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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 27.10.2004
Aktenzeichen: VIII R 104/01
Rechtsgebiete: EstG, JStG, BKGG, GG


Vorschriften:

EStG § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
EStG § 65 Abs. 2
EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1
EStG § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
EStG § 32 Abs. 1 Nr. 2
EStG § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
EStG § 65 Abs. 1
EStG § 65
EStG § 62 ff
JStG 1996 § 4
BKGG § 4
BKGG § 8 Abs. 2
GG Art. 6 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hat ein im Jahr 1987 geborenes Pflegekind in seinen Haushalt aufgenommen. Der Beklagte und Revisionskläger (Beklagter) hob die Kindergeldfestsetzung für das Pflegekind mit Bescheid vom 4. Mai 2001 mit Wirkung ab Juni 2001 auf. Zur Begründung führte er an, das Pflegekind beziehe ein monatliches Kindergeld von der amerikanischen Sozialversicherung ("child benefit") in Höhe von 55 US-$. Diese Leistung schließe nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) die Festsetzung von Kindergeld aus; die Auszahlung eines Unterschiedsbetrags sei in § 65 Abs. 2 EStG für die von § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG erfassten Leistungen nicht vorgesehen.

Der Einspruch des Klägers hatte keinen Erfolg. Der Kläger schränkte während des Klageverfahrens seine ursprünglich auf Festsetzung des vollen Kindergeldes gerichtete Klage dahin ein, dass er nur die Festsetzung in Höhe des Unterschiedsbetrages begehrte.

Das Finanzgericht (FG) gab diesem Begehren statt. Es entschied unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 14. Juni 1984 10 Rkg 16/82 (SozR 5870 § 8 BKGG Nr. 9; juris), dass die Rente, die dem Pflegekind aus der US-amerikanischen Sozialversicherung als leiblichem Kind des Empfängers einer US-amerikanischen Alters- und Invalidenrente aus eigenem Recht gezahlt werde, eine vergleichbare Leistung i.S. des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG sei. Zwar wäre deshalb nach dem Gesetzeswortlaut überhaupt kein Kindergeld zu zahlen. § 65 Abs. 2 EStG sei jedoch verfassungskonform dahin auszulegen, dass die Vorschrift auch auf § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG anzuwenden und deshalb Kindergeld in Höhe des Unterschiedsbetrages zu zahlen sei. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 150 veröffentlicht.

Der Beklagte rügt mit seiner Revision eine Verletzung von § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 EStG.

Er beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision des Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Unrecht angenommen, § 65 Abs. 2 EStG, der die Zahlung eines Unterschiedsbetrages regelt, sei entgegen seinem Wortlaut verfassungskonform dahin auszulegen, dass er auch auf die von § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG erfassten Leistungen anzuwenden sei.

1. a) Dem Kläger steht für das in seinen Haushalt aufgenommene Pflegekind grundsätzlich gemäß §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG Kindergeld zu. Darüber besteht auch kein Streit.

b) Das FG hat auch zu Recht entschieden, dass der Anspruch auf das (volle) Kindergeld durch § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen ist. Nach dieser Vorschrift wird Kindergeld u.a. nicht gezahlt für ein Kind, für das Leistungen im Ausland gewährt werden, die einer der unter Nr. 1 genannten Leistungen vergleichbar sind. § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG betrifft Kinderzulagen aus der inländischen gesetzlichen Unfallversicherung oder Kinderzuschüsse aus den inländischen gesetzlichen Rentenversicherungen.

§ 65 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 EStG stimmen mit § 8 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) in der bis einschließlich 1995 gültigen Fassung überein. Das BSG hat in dem oben zitierten Urteil vom 14. Juni 1984 10 Rkg 16/82 entschieden, dass eine in den USA von der dortigen Sozialversicherung gezahlte Kinderrente, jedenfalls wenn sie wegen einer Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten gezahlt werde, eine Leistung sei, die dem Kinderzuschuss aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbar sei. Der entscheidende Senat schließt sich --ebenso wie die Vorinstanz-- dieser Auffassung an, und zwar aus den im Einzelnen vom BSG angeführten Gründen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird (vgl. auch die Zusammenstellung der vergleichbaren Leistungen i.S. des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG durch das Bundesamt für Finanzen in BStBl I 2000, 1128, 1134, unter "USA").

Dabei ist eine Vergleichbarkeit der Leistungen auch gegeben, soweit das deutsche Kindergeld höher ist als die ausländische Leistung. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in dem --den Beteiligten in Kopie übersandten-- Beschluss vom 8. Juni 2004 2 BvL 5/00 (BFHReport 2004, 1060, unter C.II.3.b)aa)(1)(a) der Gründe) ausgeführt, dass es für die Vergleichbarkeit der ausländischen Leistung mit dem Kindergeld i.S. des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht auf die Höhe der ausländischen Leistung ankomme. Aus der Gesetzessystematik ergebe sich eindeutig, dass § 65 Abs. 1 EStG die grundsätzliche Frage des Leistungsausschlusses regele und Abs. 2 die Frage kläre, in welchen Fällen bei unterschiedlicher Höhe der kollidierenden Leistungen ein Unterschiedsbetrag gewährt werden solle. Soweit das BVerfG es für denkbar gehalten hat, dass bei ganz geringfügigen ausländischen Leistungen die funktionelle Vergleichbarkeit entfallen könnte (vgl. unter C.II.3.b)aa)(1)(a), letzter Satz), liegt ein derartiger Ausnahmefall im Streitfall bei einer Kinderzulage von 55 US-$ nicht vor.

Handelt es sich somit bei der im Streitfall für das Pflegekind nach US-amerikanischem Sozialrecht gezahlten Kinderrente um eine Leistung i.S. des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, die mit den in Nummer 1 genannten Leistungen der deutschen gesetzlichen Unfall- oder Rentenversicherung vergleichbar ist, ist die Zahlung des Kindergeldes (in vollem Umfang) ausgeschlossen.

2. Entgegen der Auffassung des FG steht dem Kläger kein Anspruch auf Festsetzung von Kindergeld in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen der Kinderrente nach US-amerikanischem Sozialrecht und dem deutschen Kindergeld zu.

a) Die Zahlung eines Unterschiedsbetrags ist für die von § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG erfassten Leistungen im Gesetz nicht vorgesehen. Die in § 65 Abs. 2 EStG getroffene Regelung über die Zahlung eines Unterschiedsbetrages bezieht sich nach ihrem unmissverständlichen Wortlaut ausschließlich auf die in § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG geregelten Leistungen aus inländischen gesetzlichen Versicherungen und nicht auf die von § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG erfassten ausländischen Sozialleistungen. Anders als das FG angenommen hat, liegen die Voraussetzungen für eine den Gesetzeswortlaut berichtigende verfassungskonforme Auslegung oder Analogie nicht vor. Denn der Gesetzeswortlaut und der Wille des Gesetzgebers stimmen überein und es liegt keine Regelungslücke vor.

aa) Die Auffassung der Vorinstanz, es gebe keinen Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG vom Anwendungsbereich des § 65 Abs. 2 EStG habe ausnehmen wollen, hält einer Überprüfung nicht stand. Das Gegenteil ist richtig. Dies ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien zu § 4 BKGG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1996 (JStG 1996) vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438), dessen Wortlaut im Wesentlichen demjenigen des § 65 EStG entspricht. Nach der ausdrücklichen Gesetzesbegründung ist in Fällen, in denen das europäische Gemeinschaftsrecht keinen Vorrang hat, die Zahlung von Unterschiedsbeträgen zu ausländischen Leistungen --die in zweiseitigen Abkommensfällen auch nicht vorgesehen sei-- nicht erforderlich (vgl. BTDrucks 13/1558, S. 165; vgl. auch die Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Anfrage über die Zahlung von Unterschiedsbeträgen an die Grenzgänger zur Schweiz vom 10. Januar 1996, BTDrucks 13/3474, S. 30 ff.). Deshalb beruht es nicht auf einem Versehen, sondern auf gesetzgeberischer Absicht, dass § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG in Abs. 2 dieser Vorschrift nicht genannt ist.

bb) Außerdem trifft die Annahme des FG, der Gesetzgeber habe § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht vom Anwendungsbereich des § 65 Abs. 2 EStG ausnehmen wollen, auch deshalb nicht zu, weil § 4 BKGG und § 65 EStG, jeweils i.d.F. des JStG 1996, anders als § 8 Abs. 2 BKGG in der bis einschließlich 1995 gültigen Fassung keine Regelung über die Umrechnung der in ausländischer Währung gezahlten vergleichbaren Leistungen enthalten. Einer solchen Regelung hätte es aber weiterhin bedurft, wenn für die Bezieher ausländischer Leistungen, die mit dem Kindergeld, den Kinderzulagen oder Kinderzuschüssen vergleichbar sind, wie bisher ein Unterschiedsbetrag hätte gezahlt werden sollen.

b) Ein Anspruch des Klägers auf die Festsetzung von Kindergeld in Höhe eines Unterschiedsbetrages ergibt sich auch nicht aus dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über Soziale Sicherheit (BGBl II 1976, 1358; BGBl II 1979, 1283). Dieses Abkommen bezieht sich ausweislich seines Art. 2 nicht auf das Kindergeld.

3. Der Ausschluss der Zahlung eines Kindergeldes in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen einem im Ausland gewährten Kinderzuschuss (§ 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) und dem Kindergeld nach den §§ 62 ff. EStG ist auch von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.

a) Das BVerfG hat durch den bereits oben zitierten Beschluss vom 8. Juni 2004 2 BvL 5/00 (BFHReport 2004, 1060) entschieden, der Ausschluss von Teilkindergeld für die Kinder von Grenzgängern sei nach § 65 EStG mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar und es komme auf die Fragen der verfassungskonformen Auslegung oder Analogie nicht an. Es hat dargelegt, dass die Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip die allgemeine Pflicht des Staates zum Ausgleich familienbedingter finanzieller Belastungen begründe, aber die Kriterien dafür, in welchem Umfang und in welcher Weise ein sozialer Ausgleich vorzunehmen sei, weitgehend offen lasse. Im Hinblick auf konkrete Folgerungen für die einzelnen Rechtsgebiete und Teilsysteme, in denen der Familienleistungsausgleich zu verwirklichen sei, bestehe grundsätzlich Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, der bei der Abgrenzung der Gruppen von Leistungsberechtigten jedoch nicht sachwidrig differenzieren dürfe; dabei seien --wie auch sonst auf dem Gebiet der Massenverwaltung-- Praktikabilität und Einfachheit des Rechts als hochrangige Ziele zu berücksichtigen (vgl. unter C.II.3.a) der Gründe).

Das BVerfG hat eine Benachteiligung, die für Bezieher einer dem Kindergeld vergleichbaren ausländischen Leistung eintritt, wenn die vergleichbare Leistung niedriger ist als das deutsche Kindergeld, aufgrund der anderweitigen Leistung und der Praktikabilitätsanforderungen an Kollisionsregeln bei grenzüberschreitenden Sachverhalten für gerechtfertigt gehalten: Der Teilkindergeldausschluss wolle sicherstellen, dass kindbezogene vergleichbare Leistungen nur einmal gewährt würden; außerdem seien die Betroffenen aufgrund des Bezugs einer dem Kindergeld vergleichbaren ausländischen Leistung im Beschäftigungsstaat anderweitig sozial abgesichert. Es werde angenommen, dass Kindergeldleistungen nicht in gleicher Weise erforderlich seien wie bei Familien, deren Familienleistungsausgleich sich allein nach deutschem Recht richte, sondern es werde als angemessen angesehen, dass die Betroffenen wegen des Kindergeldes und der damit vergleichbaren Leistungen allein auf die Rechtsordnung des Beschäftigungsortes verwiesen würden. Zu dem Aspekt anderweitiger sozialer Absicherung träten beachtliche Gründe der Einfachheit des Rechts und dessen Praktikabilität im Verwaltungsvollzug hinzu (unter C.II.3.b)bb)(2)(a) und (b) der Gründe).

b) Diese Überlegungen zu den mit dem Kindergeld vergleichbaren Leistungen, die im Beschäftigungsland während der Dauer der dortigen Beschäftigung gezahlt werden, treffen gleichermaßen zu, wenn im Ausland aufgrund der Beschäftigung, die den sozialen Rechtsvorschriften dieses Staates unterlegen hat, eine gesetzliche Alters- oder Invalidenrente und im Zusammenhang damit eine Kinderrente oder ein Kinderzuschuss gezahlt oder geschuldet wird. An die Stelle der mit dem Kindergeld vergleichbaren Leistungen, die während der aktiven Beschäftigung im Beschäftigungsland geschuldet wurden, treten lediglich die aufgrund des Erreichens der Altersgrenze oder des Eintritts einer Invalidität geschuldeten Leistungen aus einer gesetzlichen Versicherung. Der Senat vermag keinen einleuchtenden Grund dafür zu erkennen, diese ausländischen Leistungen bezüglich der Verpflichtung zur Zahlung eines Unterschiedsbetrages anders zu behandeln als die während der aktiven Beschäftigung gezahlten ausländischen Kinderzulagen. Soweit bei Kinderzuschüssen aus der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung (§ 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) gemäß § 65 Abs. 2 EStG ein Unterschiedsbetrag zu zahlen ist, hat das BVerfG in seinem Beschluss vom 8. Juni 2004 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die im Einzelnen von ihm angeführten Gründe auch diese unterschiedliche Behandlung inländischer Sozialleistungen einerseits und ausländischer Sozialleistungen andererseits rechtfertigten (vgl. unter C.II.3.b)bb) der Gründe).

4. Da die Vorentscheidung von anderen rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen ist, ist sie aufzuheben. Die Klage ist abzuweisen.



Ende der Entscheidung

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