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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 29.04.2009
Aktenzeichen: X R 51/08
Rechtsgebiete: EStG, FGO


Vorschriften:

EStG § 5 Abs. 1
FGO § 126 Abs. 3 S. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob in der Eröffnungsbilanz in unzutreffender Höhe ausgewiesene Bilanzansätze im Streitjahr erfolgswirksam zu berichtigen sind.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) übernahm mit Vertrag vom 30. Oktober 1992 von der Treuhandanstalt einen Teil des ehemaligen Betriebs der X GmbH. Der Kaufpreis sollte 487 000 DM betragen.

Dieser Kaufpreis wurde basierend auf einem Verkehrswert-Gutachten bzw. Nachbewertungen eines Herrn Y sowie dem ermittelten Vermögensstatus per 30. September 1992 der WP-Gesellschaft Z GmbH wie folgt ermittelt:

 AktivaDM
Grund und Boden (16 DM/qm)173 000
Gebäude298 000
Technische Anlagen/Maschinen88 000
Vorräte126 000
Forderungen aus Lieferungen/Leistungen262 000
Kasse/Bank120 000
Summe1 067 000
  
Passiva 
Rückstellungen13 000
Verbindlichkeiten aus Lieferungen/Leistungen82 000
  
Differenz (Aktiva ./. Passiva)972 000
  
./. anerkennbare Kosten 
Abbruchkosten400 000
Abriss Rampe35 000
Betriebstrennungskosten50 000
Summe485 000
  
Kaufpreis487 000

In Höhe der zu erwartenden Kosten bildete der Kläger in der Eröffnungsbilanz zum 1. November 1992 eine Rückstellung in Höhe von 485 000 DM. Das Anlagevermögen wies er in Höhe von 570 996 DM aus. Dieser Betrag setzte sich wie folgt zusammen:

 DM
Grund und Boden173 152
Werkstatt 1+213 115
Farbspritzanlage154 209
Heizhaus5 000
Lehrlingswohnheim72 336
Berufsausbildungsgebäude30 259
Sonstige Gebäude3
Bauliche Anlagen371
Technische Anlagen/Maschinen108 579
Andere Anlagen/BGA13 972
Summe570 996

Von 1992 bis 1998 nahm der Kläger Abschreibungen auf das Anlagevermögen in Höhe von insgesamt 332 696 DM vor; in der Bilanz auf den 31. Dezember 1999 wies er das Anlagevermögen noch in Höhe von 238 663 DM aus. Die Rückstellung löste er zum 31. Dezember 1997 in Höhe von 100 000 DM und zum 31. Dezember 1998 in Höhe von 20 000 DM gewinnerhöhend auf. Zum 31. Dezember 1998 betrug die Rückstellung noch 365 000 DM.

Die Steuerfestsetzungen für die Kalenderjahre 1992 bis 1998 wurden bestandskräftig. Die Einkommensteuer für 1999 setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) mit Bescheid vom 31. Januar 2001 auf 16 498 DM fest.

Für den Zeitraum 1999 bis 2001 führte das FA im Mai 2003 bei dem Kläger eine Außenprüfung durch. Dabei kam die Prüferin zu dem Ergebnis, in der Eröffnungsbilanz auf den 1. November 1992 sei das Anlagevermögen in unzutreffender Höhe ausgewiesen gewesen und der Kläger habe insoweit bis zum Ende des Prüfungszeitraums überhöhte Abschreibungen vorgenommen. Die Prüferin löste die zum 31. Dezember 1998 noch in Höhe von 365 000 DM ausgewiesene Rückstellung in 1999 gewinnerhöhend auf, da eine Verpflichtung zum Abbruch nicht bestanden habe. Weiterhin nahm die Prüferin zum 31. Dezember 1999 eine gewinnmindernde Teilwertabschreibung auf den Grund und Boden von 16 DM/qm auf 12 DM/qm vor und buchte die Restbuchwerte der Gebäude gewinnmindernd aus.

Das FA folgte den Feststellungen der Betriebsprüfung mit geändertem Bescheid vom 29. Juli 2004. Nach Einspruch setzte das FA mit Einspruchsentscheidung vom 7. Juli 2006 die Einkommensteuer für 1999 auf 33 532 EUR herab. Dabei berücksichtigte es, dass lt. Kaufvertrag 61 000 DM auf das Anlagevermögen entfallen sollten, und teilte diesen Betrag auf die einzelnen Vermögensbestandteile auf. Das Anlagevermögen lt. Eröffnungsbilanz auf den 1. November 1992 setzte sich danach aus folgenden Werten zusammen:

 DM
Grund und Boden18 495,20
Werkstatt 1+21 403,00
Farbspritzanlage16 470,00
Heizhaus536,80
Lehrlingswohnheim7 728,70
Berufsausbildungsgebäude3 233,00
Sonstige Gebäude0,00
Bauliche Anlagen36,60
Technische Anlagen/Maschinen11 602,20
Andere Anlagen/BGA1 494,50
Summe61 000,00

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Das FA habe die Rückstellung in Höhe von 365 000 DM zu Unrecht gewinnerhöhend aufgelöst. Bei Fehlern, die --wie im Streitfall-- aus einer Eröffnungsbilanz fortgeführt würden, fehle es in der Regel an der Zweischneidigkeit eines Bilanzansatzes und damit an der steuerlichen Auswirkung; solche Fehler seien daher grundsätzlich gewinnneutral zu stornieren.

Mit der Revision macht das FA geltend:

1. Die Entscheidung des FG verletze § 4 Abs. 1 und 2 und § 5 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Im Streitfall könne wegen der engen Verknüpfung zwischen den überhöhten Aktivwerten und dem Ausweis der Rückstellung nicht allein auf die Rückstellung abgestellt werden; es sei zu berücksichtigen, wie es zu der fehlerhaften Einbuchung der Rückstellung gekommen sei. Die enge tatsächliche Verknüpfung zwischen der Einbuchung überhöhter Werte des Anlagevermögens und der zu Unrecht gebildeten Rückstellung in der Eröffnungsbilanz könne nicht unberücksichtigt bleiben. Der wirtschaftliche Zusammenhang zwischen den zu hoch ausgewiesenen Aktivwerten und der zu Unrecht gebildeten Rückstellung ergebe sich aus den Vertragsverhandlungen zur Kaufpreisfindung. Im Rahmen der Kaufpreisfindung sei dem Kläger ein Abzug vom Substanzwert eingeräumt worden.

2. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 17. Januar 1973 I R 204/70 (BFHE 108, 185, BStBl II 1973, 320) könne die Auflösung einer Rückstellung den Gewinn selbst dann erhöhen, wenn sie neutral in einer Eröffnungsbilanz gebildet worden sei. Nach den --vom FG zitierten-- BFH-Urteilen vom 29. Oktober 1991 VIII R 51/84 (BFHE 166, 431, BStBl II 1992, 512); vom 20. Dezember 2006 I R 81/05 (BFH/NV 2007, 1287); und vom 14. November 2007 XI R 37/06 (BFH/NV 2008, 365) solle die Bilanzberichtigung die Ermittlung des zutreffenden Totalgewinns sicherstellen. Der Ansatz negativer Buchwerte sei nicht zulässig (BFH-Urteil in BFHE 108, 185, BStBl II 1973, 320).

Demgegenüber ist der Kläger folgender Auffassung:

Das FA könne sich nicht mit Erfolg auf die zitierten BFH-Urteile stützen. Auch in der Literatur werde die Auffassung vertreten, dass nach voller Abschreibung auf der Aktivseite eine Korrektur nach dem Bilanzzusammenhang nicht mehr in Betracht komme. Im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsgut stehende (Kredit-)Verbindlichkeiten seien gewinnneutral auszubuchen.

II.

Die Revision ist gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) begründet. Das angefochtene Urteil wird wegen fehlerhafter Rechtsanwendung aufgehoben; die Klage wird abgewiesen.

1. Der Ansatz von Rückstellungen richtet sich gemäß § 5 Abs. 1 EStG nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 28. Aufl., § 5, Rz 351 ff.). Danach wird eine Rückstellung grundsätzlich aufwandswirksam verbucht (per Aufwand an Rückstellung). Tritt der "Rückstellungsfall" nicht ein, ist die Rückstellung --als "actus contrarius"-- wieder auszubuchen (per Rückstellung an Aufwand). Tritt der "Rückstellungsfall" hingegen ein, ist in der Regel eine schlichte Umbuchung --ohne Gewinnauswirkung-- vorzunehmen (per Rückstellung an Verbindlichkeit).

Ist eine Verbindlichkeit erfolgsneutral entstanden (z.B. eine Darlehensverbindlichkeit), so ist sie ebenso aufzulösen. Die Schuld ist dagegen erfolgswirksam auszubuchen, wenn sie gegen Aufwand eingebucht worden ist (BFH-Urteil vom 22. Januar 1985 VIII R 29/82, BFHE 143, 71, BStBl II 1985, 308; Weber-Grellet, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG § 4 Rz C 302).

2. Im Streitfall ist die in der Eröffnungsbilanz ausgewiesene Rückstellung keine Rückstellung im steuerrechtlichen Sinn; sie weist nicht eine in der Vergangenheit verursachte (ungewisse) Verbindlichkeit gegenüber Dritten aus, sondern enthält einen Korrekturposten zum Ausgleich der überhöhten Aktivwerte.

In diesem besonderen Fall muss der Korrekturposten zum Ausgleich aufwandswirksam vorgenommener überhöhter Absetzungen nach den Regeln des formellen Bilanzzusammenhangs (BFH-Urteil vom 26. Juni 1996 XI R 41/95, BFHE 180, 572, BStBl II 1996, 601) korrespondierend, also gewinnwirksam aufgelöst werden. Hätte der Kläger von vornherein die zutreffenden Werte angesetzt, hätte er keine überhöhten Absetzungen vornehmen können.

Die "Rückstellung" ist im Hinblick auf ihren Zusammenhang mit dem Ausweis der Anschaffungskosten nicht erfolgsneutral entstanden, sondern sollte von vornherein den zu hohen Ausweis der Anschaffungskosten (und damit des "Anschaffungsaufwandes") kompensieren (ähnlich BFH-Urteil in BFHE 180, 572, BStBl II 1996, 601, in Zusammenhang mit der erfolgswirksamen Ausbuchung einer Rentenverpflichtung; W.G., Deutsches Steuerrecht 1996, 1803). Das FA weist vollkommen zu Recht darauf hin, dass die Bilanzberichtigung stets unter Berücksichtigung der Fehlerursache stattfinden muss. Dass der Kläger dies in der Vergangenheit ebenso gesehen hat, zeigt der Umstand, dass er die "Abschreibung" der Rückstellung von 485 000 DM auf 365 000 DM von sich aus gewinnerhöhend vorgenommen hat.

Die bisher zu Unrecht in Anspruch genommenen Absetzungen sind höher als der Betrag der erfolgswirksam aufgelösten Rückstellung:

 Anschaffungskosten Anlagevermögen61 000
./. Anschaffungskosten Grund und Boden (nach Teilwertabschreibung)16 909
AfA-Volumen44 091
  
tatsächliche AfA332 696
zu hohe AfA288 605
  
gewinnwirksame Herabsetzungen durch FA (Einspruchsentscheidung Anlage 2 Pos. 1-5)221 731
Gesamtaufwand510 336
  
demgegenüber erfolgswirksame Auflösung der Rückstellung von485 000

Der Kläger steht sich daher im Ergebnis sogar besser, als er sich bei von Anfang an zutreffender Bilanzierung gestanden hätte.



Ende der Entscheidung

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