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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 21.01.2004
Aktenzeichen: XI R 40/02
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 24 Nr. 1 Buchst. a
EStG § 34 Abs. 1
EStG § 34 Abs. 2
Erhält ein Steuerpflichtiger wegen der Körperverletzung durch einen Dritten auf Grund von mehreren gesonderten und unterschiedliche Zeiträume betreffenden Vereinbarungen mit dessen Versicherung Entschädigungen als Ersatz für entgangene und entgehende Einnahmen, so steht der Zufluss der Entschädigungen in verschiedenen Veranlagungszeiträumen der tarifbegünstigten Besteuerung jeder dieser Entschädigungen nicht entgegen.
Gründe:

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), der mit der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) zusammen veranlagt wird, ist aufgrund eines während seines Wehrdienstes von einem Dritten verschuldeten Unfalls im Jahr 1977 querschnittgelähmt. Nach langwierigen Verhandlungen schlossen der Kläger und der Versicherer des Unfallverursachers (B) folgende Vereinbarungen über Schadensersatzleistungen:

- Mit Vergleich und Abfindungserklärung vom 16. Januar 1995 verpflichtete sich B zur Zahlung einer Abfindungssumme in Höhe von 100 000 DM. Ausdrücklich vorbehalten blieben der Verdienstausfall und die vermehrten Bedürfnisse ab 1. Januar 1995.

- Mit Vergleich und Abfindungserklärung vom 18. November 1995 verpflichtete sich B zur Zahlung einer Abfindung in Höhe von 225 000 DM; ausdrücklich vorbehalten blieben der Verdienstausfall und die vermehrten Bedürfnisse ab 1. Januar 1998.

- Mit Vergleich und Abfindungserklärung vom 24. September 1998 verpflichtete sich B zur Zahlung einer Abfindung in Höhe von 1,3 Mio. DM.

Die 1995 vereinbarten Abfindungen enthielten in Höhe von 260 000 DM, die im Streitjahr 1998 ausbezahlte Abfindung in Höhe von 850 000 DM Ersatz für entgehende Einnahmen. Die Abfindungen flossen dem Kläger jeweils 1995 bzw. 1998 zu.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) besteuerte die im Streitjahr 1998 ausbezahlte Abfindung mit dem normalen Einkommensteuertarif. Es fehle an einem zusammengeballten Zufluss der Gesamtentschädigung.

Die Klage hatte Erfolg (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2003, 97).

Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung des § 34 Abs. 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Außerordentliche Einkünfte lägen danach nur vor, wenn eine Entschädigung für entgangene oder entgehende Einnahmen in einem Veranlagungszeitraum zusammengeballt zufließe. Ein Ausnahmetatbestand sei im Streitfall nicht gegeben. Die im Streitjahr ausgezahlte Abfindung könne in Anbetracht ihrer Höhe keine Entschädigungszusatzleistung zur Abfindung des Jahres 1995 sein. Die im Jahr 1995 geleistete Zahlung könne andererseits angesichts ihrer beträchtlichen Höhe ebenfalls nicht als Zusatzleistung des im Streitjahr ausgezahlten Betrages angesehen werden. Die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) führe dazu, dass die Tarifermäßigung unzulässigerweise in zwei Veranlagungszeiträumen angewendet würde.

Das FA beantragt, unter Aufhebung des Urteils des FG die Klage als unbegründet abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Der Streitfall habe zweifelsfrei Ausnahmecharakter. Zum gleichen Ergebnis gelange man im Übrigen, wenn man bei der Frage der Zusammenballung nicht sämtliche Vereinbarungen zusammenfasse, sondern jeweils auf die in den einzelnen Vereinbarungen abgefundenen Zeiträume abstelle. Die Abfindungsbeträge hätten jeweils klar definierte und voneinander unterschiedliche Abgeltungszeiträume betroffen.

II.

Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Im Ergebnis zutreffend hat das FG die dem Kläger im Streitjahr 1998 zugeflossene Entschädigung für entgehende Einnahmen in Höhe von 850 000 DM als tarifbegünstigt zu besteuernde Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1 und 2 EStG beurteilt.

1. Abfindungen sind, soweit sie vertragsgemäß Ersatz für entgehende Einnahmen sind, als Entschädigungen i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG steuerbar.

Bei Entschädigungen wegen Körperverletzung ist zu unterscheiden zwischen Beträgen, die den Verdienstausfall ersetzen und solchen, die als Ersatz für Arzt- und Heilungskosten und die Mehraufwendungen während der Krankheit, sowie als Ausgleich für immaterielle Einbußen in Form eines Schmerzensgeldes gewährt werden. Nur soweit entgangene oder entgehende Einnahmen auf Grund der verminderten Erwerbsfähigkeit ersetzt werden, besteht Steuerpflicht i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21. Februar 1957 IV 630/55 U, BFHE 64, 437, BStBl III 1957, 164; vom 16. Dezember 1960 IV 143/58 U, BFHE 72, 268, BStBl III 1961, 101; Horn in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 24 EStG Rz. 33). Dies gilt auch, wenn der Ersatz für entgehende Einnahmen von einem Dritten, hier der Versicherung des Unfallverursachers, gezahlt wird (z.B. BFH-Urteile vom 29. Oktober 1959 IV 235/58 U, BFHE 70, 234, BStBl III 1960, 87; vom 13. April 1976 VI R 216/72, BFHE 119, 247, BStBl II 1976, 694).

Nach den insoweit bindenden Feststellungen des FG zahlte der Versicherer --soweit hier streitig-- die Abfindung für Verdienstausfall und damit für entgehende Einnahmen i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG.

2. Nach § 34 Abs. 1, 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 EStG ist die dem Kläger im Streitjahr zugeflossene Entschädigung tarifbegünstigt zu besteuern.

Entgegen der Auffassung des FA steht der tarifbegünstigten Besteuerung im Streitfall nicht die ständige Rechtsprechung des BFH entgegen, wonach Entschädigungen nur dann außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG sind, wenn sie steuerlich in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 24. Januar 2002 XI R 43/99, BFH/NV 2002, 717, m.w.N.; vom 24. Januar 2002 XI R 2/01, BFHE 197, 526, BFH/NV 2002, 715, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 4. Dezember 2001 X B 112/01, BFH/NV 2002, 346; BFH-Urteil vom 21. September 1993 IX R 32/90, BFH/NV 1994, 308). Im Streitfall liegt keine einheitliche Entschädigung vor, deren ratenweise Auszahlung in verschiedenen Veranlagungszeiträumen einer tarifbegünstigten Besteuerung entgegenstünde. Vielmehr handelt es sich um drei selbständig zu beurteilende Entschädigungen, die dem Kläger jeweils in einem Veranlagungszeitraum zusammengeballt zugeflossen sind.

Der Kläger und der Versicherer schlossen drei zivilrechtlich gesondert zu beurteilende Vergleiche mit jeweils entsprechender Abfindungserklärung. Jeder Vergleich betraf einen klar abgegrenzten und vom Gegenstand der anderen Vergleiche ausdrücklich ausgenommenen Zeitraum für die entgehenden Einnahmen. So regelt der Vergleich vom 16. Januar 1995 nur den Verdienstausfall bis zum 31. Dezember 1994 und der Vergleich vom 18. November 1995 den Verdienstausfall bis zum 31. Dezember 1997. Der der streitgegenständlichen Abfindung zugrunde liegende Vergleich vom 24. September 1998 betraf ausschließlich den Verdienstausfall ab 1. Januar 1998. Der Grundsatz der Einheitlichkeit der Entschädigung (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 21. März 1996 XI R 51/95, BFHE 180, 152, BStBl II 1996, 416) schließt im Streitfall die selbständige Vereinbarung mehrerer Entschädigungen nicht aus. Da auch ein steuerpflichtiger Arbeitnehmer im Laufe seines Berufslebens mehrmals eine jeweils tarifbegünstigte Abfindung für den Verlust seines Arbeitsplatzes erhalten kann, kann dies dem Kläger, der von dem Versicherer für die im Laufe seines gesamten künftigen Arbeitslebens auf Grund der Unfallfolgen entgehenden Einnahmen entschädigt wird, nicht versagt werden.

Ende der Entscheidung

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