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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 20.07.2004
Aktenzeichen: VII R 45/01
Rechtsgebiete: FGO, TabStG


Vorschriften:

FGO § 74
TabStG § 21
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) fuhr am ... Januar 1998 aus Polen kommend mit einem von ihm gelenkten Taxi mit Anhänger, welchen er für einen polnischen Auftraggeber transportierte, in das Zollgebiet der Gemeinschaft ein. Bei der Überholung des Fahrzeugs wurden in einem extra hergerichteten Hohlraum im Anhänger unversteuerte Zigaretten entdeckt. Der Kläger gab an, in Polen beauftragt worden zu sein, mit seinem Taxi den mit zwei Reifen und einem Treibstoffkanister beladenen Anhänger nach S zu transportieren, um den Anhänger dort einer anderen Person zu übergeben. Der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt --HZA--) setzte mit Steuerbescheid die auf die Zigaretten entfallende Tabaksteuer gegen den Kläger fest; der Einspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) gab der hiergegen erhobenen Klage aus den in der Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern (ZfZ) 2002, 60 veröffentlichten Gründen statt und hob den Steuerbescheid auf, wobei es davon ausging, dass der Kläger von den im Anhänger versteckten Zigaretten nichts wusste und auch nichts wissen konnte.

Mit der Revision rügt das HZA die Verletzung des Art. 202 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a und Abs. 3 Anstrich 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften --ZK-- (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 302/1). Die vom FG vorgenommene Einschränkung des Begriffs des "vorschriftswidrigen Verbringens", wie er in Art. 202 Abs. 1 Unterabs. 2 ZK definiert sei, sei unzulässig. Gestellungspflichtig sei derjenige, der die Waren in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht habe; der Verbringer der Waren, auch der verborgenen, sei der Fahrzeugführer. Zur Begründung der Gestellungspflicht müssten keine zusätzlichen subjektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt sein. Beim zollschuldbegründenden vorschriftswidrigen Verbringen komme es daher nicht auf das schuldhafte Verhalten des Verbringers an; vielmehr sei das tatsächliche Befördern der Ware in das Zollgebiet entscheidend.

Das HZA beantragt, die Klage unter Aufhebung der Vorentscheidung abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er ist mit dem FG der Ansicht, dass derjenige Fahrer eines Fahrzeugs, der im Auftrag eines Dritten einen Transport übernommen habe, ohne Kenntnis von versteckter Schmuggelware zu haben, bei der Einreise in das Zollgebiet keine Verletzung der Gestellungspflicht begehe und deshalb auch nicht Schuldner der Einfuhrabgaben wegen vorschriftswidrigen Verbringens werde. Die von der Revision vertretene Gegenauffassung verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip, da sie in solchen Fällen mit der Verpflichtung zur Offenbarung auch versteckter Waren etwas Unmögliches vom Bürger verlange und zudem an einen Verstoß gegen diese Verpflichtung existenzbedrohende Folgen knüpfe. Außerdem sei unter den im Streitfall gegebenen Voraussetzungen der Fahrzeugführer nicht als der Verbringer anzusehen, sondern derjenige, der als mittelbarer Täter den gutgläubigen Fahrer für seine Tat benutzt habe. Schließlich müsse Art. 202 Abs. 3 Anstrich 1 ZK dahin ausgelegt werden, dass nur derjenige Zollschuldner sei, der wissentlich vorschriftswidrig verbringe oder durch einen Unbeteiligten verbringen lasse. Das in Art. 202 Abs. 3 Anstrich 2 ZK aufgeführte subjektive Tatbestandsmerkmal gelte auch für den Zollschuldner nach Anstrich 1.

Im Verlauf des Revisionsverfahrens hat der erkennende Senat in einem sachlich und rechtlich ähnlich liegenden Verfahren mit Beschluss vom 7. Mai 2002 VII R 39/01 (BFHE 198, 255) gemäß Art. 234 Satz 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft eine Vorabentscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zu folgenden Auslegungsfragen eingeholt:

"1. Ist Art. 4 Nr. 19 ZK dahin auszulegen, dass in der Mitteilung an die Zollbehörden darüber, dass sich die in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbrachte Ware an dem bestimmten Ort befindet, auf versteckte oder durch besonders angebrachte Vorrichtungen verheimlichte Waren ausdrücklich hinzuweisen ist?

2. Für den Fall, dass die unter Nr. 1 gestellte Frage bejaht wird:

Ist Art. 40 ZK dahin auszulegen, dass diese Mitteilung auch der Fahrer oder der gleichberechtigte Beifahrer eines Lastzuges zu machen hat, der von den in dem Lastzug versteckten oder verheimlichten Waren weder wusste noch hätte wissen müssen?

3. Für den Fall, dass die unter Nr. 2 gestellte Frage bejaht wird:

Spielt es für die Frage, wer Abgabenschuldner nach Art. 202 Abs. 3 Anstrich 1 ZK geworden ist, eine Rolle, wer die (unvollständige) Mitteilung tatsächlich abgegeben hat?"

Im Hinblick auf diesen Vorlagebeschluss hat der Senat auch das Verfahren im Streitfall in entsprechender Anwendung des § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zum Ergehen einer Entscheidung des EuGH in dem Verfahren VII R 39/01 ausgesetzt.

Der EuGH hat hierzu mit Urteil vom 4. März 2004 Rs. C-238/02 und C-246/02 (ZfZ 2004, 159) wie folgt entschieden:

"1. Die Gestellung von in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbrachten Waren im Sinne des Artikels 4 Nummer 19 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften betrifft alle Waren, und zwar auch versteckte oder durch besonders angebrachte Vorrichtungen verheimlichte Waren. Die in Artikel 38 des Zollkodex vorgesehene Gestellungspflicht gilt nach Artikel 40 des Zollkodex für den Fahrer und den Beifahrer eines Lastzuges, die diese Waren in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht haben, auch dann, wenn die Waren ohne ihr Wissen in dem Fahrzeug versteckt oder verheimlicht wurden.

2. Die Person, die die Waren in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht hat, ohne sie in der Gestellungsmitteilung anzugeben, ist Abgabenschuldner im Sinne des Artikels 202 Absatz 3 erster Gedankenstrich des Zollkodex."

Der Senat hat daraufhin das im Streitfall ausgesetzte Revisionsverfahren wieder aufgenommen. Die Beteiligten hatten Gelegenheit, sich zu dem Vorabentscheidungsurteil des EuGH zu äußern.

Das HZA hat keine Stellungnahme zum Streitgegenstand mehr abgegeben. Der Senat geht daher davon aus, dass es an seinem ursprünglichen Antrag festhält, die Klage unter Aufhebung der Vorentscheidung abzuweisen.

Der Kläger ist der Ansicht, dass die Auffassung des EuGH gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoße. Da zur Rechtsstaatlichkeit auch die materielle Gerechtigkeit gehöre, sei es nicht hinnehmbar, eine Vorschrift dahin auszulegen, dass einer Person Pflichten auferlegt würden, die sie nicht erfüllen könne. Der Stellungnahme des Klägers ist zu entnehmen, dass er an seinem Antrag, die Revision zurückzuweisen, festhält.

II. Die Revision des HZA ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO); das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO) und stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 126 Abs. 4 FGO).

Der angefochtene Steuerbescheid, mit dem das HZA Tabaksteuer gegen den Kläger festgesetzt hat, ist rechtmäßig (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

1. Im Streitfall ist die Tabaksteuerschuld gemäß Art. 202 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a ZK, der nach § 21 des Tabaksteuergesetzes bei der Einfuhr von Tabakwaren aus Drittländern (u.a.) für die Entstehung und die Person des Steuerschuldners sinngemäß gilt, entstanden. Nach jener Vorschrift entsteht die Einfuhrzollschuld, wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht wird. Nach Art. 202 Abs. 1 Unterabs. 2 ZK ist ein "vorschriftswidriges Verbringen" i.S. dieses Artikels jedes Verbringen unter Nichtbeachtung der Art. 38 bis 41 ZK und des Art. 177 Anstrich 2 ZK.

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt; die Zigaretten sind vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht worden. Es steht außer Streit und bedarf deshalb keiner weiteren Erörterung, dass es sich bei den am ... Januar 1998 in dem Anhänger aufgefundenen Zigaretten um einfuhrabgabenpflichtige Waren handelte. Diese Waren sind --wovon das FG zu Recht ausgegangen ist-- auch in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht worden. Der Begriff des "Verbringens" ist dahin zu verstehen, dass die Ware mit dem Handlungswillen einer bestimmten Person in das Zollgebiet der Gemeinschaft befördert wird. Während der Senat es mit seinem Beschluss in BFHE 198, 255 und dem Beschluss vom 7. Mai 2002 VII R 38/01 (BFH/NV 2002, 1191) als zweifelhaft angesehen hat, ob der Fahrer des Transportfahrzeugs einen solchen Willen in Bezug auf ohne sein Wissen in dem Fahrzeug versteckte Waren hat, aber angenommen hat, dass die Waren jedenfalls mit dem Willen derjenigen Person, welche sie zuvor in dem Fahrzeug versteckt hat, in das Zollgebiet gelangt sind, ist der EuGH in seinem Vorabentscheidungsurteil in ZfZ 2004, 159 dem nicht gefolgt, sondern ist davon ausgegangen, dass grundsätzlich diejenigen Personen, welche die Herrschaft über das Fahrzeug im maßgeblichen Zeitpunkt haben, d.h. der Fahrer und ggf. der Beifahrer, sämtliche mit dem Fahrzeug beförderten Waren in das Zollgebiet verbringen.

Hinsichtlich der Frage, ob die Zigaretten vorschriftswidrig i.S. des Art. 202 Abs. 1 ZK verbracht worden sind, erweist sich das angefochtene Urteil allerdings als nicht mit der genannten Vorschrift in Einklang stehend, denn das FG vertritt mit der vorgenommenen Einschränkung des Begriffs des "vorschriftswidrigen Verbringens" dahin, dass er der verbringenden Person nicht etwas Unmögliches abverlangen dürfe, eine andere Rechtsauffassung als der EuGH in dem Vorabentscheidungsurteil in ZfZ 2004, 159.

Ein vorschriftswidriges Verbringen von Waren liegt nach Art. 202 Abs. 1 Unterabs. 2 ZK (u.a.) dann vor, wenn die bei der Zollstelle eingetroffenen Waren entgegen Art. 40 ZK nicht von der Person, welche die Waren in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht hat, gestellt (Art. 4 Nr. 19 ZK) werden. Diese Pflicht zur Gestellung ist im Streitfall hinsichtlich der auf dem Anhänger befindlichen Zigaretten verletzt worden, denn die Gestellungspflicht erstreckt sich auf alle in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbrachten Waren, also auch auf solche, die in Verstecken des Fahrzeugs, in dem sie befördert werden, verheimlicht werden (EuGH-Urteil in ZfZ 2004, 159, Rz. 22). Die gestellungspflichtige Person i.S. des Art. 40 ZK war im Streitfall der Kläger, da die Zigaretten mit einem Fahrzeug in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht worden sind, und da in einem solchen Fall die Personen, welche die Waren anzumelden haben, diejenigen sind, die --wie im vorliegenden Fall der Kläger als Fahrer des Fahrzeugs-- die Herrschaft über das Fahrzeug im Zeitpunkt der Verbringung haben (EuGH-Urteil in ZfZ 2004, 159, Rz. 23).

2. Der Kläger ist gemäß Art. 202 Abs. 3 Anstrich 1 ZK Schuldner der entstandenen Abgaben, weil er die Zigaretten --auch wenn sie ohne sein Wissen im Anhänger versteckt waren-- faktisch in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht hat, ohne sie gegenüber der Zollbehörde in der Gestellungsmitteilung anzugeben (vgl. EuGH-Urteil in ZfZ 2004, 159, Rz. 27 bis 30). Der Ansicht des Klägers, dass Art. 202 Abs. 3 Anstrich 1 ZK dahin auszulegen sei, dass nur derjenige Zollschuldner sei, der wissentlich vorschriftswidrig verbringe, steht der klare Wortlaut des Art. 202 Abs. 3 ZK entgegen. Während die den Zollschuldner festlegenden Tatbestände des Art. 202 Abs. 3 Anstrich 2 und 3 ZK jeweils subjektive Tatbestandsmerkmale enthalten, ist dies in Art. 202 Abs. 3 Anstrich 1 ZK nicht der Fall.

3. Die hinsichtlich der Auslegung des einschlägigen Gemeinschaftsrechts maßgebliche Rechtsauffassung des EuGH verstößt, anders als der Kläger meint, nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip. Zum einen wird --wie der Senat bereits mit seinen Vorlagebeschlüssen in BFHE 198, 255 und in BFH/NV 2002, 1191 ausgeführt hat-- mit dieser Auslegung der Vorschrift von dem gutgläubigen Verbringer nichts objektiv Unmögliches verlangt, sondern allenfalls etwas, das evtl. billigerweise nicht von ihm verlangt werden kann. Zum anderen kann Härtefällen im Einzelfall, in denen die Abgabenerhebung sachlich oder persönlich unbillig erscheint --wie es der Kläger im Streitfall für sich in Anspruch nimmt-- durch Abgabenerlass bzw. -erstattung Rechnung getragen werden. Nach den Feststellungen des FG hat der Kläger einen bisher vom HZA noch nicht beschiedenen Erlassantrag gestellt. Wie der Kläger mit seiner Revisionserwiderung vorträgt, hat das HZA angekündigt, über den Erlassantrag nach Beendigung des vorliegenden Klageverfahrens entscheiden zu wollen.

Ende der Entscheidung

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