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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 09.05.2006
Aktenzeichen: VII R 50/05
Rechtsgebiete: AO 1977, BGB, HGB


Vorschriften:

AO 1977 § 126 Abs. 1 Nr. 2
AO 1977 § 126 Abs. 2
AO 1977 § 191 Abs. 1
AO 1977 § 367 Abs. 2 Satz 1
BGB § 427
BGB § 421
HGB § 128
1. Unterliegt eine GbR als solche der Besteuerung, ergibt sich die persönliche Haftung der Gesellschafter einer GbR für die Steuerschulden und die steuerlichen Nebenleistungen der Gesellschaft entsprechend § 128 Satz 1 HGB i.V.m. § 191 AO 1977 (Anschluss an die BGH-Rechtsprechung).

2. Wer gegenüber dem FA den Rechtsschein erweckt, Gesellschafter einer GbR zu sein, haftet für Steuerschulden der Schein-GbR, wenn das FA nach Treu und Glauben auf den gesetzten Rechtsschein vertrauen durfte. Das ist nicht der Fall, wenn das aktive Handeln des in Anspruch Genommenen weder unmittelbar gegenüber dem FA noch zur Erfüllung steuerlicher Pflichten oder zur Verwirklichung steuerlicher Sachverhalte veranlasst war und ihm im Übrigen bloß passives Verhalten gegenüber dem FA vorzuhalten ist.


Gründe:

I.

Am 14. Juni 1991 ging beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) die Mitteilung des Bezirksamtes K über die Anmeldung der Übernahme eines bereits bestehenden Handwerksbetriebes durch die GbR H und F zum 28. Januar 1991 ein. Frau F, die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), war als Gesellschafterin benannt. Am 26. Oktober 1993 ging die entsprechende Gewerbeabmeldung zum 31. Januar 1992 ein.

Einer wiederholten Aufforderung des FA im Jahr 1991, eine steuerliche Anmeldung einzureichen, folgte die Klägerin nicht. Auch weitere Aufforderungen vom Oktober 1993 und Juni 1994, für die Zeit ihrer Beteiligung an der GbR Erklärungen zur einheitlichen und gesonderten Feststellung, zur Umsatzsteuer und Einkommensteuer 1991 einzureichen, blieben unbeantwortet.

Bescheide über Umsatzsteuervorauszahlungen für 1991 und bis Juli 1992 erließ das FA aufgrund geschätzter Besteuerungsgrundlagen gegen die früher in den Geschäftsräumen tätige GbR, erstmals für den Voranmeldungszeitraum August 1992 mit Bescheid vom 16. November 1992 gegenüber der GbR H und F.

Mit Bescheid vom 13. bzw. 15. September 1994 setzte das FA Umsatzsteuer unter Schätzung der Besteuerungsgrundlagen gegenüber der GbR H und F für 1991 in Höhe von 9 104 DM und für 1992 in Höhe von 1 166 DM fest. Die Bescheide wurden der Klägerin und Frau H bekannt gegeben. Gezahlt wurde nicht, Einsprüche wurden nicht eingelegt.

Auf die Ankündigung des FA, die Klägerin als Gesellschafterin der GbR wegen der rückständigen Abgaben gemäß §§ 427, 421 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) in Haftung zu nehmen, gab die Klägerin an, sie habe von Frau H lediglich eine Vergütung für die Hingabe ihres Meistertitels erhalten, um eine GbR habe es sich nicht gehandelt. Gleichwohl erließ das FA im Juni 1995 einen Haftungsbescheid für im Einzelnen aufgeführte Abgabenschulden der GbR. Zur Begründung hieß es, es sei sehr wohl eine GbR anzunehmen, denn ohne die Beteiligung wäre das Friseurgeschäft unter Berücksichtigung der Handwerksordnung gar nicht zu betreiben gewesen; eine Inanspruchnahme der weiteren Gesamtschuldnerin, Frau H, werde erfolgen, sobald der zur Zeit unbekannte Aufenthaltsort ermittelt worden sei.

Zur Begründung ihres Einspruchs legte die Klägerin am 2. November 1995 einen Zusatzvertrag vom 5. Februar 1991 zum Gesellschaftsvertrag vom 21. Januar 1991 vor, wonach die Gewinnanteile auf ein monatliches Fixum von 450 DM festgelegt und die Klägerin von allen Geschäftsverpflichtungen freigestellt wurde.

In der Einspruchsentscheidung vom Juli 2000 beschränkte das FA die Haftung auf den Zeitraum Januar 1991 bis Januar 1992 und wies im Übrigen den Einspruch zurück. Es hielt daran fest, dass die Klägerin im genannten Zeitraum unbeschadet der Zusatzvereinbarung Gesellschafterin der GbR gewesen sei. Sie sei vom FA mehrfach in Sachen GbR H und F angeschrieben worden, ohne der Behandlung als Gesellschafterin der GbR widersprochen zu haben. Dies sei erst anlässlich des Haftungsbescheids geschehen. Derjenige, der dem FA gegenüber als Gesellschafter einer Personengesellschaft auftrete, müsse sich auch bei Nichtbestehen der Gesellschaft nach dem Maß des von ihm erweckten Rechtsscheins als Gesellschafter behandeln lassen.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und hob den Haftungsbescheid auf. Die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2005, 1781 veröffentlicht.

Das FA stützt seine Revision auf die Verletzung des § 191 der Abgabenordnung (AO 1977) und des § 128 des Handelsgesetzbuchs (HGB). Die vom FG selbst angenommene Rechtsscheinhaftung sei erst mit Vorlage des Ergänzungsvertrages vom 5. Februar 1991 im Einspruchsverfahren entfallen. Eine Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Abschlusses dieses Ergänzungsvertrages sei nicht zulässig, da sonst das FA nicht mehr zeitnah über den Gesellschafterbestand einer GbR unterrichtet und damit die zutreffende Besteuerung in unzumutbarer Weise eingeschränkt würde, die Gefahr bestünde, dass der Abschluss sog. Schubladenverträge für mehrere mögliche Fallgestaltungen zum normalen Geschäftsalltag würde und die mögliche Inanspruchnahme eines anderen Steuerpflichtigen verjährt sein könnte. Auch sei der Haftungsbetrag zutreffend, da es auf die fehlende oder fehlerhafte Festsetzung der Umsatzsteuer für die Inanspruchnahme des Haftenden nicht ankomme.

Das FA beantragt, die Klage unter Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat den Haftungsbescheid im Ergebnis zu Recht aufgehoben.

1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass das FA die Inanspruchnahme der Klägerin verfahrensfehlerfrei nicht nur auf ihre Stellung als Gesellschafterin der GbR H und F, sondern (noch im Einspruchsverfahren zusätzlich) auch auf einen von ihr begründeten Rechtsschein, Gesellschafterin der GbR zu sein, stützen konnte.

Keine Bedenken bestehen dagegen, dass das FA die Anspruchsgrundlage für die Inhaftungnahme der Klägerin in der Einspruchsentscheidung gegenüber der für den Haftungsbescheid herangezogenen Rechtsgrundlage (§§ 421, 427 BGB) um den Haftungsgrund der Rechtsscheinhaftung erweitert hat. Im Einspruchsverfahren ist die Sache gemäß § 367 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 in vollem Umfang erneut zu prüfen. Auch wenn der Senat davon ausgeht, dass die Überprüfung der Sache ihre Grenze in dem angefochtenen Verwaltungsakt als formellen Gegenstand des Einspruchs findet und nicht auf Personen, Steuergegenstände oder Zeiträume ausgedehnt werden darf, die von dem angefochtenen Verwaltungsakt nicht erfasst worden sind, dass also nur der steuerlich erhebliche Vorgang, der Gegenstand des angefochtenen Verwaltungsakts gewesen ist, auch Gegenstand der Einspruchsentscheidung sein darf, verstößt die im Streitfall vom FA getroffene Einspruchsentscheidung dagegen jedenfalls nicht. Obwohl in ihr die Haftung der Klägerin zusätzlich auf die Rechtsscheinhaftung statt wie davor allein auf §§ 421, 427 BGB gestützt worden ist, lag ihr derselbe haftungsrechtlich erhebliche Vorgang, nämlich die Gewerbeanmeldung als GbR H und F zugrunde. Das FA hat diesen Sachverhalt in der Einspruchsentscheidung lediglich rechtlich anders gewürdigt. Dadurch ist der angefochtene Haftungsbescheid aber nicht in seinem Wesensgehalt geändert worden. Die rechtliche Würdigung eines bestimmten Geschehensablaufs kann in der Einspruchsentscheidung durchaus von der des angefochtenen Verwaltungsaktes abweichen (Senatsentscheidung vom 8. November 1994 VII R 1/93, BFH/NV 1995, 657). Im Übrigen kann selbst eine fehlende Begründung des Haftungsbescheids jedenfalls bis zum Abschluss des Einspruchsverfahrens nachgeholt werden (§ 126 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 AO 1977).

2. Das FG hat den Haftungsbescheid im Ergebnis zu Recht aufgehoben. Ein Rechtsgrund für die Haftung der Klägerin liegt nicht vor.

Nach § 191 Abs. 1 AO 1977 kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Diese Vorschrift umfasst auch die Haftungsansprüche nach zivilem Recht (so schon Senatsurteil vom 23. Oktober 1985 VII R 187/82, BFHE 145, 13, BStBl II 1986, 156).

a) Unterliegt eine GbR als solche der Besteuerung, ergibt sich nach neuerer Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) im Anschluss an den Bundesgerichtshof (Urteil vom 29. Januar 2001 II ZR 331/00, Neue Juristische Wochenschrift 2001, 1056) die persönliche Haftung der Gesellschafter einer GbR für die Steuerschulden und die steuerlichen Nebenleistungen der Gesellschaft entsprechend § 128 Satz 1 HGB (BFH-Beschluss vom 28. Januar 2005 III B 91/04, BFH/NV 2005, 1141, m.w.N.). Danach haften die Gesellschafter einer GbR wie die einer Offenen Handelsgesellschaft (OHG) für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern als Gesamtschuldner persönlich. Das FG hat insoweit für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) festgestellt, dass diese Haftung im Streitfall ausgeschlossen ist, weil eine GbR zwischen Frau H und der Klägerin nicht bestanden hat.

b) Aber auch der gegenüber der Finanzbehörde begründete Rechtsschein, Gesellschafter einer Personengesellschaft zu sein, kann ausreichen, um eine Haftung für Abgaben der Gesellschaft zu begründen.

In der wiederholt als Grundsatzurteil bezeichneten Entscheidung vom 20. Januar 1977 V R 153/72 (BFHE 121, 275, BStBl II 1977, 364) hat sich der BFH der im bürgerlichen Recht und im Handelsrecht anerkannten Auffassung angeschlossen, dass derjenige, der sich nach außen hin als Gesellschafter geriert, sich nach dem Maß des von ihm zurechenbar erweckten Rechtsscheins von einem Dritten, der hierauf vertrauen durfte, auch als Gesellschafter behandeln lassen muss (vgl. auch BFH-Urteile vom 4. März 1986 VII R 133/80, BFH/NV 1986, 646, und vom 19. Januar 1988 VII R 161/84, BFH/NV 1988, 615; vgl. auch Boeker in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, Vor §§ 69-77 AO Rz. 39 und 55; Klein/Rüsken, AO, 8. Aufl., § 69 Rz. 162). Dieser aus dem Prinzip von Treu und Glauben gewonnene Grundsatz gilt danach auch für das Rechtsverhältnis zwischen dem Steuergläubiger und dem Steuerschuldner oder den Personen, die für den Steuerschuldner haften.

c) Im Streitfall hat das FG einen von der Klägerin erzeugten, haftungsbegründenden Rechtsschein nach diesen Rechtsgrundsätzen zu Unrecht bejaht.

aa) Die auf die Untätigkeit der Klägerin auf Anfragen und Aufforderungen des FA gestützte Würdigung, die Klägerin habe gegenüber dem FA einen solchen Rechtsschein gesetzt, der grundsätzlich auch eine Haftungsinanspruchnahme erlaube, weil sie das FA, das zunächst gar keine Veranlassung gehabt habe, Steuerbescheide gegenüber der Einzelunternehmerin H anstatt gegenüber der GbR zu erlassen, "auf die falsche Schiene gesetzt" habe, lässt außer Acht, dass das bloß passive Verhalten der Klägerin gegenüber dem FA im Streitfall nicht geeignet ist, einen Vertrauenstatbestand als Grundlage für die Verpflichtung zur Steuerhaftung zu schaffen.

In seiner Entscheidung in BFHE 121, 275, BStBl II 1977, 364 (unter Tz. 2) hat der BFH --obwohl er die Rechtsscheinhaftung aufgrund aktiven Auftretens als Gesellschafter gegenüber dem FA für einen vorangegangenen Veranlagungszeitraum bejaht hat-- einen fortbestehenden Vertrauenstatbestand für nachfolgende Veranlagungszeiträume verneint, weil "für diese Veranlagungszeiträume ... für das Unternehmen S. keine Steuererklärungen mehr abgegeben, ... keine Bilanzen erstellt (wurden), ... auch keine Betriebsprüfung statt(fand)" und das FA aus mehreren Mitteilungen den wahren Sachverhalt habe erkennen können. Kann danach ein haftungsbegründender Rechtsschein durch passives Verhalten des Herangezogenen wieder entfallen, so kann er erst recht nicht durch passives Verhalten begründet werden.

bb) Den Feststellungen des FG und den diesen zugrunde liegenden Akten ist nicht zu entnehmen, ob und wie die Klägerin an der Anmeldung des Friseurgewerbes als GbR H und F gegenüber dem Bezirksamt mitgewirkt hat. Weitere Aufklärung insoweit ist jedoch entbehrlich. Auch wenn die Klägerin aktiv an der Gewerbeanmeldung mitgewirkt hätte, ließe sich auch darauf der Haftungsbescheid nicht stützen.

Es kann dahinstehen, ob die Klägerin mit einem solchen Verhalten einen die zivilrechtliche Haftung auslösenden Rechtsschein begründet haben könnte. Jedenfalls hätte das FA allein wegen dieses --weder unmittelbar gegenüber dem FA, noch zur Erfüllung steuerlicher Pflichten oder Verwirklichung steuerlicher Sachverhalte veranlassten-- Handelns nicht darauf vertrauen dürfen, dass die Klägerin als Gesellschafterin einer GbR für die Steuerschulden persönlich haftet.

Nach den Feststellungen des FG hat die Klägerin auf zweimalige Aufforderungen des FA nach Mitteilung der Gewerbeanmeldung am 14. Juni 1991, eine steuerliche Anmeldung einzureichen, nicht reagiert. Die erst nach Mitteilung der Gewerbeabmeldung zum 31. Januar 1992 im Juni 1994 an die Klägerin gerichtete Aufforderung, die steuerlichen Erklärungen für 1991 einzureichen, blieb unbeantwortet. Auch auf den erstmals im November 1992 erlassenen Schätzungsbescheid wegen Umsatzsteuervorauszahlung für August 1992 und die nach weiteren fast zwei Jahren erlassenen Umsatzsteuerjahresbescheide für 1991 und 1992 gegenüber der GbR H und F kam keine Reaktion der Klägerin. Von einem durch die Klägerin erzeugten Rechtsschein gegenüber dem FA kann in Anbetracht einer solchen Sachlage keine Rede sein. Gegen ein beim FA erwecktes Vertrauen spricht ferner der Umstand, dass das FA selbst noch bis Juli 1992 Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide an die GbR richtete, die das Friseurgeschäft vor der Gewerbeanmeldung der GbR H und F betrieben hatte.

3. Da nach alledem das FA nicht auf einen von der Klägerin zurechenbar erweckten Rechtsschein vertrauen durfte, ist der Haftungsbescheid rechtswidrig und damit vom FG zu Recht aufgehoben worden. Auf die Ausführungen des FG zur rückwirkenden Beseitigung einer Rechtsscheinhaftung kommt es danach nicht an.

Ende der Entscheidung

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