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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 16.12.2004
Aktenzeichen: X R 14/03
Rechtsgebiete: GewStG


Vorschriften:

GewStG § 35b Abs. 1
Ändert das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid in der Weise, dass ein bisher als Veräußerungsgewinn behandelter Gewinn aus Gewerbebetrieb nunmehr als laufender Gewinn beurteilt wird, so darf der Gewerbesteuermessbescheid nach § 35b GewStG geändert werden (Bestätigung der Rechtsprechung).
Gründe:

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war bis zur Aufgabe seines Betriebes im Streitjahr 1996 als selbständiger Versicherungsvertreter tätig. In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr erklärte er aus seiner Tätigkeit einen laufenden Gewinn in Höhe von 259 149 DM und einen "Veräußerungsgewinn" in Höhe von 816 426 DM. Für die Gewerbesteuer erklärte er einen Gewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von 254 025 DM. Im Einkommensteuerbescheid vom 16. Juni 1998 ermittelte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 1 087 778 DM. Der erklärte Veräußerungsgewinn wurde dabei gemäß "§ 34 Abs. 2" des Einkommensteuergesetzes (EStG) begünstigt besteuert. Der Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG kam wegen Überschreitens der diesbezüglichen Grenze nicht in Betracht. Im Bescheid über den einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag vom selben Tag ging das FA von einem Gewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von 271 352 DM aus.

Nach einer Selbstanzeige erhöhte das FA im Einkommensteuerbescheid vom 15. September 1999 die Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb auf 1 109 277 DM. In Anpassung an diese Korrektur änderte das FA auch den Bescheid über den einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag gemäß § 35b des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) unter Berücksichtigung eines Gewinns aus Gewerbebetrieb in Höhe von 292 851 DM. Dieser Bescheid erging wegen eines anhängigen Musterverfahrens gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) vorläufig.

Im Zuge einer auch das Streitjahr betreffenden Außenprüfung verminderte die Prüferin den erklärten Veräußerungsgewinn um 805 054 DM. Bei diesem Betrag handelte es sich um Ausgleichszahlungen verschiedener Versicherungsunternehmen. In Höhe von 762 275 DM behandelte sie die Ausgleichszahlungen als solche nach § 89b des Handelsgesetzbuchs (HGB) und damit als nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG steuerbegünstigt. Einen Betrag in Höhe von 42 779 DM rechnete sie dem laufenden Gewinn zu. Die Einkünfte aus Gewerbebetrieb ermittelte sie mit 1 119 243 DM unter Ansatz einer Gewerbesteuerrückstellung in Höhe von 130 400 DM.

Den Feststellungen der Außenprüfung folgend erließ das FA am 13. August 2001 einen gemäß § 164 Abs. 2 AO 1977 geänderten Einkommensteuerbescheid. Darüber hinaus änderte das FA am selben Tag den Gewerbesteuermessbescheid "gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977" unter Berücksichtigung eines Gewinns aus Gewerbebetrieb in Höhe von 1 107 871 DM. Dies führte zu einem einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag von 50 585 DM.

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage statt, mit welcher der Kläger die Minderung des Gewerbeertrags um 805 054 DM abzüglich der entsprechenden Gewerbesteuerrückstellung begehrte. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2003, 1401 veröffentlicht.

Im während des Revisionsverfahrens ergangenen Änderungsbescheid vom 2. Dezember 2004 setzte das FA den Gewerbesteuermessbetrag auf 48 310 DM fest. Anstelle von 805 054 DM bezog es nur den erwähnten Betrag von 762 275 DM in den Gewerbeertrag ein.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 35b GewStG.

Das FA beantragt, das Urteil des FG vom 26. Februar 2003 aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen, als mit ihr die Festsetzung eines niedrigeren Gewerbesteuermessbetrags als 24 700,51 € (48 310 DM) begehrt wird.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.

II.

1. Das angefochtene Urteil ist bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, da der während des Revisionsverfahrens ergangene Änderungsbescheid vom 2. Dezember 2004 an die Stelle des Gewerbesteuermessbescheids vom 13. August 2001 trat. Damit liegt dem FG-Urteil ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde mit der Folge, dass auch das FG-Urteil keinen Bestand haben kann (s. dazu Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23. Januar 2003 IV R 71/00, BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43).

Der Bescheid vom 2. Dezember 2004 wurde nach § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Revisionsverfahrens. Da sich durch den Änderungsbescheid der bisherige Streitstoff nicht verändert hat (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 127 Rz. 2), bedarf es keiner Zurückverweisung der Sache gemäß § 127 FGO. Das finanzgerichtliche Verfahren leidet nicht an einem Verfahrensmangel, so dass die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch die Aufhebung des Urteils nicht weggefallen sind; sie bilden daher nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des Senats (BFH-Urteil in BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43).

2. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Entgegen der Auffassung des FG konnte der Gewerbesteuermessbescheid noch nach § 35b GewStG geändert werden.

a) Gemäß § 35b Abs. 1 GewStG ist ein Gewerbesteuermessbescheid von Amts wegen aufzuheben oder zu ändern, wenn der Einkommensteuerbescheid, der Körperschaftsteuerbescheid oder ein Feststellungsbescheid "aufgehoben oder geändert wird und die Aufhebung oder Änderung den Gewinn aus Gewerbebetrieb berührt". Den Umfang der Änderung bestimmt § 35b Abs. 1 Satz 2 GewStG. Danach ist die Änderung des Gewinns aus Gewerbebetrieb insoweit zu berücksichtigen, als sie die Höhe des Gewerbeertrags beeinflusst.

b) § 35b GewStG enthält eine selbständige Rechtsgrundlage zur Aufhebung oder Änderung von Gewerbesteuermessbescheiden (vgl. z.B. Blümich/Hofmeister, Gewerbesteuergesetz, § 35b Rz. 4). Die Vorschrift dient der Verfahrensvereinfachung. Zum einen bezweckt sie die Vermeidung einer unerwünschten Verdoppelung von Rechtsbehelfsverfahren, in denen der Steuerpflichtige (Rechtsbehelfsführer) sowohl gegen den Einkommensteuer(änderungs)bescheid als auch gegen den Gewerbesteuermessbescheid ein und dieselben (materiell-rechtlichen) Einwendungen erhebt (vgl. Senatsentscheidung vom 23. Juni 2004 X R 59/01, BFHE 206, 449, BStBl II 2004, 901). Zum anderen soll auf diese Weise dem FA die Möglichkeit eingeräumt werden, den Gewerbesteuermessbescheid den bei der Einkommensteuer bzw. Körperschaftsteuer vorgenommenen Korrekturen anzupassen (vgl. Blümich/Hofmeister, a.a.O.).

c) Nach Sinn und Zweck des § 35b GewStG ist die Vorschrift nicht einschränkend auszulegen. Sie erfasst auch Fälle, in denen sich Steuerpflichtige gegen den Ansatz von gewerblichen Einkünften im Einkommensteuerbescheid "dem Grunde nach" wehren. Dies hat der erkennende Senat im Urteil in BFHE 206, 449, BStBl II 2004, 901 nicht zuletzt aus den aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes) herzuleitenden Geboten der Gesetzesbestimmtheit und der Rechtsmittelsicherheit hergeleitet. Gesetze müssen so gefasst und ausgelegt werden, dass die Bürger die für sie eintretenden Rechtsfolgen zuverlässig erkennen können, um ihr Verhalten danach einrichten zu können.

d) Die im Senatsurteil in BFHE 206, 449, BStBl II 2004, 901 aus dem Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Vorschrift abgeleiteten Gründe, derenthalben die Umqualifizierung gewerblicher Einkünfte in solche aus einer anderen Einkunftsart und der dadurch bedingte anderweitige Ansatz des gewerblichen Gewinns in einem Einkommensteueränderungsbescheid den Gewinn aus Gewerbebetrieb i.S. des § 35b GewStG berührt, greifen auch in Fällen, in denen in einem Einkommensteueränderungsbescheid ein laufender Gewinn in einen begünstigten Betriebsveräußerungs- oder Aufgabegewinn umqualifiziert wird. Diese Auslegung verhindert eine unerwünschte Verdoppelung von Rechtsbehelfsverfahren sowohl gegen den Einkommensteuer(änderungs)bescheid als auch gegen den Gewerbesteuermessbescheid wegen derselben materiell-rechtlichen Einwendungen. Dem Rechtsuchenden ist auf diese Weise der Weg zur gerichtlichen Überprüfung der Bescheide klar vorgezeichnet. Dementsprechend hat die Rechtsprechung des BFH § 35b GewStG bereits in seiner Fassung vor In-Kraft-Treten des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) vom 14. Dezember 1976 (BGBl I 1976, 3341, BStBl I 1976, 694, 702) --GewStG a.F.--, nach dessen Wortlaut "die Höhe des Gewinns aus Gewerbebetrieb berührt" sein musste, in einem Fall angewendet, in welchem in einem geänderten Gewinnfeststellungsbescheid die Gesamthöhe des gewerblichen Gewinns unverändert blieb und lediglich dessen Zuordnung zum laufenden Gewinn einerseits und zum (einkommensteuerrechtlich tarifbegünstigten und gewerbesteuerrechtlich irrelevanten) Veräußerungsgewinn andererseits geändert wurde (vgl. BFH-Urteil vom 30. Juni 1964 VI 341/62 U, BFHE 80, 296, BStBl III 1964, 581).

e) Greift aber § 35b GewStG dann ein, wenn ein laufender Gewinn in einen Betriebsveräußerungs- oder Aufgabegewinn umqualifiziert wird (so auch Blümich/Hofmeister, a.a.O., Rz. 21), kann in Fällen, in denen in einem Einkommensteueränderungsbescheid ein Veräußerungs- oder Aufgabegewinn als laufender Gewinn gewertet wird, schon aus Gründen der verfahrensrechtlichen Symmetrie ("Waffengleichheit") nichts anderes gelten. Eine Vorschrift kann nicht unterschiedlich ausgelegt werden, je nachdem, ob sie zugunsten oder zuungunsten des Steuerpflichtigen angewendet wird. Es macht auch keinen Unterschied, ob die Behandlung des gewerblichen Gewinns als laufender Gewinn oder Veräußerungsgewinn in einem Feststellungsbescheid wie im Fall der Entscheidung in BFHE 80, 296, BStBl III 1964, 581 oder --wie im Streitfall-- in einem Einkommensteuerbescheid beurteilt wird.

f) Nach diesen Grundsätzen erweist sich die Auffassung des FG, § 35b GewStG komme nicht zur Anwendung, als rechtsfehlerhaft.

Im Streitfall hat das FA im Einkommensteueränderungsbescheid vom 13. August 2001 einen bis dahin als Betriebsveräußerungsgewinn bzw. Betriebsaufgabegewinn beurteilten gewerblichen Gewinn als laufenden Gewinn qualifiziert. Da diese Änderung beim Gewinn aus Gewerbebetrieb die Höhe des Gewerbeertrags unmittelbar berührte, war das FA zur Korrektur des Gewerbesteuermessbescheids berechtigt. Soweit das FG demgegenüber darauf hinweist, dass auf diese Weise "das Finanzamt - in Fällen wie dem vorliegenden - Rechtsfehler bereinigende Änderungsmöglichkeiten für bestandskräftige Gewerbesteuermessbescheide stets dadurch schaffen (könnte), dass es seine bisherige gewerbesteuerrechtliche Wertung bei der Einkommensteuerveranlagung aufgibt und eine Gewerbesteuerrückstellung ansetzt", lässt es unberücksichtigt, dass Voraussetzung für die Folgeänderung bei der Gewerbesteuer die Änderungsmöglichkeit des Einkommensteuerbescheids ist. Kann, wie hier, der Einkommensteuerbescheid noch korrigiert werden und wirkt sich diese Korrektur auf die Höhe des Gewerbeertrags aus, kommt § 35b GewStG zur Anwendung. Dies folgt aus dem erwähnten Regelungszweck der Vorschrift.

Ende der Entscheidung

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