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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 01.07.2003
Aktenzeichen: VIII R 29/02
Rechtsgebiete: AO 1977


Vorschriften:

AO 1977 § 122 Abs. 1 Satz 1
AO 1977 § 124 Abs. 1
AO 1977 § 169
AO 1977 § 169 Abs. 2 Satz 2
AO 1977 § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1
AO 1977 § 155 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hatte in ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1988 bei den Einkünften aus Kapitalvermögen Einnahmen in Höhe von 334 DM erklärt. Unter Berücksichtigung des Pauschbetrages für Werbungskosten von 100 DM (§ 9a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) und des Sparer-Freibetrages von 300 DM (§ 20 Abs. 4 EStG) waren in dem Einkommensteuerbescheid vom 14. September 1989 keine Einkünfte aus Kapitalvermögen erfasst worden.

Nachdem die Klägerin, vertreten durch eine Bevollmächtigte, ihre Steuererklärungen für die Jahre 1992 bis 1997 mit Schreiben vom 21. Mai 1999 wegen der Einkünfte aus Kapitalvermögen berichtigt und Einnahmen zwischen 6 865 DM bis 14 296 DM erklärt hatte, forderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) sie mit Schreiben vom 28. Mai 1999 auf, die erklärten Zinseinnahmen für die Jahr 1988 bis 1991 zu überprüfen und die Kapitalstände zum jeweiligen Jahresende mitzuteilen. Die Bevollmächtigte vertrat dagegen die Auffassung, die Festsetzungsfrist gemäß § 169 der Abgabenordnung (AO 1977) sei abgelaufen, da kein Fall der Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung vorliege.

Mit Schreiben vom 25. November 1999 bestellten sich die jetzigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin, die Rechtsanwälte K., u.a. mit der Zusage, eine Originalvollmacht nachzureichen. Sie erklärten, sie würden zu der --an die bisherige Bevollmächtigte gerichteten-- Anfrage vom 11. Oktober 1999 gesondert Stellung nehmen. Das FA teilte den Rechtsanwälten mit, dass es bis zur Einreichung der Vollmacht alle Verfahrenshandlungen an die Klägerin persönlich richten werde, und unterrichtete mit Schreiben vom 15. Dezember 1999 die bisherige Bevollmächtigte und mit Schreiben vom 21. Dezember 1999 die Klägerin persönlich entsprechend.

Mit Schreiben vom 21. Dezember 1999 reichten die jetzigen Prozessbevollmächtigten eine Vollmachtsurkunde ein, die die Befugnis umfasste, Zustellungen zu bewirken und entgegen zu nehmen.

Das FA erließ unter dem Datum des 29. Dezember 1999 einen Einkommensteueränderungsbescheid für 1988, der an die Klägerin persönlich adressiert war. Das Datum des Bescheides ist handschriftlich auf der Bescheid-Zweitschrift in der Steuerakte vermerkt. In diesem Bescheid hatte das FA die Einnahmen aus Kapitalvermögen auf 5 500 DM geschätzt und diese Schätzung erläutert.

Die Prozessbevollmächtigten legten gegen diesen Bescheid am 17. Januar 2000 Einspruch ein. Sie machten geltend, der Bescheid sei unwirksam, weil es ermessenswidrig gewesen sei, den Bescheid der Klägerin persönlich bekannt zu geben. Eine Heilung dieses Verfahrensfehlers sei nicht möglich. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Es entschied, die Festsetzungsfrist habe im Streitfall wegen Steuerhinterziehung gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 zehn Jahre betragen und sei deshalb erst am 31. Dezember 1999 abgelaufen. Diese Festsetzungsfrist habe das FA gemäß § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 durch Absendung des Bescheides am 29. Dezember 1999 gewahrt. Es sei unerheblich, ob der angefochtene Bescheid noch im Jahr 1999 oder erst Anfang 2000 wirksam bekannt gegeben worden sei. Es könne auch offen bleiben, ob der Bescheid durch die Bekanntgabe an die Klägerin selbst, durch die Weitergabe an die ursprüngliche Bevollmächtigte am 4. Januar 2000 oder erst durch die Weitergabe an die jetzigen Bevollmächtigten am 5. Januar 2000 wirksam bekanntgegeben worden sei. Entscheidend sei, dass der am 29. Dezember 1999 zur Post gegebene Bescheid nach den Grundsätzen des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 8. Dezember 1988 IV R 24/87 (BFHE 155, 472, BStBl II 1989, 346) jedenfalls spätestens am 5. Januar 2000 durch die Weiterleitung an die jetzigen Prozessbevollmächtigten wirksam geworden sei. Der Einwand der Klägerin, für die Fristwahrung nach § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 genüge nicht die Möglichkeit, dass der Steuerbescheid dem Adressaten auf andere Weise als vorgesehen bekannt werde, könne der Klage nicht zum Erfolg verhelfen. Entscheidend sei allein, ob der rechtzeitig abgesandte Bescheid auch tatsächlich zugegangen sei (vgl. BFH-Beschluss vom 6. Juni 2001 II R 47/98, BFHE 195, 32, BStBl II 2001, 695). Dies treffe im Streitfall zu. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 798 veröffentlicht.

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision eine Verletzung von § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977.

Sie beantragt,

die Vorentscheidung aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 1988 vom 29. Dezember 1999 sowie die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 12. Mai 2000 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der angefochtene Änderungsbescheid die Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 AO 1977 wahrt.

1. Die Entscheidung des FG, die Festsetzungsfrist wegen der umstrittenen Einkünfte aus Kapitalvermögen habe gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 zehn Jahre betragen und sei daher am 31. Dezember 1999 abgelaufen, lässt keine Rechtsfehler erkennen. Insoweit hat die Revision auch keine substantiierten Einwendungen erhoben.

2. Durch den am 29. Dezember 1999 zur Post gegebenen Einkommensteuerbescheid für 1988 ist entgegen der Auffassung der Klägerin die Festsetzungsfrist von zehn Jahren eingehalten worden. Denn nach § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 ist die Festsetzungsfrist gewahrt, wenn der Steuerbescheid den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen hat. Die in der Vergangenheit in der Rechtsprechung des BFH umstrittene Frage, ob die Festsetzungsfrist nach dieser Vorschrift auch dann eingehalten ist, wenn der Bescheid zwar vor Ablauf der Festsetzungsfrist den Bereich der zuständigen Behörde verlassen hat, dem Empfänger aber tatsächlich nicht zugegangen ist, hat der Große Senat des BFH nunmehr durch Beschluss vom 25. November 2002 GrS 2/01 (BFHE 201, 1, BStBl II 2003, 548) verneint. Diese Frage ist im Streitfall aber nicht entscheidungserheblich. Denn das am 29. Dezember 1999 zur Post gegebene Schriftstück ist der Klägerin tatsächlich zugegangen, und zwar nach ihrem eigenen Vorbringen am 3. Januar 2000.

Der Senat kann offen lassen, ob bereits der Zugang bei der Klägerin dazu geführt hat, dass der geänderte Einkommensteuerbescheid für 1988 gemäß §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 122 Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 1 AO 1977 wirksam geworden ist, oder ob die Bekanntgabe an die Klägerin persönlich im Hinblick auf die erteilte Zustellungsvollmacht (vgl. § 122 Abs. 1 Satz 3 AO 1977) ermessensfehlerhaft und deshalb unwirksam war. Denn selbst wann man unterstellt, dass die Bekanntgabe gegenüber der Klägerin persönlich fehlerhaft war, ist dieser Bekanntgabemangel geheilt worden. Der am 29. Dezember 1999 zur Post gegebene Bescheid ist spätestens dadurch wirksam geworden, dass er den Prozessbevollmächtigten der Klägerin unstreitig am 5. Januar 2000 zugegangen ist. Nach der gefestigten Rechtsprechung des BFH wird ein Bekanntgabemangel, der darin liegt, dass der Bescheid dem Steuerpflichtigen persönlich und nicht seinem Zustellungsbevollmächtigten bekannt gegeben wird, dadurch geheilt, dass er an den Bevollmächtigen weitergeleitet wird (vgl. BFH-Urteile in BFHE 155, 472, BStBl II 1989, 346; vom 3. Dezember 1998 III R 5/98, BFHE 187, 503, BStBl II 1999, 227). Dass die Weiterleitung erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist erfolgt ist, ist unerheblich. Vielmehr sind alle Voraussetzungen erfüllt, von denen § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 die Wahrung der Festsetzungsfrist abhängig macht (vgl. zu einem vergleichbaren Sachverhalt BFH-Beschluss vom 27. Juli 2001 II B 9/01, BFH/NV 2002, 8).

3. Das BFH-Urteil vom 31. Oktober 1989 VIII R 60/88 (BFHE 160, 7, BStBl II 1990, 518) ist entgegen der Auffassung der Klägerin im Streitfall nicht einschlägig. Soweit darin gefordert wird, dass die Finanzbehörde alle Voraussetzungen eingehalten haben muss, die für den Erlass eines wirksamen Steuerbescheids vorschrieben sind, bezieht sich dies nur auf die Wahrung der Festsetzungsfrist für den hier nicht vorliegenden Fall, dass der Steuerbescheid tatsächlich nicht zugegangen ist oder der Zugang nicht nachgewiesen werden kann. Dieses Urteil setzt sich nicht mit der Frage der Weiterleitung eines tatsächlich zugegangenen Schriftstücks nach Ablauf der Festsetzungsfrist auseinander.

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