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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 29.06.2006
Aktenzeichen: VIII B 186/05
Rechtsgebiete: AO 1977, StPO, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
AO 1977 § 169 Abs. 2 Satz 2
StPO § 153a
StPO § 153a Abs. 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Im Anschluss an eine Steuerfahndungsprüfung bei den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger), die ergab, dass die Kläger in den Streitjahren Kapitalvermögen und die daraus erzielten Einnahmen in erheblichem Umfang nicht versteuert hatten, änderte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) im Jahr 2002 u.a. die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1989 bis 1996 und die Vermögensteuerbescheide auf den 1. Januar 1994, 1. Januar 1995 und 1. Januar 1996; ferner erließ es einen erstmaligen Vermögensteuerbescheid auf den 1. Januar 1993. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren haben die Kläger Klage erhoben, mit der sie im Wesentlichen geltend machten, die angefochtenen Bescheide hätten wegen eingetretener Festsetzungsverjährung nicht ergehen dürfen.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen und wegen der Begründung im Wesentlichen auf seinen Beschluss vom 27. Oktober 2003 12 V 3538/03 A Bezug genommen, mit dem es den Antrag der Kläger auf Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide abgelehnt hatte. Die Festsetzungsfrist für die streitigen Steuern sei entgegen der Ansicht der Kläger bei Erlass der angefochtenen Bescheide nicht abgelaufen gewesen. Die Festsetzungsfrist habe gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) 10 Jahre betragen, da die Kläger sich einer Steuerhinterziehung schuldig gemacht hätten. Der Senat habe keinen Zweifel daran, dass zumindest der Kläger die falschen Angaben in den Steuererklärungen (wenigstens bedingt) vorsätzlich gemacht habe, denn das gegen ihn eröffnete Strafverfahren habe zwar mit einer Einstellung geendet, jedoch beruhe diese Entscheidung auf § 153a der Strafprozessordnung (StPO). Diese Vorschrift gestatte es, trotz Erfüllung des Tatbestands eines Vergehens das Strafverfahren einzustellen, wenn die erklärten Auflagen geeignet seien, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen. Die Festsetzungsfrist sei auch deshalb gewahrt, weil der Fristablauf durch den Beginn der Fahndungsprüfung im November 1999 gehemmt worden sei (§ 171 Abs. 5 AO 1977). Das FG hat die Revision nicht zugelassen.

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision machen die Kläger geltend, das Urteil beruhe auf der Verletzung von Verfahrensrecht (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Das FG habe auf der Grundlage eines unzureichend ermittelten Sachverhalts (§ 76 FGO) entschieden. Es sei rechtsirrig davon ausgegangen, dass mit der Einstellung eines Strafverfahrens nach § 153a StPO der objektive und subjektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung festgestellt sei. Deshalb habe es davon abgesehen, die Einwendungen der Kläger gegen die Annahme einer Steuerhinterziehung zu prüfen. Diese Feststellungen seien für den Ausgang des Verfahrens wesentlich, weil die 10-jährige Festsetzungsfrist nur im Fall einer Steuerhinterziehung eingreife. Das angefochtene Urteil beruhe auf diesem Verfahrensfehler, weil die reguläre Festsetzungsfrist von vier Jahren bei Erlass der angefochtenen Bescheide abgelaufen gewesen sei.

Die Kläger beantragen, die Revision zuzulassen.

Das FA beantragt, die Beschwerde abzulehnen.

1. Die Beschwerde ist unzulässig, soweit sie die Einkommensteuer 1996 betrifft. Das FG hat die Klage wegen dieses Streitjahrs als unzulässig abgewiesen. Die Kläger haben insoweit keinen Zulassungsgrund vorgetragen (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

2. Im Übrigen ist die Beschwerde begründet; sie führt insoweit zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 116 Abs. 6 FGO).

Das angefochtene Urteil beruht auf einem Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, denn das FG ist seiner Sachaufklärungspflicht (§ 76 FGO) nicht in dem gebotenen Umfang nachgekommen.

Die Überzeugung des FG, dass zumindest der Kläger den subjektiven Tatbestand einer Steuerhinterziehung verwirklicht habe, stützt sich allein auf die Tatsache, dass das Strafverfahren gegen den Kläger gegen Zahlung einer Geldauflage gemäß § 153a StPO eingestellt wurde. Die Einstellung des Strafverfahrens nach § 153a StPO rechtfertigt jedoch nicht die Schlussfolgerung, dass der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Straftat verübt hat. Denn die Einstellung nach § 153a StPO setzt keinen Nachweis der Tat des Angeklagten voraus. Dies entspricht auch dem Gebot der Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten --MRK--). Aus einem Einstellungsbeschluss nach § 153a StPO und auch einer dabei abgegebenen Zustimmungserklärung des Beschuldigten darf deshalb nicht geschlossen werden, die dem Beschuldigten in der Anklageschrift zur Last gelegte Tat sei ihm in tatbestandlicher Hinsicht nachgewiesen (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Januar 1991 1 BvR 1326/90, Neue Juristische Wochenschrift 1991, 1530; Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. Dezember 2000 I B 93/99, BFH/NV 2001, 639).

Daraus folgt nicht, dass ein Beschluss nach § 153a Abs. 2 StPO einer eigenständigen Würdigung der strafgerichtlichen Verfahrensakten in einem finanzgerichtlichen Verfahren entgegenstünde. Das FG darf sich im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung (§ 96 Abs. 1 FGO) tatsächliche Feststellungen, Beweiswürdigungen und rechtliche Beurteilungen aus einem Strafverfahren zu Eigen machen, wenn und soweit es zu der Überzeugung gelangt ist, dass diese zutreffend sind (BFH-Urteil vom 13. Juli 1994 I R 112/93, BFHE 175, 489, BStBl II 1995, 198). Werden substantiierte Einwendungen gegen die im Strafverfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen erhoben, muss es ihnen aber nachgehen und aufklären, ob die Feststellungen den Tatsachen entsprechen (BFH-Beschluss in BFH/NV 2001, 639, m.w.N.).

Eine solche eigenständige Prüfung hat das FG in dem angefochtenen Urteil nicht vorgenommen. Das FG hat nicht eigenständig geprüft, ob der Kläger vorsätzlich falsche Angaben in den Steuererklärungen über die Höhe seines Kapitalvermögens und der daraus erzielten Einkünfte gemacht hat. Es ist deshalb der ihm obliegenden Sachaufklärungspflicht nicht nachgekommen (§ 76 FGO). Das angefochtene Urteil kann auf diesem Verfahrensmangel beruhen, denn die angefochtenen Bescheide sind nach Ablauf der regulären Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 ergangen. Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass das Urteil des FG anders ausgefallen wäre, wenn es ausreichende Feststellungen über die den Klägern zur Last gelegte Steuerhinterziehung getroffen hätte.

Ende der Entscheidung

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