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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 15.10.2003
Aktenzeichen: X R 48/01
Rechtsgebiete: AO 1977


Vorschriften:

AO 1977 § 236
Der Anspruch auf Prozesszinsen nach § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 setzt voraus, dass der erledigte Rechtsstreit ursächlich für die Herabsetzung der Steuer war.
Gründe:

A.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

Gegen die Einkommensteuerfestsetzung des Streitjahres 1989 vom 27. August 1992 erhoben die Kläger nach erfolglosem Vorverfahren Klage. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) hatte Verluste des Klägers aus seiner atypisch stillen Beteiligung an der M-GmbH nicht berücksichtigt, da für diese atypisch stille Gesellschaft wegen fehlender Gewinnerzielungsabsicht u.a. auch für das Streitjahr ein negativer Gewinnfeststellungsbescheid ergangen war. Die ohne Durchführung eines Vorverfahrens erhobene Klage gegen diesen negativen Feststellungsbescheid wurde mit Zustimmung des Klägers als Einspruch behandelt (§ 45 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Im Hinblick auf die in gleicher Sache für andere Streitjahre eingereichte Klage ließ das FA dieses Einspruchsverfahren zunächst ruhen und stellte dann --nachdem diese Klage Erfolg hatte-- mit Feststellungsbescheid vom 5. März 1998 den Verlust des Klägers aus seiner atypisch stillen Beteiligung für das Streitjahr 1989 auf 1 001 754 DM fest. Am 6. April 1998 änderte das FA den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1989 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) entsprechend.

Den Rechtsstreit in Sachen Einkommensteuer 1989 erklärten die Beteiligten übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt. Mit Beschluss vom 2. Juli 1998 erlegte das Finanzgericht (FG) den Klägern die Kosten des Verfahrens gemäß § 138 Abs. 1 FGO auf.

Den Antrag der Kläger vom 29. Mai 1998 auf Erstattung der Prozesszinsen gemäß § 236 AO 1977 lehnte das FA ab. Das FG wies die dagegen nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 1410 veröffentlichtem Urteil ab. Die Herabsetzung der Steuer müsse auf die prozessuale Erledigung eines zulässig und im Ergebnis erfolgreich eingeleiteten Klageverfahrens zurückzuführen sein. An dieser Voraussetzung fehle es im Streitfall, da die Rechtshängigkeit des Einkommensteuerbescheides 1989 nicht kausal für den Erfolg des Herabsetzungsantrags gewesen sei.

Mit der Revision rügen die Kläger u.a. einen Verfahrensmangel. Die Ansicht des FG, die isolierte Rechtshängigkeit der Klage gegen den Einkommensteuerbescheid des Streitjahres 1989 sei nicht ursächlich für den Erfolg des Herabsetzungsantrags gewesen, weil der Kläger den Feststellungsbescheid nicht gerichtlich angefochten habe, sei falsch. Auch gegen die negativen Feststellungsbescheide der Jahre 1988 und 1989 sei ein Klageverfahren anhängig gewesen (Az. 1 K 2530/92). Das FG habe somit gegen den Inhalt der Akten verstoßen.

Ferner rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Die Voraussetzungen des § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 seien erfüllt. Dieses Ergebnis entspreche dem Normzweck des § 236 AO 1977, der dem Gläubiger eines Erstattungsanspruchs eine Entschädigung für die Vorenthaltung des Kapitals und der damit verbundenen Nutzungsmöglichkeiten zumindest für die Zeit ab Rechtshängigkeit gewähren wolle. Die verfahrensrechtliche Art der Prozessbeendigung sei für den Anspruch auf Prozesszinsen irrelevant. Unerheblich sei auch, aus welchem Grund die Behörde dem Klagebegehren entsprochen und damit die Erledigung der Hauptsache bewirkt habe. Habe ein Steuerpflichtiger sowohl gegen den Grundlagen- als auch gegen den Folgebescheid Klage erhoben, könne es gerechtfertigt sein, ihn mit vermeidbaren Verfahrenskosten zu belasten. Habe er aber auf einem der beiden gewählten Wege Erfolg, werde also die Steuerschuld antragsgemäß herabgesetzt, sei der Tatbestand des § 236 AO 1977 erfüllt.

Die Kläger beantragen, das angefochtene FG-Urteil aufzuheben und ihnen Prozesszinsen in Höhe von 72 180 DM auf die erstattete Einkommensteuer 1989 zuzuerkennen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

B.

Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 FGO). Zu Recht hat das FG den Klägern keine Prozesszinsen auf die erstattete Einkommensteuer 1989 zuerkannt.

I. Die auf Verletzung von § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO gestützte Verfahrensrüge der Kläger hat keinen Erfolg. Das FG ging bei seiner Entscheidung zutreffend davon aus, dass kein Klageverfahren gegen den negativen Gewinnfeststellungsbescheid des Jahres 1989 rechtshängig war.

1. Das FA hat am 27. Juli 1992 u.a. den Einspruch gegen den Feststellungsbescheid für das Jahr 1989 vom 31. Juli 1991 zurückgewiesen und mit negativem Feststellungsbescheid vom gleichen Tag den der Einspruchsentscheidung zugrunde liegenden Bescheid aufgehoben. Die vom Kläger als atypisch stillem Gesellschafter mit Schriftsatz vom 30. Juli 1992 erhobene, beim FG am 5. August 1992 eingegangene Klage (Az. 1 K 2530/92) war somit auf die isolierte Anfechtung der Einspruchsentscheidung vom 27. Juli 1992 und nicht gegen den Feststellungsbescheid für das Jahr 1989 vom 31. Juli 1991 gerichtet. Auf Anregung des Gerichts hat das FA die Einspruchsentscheidung mit Bescheid vom 9. März 1994 aufgehoben. Die Beteiligten haben den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

2. Die mit Schriftsatz vom 28. August 1992 erhobene, beim FG am 31. August 1992 eingegangene Klage u.a. gegen den negativen Feststellungsbescheid für das Jahr 1989 vom 27. Juli 1992 (Az. 1 K 3001/92) wurde mit Zustimmung des Klägers nach § 45 Abs. 3 FGO als außergerichtlicher Rechtsbehelf behandelt, da vor Klageerhebung kein Vorverfahren durchgeführt worden war und das FA einer Sprungklage nicht zugestimmt hat. Dies bedeutet, dass diese Klage nicht bei Gericht anhängig war (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. Januar 1986 I B 37/85, BFH/NV 1986, 678; vom 10. September 1996 II B 78/96, BFH/NV 1997, 56).

II. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Prozesszinsen nach § 236 AO 1977.

1. Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis werden nur verzinst, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist (§ 233 Satz 1 AO 1977). Gemäß § 236 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist der zu erstattende Betrag vom Tag der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag zu verzinsen, wenn durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder aufgrund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt wird. Dies gilt nach § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 entsprechend, wenn sich der Rechtsstreit durch Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts erledigt.

Zweck des § 236 AO 1977 ist es, dem Gläubiger eines Erstattungsanspruchs für die Vorenthaltung des Kapitals und der damit verbundenen Nutzungsmöglichkeiten zumindest für die Zeit ab Rechtshängigkeit eine Entschädigung zu gewähren (vgl. BFH-Urteile vom 13. Juli 1994 I R 38/93, BFHE 175, 496, BStBl II 1995, 37; vom 16. November 2000 XI R 31/00, BFHE 194, 76, BStBl II 2002, 119). Von einem allgemeinen Rechtsgrundsatz auf (angemessene) Verzinsung rückständiger Staatsleistungen kann dennoch nicht ausgegangen werden; das Gesetz kennt nur die Verzinsung nach Maßgabe genau umschriebener Tatbestände (BFH-Urteil vom 29. April 1997 VII R 91/96, BFHE 182, 253, BStBl II 1997, 476). Daran hat der BFH auch nach Einführung der Vollverzinsung für die Auslegung des § 236 AO 1977 festgehalten (BFH-Beschluss vom 20. Januar 1999 IV B 40/98, BFH/NV 1999, 1055, unter Hinweis auf die Entscheidung in BFHE 182, 253, BStBl II 1997, 476).

2. Im Streitfall hat sich der Rechtsstreit in Sachen Einkommensteuerfestsetzung 1989 i.S. des § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 erledigt, nachdem das FA den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1989 wegen des geänderten Gewinnfeststellungsbescheids nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 geändert hat. Durch die Erledigung der Hauptsache aufgrund übereinstimmender Erklärungen der Beteiligten wurde die Rechtshängigkeit beendet (§ 66 FGO). Dennoch hat das FG zutreffend erkannt, dass der von den Klägern geltend gemachte Zinsanspruch im Gesetz keine Stütze findet.

a) Nach § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 ist Abs. 1 dieser Vorschrift "entsprechend anzuwenden". Die Vorschrift ist eine Verweisungsnorm nicht lediglich hinsichtlich der Rechtsfolgen --Verzinsung des zu erstattenden Betrags vom Tag der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag--, sondern auch bezüglich des Rechtsgrunds der Verzinsung. Soweit die Vorschrift keine eigenständige Regelung enthält, nimmt sie den Regelungsgehalt der Bezugsnorm voll in sich auf. Die Verweisung in § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 auf Abs. 1 hat deshalb zur Folge, dass Prozesszinsen nur dann zuerkannt werden können, wenn der angestrengte Rechtsstreit kausal für die Herabsetzung der Steuer und für die nach § 236 AO 1977 zu verzinsende Steuererstattung war. Wird die Steuer auch ohne Klageverfahren herabgesetzt, greift § 236 AO 1977 nicht ein.

b) Eigenständig regelt § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 lediglich, dass Prozesszinsen auch dann entstehen, wenn der Rechtsstreit nicht durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung, sondern durch die Erledigung der Hauptsache oder Rücknahme der Klage beendet wird. § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 erweitert damit die Anwendbarkeit der Vorschrift auf andere Arten der Beendigung eines Finanzrechtsstreits. U.a. soll durch diese Bestimmung die Finanzbehörde daran gehindert werden, mit einer Änderung des angefochtenen Bescheids vor Ergehen der gerichtlichen Entscheidung das Entstehen von Prozesszinsen zu verhindern.

c) § 236 Abs. 1 AO 1977, der den Grundtatbestand des Anspruchs auf Prozesszinsen regelt, fordert aber nicht nur die Beendigung des Rechtsstreits durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung. Prozesszinsen entstehen nach dieser Vorschrift vielmehr nur dann, wenn durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder aufgrund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt oder eine Steuervergütung gewährt wird. Der bei Gericht anhängige Rechtsstreit muss somit ursächlich für die Herabsetzung der Steuer oder die Gewährung der Steuervergütung sein. Wenn aber nach dem Grundtatbestand des § 236 Abs. 1 AO 1977 Prozesszinsen nur dann entstehen, wenn der vom Steuerpflichtigen angestrengte Prozess Ursache für die Herabsetzung der Steuer oder die Gewährung der Steuervergütung war, muss dieses Erfordernis auch in den in § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 geregelten Fällen gelten.

d) An diesem Erfordernis fehlt es im Streitfall. Auch wenn nach der Rechtsprechung des BFH die Klage gegen den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1989, mit der lediglich Einwendungen gegen den Grundlagenbescheid geltend gemacht wurden, nicht unzulässig war (vgl. BFH-Urteile vom 2. September 1987 I R 162/84, BFHE 151, 104, BStBl II 1988, 142; vom 26. August 1987 I R 141/86, BFHE 151, 366, BStBl II 1988, 143; vom 20. September 1989 X R 8/86, BFHE 158, 205, BStBl II 1990, 177; a.A. allerdings BFH-Urteile vom 23. Mai 1990 III R 145/85, BFHE 161, 73, BStBl II 1990, 895; vom 11. Juli 1996 IV R 67/95, BFH/NV 1997, 114; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, § 42 Rz. 35 f.; Klein/Brockmeyer, Abgabenordnung, § 351 Rz. 8; Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 42 FGO Rz. 188; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 351 AO 1977 Rz. 54, m.w.N.), ist im Streitfall die Herabsetzung der Einkommensteuer für das Jahr 1989 nicht auf die prozessuale Erledigung des von den Klägern eingeleiteten Klageverfahrens zurückzuführen. Die Herabsetzung der Einkommensteuer war lediglich verfahrensrechtliche Folge der Änderung des Gewinnfeststellungsbescheids für die M-GmbH atypisch stille Gesellschaft. Die vom FA nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 vorgenommene Änderung des Einkommensteuerbescheids für das Jahr 1989 steht in keinem Zusammenhang mit dem von den Klägern angestrengten Klageverfahren und wäre auch dann erfolgt, wenn der Einkommensteuerbescheid formell und materiell bestandskräftig gewesen wäre. Ebenso wenig wie allein die Möglichkeit des Entstehens von Prozesszinsen im Falle eines Obsiegens eine Klageerhebung rechtfertigen kann (BFH-Beschlüsse vom 8. Mai 1992 III B 138/92, BFHE 167, 303, BStBl II 1992, 673; vom 9. August 1994 X B 26/94, BFHE 174, 498, BStBl II 1994, 803), können Prozesszinsen Folge einer zwar zulässigen, im Ergebnis aber nutzlosen Inanspruchnahme des Gerichts sein.

3. Bestätigt wird die Auslegung des § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 als Rechtsgrundverweisung auf Abs. 1 der Vorschrift auch durch die gesetzgeberische Intention, die in § 236 Abs. 3 AO 1977 zum Ausdruck kommt. Hiernach entfällt eine Verzinsung, soweit dem Kläger die Kosten des Klageverfahrens nach § 137 Satz 1 FGO auferlegt worden sind. Sollen Klägern aber bereits dann keine Prozesskosten zuerkannt werden, wenn sie Tatsachen verspätet geltend machen oder beweisen, die für den Ausgang des Klageverfahrens ausschlaggebend waren, muss dies umso mehr gelten, wenn das mit dem Klageverfahren angestrebte Ziel, die Herabsetzung der festgesetzten Steuern, aus Gründen erreicht wird, die in keinem Zusammenhang mit dem konkreten Rechtsstreit stehen. Zudem ist der Anspruch auf Prozesszinsen im Zusammenhang mit der Regelung des § 69 Abs. 1 FGO zu sehen (BFH-Urteil vom 10. November 1983 V R 13/79, BFHE 139, 240, BStBl II 1984, 185). Die Anfechtung eines Folgebescheids mit Einwendungen, die mit Erfolg nur gegen den Grundlagenbescheid hätten geltend gemacht werden können, kann aber keinesfalls dazu führen, dass die Pflicht zur Leistung der festgesetzten Steuer aufgeschoben wird.

Ende der Entscheidung

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