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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 13.08.2002
Aktenzeichen: VIII R 70/99
Rechtsgebiete: FGO, EStG


Vorschriften:

FGO § 126 Abs. 4
EStG § 31 Satz 3
EStG §§ 62 ff.
EStG § 62 Abs. 2
EStG § 62 Abs. 2 Satz 2
EStG § 62 Abs. 2 Satz 2, 1. Halbsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gericht: BFH Gründe:

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist griechischer Staatsangehöriger. Er ist Angestellter der M-Bank und seit dem Januar 1984 in deren Vertretungsbüro in X (Inland) beschäftigt.

Er stellte im Juni 1996 einen Antrag auf Kindergeld für seine beiden 1987 und 1989 geborenen Kinder. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Beklagter) lehnte den Antrag unter Hinweis auf § 62 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit Bescheid vom 11. Juli 1996 ab.

Aufgrund eines Telefonanrufs des Klägers am 11. Oktober 1996, den der Beklagte als Antrag auf Überprüfung des Kindergeldantrags wertete, stellte der Beklagte weitere Ermittlungen an. Er erhielt von der Arbeitgeberin des Klägers die Auskunft, dass dieser in Deutschland zwar einkommensteuerpflichtig, aber aufgrund einer Vereinbarung zwischen dem griechischen Ministerium für Gesundheit und Fürsorge und der zuständigen deutschen Verbindungsstelle für Krankenversicherungen nach Art. 17 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (Verordnung Nr. 1408/71) des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 149/2) von der Versicherungspflicht befreit sei. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 26. November 1996 erneut ab. Den Einspruch des Klägers wies er mit einer Einspruchsentscheidung vom 16. Mai 1997 zurück.

Die am 16. Oktober 1997 eingegangene Klage des Klägers hielt das Finanzgericht (FG) nach Beweiserhebung mit der Begründung für zulässig, dass der Beklagte den Zugang der Einspruchsentscheidung beim damaligen Bevollmächtigten des Klägers nicht habe nachweisen können. Es wies sie jedoch als unbegründet ab (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1999, 785). Es führte aus, die Beschäftigung des Klägers sei zwar nicht als vorübergehend i.S. des § 62 Abs. 2 Satz 2 EStG zu beurteilen, da der Kläger seit dem Jahre 1984 in Deutschland unbefristet beschäftigt sei. Aber im Hinblick darauf, dass der Kläger nach Art. 17 der Verordnung Nr. 1408/71 von der Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit befreit und denen Griechenlands unterstellt sei, erscheine es sachgerecht, die Tatbestandsvoraussetzungen des § 62 Abs. 2 Satz 2 EStG bei einem EU-Ausländer dann als erfüllt anzusehen, wenn dieser nach der Verordnung Nr. 1408/71 weiterhin für alle Zweige der sozialen Sicherheit den Rechtsvorschriften seines Heimatlandes unterliege.

Der Kläger rügt mit seiner Revision eine Verletzung des § 62 Abs. 2 Satz 2 EStG.

Er beantragt sinngemäß, den Beklagten unter Aufhebung der Vorentscheidung und der ablehnenden Bescheide vom 26. November 1996 und 16. Mai 1997 zu verurteilen, ihm ab dem 1. Dezember 1996 Kindergeld in der gesetzlichen Höhe zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, die Vorentscheidung sei zwar im Ergebnis, nicht aber in der Begründung richtig. § 62 Abs. 2 EStG sei nicht anzuwenden, da das inländische Recht durch das höherrangige EG-Recht verdrängt werde. Die aufgrund von Art. 17 der Verordnung Nr. 1408/71 zwischen den zuständigen Stellen getroffene Vereinbarung, dass der Kläger in Deutschland von der Sozialversicherungspflicht befreit sei, habe zur Folge, dass der Kläger insgesamt nicht den deutschen Rechtsvorschriften unterliege und damit auch keinen Anspruch auf Kindergeld nach den deutschen Rechtsvorschriften habe.

Die Revision des Klägers ist gemäß § 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen, da das FG die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen hat. Die Klage ist unbegründet, weil der (mögliche) Anspruch des Klägers auf Kindergeld nach den Vorschriften des EStG zwar nicht nach § 62 Abs. 2 Satz 2, 1. Halbsatz EStG, wohl aber durch das europäische Gemeinschaftsrecht ausgeschlossen ist.

1. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist der --hier ansonsten als gegeben unterstellte-- Anspruch des Klägers auf Kindergeld nicht nach § 62 Abs. 2 Satz 2, 1. Halbsatz EStG ausgeschlossen.

Nach dieser Vorschrift hat ein Ausländer, der zur vorübergehenden Dienstleistung in das Inland entsandt ist, keinen Anspruch auf Kindergeld. Der Tatbestand des § 62 Abs. 2 Satz 2, 1. Halbsatz EStG ist im Streitfall nicht erfüllt. Wie das FG zutreffend dargelegt hat, liegt im Jahre 1996 nicht mehr eine Entsendung zu einer vorübergehenden Dienstleistung vor, wenn ein Arbeitnehmer seit dem Jahre 1984 im Inland unbefristet beschäftigt ist.

§ 62 Abs. 2 Satz 2, 1. Halbsatz EStG kann entgegen der Auffassung des FG auch nicht im Wege der Gesetzesanalogie auf den Sachverhalt angewendet werden, dass eine auf Art. 17 der Verordnung Nr. 1408/71 gestützte Vereinbarung getroffen worden ist, nach der der ausländische Arbeitnehmer weiterhin den Rechtsvorschriften seines Heimatlandes über die soziale Sicherheit unterworfen ist. Zwar war gesetzgeberisches Motiv für die in § 62 Abs. 2 Satz 2 EStG getroffene Regelung, dass ein Anspruch auf Kindergeld dann nicht bestehen soll, wenn der Entsandte im Sozialsystem des Heimatlandes verankert bleibt (vgl. BTDrucks 12/5502, S. 44 zu der im Wesentlichen gleichlautenden Vorschrift des § 1 Abs. 3 BKGG i.d.F. des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21. Dezember 1993, BGBl I, 2353, 2363). Das ändert aber nichts daran, dass die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter § 62 Abs. 2 Satz 2, 1. Halbsatz EStG vom Wortlaut dieser Vorschrift nicht gedeckt und eine Gesetzeslücke, die ggf. durch eine Analogie zu füllen wäre, angesichts der einschlägigen Kollisionsregeln des europäischen Gemeinschaftsrechts nicht erkennbar und vom FG auch nicht dargelegt worden ist.

2. Ein --hier unterstellter-- Anspruch des Klägers auf Kindergeld nach den Rechtsvorschriften des EStG wird durch das europäische Gemeinschaftsrecht ausgeschlossen.

a) Der Kläger unterliegt --wie zwischen den Beteiligten auch nicht umstritten ist-- dem persönlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71. Nach ihrem Art. 2 Abs. 1 gilt die Verordnung für Arbeitnehmer und Selbständige, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats sind. Rechtsvorschriften im Sinne der Verordnung sind gemäß der Definition in Art. 1 Buchst. j der Verordnung Nr. 1408/71 die in jedem Mitgliedstaat bestehenden und künftigen Gesetze, Verordnungen, Satzungen und alle anderen Durchführungsvorschriften in Bezug auf die in Art. 4 Abs. 1 und 2 genannten Zweige und Systeme der sozialen Sicherheit. "Arbeitnehmer" ist nach Art. 1 Buchst. a der Verordnung jede Person, die gegen ein Risiko oder mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbständige erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist.

Der Kläger ist Staatsangehöriger des Mitgliedstaates Griechenland. Er war als in Deutschland wohnhafter und abhängig Beschäftigter hier sozialversicherungspflichtig (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 1, § 3 Nr. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch --SGB IV--; § 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch --SGB VI--) und unterlag damit grundsätzlich den deutschen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit i.S. des Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71. Dass der Kläger dem persönlichen Geltungsbereich der Verordnung unterliegt und diese auf ihn anwendbar ist, war auch Voraussetzung dafür, dass die zuständigen griechischen und deutschen Behörden bzw. Stellen die Ausnahmevereinbarung nach Art. 17 der Verordnung Nr. 1408/71 treffen konnten.

b) Das Kindergeld, das Gegenstand des vorliegenden Klagebegehrens ist, fällt in den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 und ist eine Familienleistung i.S. des § 4 Abs. 1 Buchst. h dieser Verordnung.

Nach der Definition in Art. 1 Buchst. u Ziff. i der Verordnung Nr. 1408/71 sind "Familienleistungen" alle Sach- oder Geldleistungen, die zum Ausgleich von Familienlasten im Rahmen der in Art. 4 Abs. 1 Buchst. h genannten Rechtsvorschriften bestimmt sind, jedoch mit Ausnahme der in Anhang II aufgeführten besonderen Geburts- oder Adoptionsbeihilfen. Nach Art. 5 der Verordnung Nr. 1408/71 geben die Mitgliedstaaten in Erklärungen die Rechtsvorschriften und Systeme an, die unter Art. 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung fallen. Die Bundesrepublik Deutschland hat die Leistungen nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) in der jeweils geltenden Fassung zu Familienleistungen i.S. des Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 erklärt (vgl. die Mitteilung in ABlEG 1980 Nr. C 139/6 und ABlEG 1983 Nr. C 351/1). Dementsprechend ist unstreitig, und der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) und das Bundessozialgericht (BSG) gehen als selbstverständlich davon aus, dass das Kindergeld nach dem BKGG eine "Familienleistung" im dargestellten Sinne ist und in den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 fällt (vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 5. März 1998 Rs. C-194/96, EuGHE 1998, I-895; BSG-Urteil vom 15. Dezember 1992 10 RKg 18/91, SozR 3-6050 Art. 13 Nr. 3 EWGV 1408/71).

Auch das seit dem 1. Januar 1996 nach § 31 Satz 3 EStG als Steuervergütung gezahlte Kindergeld ist eine Familienleistung i.S. des Art. 4 Abs. 1 Buchst. h der Verordnung Nr. 1408/71. Es dient, soweit es nicht die steuerliche Freistellung des Existenzminimums bewirkt, der Förderung der Familie (§ 31 Sätze 1 und 2 EStG).

Die Unterscheidung zwischen Leistungen, die vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgeschlossen sind, und solchen, die darunter fallen, hängt nach der Rechtsprechung des EuGH allein von den Merkmalen der jeweiligen Leistung ab, insbesondere von ihrer Zielsetzung und den Voraussetzungen ihrer Gewährung, nicht dagegen davon, ob eine Leistung von den nationalen Rechtsvorschriften als eine Leistung der sozialen Sicherheit eingestuft wird und der Mitgliedstaat insoweit eine Erklärung i.S. des Art. 5 der Verordnung Nr. 1408/71 abgegeben hat; eine Leistung fällt unter die Verordnung Nr. 1408/71, wenn sie dem Empfänger unabhängig von jeder auf Ermessensausübung beruhenden Einzelfallbeurteilung der persönlichen Bedürftigkeit aufgrund einer gesetzlich umschriebenen Stellung gewährt wird und sich auf eines der in Art. 4 Abs. 1 der Verordnung ausdrücklich aufgezählten Risiken bezieht (vgl. EuGH-Urteile vom 10. Oktober 1996 Rs. C-245/94 und C-312/94, EuGHE 1996, I-4895, Rdnr. 17 und 18, m.w.N.; vom 12. Mai 1998 Rs. C-85/96, EuGHE 1998, I-2691, Rdnr. 28). Diese Voraussetzungen treffen für das Kindergeld nach dem X. Abschnitt des EStG ebenso zu wie für das Kindergeld nach dem BKGG. Denn auch das nach dem EStG gezahlte Kindergeld, auf das bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen unabhängig von einer individuellen Bedürftigkeit des Kindergeldberechtigten ein Rechtsanspruch besteht, dient weiterhin dem Zweck, Familien wegen der Aufwendungen für ihre Kinder zu entlasten (vgl. auch Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. November 1998 VI B 125/98, BFHE 187, 477, BStBl II 1999, 137).

c) Die Frage, ob dem Kläger, der dem persönlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 unterliegt, ein Anspruch auf das Kindergeld nach dem EStG, das in den sachlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt, zusteht, ist nach den Bestimmungen des Titels II der Verordnung Nr. 1408/71 zu entscheiden. Die Art. 13 bis 17a des Titels II der Verordnung legen fest, welche Rechtsvorschriften auf Arbeitnehmer und Selbständige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, anwendbar sind. Sie bilden nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ein geschlossenes System von Kollisionsnormen und bezwecken, dass die Betroffenen (zu einem bestimmten Zeitpunkt) nur dem System der sozialen Sicherheit eines einzigen Mitgliedstaats unterliegen, so dass die Kumulierung anwendbarer Rechtsvorschriften und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben können, vermieden werden (vgl. EuGH-Urteile vom 17. Mai 1984 Rs. 101/83, EuGHE 1984, 2223-2241, Rdnr. 14; vom 12. Juni 1986 Rs. 302/84, EuGHE 1986, 1821-1835, Rdnr. 19; vom 10. Juli 1986 Rs. 60/85, EuGHE 1986, 2365, Rdnr. 12).

Dementsprechend bestimmt Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 in der für das Streitjahr 1996 gültigen Fassung, dass --vorbehaltlich des im Streitfall nicht einschlägigen Art. 14c-- Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats unterliegen. Nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung gilt, soweit die Art. 14 bis 17 nicht etwas anderes bestimmen, dass eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, den Rechtsvorschriften dieses Staates unterliegt, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt oder ihr Arbeitgeber oder das Unternehmen, das sie beschäftigt, seinen Wohnsitz oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats hat.

Das bedeutet, dass der Kläger --wäre keine Vereinbarung nach Art. 17 der Verordnung Nr. 1408/71 getroffen worden-- in Bezug auf die in Art. 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1408/71 genannten Zweige und Systeme der sozialen Sicherheit ausschließlich den einschlägigen deutschen Rechtsvorschriften unterliegen würde. Ihm hätte ohne eine Vereinbarung nach Art. 17 der Verordnung Nr. 1408/71 ein Anspruch auf das Kindergeld nach den Vorschriften des EStG zugestanden, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 62 ff. EStG erfüllt sind.

d) Der Kläger hat jedoch von der nach Art. 17 der Verordnung Nr. 1408/71 bestehenden Möglichkeit Gebrauch gemacht, wonach zwei oder mehr Mitgliedstaaten, die zuständigen Behörden dieser Staaten oder die von diesen Behörden bezeichneten Stellen im Interesse bestimmter Personengruppen oder bestimmter Personen Ausnahmen von den Art. 13 bis 16 vereinbaren können. Das FG hat festgestellt und es besteht auch kein Streit darüber, dass der Kläger aufgrund einer auf Art. 17 der Verordnung Nr. 1408/71 gestützten Vereinbarung zwischen den zuständigen griechischen und deutschen Behörden bzw. Stellen in Deutschland im streitigen Zeitraum nicht sozialversicherungspflichtig war und weiterhin den griechischen Rechtsvorschriften unterlag.

Eine Vereinbarung nach Art. 17 der Verordnung Nr. 1408/71 darf nur zum Inhalt haben, dass der betreffende Arbeitnehmer einheitlich in Bezug auf alle von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a bis h der Verordnung Nr. 1408/71 erfassten Systeme der sozialen Sicherheit den Rechtsvorschriften des vereinbarten Mitgliedstaates unterstellt wird. Der mit den Kollisionsnormen des Titels II der Verordnung Nr. 1408/71 verfolgte Zweck, dass die Betroffenen dem System der sozialen Sicherheit nur eines einzigen Mitgliedstaats unterliegen, gilt nach der oben zitierten Rechtsprechung des EuGH für alle Vorschriften des Titels II, also auch für Art. 17 der Verordnung Nr. 1408/71. Diesem Zweck würde es widersprechen, wenn die durch diese Vorschrift eingeräumte Möglichkeit, eine von Art. 13 bis 16 abweichende Vereinbarung zu treffen, bewirken könnte, dass nunmehr wiederum die Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten anzuwenden wären. Die nach Art. 17 der Verordnung Nr. 1408/71 zulässige Ausnahmevereinbarung muss sich deshalb innerhalb der Zweckbestimmung der Kollisionsnormen halten und kann folglich nur zum Inhalt haben, dass der Betroffene insgesamt den Rechtsvorschriften eines anderen als des nach Art. 13 bis 16 zuständigen Mitgliedstaates unterstellt wird (vgl. Steinmeyer in: Fuchs --Hrsg.--, Europäisches Sozialrecht, Art. 17 Rz. 10; Berlebach/ Helmke, Familienleistungsausgleich, Fach D, I. Kommentierung Europarecht, Rn. 19; Stahlberg, Europäisches Sozialrecht, 1997, S. 215 Rn. 339).

Zwar hat der EuGH entschieden, dass die Verordnung Nr. 1408/71 nicht zum Verlust von Ansprüchen führen dürfe, die allein nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats erworben worden sind (Urteil vom 21. Oktober 1975 Rs. 24/75, EuGHE 1975, 1149-1162, sog. Petroni-Prinzip). Der EuGH hat jedoch in der Folgezeit klargestellt, dass dieser Grundsatz nicht die in Titel II der Verordnung Nr. 1408/71 niedergelegten Regeln über die anwendbaren Rechtsvorschriften betrifft und deshalb nicht bewirken kann, dass der Betroffene entgegen Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 für einen bestimmten Zeitraum den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten unterliegt; er hat auch im Hinblick auf Familienleistungen betont, die Mitgliedstaaten könnten nicht auch bestimmen, inwieweit ihre eigenen Rechtsvorschriften anwendbar seien; sie seien vielmehr verpflichtet, die geltenden Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, also auch des Titels II der Verordnung Nr. 1408/71, zu beachten (Urteil in EuGHE 1986, 2365, Rdnr. 14, 15 und 16; vgl. auch BSG-Urteil in SozR 3-6050 Art. 13 Nr. 3 EWGV 1408/71).

Danach unterlag der Kläger in Bezug auf die in Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 genannten Zweige der sozialen Sicherheit nicht den deutschen, sondern ausschließlich den griechischen Rechtsvorschriften. Damit war die Anwendung der Vorschriften des X. Abschnitts des EStG betreffend das Kindergeld auf den Kläger ausgeschlossen. Soweit die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats Griechenland keine Familienleistungen i.S. des Art. 4 Abs. 1 Buchst. h der Verordnung Nr. 1408/71 vorsehen sollten, war es Sache des Klägers, dies in seine Abwägung, ob eine Vereinbarung nach Art. 17 der Verordnung Nr. 1408/71 für ihn vorteilhaft ist oder nicht, einzubeziehen.



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