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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 28.10.1998
Aktenzeichen: X R 93/95
Rechtsgebiete: FVG, VO Prüfungs- u. Finanzämter, FGO, StPO, BGB


Vorschriften:

FVG § 17 Abs. 1 und 2
VO Zuständigkeiten für Prüfungsamter § 1
VO Zuständigkeiten für Prüfungsamter § 3 Abs. 1
VO Zuständigkeiten Finanzämter § 1 Abs. 3
FGO § 76 Abs. 1 Satz 1
FGO § 41
FGO § 118 Abs. 2
FGO § 100 Abs. 1 Satz 4
StPO § 153a
BGB § 242
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Mit Verfügung vom 1. April 1986 ordnete das Finanzamt A bei den Klägern und Revisionsbeklagten (Kläger) eine Außenprüfung für die Jahre 1980 bis 1984 an. Mit der Prüfung wurde die Großbetriebsprüfungsstelle der Oberfinanzdirektion (OFD) --Betriebsprüfungsstelle I-- beauftragt. Gleichlautende Verfügungen ergingen gegen die Einzelfirma X (X-Betriebe), die XY-GmbH und die XZ-GmbH.

Die Großbetriebsprüfungsstellen waren nach dem früheren Behördenaufbau im betreffenden Bundesland der OFD als Außenstellen angegliedert. Die Prüfung begann am 22. April 1986 gleichzeitig mit Außenprüfungen bei den genannten, zur Firmengruppe des Klägers gehörenden Unternehmen. Im Verlaufe der Prüfungen entstand der Verdacht, die Kläger hätten Steuerstraftaten begangen. Der Prüfer informierte die Steuerfahndungsstelle. Diese leitete am 25. Juni 1986 ein Strafverfahren gegen den Kläger ein.

Gegen die Anordnung einer Außenprüfung legten die Kläger Beschwerde ein mit der Begründung, die Beauftragung der Großbetriebsprüfungsstelle verstoße gegen den Grundsatz der funktionalen Zuständigkeiten des Finanzamts A und der OFD.

Mit Wirkung zum 1. Oktober 1986 richtete das betreffende Bundesland Finanzämter für Großbetriebsprüfung ein, darunter auch den Beklagten und Revisionskläger, das Finanzamt für Großbetriebsprüfung --FA--. Rechtsgrundlage für die Neuorganisation war § 17 Abs. 1 und 2 des Finanzverwaltungsgesetzes i.V.m. §§ 1, 3 Abs. 1 der Verordnung über die Bestimmung der Bezirke der Prüfungsämter vom 12. September 1986 (BStBl I 1986, 506, 513). Unter dem 14. Oktober 1986 erließ das FA gegen die Kläger Verfügungen des Inhalts, daß es "anstelle der bisher vorgesehenen prüfenden Stelle die bei Ihnen laufende Betriebsprüfung fortführen" werde. Auch gegen diese Verwaltungsakte legten die Kläger Beschwerde ein. Zur Begründung trugen sie u.a. vor: Die durch die Prüfungshandlungen der Großbetriebsprüfungsstelle gewonnenen Erkenntnisse seien rechtswidrig erlangt. Auch für eine Fortführung der Prüfung durch das FA fehle die Rechtsgrundlage.

Unter dem 22. Dezember 1986 teilte das FA den Klägern mit, die Ermittlungen bei den Unternehmen der Firmengruppe X würden vom Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung (FA Steufa) weitergeführt.

Durch Entscheidungen vom 2. April 1987 wies die OFD die Beschwerden der Kläger gegen die Prüfungsanordnungen vom 1. April 1986 und vom 14. Oktober 1986 (sog. ergänzende Prüfungsanordnung) als unbegründet zurück.

Hiergegen haben die Kläger Klage erhoben.

Während des Klageverfahrens --mit Ablauf des 31. Dezember 1987-- ist die Verordnung vom 12. September 1986 außer Kraft getreten. Die Zuständigkeit des FA richtet sich seit dem 1. Januar 1988 --inhaltlich unverändert-- nach § 1 Abs. 3 (i.V.m. Anlage 3) der Verordnung über die Zuständigkeiten der Finanzämter vom 16. Dezember 1987 (BStBl I 1988, 47, 71, 76).

Im Mai 1991, nach Abschluß der Ermittlungen der Steuerfahndungsstelle, wurde "zur Gesamtbereinigung der Steuer- und Strafverfahren" eine "tatsächliche Verständigung" vereinbart, in der die Kläger u.a. zusagten, die Klage vom 19. Mai 1987 zurückzunehmen. Diese Zusage hielten die Kläger nicht ein mit der Begründung, die "tatsächliche Verständigung" sei unter unzulässigem Druck zustande gekommen. Sie erhoben außerdem Klage wegen der vom Finanzamt A im Anschluß an die Steuerfahndungsprüfung und die Verständigung vom Mai 1991 erlassenen Steuerbescheide. Wegen der von ihnen geltend gemachten Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnung vom 1. April 1986 verwiesen die Kläger auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21. April 1993 X R 112/91 (BFHE 171, 15, BStBl II 1993, 649). Die Prüfungsanordnung vom 14. Oktober 1986 sehen die Kläger unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil vom 20. Oktober 1988 IV R 104/86 (BFHE 155, 4, BStBl II 1989, 180) als rechtswidrig an.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage, mit der die Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnung vom 1. April 1986 und der ergänzenden Prüfungsanordnung vom 14. Oktober 1986 begehrten, stattgegeben. Die Weigerung der Kläger, die Klage entsprechend dem Inhalt der "tatsächlichen Verständigung" zurückzunehmen, führe nicht zur Unzulässigkeit der Klage; die getroffene Vereinbarung sei wegen einer unzulässigen Beeinflussung der Kläger ("Drohung") unwirksam.

Mit der Revision rügt das FA unzureichende Sachaufklärung (Verstoß gegen § 76 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), "hilfsweise" Verletzung des rechtlichen Gehörs sowie unzutreffende Anwendung des § 41 FGO.

Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Die bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG reichen nicht aus, um die Zulässigkeit der Klage zu beurteilen. Der Senat schließt sich in dieser Hinsicht dem Urteil des I. Senats des BFH vom 23. Oktober 1996 I R 63/95 (BFH/NV 1997, 765) an.

1. Nach den tatsächlichen, den Senat bindenden (§ 118 Abs. 2 FGO) Feststellungen des FG hat Rechtsanwalt S, der frühere Prozeßbevollmächtigte der Kläger und der Unternehmensgruppe des Klägers, in Vollmacht und mit Billigung der Kläger dem Finanzamt A im Mai 1991 zugesagt, die Kläger würden die Klage gegen das FA wegen der Betriebsprüfungsanordnungen zurücknehmen. Das FG hat die Zusagen als unwirksam angesehen, weil sie "unter der Drohung zustandegekommen" seien, die Staatsanwaltschaft werde andernfalls das Steuerstrafverfahren gegen den Kläger nicht nach § 153a der Strafprozeßordnung einstellen. Hieraus hat das FG hergeleitet, die Fortführung des Klageverfahrens sei keine unzulässige Rechtsausübung, die zur Unzulässigkeit der Klage führe. Die tatsächlichen Voraussetzungen für diese Schlußfolgerung sind jedoch nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit und Sicherheit festgestellt.

Hiergegen hat das FA zu Recht vorgebracht, das FG hätte von Amts wegen (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) aufklären müssen, wie es zu der Zusage gekommen sei. Erst wenn die Umstände, die zur Vereinbarung vom Mai 1991 geführt haben, geklärt sind, kann beurteilt werden, ob die Zusage durch den Einsatz unzulässiger Mittel erreicht wurde und die Kläger daher ausnahmsweise nicht nach Treu und Glauben (§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches; s. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. 1997, § 72 Rdnr. 4, m.w.N.) an die dem Finanzamt A zugunsten des FA erteilte Zusage gebunden sind.

Für das FG bestand auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag des FA Anlaß, den Sachverhalt insoweit weiter aufzuklären. Die Zusage war Teil einer Vereinbarung, der eine mehrere Jahre dauernde Steuerfahndungsprüfung vorausging und die zur außergerichtlichen Erledigung des gesamten Steuerfalles führen sollte. Die dem FG von den Klägern vorgelegten Schriftstücke lassen zwar erkennen, daß die Vereinbarung auch geschlossen wurde, um eine Einstellung der Steuerstrafverfahren gegen den Kläger und den jetzigen Prozeßbevollmächtigten der Kläger, den Steuerberater H, zu erreichen. Eines dieser Schriftstücke enthält zudem den Hinweis, der zuständige Staatsanwalt mache den kurzfristigen Abschluß des Strafverfahrens davon abhängig, daß im Besteuerungsverfahren mit der Finanzverwaltung Einvernehmen erzielt werde. Die Schriftstücke lassen aber auch deutlich erkennen, daß S als damaliger Berater der Kläger und Prozeßbevollmächtigter der Firmen der Unternehmensgruppe intensiv mit den Finanzbehörden und dem zuständigen Staatsanwalt über die einvernehmliche Erledigung des Steuerfalles der Kläger und die Einstellung des Strafverfahrens verhandelt hat und im Laufe dieser Verhandlungen im Wege der "tatsächlichen Verständigung" zahlreiche streitige Feststellungen des Betriebsprüfers oder des Steuerfahnders von den Finanzbehörden fallengelassen wurden. Dies zeigt, daß die Verknüpfung der Einstellung der Steuerstrafverfahren gegen den Kläger und H mit der Einigung über die Besteuerung der Firmengruppe des Klägers und der Kläger persönlich und der Rücknahme der im Zusammenhang mit den Prüfungsanordnungen stehenden Klagen die betroffenen Steuerpflichtigen nicht daran hinderte, mit Erfolg Einwendungen gegen die Feststellungen und Wertungen des Betriebsprüfers oder Steuerfahnders geltend zu machen. Anhaltspunkte dafür, daß die Verknüpfung die Entschließungsfreiheit der Kläger in unstatthafter Weise beeinträchtigt hätte, lassen sich den Schriftstükken und den bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG nicht entnehmen.

Die Sache wird an das FG zurückverwiesen, damit geklärt wird, wie es zu der Zusage der Klagerücknahme gekommen ist. Die Zusage bindet die Kläger nur dann nicht, wenn sich ergibt, daß Rechtsanwalt S sie erteilte, weil die an der tatsächlichen Verständigung mitwirkenden und entscheidungsbefugten Finanzbeamten des Finanzamts A mit dem zuständigen Staatsanwalt unter unzulässiger Ausübung von Druck zusammenwirkten, um nach dem damaligen Erkenntnisstand unhaltbare Steueransprüche gegen die Kläger und die Unternehmen des Klägers durchzusetzen.

2. Sollten die Kläger nicht an die Zusage gebunden sein, wird das FG noch aufzuklären haben, ob den nach Abschluß der Fahndungsprüfung erlassenen Änderungsbescheiden --soweit sie an die Kläger gerichtet sind und auf von den Klägern verwirklichten und bei den vorangegangenen Veranlagungen bzw. Feststellungen nicht berücksichtigten Sachverhalten beruhen-- ausschließlich das Ermittlungsergebnis der Steuerfahndungsprüfung zugrunde liegt. Sollte dies zu bejahen sein, wäre die Klage mangels Feststellungsinteresses (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO) unzulässig.



Ende der Entscheidung

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