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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 18.02.2003
Aktenzeichen: X B 111/02
Rechtsgebiete: ZPO, FGO, GG


Vorschriften:

ZPO § 217
FGO § 79b Abs. 1
FGO § 91 Abs. 1 Satz 1
FGO § 96 Abs. 1 Satz 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
FGO § 116 Abs. 6
FGO § 119 Nr. 3
FGO § 155
GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) gab für die Streitjahre 1997 und 1998 --trotz mehrfacher Aufforderungen durch den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--)-- seine Einkommensteuererklärungen nicht ab. In den Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 1997 und 1998 schätzte das FA deshalb die Besteuerungsgrundlagen. Dabei setzte es Bruttolöhne in Höhe von 86 288 DM (1997) bzw. 86 000 DM (1998) sowie gewerbliche Einkünfte in Höhe von 10 000 DM (1997) bzw. 5 000 DM (1998) an. Unbeschränkt abziehbare Sonderausgaben wurden jeweils in Höhe von 108 DM, beschränkt abziehbare Sonderausgaben jeweils in Höhe von 3 915 DM berücksichtigt.

Die gegen beide Einkommensteuerbescheide eingelegten Einsprüche wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 5. Dezember 2001 als unbegründet zurück, da der Kläger entgegen seiner Ankündigung keine Steuererklärungen vorgelegt hatte.

Die dagegen erhobene Klage begründete der Kläger nach Fristsetzung gemäß § 79b Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) damit, dass er in beiden Streitjahren keine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt habe und dass bei den geschätzten Gewinnen aus Gewerbebetrieb seine Verluste der Jahre 1990 bis 1996 nicht berücksichtigt worden seien. Zudem hätten seine beschränkt abziehbaren Sonderausgaben in beiden Streitjahren jeweils 9 915 DM betragen und die unbeschränkt abziehbaren Sonderausgaben seien jedenfalls höher als die jeweils vom FA angesetzten gewesen. Die Gewinnermittlungen und Einkommensteuererklärungen wollte der Kläger in der 23. Kalenderwoche des Jahres 2002 einreichen.

Mit Verfügung vom 28. Juni 2002 forderte das Finanzgericht (FG) den Kläger u.a. auf, sich bis zum 31. Juli 2002 zu der Klageerwiderung des FA zu äußern. Am 10. Juli 2002 wurde ihm die Ladung des FG zur mündlichen Verhandlung am 25. Juli 2002 mit Postzustellungsurkunde --die Ladung wurde in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt-- zugestellt. Mit Telefaxschreiben, beim FG eingegangen am 31. Juli 2002, bat der Kläger um Verlängerung der Äußerungsfrist bis 9. August 2002, da er seine Unterlagen an einen Steuerberater weiterleiten wolle. Zudem legte der Kläger Belege dafür vor, dass er vom 10. bis 25. Juli 2002 in Urlaub war. Mit Faxschreiben vom 9. August 2002 beantragte er neuerliche Fristverlängerung bis 16. August 2002.

Das FG wies die Klage aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25. Juli 2002 ab. Das Urteil wurde dem Kläger am 13. August 2002 zugestellt. Zur Begründung führte das FG u.a. aus: Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung sei nicht veranlasst. Das nachträgliche Vorbringen des Klägers, "die Unterlagen" an einen Steuerberater weiterzuleiten, sei nicht geeignet, das Klagebegehren zu rechtfertigen.

Mit Schriftsatz vom 22. August 2002, beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen am 26. August 2002, erhob der Kläger Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision. Die Vorentscheidung beruhe auf einem Verfahrensmangel. Er habe beabsichtigt, seine Klage innerhalb der vom FG bis 31. Juli 2002 gesetzten Frist zu begründen. Das FG habe aber während seiner urlaubsbedingten Abwesenheit am 25. Juli 2002 Termin zur mündlichen Verhandlung angesetzt. Diesen Termin habe er nicht wahrnehmen können.

II. Die Beschwerde ist begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Dies hat gemäß § 116 Abs. 6 FGO die Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie die Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zur Folge.

1. Die Vorentscheidung beruht auf einer Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, § 96 Abs. 2 FGO).

a) Sowohl aus der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG als auch aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) folgt, dass der Bürger einen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle hat. Der Zugang zum Gericht darf nicht in unzumutbarer, mit Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Das einfache Recht muss in seiner Anwendung im Einzelfall von Verfassungs wegen ein der Sache angemessenes Maß an Gehör gewährleisten, um dem Erfordernis eines wirkungsvollen Rechtsschutzes gerecht zu werden. So gesehen dienen beide Verfassungsgrundsätze jeweils dem gleichen Ziel, nämlich der Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes. Das Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes gilt danach nicht nur für die Eröffnung des Zugangs zum Gericht, sondern auch für das Recht, im Verfahren gehört zu werden (vgl. Bundesverfassungsgericht --BVerfG--, Beschluss vom 29. November 1996 2 BvR 1157/93, BStBl II 1997, 415, 418, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1997, 247, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 30. Juli 2001 VII B 78/01, BFHE 195, 530, BStBl II 2001, 681).

b) Im finanzgerichtlichen Verfahren wird das Recht auf Gehör u.a. durch die Ladungsfristen zum Termin zur mündlichen Verhandlung gewährleistet (§ 91 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die vom Gesetz vorgegebene Zeitspanne von mindestens zwei Wochen zwischen dem Tag der Zustellung der Ladung und dem Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem FG (§ 91 Abs. 1 Satz 1 FGO, § 155 FGO i.V.m. § 217 der Zivilprozeßordnung --ZPO--) soll es den Beteiligten nicht nur ermöglichen, die Anwesenheit bei der mündlichen Verhandlung sicherzustellen; sie soll außerdem gewährleisten, dass sich die Beteiligten auf den Termin vorbereiten können, damit sie imstande sind, sich in der mündlichen Verhandlung zur Wahrung ihrer Rechte angemessen zu äußern (BFH-Beschluss vom 2. Dezember 1992 X B 65/92, BFH/NV 1993, 608).

c) Wer eine ständige Wohnung hat und diese nur vorübergehend nicht benutzt, braucht für die Zeit seiner Abwesenheit keine besonderen Vorkehrungen hinsichtlich möglicher Zustellungen zu treffen (BVerfG-Beschluss vom 21. Januar 1969 2 BvR 724/67, BVerfGE 25, 158). Der Beteiligte muss schon angesichts der Tatsache, dass die Mindestladungsfrist von zwei Wochen knapp bemessen ist, damit rechnen können, dass die mündliche Verhandlung wiedereröffnet wird, falls ihm während dieser Zeit eine Ladung durch Einlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt wird und er aus Unkenntnis dieser Ersatzzustellung die mündliche Verhandlung versäumen sollte bzw. keinen Antrag auf Terminsverlegung stellen kann.

2. Die vom Kläger erhobene Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 96 Abs. 2 FGO) erfüllt die Anforderungen an eine schlüssige Darlegung und ist daher zulässig.

a) Er hat in seiner auf die Verletzung rechtlichen Gehörs gestützten Nichtzulassungsbeschwerde in ausreichender Weise dargelegt und belegt, dass er den vom FG bestimmten Termin zur mündlichen Verhandlung am 25. Juli 2002 bereits deshalb nicht wahrnehmen konnte, weil er am 10. Juli 2002, dem Tag der Zustellung der Ladung, seine zweiwöchige Urlaubsreise angetreten und von dem Termin erst bei seiner Rückkehr an seinen Wohnort am 25. Juli 2002 Kenntnis bekommen habe. Zu diesem Zeitpunkt hatte die mündliche Verhandlung vor dem FG bereits stattgefunden. Bei diesem Ablauf der Dinge hatte der vor dem FG nicht vertretene Kläger keine Möglichkeit, den Termin vor dem FG wahrzunehmen und sich dort rechtliches Gehör zu verschaffen.

Für die Zeit seiner zweiwöchigen Abwesenheit brauchte der Kläger auch keine Vorkehrungen für mögliche Zustellungen zu treffen (vgl. BVerfG in BVerfGE 25, 158), zumal ihm das FG eine Äußerungsfrist zur Klageerwiderung bis 31. Juli 2002 gesetzt hatte und er deshalb davon ausgehen konnte, das Gericht werde vor Ablauf dieser Frist in der Sache nicht entscheiden.

b) Nicht erforderlich war die Darlegung dessen, was der Kläger für den Erfolg seiner Klage in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hätte, wenn er daran teilgenommen hätte. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nach § 119 Nr. 3 FGO ein absoluter Revisionsgrund, d.h. das Urteil als solches ist in einem solchen Fall stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, ohne dass es weitere Ausführungen zur Sache bedürfte. Nach der Rechtsprechung des BFH gilt dies nur dann nicht, wenn die Verletzung des rechtlichen Gehörs lediglich einzelne Feststellungen betrifft, auf die es für die Entscheidung aus der Sicht des Revisionsgerichts unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ankommt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 18. Mai 1994 XI R 62/93, BFHE 175, 142, BStBl II 1994, 719). Wird einem Beteiligten jedoch, wie im Streitfall, die Möglichkeit genommen, sich zu dem entscheidungserheblichen Sachverhalt --dem Gesamtergebnis des Verfahrens i.S. des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO-- zu äußern, so kann das Revisions- bzw. Beschwerdegericht das angefochtene Urteil auf seine sachlich-rechtliche Richtigkeit nicht überprüfen, weil das Gesamtergebnis des Verfahrens verfahrensrechtlich fehlerhaft zur Grundlage der Entscheidung geworden ist (vgl. BFH-Urteil vom 5. November 1991 VII R 64/90, BFHE 166, 415, BStBl II 1992, 425, m.w.N.; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 119 Rz. 11). Entscheidet das Gericht verfahrensfehlerhaft in Abwesenheit des Rechtsmittelführers aufgrund mündlicher Verhandlung, erfordert deshalb die Rüge der Verletzung des Rechts auf Gehör keine Ausführungen darüber, was bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen worden wäre und dass dieser Vortrag die Entscheidung des Gerichts hätte beeinflussen können (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 3. September 2001 GrS 3/98, BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802).

3. Unter den gegebenen Umständen konnte das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Auf die Frage, ob das FG auch durch die Terminierung der mündlichen Verhandlung vor Ablauf der dem Kläger gesetzten Äußerungsfrist dessen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat (vgl. BVerfG-Beschluss vom 14. Juni 1983 2 BvR 1780/82, BVerfGE 64, 224, 227; BFH-Urteil vom 19. März 2002 IX R 100/00, BFH/NV 2002, 945), kommt es somit nicht mehr entscheidend an.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO n.F.

Ende der Entscheidung

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