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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 27.01.2004
Aktenzeichen: VII R 56/02
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 80 Abs. 4
AO 1977 § 80 Abs. 5
AO 1977 § 131 Abs. 1
FGO § 100 Abs. 1 Satz 4
FGO § 135 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die in den Niederlanden wohnhaften Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind in Deutschland beschränkt einkommensteuerpflichtig. Sie haben einen Antrag auf Einkommensteuerveranlagung 1992 gestellt. Bei dessen Anfertigung hat ihnen der nach niederländischem Recht als Steuerberater zugelassene und in den Niederlanden ansässige Herr X geholfen. Dieser berät u.a. Steuerpflichtige, die in den Niederlanden wohnen, aber (auch) in Deutschland Steuererklärungen abzugeben haben. Er erstellt für diese Überschussrechnungen oder Jahresabschlüsse und wirkt bei der Anfertigung ihrer Steuererklärungen mit, die jedoch von ihnen eigenhändig unterschrieben und selbst bei den deutschen Steuerbehörden eingereicht werden.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) hat X 1993 nach § 80 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO 1977) als Bevollmächtigten der Kläger zurückgewiesen. Das FA hat den Klägern dazu mitgeteilt, alles, was X in ihrer Sache vorbringe, sei ohne steuerliche Wirkung. Das FA bitte, X im eigenen wohlverstandenen Interesse nicht mehr zu beschäftigen. Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, die Klage sei zulässig und begründet. X sei weder Bevollmächtigter noch Beistand der Kläger i.S. des § 80 Abs. 4 bzw. 5 AO 1977.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom FG zugelassene Revision des FA.

Im Laufe des Revisionsverfahrens hat das FA den angefochtenen Bescheid nach § 131 Abs. 1 AO 1977 mit Wirkung für die Zukunft widerrufen und den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Die Kläger haben der Erledigungserklärung mit Hinweis darauf widersprochen, dass Sch von Anfang an rechtmäßig gehandelt habe. Der Bitte des erkennenden Senats, zum Fortbestand des Rechtsschutzinteresses an der Aufhebung der angefochtenen Verfügung ergänzend vorzutragen, haben sie nicht entsprochen.

II. 1. Nach den gesamten Umständen geht der erkennende Senat davon aus, dass die Kläger, nachdem das FA die angefochtene Verfügung mit Wirkung für die Zukunft widerrufen hat, gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage begehren festzustellen, dass die vorgenannte Verfügung rechtswidrig gewesen ist. Wiewohl die anwaltlich vertretenen Kläger einen solchen Antrag nicht ausdrücklich gestellt haben, obwohl sie durch die Erledigungserklärung des FA auf die Erledigung des Rechtsstreites in der Hauptsache ausdrücklich hingewiesen worden sind, entspricht diese Deutung ihrer Erwiderung auf die Erledigungserklärung des FA einzig einem vernünftigerweise denkbaren Rechtsschutzziel; denn die von den Klägern ursprünglich erhobene Anfechtungsklage gegen die Verfügung des FA, die im Revisionsverfahren zunächst sinngemäß aufrechterhalten worden ist, ist unzulässig geworden, nachdem das FA diese Verfügung mit Wirkung für die Zukunft widerrufen hat und aus der Vergangenheit fortdauernde Rechtswirkungen der Verfügung weder geltend gemacht noch sonst erkennbar sind.

2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist indes unzulässig, weil von den Klägern ein Feststellungsinteresse weder schlüssig geltend gemacht noch dieses sonst erkennbar ist.

Nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO ist auf Antrag auszusprechen, dass ein vor Ergehen der Sachentscheidung des Gerichts erledigter Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Für ein berechtigtes Interesse im Sinne der vorgenannten Vorschrift genügt jedes konkrete, vernünftigerweise anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, sofern die begehrte Feststellung geeignet ist, in einem der genannten Bereiche zu einer Verbesserung der Position des Klägers zu führen (vgl. statt aller Urteil des Senats vom 2. Juni 1992 VII R 35/90, BFH/NV 1993, 46). Daran fehlt es indes hier.

Insbesondere ist ein wirtschaftliches Interesse der Kläger an der begehrten Feststellung nicht erkennbar. Zwar kann ein solches nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO anerkennungswürdiges Interesse begründen, dass ein Beteiligter wegen des erledigten Verwaltungsakts einen Schadensersatzprozess, wenn schon nicht anhängig gemacht hat, so doch mit hinreichender Sicherheit anhängig machen will, sofern die Entscheidung nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO für diesen Schadensersatzprozess nicht ohne Bedeutung wäre und der Schadensersatzprozess nicht offensichtlich aussichtslos ist (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. Juli 1994 II R 109/91, BFH/NV 1995, 322, und vom 18. Mai 1976 VII R 108/73, BFHE 119, 26, BStBl II 1976, 566; vgl. bereits Urteil des Senats vom 3. November 1970 VII R 43/69, BFHE 100, 436, BStBl II 1971, 114). Für das besondere Feststellungsinteresse nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO muss dabei substantiiert dargelegt werden, dass ein Schadensersatzprozess bevorsteht (BFH-Urteil in BFH/NV 1995, 322).

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Kläger haben nicht einmal behauptet, einen durch die erledigte Zurückweisungsverfügung entstandenen Schaden geltend machen zu wollen, und es ist auch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass ihnen insofern überhaupt Schaden entstanden ist und dass sie diesen Schaden mit hinreichender Aussicht auf Erfolg gegenüber dem FA geltend machen könnten.

Die Kläger haben auch kein anerkennenswertes ideelles Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Zurückweisungsverfügung. Die Rechtsprechung des erkennenden Senats hat ein solches Interesse dann anerkannt, wenn aufgrund eines erheblichen Eingriffs in die Persönlichkeitssphäre des Klägers dessen Rehabilitierung durch die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vorgehens der Behörde geboten erscheint (Urteile vom 17. Januar 1995 VII R 47/94, BFH/NV 1995, 737; vom 23. März 1976 VII R 106/73, BFHE 118, 503, BStBl II 1976, 459; vom 4. März 1986 VII R 78/84, BFH/NV 1986, 622, und vom 27. Mai 1975 VII R 80/74, BFHE 116, 315, BStBl II 1975, 860). Diese Rechtsprechung betrifft zum einen Sachverhaltsgestaltungen, in denen der angefochtene, erledigte Verwaltungsakt einen diskriminierenden Bedeutungsgehalt hat, zum anderen Verwaltungsakte, die eine besondere Beziehung zum Recht des Klägers aufweisen, als Persönlichkeit mit einem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung anerkannt zu werden, oder bei denen es sonst der Bedeutung betroffener elementarer Grundrechte entspricht, auch nach einer Erledigung der Hauptsache im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage eine Klärung darüber herbeizuführen, ob die betreffenden Grundrechte verletzt worden sind (vgl. Gerhardt in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, § 113 Rdnr. 91, mit zahlreichen weiteren Nachweisen; zur Bedeutung dieses Gesichtspunkts im Verfassungsbeschwerdeverfahren vgl. Bundesverfassungsgericht --BVerfG--, Beschlüsse vom 19. Dezember 1962 1 BvR 163/56, BVerfGE 15, 226, 230; vom 28. Juni 1972 1 BvR 105/63 und 275/68, BVerfGE 33, 247, 257). Ein Eingriff in die nach Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes geschützte Handlungsfreiheit begründet hingegen nach seiner Aufhebung (vgl. Urteil des Senats in BFH/NV 1993, 46) oder nach seiner Erledigung durch Zeitablauf regelmäßig kein Feststellungsinteresse i.S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO.

Unter keinem der vorgenannten Gesichtspunkte kommt vorliegend eine Zulassung der Fortsetzungsfeststellungsklage in Betracht. Der angefochtene Verwaltungsakt des FA war nicht diskriminierend im vorgenannten Sinne, insbesondere nicht im Hinblick auf die Kläger. Zwischen den Beteiligten streitig war im Kern lediglich eine Frage der Auslegung des Steuerberatungsgesetzes und der zu berücksichtigenden Gebote des Gemeinschaftsrechts, nämlich ob der steuerliche Helfer der Kläger X für die von ihm ausgeübte Tätigkeit eine Berufszulassung nach deutschem Steuerberatungsrecht benötige.

Die Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage kann auch nicht daraus hergeleitet werden, dass nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO unter besonderen Voraussetzungen die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Hoheitsaktes dann in Betracht kommen kann, wenn dies zur Gewährung ausreichend effektiven Rechtsschutzes als Ausgleich für eine irreparable rechtswidrige Persönlichkeitsverletzung erforderlich ist, etwa weil eine Sachentscheidung wegen der Art der Maßnahme oder des Geschehensablaufs in der Regel nicht rechtzeitig ergehen kann (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 14. Juli 1994 1 BvR 1595, 1606/92, BVerfGE 91, 125, 133, und in BVerfGE 33, 247, 257), ohne die Zulassung der Fortsetzungsfeststellungsklage also die zwischen den Beteiligten strittige Rechtsfrage möglicherweise auf Dauer ungeklärt bliebe. Auch darum handelt es sich vorliegend freilich offenkundig nicht.

Da die Klage nach alledem unzulässig ist, ist sie auf die Revision des FA abzuweisen und das Urteil des FG dementsprechend aufzuheben. Die Kosten des Verfahrens müssen nach § 135 Abs. 1 FGO den Klägern auferlegt werden, da sie mit ihrem (geänderten) Antrag unterlegen sind, ohne dass es darauf ankäme und der erkennende Senat dazu Stellung nehmen könnte, ob ihr ursprüngliches Begehren, die Zurückweisungsverfügung des FA aufzuheben, berechtigt war.

Ende der Entscheidung

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