich zur Entscheidung im Eilverfahren nichts geändert habe, habe der Richter im Erörterungstermin vom 13. März 2006 (das war der Tag der mündlichen Verhandlung, Hinweis des Senats), ohne dass zuvor ein entsprechender rechtlicher Hinweis erteilt worden sei, überraschend die Auffassung vertreten, dass es auf die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren geäußerten Gesichtspunkte nicht mehr ankomme.

II. Die Beschwerde ist --bei Zweifeln an der hinreichenden Darlegung des geltend gemachten Zulassungsgrundes i.S. der §§ 115 Abs. 2 Nr. 3, 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO)-- jedenfalls unbegründet.

Eine Überraschungsentscheidung und damit ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO liegt vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen musste (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Mai 1991 1 BvR 1383/90, BVerfGE 84, 188; Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5. April 2006 I B 84/05, BFH/NV 2006, 1497, m.w.N.).

Der Kläger hat in der Beschwerdebegründung selbst vorgetragen, dass in der Verhandlung vom 13. März 2006 die beabsichtigte Abweichung von der im Aussetzungsverfahren vertretenen Rechtsauffassung angesprochen worden sei. Der in der mündlichen Verhandlung durch einen Rechtsanwalt vertretene Kläger hatte folglich Gelegenheit, sich dazu zu äußern und gegebenenfalls Vertagung oder Schriftsatznachlass für weiteren Sachvortrag zu beantragen. Dem Sitzungsprotokoll sind entsprechende Anträge jedoch nicht zu entnehmen. Die Gewährung rechtlichen Gehörs setzt nicht voraus, dass das Gericht bereits vor der mündlichen Verhandlung rechtliche Hinweise erteilt (vgl. BFH-Beschluss vom 10. Juli 2006 VIII B 194/05, juris).

Weitere Zulassungsgründe hat der Kläger nicht geltend gemacht. Allerdings kann seinem Vorbringen entnommen werden, dass er die Entscheidung des FG für unzutreffend hält. Aber selbst substantiiert vorgetragene Einwände gegen die Rechtmäßigkeit des Urteils rechtfertigen regelmäßig die Zulassung der Revision nicht. Nur sog. qualifizierte Rechtsanwendungsfehler können ausnahmsweise die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO erfordern. Hierfür kommen nur offensichtliche materielle oder formelle Fehler des FG im Sinne einer willkürlichen Entscheidung in Betracht. Unbeschadet möglicher prozessualer und materiell-rechtlicher Unrichtigkeiten lässt das angefochtene Urteil jedenfalls keine Rechtsanwendungsfehler von solcher Intensität erkennen, dass das angefochtene Urteil jeglicher gesetzlicher Grundlage entbehrte und als grob sachwidrig einzustufen wäre.

Ende der Entscheidung

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