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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 28.05.2002
Aktenzeichen: XI B 176/01
Rechtsgebiete: FGO, AO 1977


Vorschriften:

FGO § 96 Abs. 2
FGO § 116 Abs. 6
FGO § 77 Abs. 1 Satz 4
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
AO 1977 § 122 Abs. 2 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhob am 22. Mai 2001 Klage gegen die Ablehnung der Änderung bestandskräftiger Einkommensteuerbescheide 1997 bis 1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. April 2001. Ausweislich der Akten hatte der Sachbearbeiter der Rechtsbehelfsstelle als Datum für die Aufgabe der Einspruchsentscheidung "zur Post" den 18. April 2001 vermerkt.

Nachdem der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) darauf hingewiesen hatte, dass die Klagefrist nicht gewahrt gewesen sei, wies der Kläger darauf hin, dass in der Postausgangsstelle des FA der tatsächliche Ausgang von einfachen Briefen nicht festgehalten werde. Da typischerweise die Postlaufzeit innerhalb der Bundesrepublik einen Tag betrage, sei davon auszugehen, dass die Einspruchsentscheidung nicht bereits am 18. April 2001, sondern erst am 19. April 2001 zur Post gegeben worden sei. Der Klägervertreter habe die Einspruchsentscheidung nämlich erst am 20. April 2001 erhalten.

Ausweislich der Akten des Finanzgerichts (FG) hat das FA mit Schreiben vom 25. Juni 2001 beantragt, die Klage als unzulässig abzuweisen mit der Begründung, dass die Einspruchsentscheidung am 18. April 2001 zur Post gegeben worden sei. Zugleich übersandte das FA dem FG die Einkommensteuerakten sowie eine "Einspruchsheftung". Dieser Schriftsatz wurde dem Kläger gemäß § 77 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) übersandt. Ebenfalls mit Schreiben vom 25. Juni 2001 verwies das FA auf Bl. 54 der Einspruchsheftung, in der der Bearbeiter der Rechtsbehelfsstelle als Tag zur Aufgabe zur Post den 18. April 2001 verfügt hatte. Ob dieses, auf Bl. 1 der Finanzgerichtsakte abgeheftete Schreiben ebenfalls dem Kläger übersandt wurde, lässt sich den Akten nicht entnehmen.

Das FG wies die Klage als unzulässig ab. Aus der Begleitverfügung der Sachbearbeiterin der Rechtsbehelfsstelle ergebe sich, dass die Einspruchsentscheidung am 18. April 2001 zur Post gegeben worden sei. Der Kläger habe keinerlei Gesichtspunkte angeführt, wonach die Einspruchsentscheidung tatsächlich nicht an diesem Tag aufgegeben worden sei. Der pauschale Hinweis auf die allgemeinen Postlaufzeiten von einem Tag genügten nicht.

Gegen das Urteil legte der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde wegen Verletzung rechtlichen Gehörs ein. Nach § 96 Abs. 2 FGO dürfe sich das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Da bis zum Ergehen des Urteils die Begleitverfügung der Rechtsbehelfsstelle weder angesprochen noch vorgelegt worden sei, habe der Kläger keine Gelegenheit gehabt, hierzu Stellung zu nehmen. Hätte das FG den Kläger auf die Begleitverfügung hingewiesen, so hätte er vorgetragen, dass die Angaben zur Aufgabe zur Post von der Sachbearbeiterin der Rechtsbehelfsstelle, nicht der Postausgangsstelle des FA stammten und dass bei Fertigung des Absendevermerks in der Rechtsbehelfsstelle statt in der Poststelle nicht ausgeschlossen sei, dass ein zur Versendung bestimmtes Schriftstück die Poststelle nicht an diesem Tag erreiche (Hinweis auf Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 28. September 2000 III R 43/97, BFHE 193, 28, BStBl II 2001, 211). Da der Kläger die Begleitverfügung nicht gekannt habe, habe er hierzu vor Zustellung des Urteils nicht Stellung nehmen können.

Der Kläger beantragt, die Revision wegen Verfahrensmangels zuzulassen.

Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen. Das FA habe bereits in der Klageerwiderung darauf hingewiesen, dass die Einspruchsentscheidung am 18. April 2001 zur Post gegeben worden sei. Es liege daher keine Überraschungsentscheidung vor. Auch hätte der Kläger von sich aus Akteneinsicht nehmen müssen (BFH-Beschluss vom 3. April 2000 I B 107/99, BFH/NV 2000, 1474). Ein Kläger müsse stets damit rechnen, dass das FG den gesamten Akteninhalt auswerten werde. Das FG müsse den Kläger nicht darauf hinweisen, zumal dieser durch einen Steuerberater vertreten gewesen sei.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO begründet. Der Senat hebt die Vorentscheidung auf und verweist den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück (§ 116 Abs. 6 FGO).

Der Senat kann offen lassen, ob --wie das FA unter Hinweis auf den Beschluss in BFH/NV 2000, 1474 meint-- das FG auf in den Steuerakten befindliche Beweismittel nicht hinweisen muss, weil der Steuerpflichtige im Klageverfahren Akteneinsicht beantragen kann. Der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (§ 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, § 96 Abs. 2 FGO) ist schon deswegen verletzt, weil das FG nicht darauf hingewiesen hat, dass es einen Vermerk des Sachbearbeiters in der Rechtsbehelfsstelle über die Aufgabe zur Post einer entsprechenden Verfügung der Postausgangsstelle gleichstellen möchte. Für einen solchen Hinweis hat Anlass bestanden, weil typischerweise nicht davon ausgegangen werden kann, dass Bearbeiter in der Rechtsbehelfsstelle Einspruchsentscheidungen in den Briefkasten einwerfen oder bei der Post abliefern (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 22. August 1996 V B 30/96, BFH/NV 1997, 162, m.w.N.). Auch deckt sich der von dem Sachbearbeiter angegebene Aufgabetag mit dem Datum der Einspruchsentscheidung. Wie aber bereits der BFH mit Urteil vom 19. Dezember 1984 I R 7/82 (BFHE 143, 200, BStBl II 1985, 485) entschieden hat, muss ein Bescheiddatum nicht mit dem Tag der Aufgabe zur Post identisch sein. Entscheidend ist, ob das Datum des Bescheides und der Tag der Aufgabe zur Post von demselben oder von verschiedenen Bearbeitern festgehalten wird (vgl. auch BFH in BFHE 193, 28, BStBl II 2001, 211). Dem vom FG zitierten Urteil des BFH vom 17. Juni 1997 IX R 79/95 (BFH/NV 1997, 828) lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Diese Entscheidung betrifft nicht die hier entscheidungserhebliche Rechtsfrage, an welchem Tag ein Verwaltungsakt i.S. des § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) zur Post gegeben wurde. Insbesondere kann der Entscheidung nicht entnommen werden, dass das Datum einer Einspruchsentscheidung stets auch dann als Tag zur Aufgabe der Post anzusehen ist, wenn der Vermerk über den Tag der Aufgabe vom Sachbearbeiter der Rechtsbehelfsstelle stammt.

Der Senat hat es für sachgerecht gehalten, die Sache gemäß § 116 Abs. 6 FGO an das FG zurückzuverweisen. Im zweiten Rechtsgang wird es festzustellen haben, ob das Datum der Aufgabe zur Post durch die Rechtsbehelfsstelle angesichts des im FA geregelten Postabsendeverfahrens den Absendetag hinreichend sicher bestimmen konnte (vgl. z.B. BFH in BFHE 143, 200, BStBl II 1985, 485).

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