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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 15.11.2004
Aktenzeichen: VIII B 184/04
Rechtsgebiete: FGO, AO 1977, EStG, BVerfGG


Vorschriften:

FGO § 115 Abs. 2
AO 1977 § 363 Abs. 2
AO 1977 § 363 Abs. 2 Satz 1
AO 1977 § 363 Abs. 2 Satz 2
EStG § 32 Abs. 7
EStG § 33c Abs. 1
EStG § 33c Abs. 2
EStG § 33c Abs. 3
EStG § 33c Abs. 4
BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet. Entgegen der Rüge der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) liegt keiner der in § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufgeführten Gründe für die Zulassung der Revision vor.

1. Die Vorentscheidung verstößt nicht deshalb gegen das Recht der Kläger auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 des Grundgesetzes, § 119 Nr. 1 FGO), weil der Rechtsstreit im finanzgerichtlichen Verfahren auf den Einzelrichter (§ 6 Abs. 1 FGO) übertragen und von diesem entschieden worden ist.

Wie die Kläger selbst vorgetragen haben, könnte die Übertragung eines Rechtsstreits auf den Einzelrichter nur dann als Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) angesehen werden, wenn sie auf einem groben Rechtsverstoß im Sinne einer "greifbaren Gesetzwidrigkeit" beruht. Dies ist hier nicht der Fall. Denn die Kläger haben keine Tatsachen dargelegt und es sind auch keine Umstände ersichtlich, die die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter im Streitfall als fehlerhaft erscheinen lassen könnten.

Doch selbst wenn man die --unzutreffende-- Rechtsansicht der Kläger, dass hier eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung entscheidungserheblich sei, als richtig unterstellen würde, könnte daraus eine greifbare Gesetzwidrigkeit der Übertragung auf den Einzelrichter nicht hergeleitet werden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- 19. Januar 1994 II R 69/93, BFH/NV 1994, 725).

2. Die Entscheidung, ob der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) das Einspruchsverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid für 1996 wegen der Kinderbetreuungskosten gemäß § 363 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) hätte ruhen lassen müssen oder ob er berechtigt war, über den Einspruch zu entscheiden, erfordert entgegen der Auffassung der Kläger nicht die Klärung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Diese Frage lässt sich vielmehr anhand der im Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung vom 15. Oktober 2001 bereits vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) beantworten.

a) Durch den von den Klägern im Einspruchsverfahren zitierten Beschluss des BVerfG vom 10. November 1998 2 BvR 1057/91, 2 BvR 1226/91 und 2 BvR 980/91 (BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182) war bereits geklärt, dass und in welchem Umfang § 33c Abs. 1 bis 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und § 32 Abs. 7 EStG verfassungswidrig waren. Es war somit beim BVerfG wegen dieser Frage kein Verfahren mehr anhängig, dessen Ausgang gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 hätte abgewartet werden müssen.

b) Soweit die Kläger im vorliegenden Verfahren geltend machen, die vom BVerfG in dem Beschluss in BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182 angeordnete befristete Weitergeltung der §§ 33c Abs. 1 und 4 EStG und 32 Abs. 7 EStG verstoße gegen das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) und sei verfassungswidrig, haben sie ihren Einspruch nicht --wie für das Ruhen des Verfahrens nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 erforderlich-- auf diese Rechtsfrage gestützt. Sie haben im Einspruchsverfahren auch nicht auf ein zu dieser Rechtsfrage beim BVerfG oder beim BFH anhängiges Musterverfahren verwiesen.

3. Die Entscheidung, ob das Klagebegehren auf Aufhebung der Einspruchsentscheidung unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt sein könnte, dass wichtige Gründe i.S. des § 363 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 das Ruhen des Verfahrens zweckmäßig erscheinen ließen, erfordert ebenfalls nicht die Klärung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Vielmehr lässt sich auch diese Frage anhand der im Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung vom 15. Oktober 2001 bereits vorliegenden Rechtsprechung des BVerfG und der Gesetze beantworten, die zwischenzeitlich unter Berücksichtigung des Beschlusses in BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182 erlassen worden waren.

Das BVerfG hat in dem Beschluss in BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182 die Weitergeltung des § 33c Abs. 1 bis 4 EStG bis spätestens zum 31. Dezember 1999 und des § 32 Abs. 7 EStG bis spätestens zum 31. Dezember 2001 angeordnet. Die Anordnung der Weitergeltung eines Gesetzes durch das BVerfG bindet die Behörden und Gerichte (vgl. § 31 BVerfGG; BVerfG-Beschluss vom 30. März 1998 1 BvR 1831/97, BStBl II 1998, 422; vgl. auch BFH-Urteile vom 2. Dezember 1998 X R 48/97, BFH/NV 1999, 1192; vom 16. Dezember 1998 X R 68/98, BFH/NV 1999, 1193). Dementsprechend hat das BVerfG in einem Beschluss vom 23. November 1999 2 BvR 1455/98 (Neue Juristische Wochenschrift 2000, 723, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2000, 219) erläutert, die Weitergeltung der Vorschriften bedeute, dass die Fachgerichte diese Vorschriften bis zum Ablauf der entsprechenden Frist anzuwenden und ihren Entscheidungen weiterhin zugrunde zu legen hätten. Es hat im Einklang mit diesem Beschluss die im Jahre 1999 wegen der Kinderbetreuungskosten anhängig gemachten und von den Klägern in der Beschwerdeschrift bezeichneten Verfassungsbeschwerden gemäß §§ 93a, 93b BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG-Beschlüsse vom 2. Mai 2002 2 BvR 760/99; vom 14. Mai 2002 2 BvR 800/99; vom 16. Dezember 2002 2 BvR 759/99, juris).

Nachdem der Gesetzgeber die Änderungen wegen des Kinderbetreuungsaufwands im Gesetz zur Familienförderung vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 1999, 2252, BStBl I 2000, 4) und im Zweiten Gesetz zur Familienförderung vom 16. August 2001 (BGBl I 2001, 2074, BStBl I 2001, 533) lediglich mit Wirkung für die Zukunft und nicht --wie es zugunsten der Steuerpflichtigen auch zulässig gewesen wäre-- rückwirkend vorgenommen hatte, war geklärt, dass für das Streitjahr 1996 die bisherige Gesetzeslage maßgebend blieb und die Sache somit entscheidungsreif war, so dass das Ruhen des Einspruchsverfahrens nicht mehr zweckmäßig war.

Ende der Entscheidung

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