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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 18.04.2000
Aktenzeichen: VIII R 75/98
Rechtsgebiete: EStG 1987 bis 1989, KStG, AO 1977


Vorschriften:

EStG 1987 bis 1989 § 20 Abs. 1 Nr. 3
EStG 1987 bis 1989 § 36 Abs. 2 Nr. 3
KStG § 44
AO 1977 § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
BUNDESFINANZHOF

Wird nach Bestandskraft eines Einkommensteuerbescheides die Bescheinigung nach § 44 KStG vorgelegt, ist auch für Veranlagungszeiträume vor 1996 nicht nur die Anrechnungsverfügung, sondern gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 auch die Einkommensteuerfestsetzung zu ändern. Die anzurechnende Körperschaftsteuer ist nach § 20 Abs. 1 Nr. 3 EStG den Einkünften aus Kapitalvermögen hinzuzurechnen.

EStG 1987 bis 1989 §§ 20 Abs. 1 Nr. 3, 36 Abs. 2 Nr. 3 KStG § 44 AO 1977 § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2

Urteil vom 18. April 2000 - VIII R 75/98 -

Vorinstanz: FG Köln (EFG 1999, 6)


Gründe

I.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) --Ehegatten-- wurden für die Streitjahre 1987 bis 1989 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte in dieser Zeit als beherrschender Gesellschafter-Geschäftsführer der S-GmbH aufgrund von verdeckten Gewinnausschüttungen (vGA) Einkünfte aus Kapitalvermögen. Die auf die Ausschüttungen entfallende Körperschaftsteuer wurde in den Einkommensteuerbescheiden für diese Jahre weder angerechnet noch gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) den Einkünften hinzugerechnet. Die Bescheide verwiesen zur Begründung auf § 36a EStG.

Nach Bestandskraft der Einkommensteuerbescheide legte der Kläger dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) die von der ausschüttenden Körperschaft gemäß § 44 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) erstellten Bescheinigungen vor. Das FA änderte daraufhin die Bescheide gemäß § 36a Abs. 4 EStG, erfasste die in den Steuerbescheinigungen ausgewiesene anrechenbare Körperschaftsteuer bei den Einkünften aus Kapitalvermögen und rechnete sie anschließend auf die Einkommensteuer an.

Einspruch und Klage, mit denen die Kläger die Erhöhung der Einkünfte aus Kapitalvermögen rügten, blieben ohne Erfolg (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1999, 6).

Mit der --vom Finanzgericht (FG) zugelassenen-- Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen Rechts (§ 20 Abs. 1 Nr. 3, § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung --AO 1977--).

Sie beantragen sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung mit der Maßgabe abzuändern, dass die Körperschaftsteuer-Anrechnungsbeträge nicht als Einnahmen bei den Einkünften aus Kapitalvermögen angesetzt werden.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist nicht begründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Das FA hat den in den Steuerbescheinigungen nach § 44 KStG ausgewiesenen Betrag der nach § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG anrechenbaren Körperschaftsteuer zutreffend als Einnahme bei den Einkünften aus Kapitalvermögen erfasst (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG 1987). Die Einkommensteuerbescheide 1987 bis 1989 waren nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zu ändern.

1. Das FA ist vor Einreichung der Steuerbescheinigungen in den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheiden zutreffend davon ausgegangen, dass die auf die Ausschüttungen entfallende Körperschaftsteuer weder auf die Einkommensteuer angerechnet noch als Einnahme bei den Einkünften aus Kapitalvermögen erfasst werden durfte.

Nach § 36 Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 Buchst. b EStG wird die Körperschaftsteuer u.a. nicht angerechnet, wenn die in § 44 KStG bezeichnete Bescheinigung nicht vorgelegt worden ist. Im Streitfall fehlte diese Bescheinigung im Zeitpunkt der Einkommensteuerveranlagung. Die Anrechnung der Körperschaftsteuer war deshalb ausgeschlossen.

Das FA durfte den Körperschaftsteuer-Anrechnungsbetrag aber entgegen der Ansicht der Kläger auch bei der Festsetzung der Einkommensteuer nicht nach § 20 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG als Einnahme berücksichtigen. Nach dieser Bestimmung gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen nicht "die anrechenbare Körperschaftsteuer", sondern die "nach § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG anzurechnende" Körperschaftsteuer. Es sind deshalb bei der Einkommensteuerveranlagung auch die in § 36 Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG genannten, eine Anrechnung ausschließenden Gründe zu beachten. Ohne Vorlage der Bescheinigung nach § 44 KStG ist deshalb auch eine Erhöhung der Einkünfte aus Kapitalvermögen um die anrechenbare Körperschaftsteuer ausgeschlossen.

2. Nach Vorlage der Bescheinigungen musste das FA die Einkommensteuerfestsetzungen ändern. Dem steht nicht entgegen, dass die Einkommensteuerbescheide im Zeitpunkt der Vorlage der Bescheinigungen bereits bestandskräftig waren.

a) Das FA hat nach Vorlage der Bescheinigungen die Körperschaftsteuer auf die Einkommensteuer angerechnet. Die Kläger haben die Anrechnungsverfügungen nicht angefochten. Es ist deshalb von der Bestandskraft dieser Verfügungen auszugehen.

b) Der Senat lässt offen, ob für die Streitjahre 1987 bis 1989 eine Anrechnung der Körperschaftsteuer ohne gleichzeitige Erhöhung der Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG zulässig wäre. Bedenken könnten sich daraus ergeben, dass § 36 Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 Buchst. f EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1996, wonach die Körperschaftsteuer nicht angerechnet werden darf, wenn sie nicht auch bei der Veranlagung zur Einkommensteuer erfasst wurde, für die Streitjahre noch nicht gilt. Bedenken könnten sich auch aus dem Urteil des I. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 6. Oktober 1993 I R 101/92 (BFHE 172, 370, BStBl II 1994, 191) ergeben, in dem zu der für die Streitjahre geltenden Fassung des Gesetzes ausgeführt ist, die Anrechnung der Körperschaftsteuer setze nicht voraus, dass der Anrechnungsbetrag als Einnahme bei den Einkünften aus Kapitalvermögen erfasst worden sei (anders möglicherweise BFH-Urteil vom 27. März 1996 I R 87/95, BFHE 180, 332, BStBl II 1996, 473, unter II. 1. der Gründe). Diese Bedenken rechtfertigen jedoch nicht den von den Klägern gezogenen Schluss, es dürfe zwar die Körperschaftsteuer noch angerechnet, nicht aber die bereits bestandskräftig festgesetzte Einkommensteuer geändert werden. Die gesetzliche Regelung hat nur klarstellende Bedeutung. Sie beruht auf der vom Gesetz vorausgesetzten Korrespondenz von Hinzurechnung zu den Einkünften aus Kapitalvermögen und Anrechnung der Körperschaftsteuer (vgl. auch BFH-Urteil vom 24. März 1999 I R 48/98, BFHE 188, 532, BStBl II 1999, 527, unter II. 2. b der Gründe). Diese kann allenfalls aus verfahrensrechtlichen Gründen für den Fall durchbrochen werden, dass die Änderung der Einkommensteuerfestsetzung den Regeln über Steuerbescheide (§§ 129, 172 f. AO 1977), die Änderung der Körperschaftsteueranrechnung dagegen den Regeln über die Rücknahme rechtswidriger begünstigender und belastender Verwaltungsakte unterliegt (§§ 129, 130, 131 AO 1977) und die Änderungsvorschriften zu unterschiedlichen Ergebnissen führen (vgl. --allgemein zur Anrechnungsverfügung-- BFH-Urteil vom 15. April 1997 VII R 100/96, BFHE 182, 506, BStBl II 1997, 787, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 17. September 1998 I B 2/98, BFH/NV 1999, 440, und --speziell zur Körperschaftsteueranrechnung-- Brenner in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 36 Rdnr. A 231 ff., A 256 ff., D 182, E 211, jeweils m.w.N.). Bei dem im Gesetz angelegten Regelungszusammenhang zwischen Anrechnung und Hinzurechnung der Körperschaftsteuer zu den Einkünften aus Kapitalvermögen bleibt es jedoch auch für Veranlagungszeiträume vor 1996 dann, wenn sowohl der Einkommensteuerbescheid als auch die Anrechnungsverfügung nach den jeweils für sie geltenden verfahrensrechtlichen Vorschriften entsprechend den materiell-rechtlichen Bestimmungen geändert werden können. Davon ging auch das BFH-Urteil in BFHE 172, 370, BStBl II 1994, 191 aus (dort unter II. 7. b, aa a.E. zur Änderung des Einkommensteuerbescheids nach § 165 AO 1977).

c) Die Verpflichtung zur Änderung der Einkommensteuerfestsetzung ergibt sich im Streitfall aus § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977. Danach ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerrechtliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt.

Ein rückwirkendes Ereignis liegt vor, wenn es sich in der Weise auswirkt, dass der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Ob diese Voraussetzung vorliegt, entscheidet sich nach dem im Einzelfall anzuwendenden materiellen Steuergesetz (BFH-Beschluss vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, unter C. II. 1. der Gründe), hier also nach § 20 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 i.V.m. § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG. Die Voraussetzungen dieser Bestimmungen sind mit der nachträglichen Vorlage der Steuerbescheinigung erstmals und mit Wirkung für die Streitjahre erfüllt (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 188, 532, BStBl II 1999, 527, unter II. 2. a der Gründe, m.w.N., und ganz herrschende Meinung im Schrifttum, vgl. dazu FG Köln, Urteil vom 23. September 1998 4 K 9294/97, EFG 1999, 6). Die Bescheinigung wirkt nicht erst ab dem Zeitpunkt ihrer Vorlage; sie dient lediglich dem Nachweis, dass die Voraussetzungen der Anrechnung im Zeitpunkt der Ausschüttung durch die Körperschaft gegeben waren (vgl. u.a. BFH-Urteile vom 24. März 1992 VII R 39/91, BFHE 168, 300, BStBl II 1992, 956, unter II. 1. c der Gründe, und vom 19. Juli 1994 VIII R 58/92, BFHE 176, 317, BStBl II 1994, 362, unter II. 1. b, bb der Gründe).

Ende der Entscheidung

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