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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 27.09.1999
Aktenzeichen: XI B 16/97
Rechtsgebiete: FGO, ZPO


Vorschriften:

FGO § 51 Abs. 1
ZPO § 42
ZPO § 43
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) streitet mit dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) darüber, ob dieser die Veräußerung eines Grundstücksteils zu Recht als steuerpflichtige Entnahme angesehen hat. Im Verlauf des finanzgerichtlichen Verfahrens richtete der Berichterstatter, der Richter am Finanzgericht H am 13. August 1996 ein Schreiben an die Prozeßbevollmächtigten des Klägers mit folgendem Inhalt:

"Dem Vortrag der Klägerseite, daß die fraglichen Grundstücksteile bereits im Jahr 1979 entnommen worden seien, kann nicht gefolgt werden.

Dies ergibt sich aus dem Umstand, daß die Handelsvertretung von Frau L - wenn auch in eingeschränktem Umfang - über das Jahr 1979 hinaus weiterbetrieben wurde. Auch die Vermietung von Räumen an eine ...ärztin vermag eine Grundstücksentnahme nicht zu begründen. Denn sowohl die Grundstücke selbst als auch die Mieteinnahmen sind weiterhin in der Bilanz der Handelsvertretung aufgeführt worden.

Nach alledem können der Klage kaum Erfolgsaussichten eingeräumt werden.

Teilen Sie bitte bis zum 10. September 1996 mit, ob Sie die Klage aufrechterhalten oder zurücknehmen."

Der Kläger beantragte zunächst eine Verlängerung der Erklärungsfrist (Schreiben vom 5. September 1996) und nahm mit Schreiben vom 20. September 1996 zur Sach- und Rechtslage Stellung. In dem zuletzt genannten Schreiben suchte er gleichzeitig um Akteneinsicht nach und bat um Übersendung der Akten an das Amtsgericht. Am 25. September 1996 hat der Richter H die Akten an das FA zur Gewährung von Akteneinsicht bis zum 4. Oktober 1996 übersandt und die Prozeßbevollmächtigten des Klägers entsprechend informiert. Nach Mitteilung des FA hat der Prozeßbevollmächtigte am 2. Oktober 1996 Einsicht in die Akten genommen. Im Schreiben vom 9. Oktober 1996 begründete der Kläger unter Hinweis auf die "Bilanzakten" 1979 bis 1993 seine Auffassung, "daß zumindest seit 1979 kein Gewerbebetrieb mehr vorliegt". Gleichzeitig erweiterte er ausdrücklich seine Klage um folgenden Antrag: "Es wird festgestellt, daß der Vertrieb von Strümpfen seit 1980 steuerrechtlich als Liebhaberei einzustufen ist." Auf den in diesem Schreiben weiterhin gestellten Antrag des Klägers wurde der für den 23. Oktober 1996 anberaumte Termin zur mündlichen Verhandlung abgesetzt. Am 21. Oktober bzw. 6. November 1996 übermittelte das FA per Fax zwei notarielle Verträge vom 29. November 1989 bzw. 8. Mai 1990 an das Finanzgericht (FG) zu Händen des Richters H. Laut Aktenvermerk vom 31. Oktober 1996 hat dieser vom Grundbuchamt die telefonische Auskunft erhalten, daß der Grundstückserwerber seit 9. Juli 1990 als Eigentümer im Grundbuch eingetragen ist. Mit Schreiben vom 31. Oktober 1996 wies der Richter H die Beteiligten darauf hin, daß das Gericht zu prüfen haben werde, ob und in welchem Veranlagungszeitaum ein aus der Grundstücksveräußerung resultierender Gewinn steuerlich zu erfassen sei. Mit Schreiben vom 4. November 1996 führte der Kläger aus, daß er rechtzeitig Gelegenheit haben müsse, sich auf eventuelle sonstige Gesichtspunkte einzurichten, wenn das FA hinsichtlich des Entnahmetatbestandes zu einer anderen Ansicht komme. Er regte an, eine Frist zur Stellungnahme zu setzen und bat erneut um Terminsverlegung. Darauf antwortete der Richter H mit Schreiben vom 6. November 1996, daß das Gericht nicht beabsichtige, den Verhandlungstermin vom 18. November 1996 zu verlegen. Am 15. November 1996 hat der Kläger noch einmal schriftlich zur Sache Stellung genommen.

Zu Beginn der mündlichen Verhandlung vor dem FG lehnte der Kläger den Richter H als befangen ab. H gab zu dem Befangenheitsantrag schriftlich folgende dienstliche Erklärung ab: "In dem Rechtsstreit ... halte ich mich für nicht befangen." Das FG verkündete nach Unterbrechung der mündlichen Verhandlung unter Mitwirkung der Richterin am FG P anstelle des Richters H nach Wiederaufruf der Sache den Beschluß, daß das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen werde. Zuvor war die dienstliche Erklärung des Richters H verlesen worden. Gegen den zurückweisenden Beschluß legte der Kläger Beschwerde ein. Nach einem erneuten Wechsel auf der Richterbank (Richter H anstelle der Richterin P) verhandelte das FG zur Sache und verkündete nach geheimer Beratung das klageabweisende Urteil.

In der schriftlichen Begründung des das Ablehnungsgesuch zurückweisenden Beschlusses führte das FG im wesentlichen aus:

Soweit der Kläger seinen Ablehnungsantrag auf das Schreiben vom 13. August 1996 und die Art und Weise der Gewährung von Akteneinsicht stütze, habe er durch seine rügelosen Einlassungen das Ablehnungsrecht verloren. Aus den weiteren vom Kläger gerügten Verfahrensfehlern könne --auch im Zusammenhang mit dem Schreiben vom 13. August 1996-- nicht auf eine unsachliche Einstellung oder gar ein willkürliches Verhalten des Richters H geschlossen werden.

Zur Begründung seiner dagegen eingelegten Beschwerde trägt der Kläger im wesentlichen vor: Aus der Formulierung und der Wortwahl des Richters H in dem Schreiben vom 13. August 1996 ergebe sich, daß dieser unbeeindruckt von späterem Sachvortrag die Klageabweisung angestrebt habe. Dies sei auch aus der Behandlung des Gesuchs auf Akteneinsicht erkennbar. Zum einen seien die Akten nicht an das Amtsgericht, sondern an das FA übersandt worden; zum anderen sei die Fristgestaltung unangemessen kurz gewesen. Die Besorgnis der Befangenheit ergebe sich auch daraus, daß das Gericht anstelle des FA weitere Recherchen vorgenommen habe, ohne den Parteien Gelegenheit zu geben, die Unterlagen selbst vorzulegen. Damit lasse sich nicht ausschließen, daß der Kläger im Termin mit Fakten habe überrascht werden sollen. Darüber hinaus erwecke die Tatsache, daß der Schriftsatz des Klägers vom 4. November 1996 dem FA nicht zugeleitet worden sei, den Eindruck, daß es nach Auffassung des Gerichts auf die darin enthaltenen Ausführungen nicht ankomme. Auch aus der Wortwahl im gerichtlichen Schreiben vom 13. August 1996 sei eine tatsächliche Verständigung zwischen dem FA und dem Berichterstatter H erkennbar. Schließlich zeige sich die Befangenheit des Richters H auch in der dienstlichen Äußerung, in der er erklärt habe: "Ich bin nicht befangen", nicht aber: "Ich fühle mich nicht befangen".

Die Beschwerde ist nicht begründet; das FG hat im Ergebnis zu Recht das Ablehnungsgesuch des Klägers zurückgewiesen.

Nach § 51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 42 der Zivilprozeßordnung (ZPO) können die Beteiligten einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Gründe für ein solches Mißtrauen sind gegeben, wenn ein am Verfahren Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln; somit müssen Anhaltspunkte für eine unsachliche Einstellung oder Willkür des Richters gegeben sein (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. Beschluß des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 30. Januar 1997 I B 79/96, BFH/NV 1997, 671). Allerdings kann ein Beteiligter einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn er sich bei ihm, ohne den bereits bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat (§ 51 FGO i.V.m. § 43 ZPO). Die Begriffe "in eine Verhandlung einlassen" und "Anträge stellen" sind dabei weit auszulegen (vgl. BFH-Beschluß vom 21. Juli 1993 IX B 50/93, BFH/NV 1994, 50). Zweck des § 43 ZPO ist es, den Ablehnungsberechtigten zu veranlassen, sich gleich nach Kenntnis des Befangenheitsgrundes darauf zu berufen, damit nicht in der Schwebe bleibt, ob ein Richter am Verfahren mitwirken darf (vgl. BFH-Beschluß vom 14. März 1994 X B 50/93, BFH/NV 1995, 122).

Wird die Befangenheit aus Verfahrensverstößen des Richters hergeleitet, so müssen zusätzliche Anhaltspunkte vorhanden sein, die dafür sprechen, daß das Fehlverhalten auf einer unsachlichen Einstellung des Richters beruht (vgl. BFH-Beschluß vom 24. November 1994 X B 146-149/94, BFH/NV 1995, 692).

Nach den oben genannten Grundsätzen hat der Kläger das Recht auf Ablehnung des Richters H insoweit verloren, als er die Befangenheit aus dem Inhalt des Schreibens vom 13. August 1996 sowie aus der Art und Weise der Gewährung von Akteneinsicht ableitet. Dabei läßt es der Senat dahinstehen, ob --wie das FG angenommen hat-- der Verlust des Ablehnungsrechts dadurch eingetreten ist, daß der Kläger im Schreiben vom 9. Oktober 1996 eine Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung beantragt hat, ohne die vermeintlichen Ablehnungsgründe geltend zu machen. Denn der Kläger hat in dem genannten Schreiben nach erneuter Stellungnahme zur Sache seinen bisherigen Klageantrag ausdrücklich erweitert. Bei der gebotenen weiten Auslegung des Begriffs "Anträge stellen" muß aber auch die Erweiterung eines Klageantrags als schädliche Antragstellung i.S. des § 43 ZPO angesehen werden und den Verlust des Antragsrechts zur Folge haben.

Aber auch soweit der Kläger die Befangenheit mit verschiedenen Verfahrensfehlern des Richters H begründet (keine Information des Klägers über die Anforderung von Verträgen beim FA und über ein Telefongespräch mit dem Grundbuchamt; keine Übersendung seines Schreibens vom 4. November 1996 an das FA), hat das FG den Ablehnungsantrag zutreffend zurückgewiesen. Unabhängig davon, ob es sich dabei tatsächlich um Verstöße gegen verfahrensrechtliche Bestimmungen handelt, bieten die beanstandeten Vorgänge nach Auffassung des erkennenden Senats keinen ausreichenden Grund für die Annahme, der abgelehnte Richter werde nicht unparteilich über den Rechtsstreit entscheiden. Solches hat die Rechtsprechung bei Rechtsverstößen bislang nur angenommen, wenn der betroffene Richter die seiner richterlichen Tätigkeit gesetzten Schranken mißachtet und verfassungsrechtliche Grundsätze verletzt hat oder wenn er in einer Weise gegen Verfahrensregeln verstoßen hat, daß sich bei den Beteiligten der Eindruck der Voreingenommenheit aufdrängen konnte (vgl. BFH-Beschlüsse vom 27. Juli 1992 VIII B 59/91, BFH/NV 1993, 112; in BFH/NV 1995, 692). Dafür bestehen im Streitfall keine Anhaltspunkte.

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