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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 11.11.2008
Aktenzeichen: VII R 19/08
Rechtsgebiete: InsO, AO, EStG, BGB


Vorschriften:

InsO § 17
InsO § 130 Abs. 1
InsO § 143
InsO § 144
AO § 34 Abs. 1
AO § 69
EStG § 41a
BGB § 254
1. Die erforderliche Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem mit der Haftung geltend gemachten Schaden richtet sich wegen des Schadensersatzcharakters der Haftung nach § 69 AO wie bei zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen nach der Adäquanztheorie.

2. Die erfolgreiche Insolvenzanfechtung einer erst nach Fälligkeit abgeführten Lohnsteuer unterbricht den Kausalverlauf zwischen Pflichtverletzung und Schadenseintritt jedenfalls dann nicht, wenn der Fälligkeitszeitpunkt vor dem Beginn der Anfechtungsfrist lag.

3. Die Pflicht zur Begleichung der Steuerschuld der GmbH im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit ist dem Geschäftsführer nach § 34 Abs. 1 AO, § 41a EStG nicht allein zur Vermeidung eines durch eine verspätete Zahlung eintretenden Zinsausfalls auferlegt, sondern soll auch die Erfüllung der Steuerschuld nach den rechtlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten zum Zeitpunkt ihrer Fälligkeit sicherstellen.

4. Der Zurechnungszusammenhang zwischen einer pflichtwidrig verspäteten Lohnsteuerzahlung und dem eingetretenen Schaden (Steuerausfall) ergibt sich daraus, dass dieser Schaden vom Schutzzweck der verletzten Pflicht zur fristgemäßen Lohnsteuerabführung erfasst wird.


Gründe:

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war alleiniger Geschäftsführer einer GmbH. Er reichte die Lohnsteueranmeldungen für die GmbH für den Zeitraum April bis Juni 2003 fristgerecht beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) ein. Die angemeldete Steuerschuld wurde durch Zahlung an den Vollziehungsbeamten des FA am 19. September 2003 beglichen.

Wegen anderer Steuerschulden beantragte das FA am 22. Oktober 2003 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH. Das Insolvenzverfahren wurde mit Beschluss des Amtsgerichts vom 16. Januar 2004 eröffnet.

Die Zahlung an den Vollziehungsbeamten focht die Insolvenzverwalterin nach § 131 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) an. Daraufhin erstattete das FA diesen Betrag an die Insolvenzmasse. Wegen der demzufolge wieder offenen Steuerschulden aus den Lohnsteueranmeldungen April bis Juni 2003 sowie der Säumniszuschläge hierzu nahm das FA den Kläger mit Haftungsbescheid vom 7. April 2005 in Anspruch.

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage statt. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 998 veröffentlicht.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung von Bundesrecht, nämlich von § 69 der Abgabenordnung (AO). Der Kläger habe die ihm als Geschäftsführer obliegenden steuerlichen Pflichten dadurch verletzt, dass er die Lohnsteuer nicht zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten abgeführt habe. Diese Pflichtverletzung sei nach der insoweit maßgeblichen Adäquanztheorie auch kausal für den Steuerausfall gewesen. Weder der Insolvenzantrag des FA noch die Anfechtung des Insolvenzverwalters hätten nach der allgemeinen Lebenserfahrung außerhalb der Wahrscheinlichkeit gelegen. Der Geschäftsführer einer zahlungsunfähigen GmbH müsse jederzeit damit rechnen, dass ein Gläubiger "von der Antragsmöglichkeit des § 17 InsO" Gebrauch mache. An der Kausalität fehle es auch deshalb nicht, weil die pflichtgemäße Zahlung der Lohnsteuern zum Fälligkeitszeitpunkt vor dem dreimonatigen Anfechtungszeitraum des § 130 Abs. 1 InsO erfolgt wäre. Dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 5. Juni 2007 VII R 30/06 (BFH/NV 2008, 1) sei entgegen der Darstellung des Klägers zu entnehmen, dass die Kausalität der pflichtwidrigen Nichtabführung fällig gewordener Steuerbeträge für den Steuerschaden nicht durch nachträglich eingetretene Umstände beseitigt werden könne.

II.

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Entscheidung kann nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO ergehen.

Das FA hat den Kläger zu Recht gemäß § 69 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO als Haftungsschuldner in Anspruch genommen.

1.

Als Geschäftsführer hatte der Kläger in seiner Eigenschaft als gesetzlicher Vertreter der GmbH i.S. von § 34 Abs. 1 AO die Pflicht zur Einbehaltung und fristgerechten Abführung der im Haftungszeitraum von der GmbH angemeldeten Lohnsteuerabzugsbeträge (§ 38 Abs. 3 Satz 1 und § 41a des Einkommensteuergesetzes --EStG--). Nach den gemäß § 118 Abs. 2 FGO für den Senat bindenden Feststellungen des FG hat der Kläger für die Monate April bis Juni 2003 zwar fristgerecht Lohnsteueranmeldungen abgegeben, zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt aber die angemeldeten Beträge nicht entrichtet. Die in der nicht fristgerechten Entrichtung liegende objektive Pflichtwidrigkeit indiziert den gegenüber dem Kläger zu erhebenden Schuldvorwurf (Senatsbeschluss vom 25. Juli 2003 VII B 240/02, BFH/NV 2003, 1540, m.w.N.).

2.

Diese schuldhafte Pflichtverletzung des Klägers ist auch kausal für den Eintritt des Vermögensschadens beim Fiskus.

Es entspricht ständiger Senatsrechtsprechung, dass sich die erforderliche Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem mit der Haftung geltend gemachten Schaden wegen des Schadensersatzcharakters der Haftung nach § 69 AO wie bei zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen nach der Adäquanztheorie richtet. Danach sind solche Pflichtverletzungen für den Erfolg ursächlich, die allgemein oder erfahrungsgemäß geeignet sind, den Erfolg zu verursachen. Sofern --wie im Streitfall-- ein Unterlassen in Betracht kommt, muss, um die Ursächlichkeit bejahen zu können, ein Hinzudenken der unterbliebenen Handlung zu dem Ergebnis führen, dass der Schaden ohne das Unterlassen nicht eingetreten wäre; die bloße Möglichkeit oder eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Nichteintritts des Erfolgs genügen dazu nicht (Senatsurteil vom 25. April 1995 VII R 100/94, BFH/NV 1996, 97, m.w.N.).

Hätte der Kläger die angemeldeten Lohnsteuern bis spätestens zum Fälligkeitszeitpunkt der Lohnsteuer für Juni 2003 (nach den unbestrittenen Angaben des FA am 15. Juli 2003) gezahlt, wäre es nicht zu dem Steuerausfall beim Fiskus gekommen, denn der Dreimonatszeitraum vor dem Antrag auf Insolvenzeröffnung, in dem nach § 130 Abs. 1 InsO Zahlungen des Schuldners anfechtbar sind (Anfechtungszeitraum), begann erst am 22. Juli 2003.

Der Senat vermag der Argumentation des FG nicht zu folgen, dass der Steuerausfall nicht mehr adäquat kausal auf der nicht fristgerechten Abführung der angemeldeten Lohnsteuern beruht, weil diese Kausalkette mit der --wenn auch verspäteten-- Zahlung der Steuerbeträge an den Vollziehungsbeamten beendet worden sei. Zwar ist richtig, dass im Streitfall der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens innerhalb der Anfechtungsfrist und die erfolgreiche Anfechtung durch die Insolvenzverwalterin zur Pflichtverletzung des Klägers hinzutreten mussten, um den Steuerausfall beim Fiskus herbeizuführen. Diese weiteren Voraussetzungen für den Schadenseintritt ändern aber nichts an der Ursächlichkeit auch des Verhaltens des Klägers. Sie haben nicht einmal ein "neues" Steuerschuldverhältnis entstehen lassen.

Zwar führt die Zahlung der Steuerschuld regelmäßig zu ihrem Erlöschen und damit zur Beendigung dieses Steuerschuldverhältnisses. Bei Steuerfälligkeiten, die in insolvenzreife Zeit fallen, bleibt dieses Steuerschuldverhältnis aber selbst bei fristgerechter Zahlung wegen der gesetzlich vorgesehenen Anfechtungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters zunächst in der Schwebe. Die erfolgreiche Anfechtung und Rückgewähr nach § 143 InsO bewirkt gemäß § 144 InsO, dass die Steuerschuld rückwirkend wieder auflebt (Kreft in Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Aufl., § 144 Rz 3, m.w.N.). Die Beendigung des Steuerschuldverhältnisses ist insoweit auflösend bedingt.

Die Möglichkeit des Schadenseintritts beim Fiskus trotz geleisteter Zahlung ist deshalb entgegen der Ansicht des FG wegen der gesetzlich vorgesehenen Anfechtung jedenfalls kein untypischer Geschehensablauf.

3.

Der Senat hat erwogen, ob die Haftung des Klägers im Streitfall deshalb ausscheidet, weil der Zurechnungszusammenhang zwischen der nicht fristgerechten Lohnsteuerentrichtung des Klägers und dem Steuerausfall beim Fiskus fehlt. In Fällen, in denen ein Schaden auf mehreren Ursachen beruht, hat der Bundesgerichtshof (BGH) für das zivile Schadensersatz- bzw. Haftungsrecht ausnahmsweise eine Zurechnungsbegrenzung des adäquat verursachten Schadens angenommen, wenn der Schaden bei wertender Betrachtung in keinem inneren Zusammenhang zu der Pflichtverletzung steht (BGH-Urteil vom 15. November 2007 IX ZR 44/04, BGHZ 174, 205, m.w.N.). Ein solcher innerer Zusammenhang wird verneint, wenn der eingetretene Schaden nicht in den Schutzbereich der nicht beachteten Norm fällt. Mit anderen Worten ist Voraussetzung für die Schadenszurechnung, dass der geltend gemachte Schaden nach Sinn und Tragweite der verletzten Norm durch diese verhütet werden sollte.

Der Senat kann offenlassen, ob diese zivilrechtlichen Erwägungen --anders als jene zur Berücksichtigung eines hypothetischen Kausalverlaufs (vgl. Senatsurteile vom 5. Juni 2007 VII R 65/05, BFHE 217, 233, BStBl II 2008, 273; in BFH/NV 2008, 1; vom 19. September 2007 VII R 39/05, BFH/NV 2008, 18; vom 4. Dezember 2007 VII R 18/06, BFH/NV 2008, 521) oder zur Anwendung der Mitverschuldensregelung des § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB-- (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Mai 2000 VII B 217/99, BFH/NV 2000, 1442; vom 2. November 2001 VII B 75/01, BFH/NV 2002, 310)-- uneingeschränkt auf die steuerrechtliche Haftung nach § 69 AO übertragen werden können, weil sie auch im Zivilrecht nicht auf das Deliktsrecht beschränkt, sondern für Schadensersatzansprüche aller Art anerkannt sind (vgl. Palandt/ Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl., Vorbem. v. § 249 Rz 63 f.; zur Steuerberaterhaftung BGH-Urteil vom 18. Januar 2007 IX ZR 122/04, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2007, 701; zur Anwaltshaftung BGH-Urteil in BGHZ 174, 205). Die dem Geschäftsführer nach § 34 AO, § 41a EStG auferlegte Pflicht zur Begleichung der Steuerschuld der GmbH im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit steht nämlich bei der gebotenen wertenden Betrachtung in einem inneren Zusammenhang mit dem Steuerausfall infolge einer späteren Insolvenzanfechtung.

Vom Normzweck erfasst wird nicht nur die Vermeidung eines durch eine verspätete Zahlung eintretenden Zinsausfalls, sondern auch die Erfüllung der Steuerschuld nach den rechtlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten zum Zeitpunkt ihrer Fälligkeit. Die Pflicht zur pünktlichen Steuerzahlung dient nicht nur der Vermeidung des Verzugsschadens beim Fiskus. Denn dieser Schaden wäre bereits durch Verzugszinsen auszugleichen. Wenn der Gesetzgeber darüber hinaus mit den kraft Gesetzes verwirkten Säumniszuschlägen zusätzlich ein besonderes Druckmittel für die Fälle geschaffen hat, in denen die rechtzeitige Zahlung noch nicht wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich ist (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 7. Juli 1999 X R 87/96, BFH/NV 2000, 161), so zeigt das, dass er den Steuerpflichtigen auch zur Vermeidung sonstiger Schadensrisiken --wie etwa verminderter Leistungsfähigkeit-- zur rechtzeitigen Steuerzahlung anhalten wollte. Gerade in Zeiten der Krise kommt der Pflicht zur pünktlichen Zahlung der Steuer erhöhte Bedeutung zu. Sie soll den Fiskus nicht nur davor schützen, dass der Steuerschuldner zahlungsunfähig wird, bevor er (verspätet) bereit ist, seine Steuerschulden zu begleichen, sondern auch vor allen sonstigen Risiken verspäteter Zahlungsbereitschaft, wie sie sich z.B. im Streitfall realisiert haben.

4.

Auch unter dem Gesichtspunkt eines Mitverschuldens des FA lässt sich im Streitfall ein Haftungsausschluss oder eine Haftungsbegrenzung nicht begründen. Selbst wenn der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens innerhalb der Anfechtungsfrist der Steuerzahlung dem FA als Mitverschulden an dem Schadenseintritt anzulasten wäre, würde dieses Mitverschulden die Haftung des Klägers nicht beschränken. Nach der Rechtsprechung des Senats ist auf öffentlich-rechtliche Steuerhaftungsansprüche § 254 BGB nicht (entsprechend) anwendbar; anders als bei zivilrechtlichen Ersatzleistungen spielt also ein Mitverschulden des FA für das Entstehen bzw. den Umfang eines Steuerhaftungsanspruchs keine Rolle. Mitwirkendes Verschulden des FA am Entstehen eines Steuerausfalls kann allenfalls die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners ermessensfehlerhaft machen (Senatsbeschluss in BFH/NV 2000, 1442, m.w.N.). Im Streitfall jedoch kommt die Berücksichtigung eines etwaigen finanzbehördlichen Fehlverhaltens schon deshalb nicht in Betracht, weil es gegenüber dem Verschulden des Klägers keinesfalls entscheidend ins Gewicht fällt (vgl. Senatsurteil vom 30. August 2005 VII R 61/04, BFH/NV 2006, 232, m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, dass das FA im Streitfall die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht zu dem von ihm gewählten Zeitpunkt hätte beantragen dürfen, sind weder vorgetragen noch --insbesondere angesichts der Eröffnung des Verfahrens drei Monate nach Antragstellung-- sonst ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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