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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 01.07.2003
Aktenzeichen: VIII R 75/02
Rechtsgebiete: BSHG, EStG


Vorschriften:

BSHG § 2
BSHG § 18 Abs. 1
BSHG § 19
BSHG § 19 Abs. 2 Satz 1
BSHG § 19 Abs. 2 Satz 1, Alternative 1
BSHG § 25 Abs. 1
EStG § 32 Abs. 4 Satz 2
EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hat eine im Jahr 1973 geborene Tochter D. Diese lebt in A. Dort besuchte sie bis Mai 1998 die Volkshochschule, um den Realschulabschluss zu erlangen. In dieser Zeit erhielt sie Leistungen nach dem Berufsausbildungsförderungsgesetz (BAföG).

Ab dem 1. Juni nahm sie an einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahme für Sozialhilfeempfängerinnen nach § 19 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) teil. Diese Maßnahme hatte die Ausbildung zur "Kauffrau für Bürokommunikation" zum Ziel und sollte mit einer Prüfung vor der Industrie- und Handelskammer (IHK) enden. D schloss hierzu einen Arbeitsvertrag mit dem Bezirksamt B.

D erhielt eine monatliche Vergütung nach der Vergütungsgruppe IX B des Bundesangestelltentarifs (BAT) von monatlich ca. 2 772,57 DM. Beschäftigungsstelle war ein Unternehmen des zweiten Arbeitsmarkts. Die Gesamtmaßnahme war auf 27 Monate angelegt. Nach einer Einstiegs- und Vorlaufphase von drei Monaten, die der Orientierung der Teilnehmerinnen diente, begann die eigentliche Qualifizierungsmaßnahme, die in 24 Monaten die Inhalte des Ausbildungsrahmenplans "Kauffrau für Bürokommunikation" vermitteln sollte. Der Stundenplan wurde vorrangig bestimmt durch kaufmännische Ausbildungsinhalte und den Umgang mit der EDV sowie mit den neuen Medien. Eingeschlossen war ein Praktikum von neun Monaten bei einem Betrieb des ersten Arbeitsmarkts.

Mit Bescheid vom 21. Oktober 1998 hob der Beklagte und Revisionsbeklagte (Beklagter) die Kindergeldfestsetzung für die Zeit ab dem 1. Januar 1998 auf. Hierbei vertrat er die Auffassung, D habe sich in 1998 ganzjährig in Ausbildung befunden. Es seien deshalb bei der Prüfung, ob der Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) überschritten sei, deren gesamten Einkünfte und Bezüge des Jahres 1998 zu berücksichtigen.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es vertrat im Wesentlichen die Auffassung, das Kind der Klägerin habe sich während der Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahme in Berufsausbildung befunden. Die Maßnahme habe nämlich dazu gedient, Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen zu erlangen, die der Vorbereitung auf ein Berufsziel dienen. Dem stehe auch nicht entgegen, dass § 19 BSHG mit den Worten "Schaffung von Arbeitsgelegenheiten" überschrieben sei.

Die Einkünfte und Bezüge von D hätten den Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschritten.

Mit der Revision macht die Klägerin geltend,

die Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahme nach § 19 BSGH sei kein Ausbildungsverhältnis i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, sondern ein reines Arbeitsverhältnis. Dies zeige die Höhe der während dieser Maßnahme erzielten Einkünfte. Die Maßnahme habe sich auch nur an Sozialhilfeempfänger gerichtet und der Eingliederung in den Arbeitsmarkt gedient.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil der Vorinstanz und den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid des Beklagten i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 21. Dezember 1998 aufzuheben, soweit sie den Kindergeldanspruch für Januar bis Mai 1998 betreffen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er ist der Meinung, das Kind der Klägerin habe sich auch während der Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahme in Berufsausbildung befunden. Ob eine Berufsausbildung vorliege, bestimme sich nach dem Inhalt der Maßnahme und nicht nach der Bezeichnung des Vertrags.

II. Die Revision ist unbegründet. Sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Das FG hat zu Recht entschieden, dass sich die Tochter der Klägerin auch in der Zeit ab dem 1. Juni 1998 und damit im gesamten Jahr 1998 in Berufsausbildung befand. Für die Frage, ob der Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschritten ist, sind deshalb auch die von der Tochter in der Zeit von Juni bis Dezember 1998 erzielten Einkünfte und Bezüge zu berücksichtigen.

Dem steht nicht entgegen, dass die Tochter der Klägerin ab dem 1. Juni 1998 vertraglich eine Vergütung erhalten hat, die im Vergleich zu sonstigen Ausbildungsverhältnissen hoch ist. Auch ist nicht entscheidend, dass die Ausbildung im Rahmen einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahme nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BSHG erfolgte, die vom Sozialhilfeträger als Maßnahme zur Hilfe zum Lebensunterhalt veranlasst wurde.

a) Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass sich derjenige nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG in Berufsausbildung befindet, der sich auf ein Berufsziel vorbereitet, also Maßnahmen trifft, die dem Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen dienen, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16. April 2002 VIII R 58/01, BFHE 199, 111, BStBl II 2002, 523, m.w.N.) Hiervon ausgehend ist nicht zweifelhaft, dass sich die Tochter der Klägerin auch in der Zeit ab dem 1. Juni 1998 in Berufsausbildung befand. Das FG hat insoweit bindend festgestellt, dass die Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahme darin bestand, der Tochter die Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln, die sie zur Erreichung des Berufs "Kauffrau für Bürokommunikation" benötigt. Die Maßnahme orientierte sich an dem für die Ausbildung für diesen Beruf üblichen Rahmenplan. Auch sollte sie dazu führen, die Ausbildung mit der Prüfung vor der Industrie- und Handelskammer (IHK) abzuschließen. Inhaltlich unterscheidet sich deshalb die durchgeführte Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahme nicht von einem normalen Ausbildungsdienstverhältnis, in dessen Rahmen der anerkannte Ausbildungsberuf der Kauffrau für Bürokommunikation (vgl. Blätter zur Berufskunde der Bundesanstalt für Arbeit, Loseblatt-Ausgabe, 1- IX A 305) angestrebt wird.

b) Ohne Belang ist, dass die Tochter der Klägerin während der Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahme mit ca. 2 772 DM monatlich Geldbeträge erhielt, die über denjenigen üblicher Ausbildungsdienstverhältnisse liegen.

Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass das Tatbestandsmerkmal der Berufsausbildung nicht deshalb zu verneinen ist, weil ein Kind Einkünfte und Bezüge in einer Höhe erhält, bei der regelmäßig eine Unterhaltsbedürftigkeit des Kinds und damit eine wirtschaftliche Belastung der Eltern nicht gegeben ist. Die Höhe der Einkünfte und Bezüge ist nämlich nach der gesetzlichen Regelungskonzeption erst auf der Stufe der Ermittlung des Grenzbetrags nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG beachtlich (BFH-Urteil vom 14. Mai 2002 VIII R 61/01, BFHE 199, 210, BStBl II 2002, 807, m.w.N.).

c) Nicht maßgeblich ist, dass die Ausbildung im Rahmen einer Beschäftigungs- und Qualifikationsmaßnahme nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BSHG erfolgte und die Beteiligten, wie das FG durch Bezugnahme auf den bei den Gerichtsakten befindlichen Arbeitsvertrag festgestellt hat, das Beschäftigungsverhältnis als "befristetes Arbeitsverhältnis besonderer Art" bezeichnet haben. Insoweit ist allein entscheidend, dass es --wie oben dargelegt-- inhaltlich demjenigen eines Ausbildungsdienstverhältnisses entsprach. Unterschiede bestehen nur insoweit, als ein Sozialhilfeempfänger gemäß § 18 Abs. 1 BSHG grundsätzlich verpflichtet ist, sich um Arbeit zu bemühen (vgl. Fasselt in Fichtner, Bundessozialhilfegesetz, Kommentar, § 18 Rz. 2 ff.). Er ist deshalb gehalten, eine ihm angebotene und auch zumutbare Beschäftigungs- und Qualifikationsmaßnahme anzunehmen, will er nicht Gefahr laufen, dass ihm der Anspruch auf Sozialhilfe gemäß § 25 Abs. 1 BSHG gekürzt wird oder ein solcher sogar entfällt. Dieser Zwang, sich auf eine Maßnahme nach § 19 BSHG einzulassen, ändert im Streitfall aber nichts am Vorliegen einer Berufsausbildung. Es ist dementsprechend in der Literatur zum BSHG anerkannt, dass Gegenstand einer Maßnahme nach § 19 BSHG auch ein Ausbildungsverhältnis sein kann (Mergler/Zink, Bundessozialhilfegesetz, Fach B, § 19 Rz. 13 e).

Soweit die Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht hat, dass eine Berufsausbildung i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG dadurch gekennzeichnet ist, dass Maßnahmen ergriffen werden, die dem Erreichen des angestrebten Berufsziels dienen (z.B. BFH-Urteil vom 16. April 2002 VIII R 89/01, BFH/NV 2002, 1150), sollten damit auch solche Maßnahmen als Berufsausbildung beurteilt werden, die nicht in einer anerkannten Ausbildungs- oder Prüfungsordnung vorgeschrieben sind (BFH-Urteil vom 9. Juni 1999 VI R 143/98, BFHE 189, 107, BStBl II 1999, 710); es ist nicht beabsichtigt, solche Ausbildungsmaßnahmen auszugrenzen, bei denen eine Verpflichtung besteht, sich der Ausbildung zu unterziehen.

d) Das FG ist auch zutreffend zum Ergebnis gelangt, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes im Jahr 1998 den Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschritten haben. Dies wird von der Klägerin im Rahmen der Revision auch nicht mehr beanstandet.

Klarstellend weist der Senat allerdings darauf hin, dass der Einbeziehung der Vergütung, welche D in der Zeit ab Juni 1998 erlangt hat, der Grundsatz der Nachrangigkeit der Sozialhilfe gemäß § 2 BSHG nicht entgegensteht. Aus diesem Grundsatz wird teilweise hergeleitet, dass Sozialhilfeleistungen, die ein Kind erhält, nicht zu den Einkünften und Bezügen i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG rechnen.

Im Streitfall findet der Grundsatz der Nachrangigkeit keine Anwendung.

Wird nämlich für einen Hilfesuchenden Gelegenheit zu gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit geschaffen und diesem nach § 19 Abs. 2 Satz 1, Alternative 1 BSHG das übliche Arbeitsentgelt gewährt, dann ist zwar die Sozialhilfebedürftigkeit Voraussetzung für die Schaffung dieser Arbeitsgelegenheit. Der Sozialhilfeempfänger erhält aber in einem solchen Fall keine Hilfe zum Lebensunterhalt, sondern ein arbeitsvertragliches Entgelt für das Zurverfügungstellen seiner Arbeitskraft (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. März 1990 5 C 63/86, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht --NVwZ-- 1990, 1170; Schellhorn, Jirasek/Seipp, Bundessozialhilfegesetz, 15. Aufl., § 19 Rz. 12). Die Frage der Nachrangigkeit der Sozialhilfe stellt sich deshalb in einem solchen Fall nicht (Mergler/Zink, a.a.O., § 90 Rz. 69).

Ende der Entscheidung

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