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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 23.09.1999
Aktenzeichen: XI R 66/98
Rechtsgebiete: EStG, AO 1977, GG, WRV, FGO


Vorschriften:

EStG § 10b
AO 1977 § 52 Abs. 2 Nr. 1
GG Art. 4
GG Art. 140
WRV Art. 137
FGO § 41
BUNDESFINANZHOF

1. Der Antrag, festzustellen, ob und in welchem Umfang ein Verein befugt ist, Spendenbestätigungen auszustellen, kann Gegenstand einer Feststellungsklage sein.

2. § 10b Abs. 1 Satz 1 EStG begünstigt auch weltanschauliche Zwecke.

EStG § 10b AO 1977 § 52 Abs. 2 Nr. 1 GG Art. 4, Art. 140 WRV Art. 137 FGO § 41

Urteil vom 23. September 1999 - XI R 66/98 -

Vorinstanz: FG Berlin (EFG 1998, 1193)


Gründe

I. Der Kläger, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (Kläger) ist ein rechtlich selbständiger Landesverband eines bundesweit tätigen Verbandes. Nach seiner Satzung ist er eine Weltanschauungsgemeinschaft und dient der Verbreitung einer freigeistigen humanistisch-wissenschaftlichen Weltanschauung. In § 2 Abs. 1 der Satzung heißt es des weiteren:

"Zweck des Verbandes ist die Förderung von

1. Bildung und Erziehung

2. Kunst und Kultur

3. Völkerverständigung

4. Entwicklungshilfe

5. Jugendhilfe

6. Altenhilfe

7. Wohlfahrtspflege

8. Wissenschaft."

Nach § 2 Abs. 2 der Satzung wird der Satzungszweck verwirklicht durch:

1. Einwirken auf politische, kulturelle und gesellschaftliche Einrichtungen im humanistischen Sinne,

2. Förderung aller demokratischen, sozialen und liberalen Bestrebungen im nationalen und internationalen Raum,

3. Durchsetzung einer Gleichbehandlung aller Weltanschauungs-, Glaubens- und Religionsgemeinschaften (Kirchen) in den staatsabhängigen öffentlichen Einrichtungen, in den Erziehungseinrichtungen und Schulen und in den Rundfunk- und Fernsehanstalten,

......

9. Verbreitung des freigeistigen wissenschaftlich-humanistischen Kultur- und Gedankengutes durch Zeitschriften und andere Veröffentlichungen.

......

Der Verband lehnt jede parteipolitische Bindung ab. Er übt anderen Weltanschauungen gegenüber Toleranz, verwirft jede Rassendiskriminierung und fordert:

1. die Anerkennung und Achtung der Glaubens- und Gewissensfreiheit,

2. die strikte Einhaltung der Trennung von Staat und Kirche und

3. die strikte Einhaltung der Trennung von Kirche und Schule (§ 2 Abs. 3 der Satzung).

Der Verband erstrebt eine gerechte Weltwirtschaftsordnung, eine internationale Völkerverständigung auf friedlichem Wege und wendet sich gegen jede Anwendung von Gewalt zur Lösung politischer Probleme. Er verwirft die Herstellung und Anwendung von Waffen aller Art, insbesondere jedoch die Herstellung und Anwendung von Massenvernichtungsmitteln atomarer, bakterieller und chemischer Art (§ 2 Abs. 4 der Satzung).

Der Beklagte, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) stellte den Kläger von der Körperschaftsteuer frei, da er gemeinnützige Zwecke verfolge (Bescheid vom 4. Februar 1997). Der Kläger war jedoch nicht befugt, Spendenbestätigungen auszustellen; an ihn geleistete Spenden konnten nicht nach § 10b des Einkommensteuergesetzes (EStG) abgesetzt werden. Das FA hat dem Kläger mit Bescheid vom 4. Dezember 1997 in der nachrichtlichen Mitteilung eine beschränkte Bescheinigungskompetenz zugebilligt. Der Kläger beantragte beim Finanzgericht (FG), das FA zu der Anerkennung zu verpflichten, daß er steuerbegünstigte Zwecke i.S. des § 10b Abs. 1 EStG verfolge und berechtigt sei, Spendenbestätigungen auszustellen, hilfsweise eine entsprechende Feststellung zu treffen.

Das FG gab dem Hilfsantrag teilweise statt; die Entscheidung des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 1193 veröffentlicht. Das FG stellte fest, daß der Kläger befugt sei, Spendenbestätigungen i.S. des § 10b Abs. 4 EStG für die Zwecke der öffentlichen Gesundheitspflege, der Jugendpflege und Jugendfürsorge, der Erziehung, Volks- und Berufsbildung sowie für die Zwecke der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege zu erteilen. Entgegen der Auffassung des Klägers verfolge er aber keine religiösen Zwecke. Die partielle Spendenabzugsberechtigung scheitere nicht daran, daß sich sämtliche Tätigkeiten des Klägers nur als Mittel zur Verbreitung der von ihm vertretenen Weltanschauung darstellten (so aber Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18. November 1966 VI R 167/66, BFHE 88, 282, BStBl III 1967, 365). Es erscheine nicht einleuchtend, daß eine Tätigkeit deshalb weniger förderungswürdig sei, weil sie von einer Weltanschauungsgemeinschaft unternommen werde statt von einer weltanschaulich neutralen Körperschaft. Die Ausstellung von Spendenbestätigungen für weltanschauliche Zwecke und für Zwecke der Völkerverständigung komme nicht in Betracht.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts.

1. Das Urteil sei insofern rechtsfehlerhaft, als es die Klage als allgemeine Feststellungsklage für zulässig erachtet habe. Die Ausführungen des FG, in denen ein Rechtsverhältnis zwischen Kläger und FA konstruiert werde, überschritten die Grenzen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung. Im übrigen habe der Kläger kein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung.

2. Im Hinblick auf das BFH-Urteil vom 24. November 1993 X R 5/91 (BFHE 173, 519, BStBl II 1994, 683) fehle die nach § 10b Abs. 1 Satz 1 EStG erforderliche (wirksame) Bestimmung der Zwecke, die als besonders förderungswürdig anerkannt seien; das habe zur Konsequenz, daß Zuwendungen für gemeinnützige Zwecke überhaupt nicht mehr abziehbar seien. Der vom FG vorgenommene unmittelbare Rückgriff auf § 52 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) sei nicht zulässig.

3. Nach der sog. Überlagerungs- und Abfärbetheorie (BFH-Urteil in BFHE 88, 282, 284, BStBl III 1967, 365) würden zunächst und unmittelbar die der Körperschaft gesetzten Zwecke gefördert. Danach sei der Kläger nicht berechtigt, Spendenbestätigungen auszustellen. Der Kläger wolle als Hauptzweck seine Weltanschauung verbreiten und dabei gleichsam als "Nebenprodukt" auf bestimmten Teilbereichen Interessen und Bedürfnisse seiner Mitglieder oder ihm nahestehender Personen befriedigen.

4. Der Kläger verfolge keine religiösen Zwecke; insoweit werde auf die zutreffende Begründung des FG Bezug genommen. Von einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht bzw. der Verletzung rechtlichen Gehörs könne keine Rede sein; es sei ausschließlich über Rechtsfragen zu entscheiden.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt im Wege der Anschlußrevision, das angefochtene Urteil aufzuheben und dem in der Klageschrift vom 13. Mai 1997 hilfsweise gestellten Feststellungsantrag in vollem Umfang stattzugeben.

Der Kläger rügt in erster Linie die Verletzung materiellen Rechts; er erstrebe eine Gleichstellung mit den "kirchlichen und religiösen" Zwecken i.S. des § 10b Abs. 1 Satz 1 EStG.

1. Unter religiöse Zwecke fielen auch weltanschauliche Zwecke; § 10b Abs. 1 Satz 1 EStG müsse verfassungskonform ausgelegt werden. Bereits in Art. 137 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) seien die Weltanschauungsgemeinschaften den Religionsgemeinschaften gleichgestellt worden. Die Entscheidung des BFH vom 13. Dezember 1978 I R 36/76 (BFHE 127, 352, BStBl II 1979, 492) lasse eine Auseinandersetzung mit dem Gleichstellungsgebot vermissen. Der Kläger sei Weltanschauungsgemeinschaft auch im steuerrechtlichen Sinne. Die religiösen Zwecke i.S. des § 10b Abs. 1 Satz 1 EStG erfülle jede Religionsgemeinschaft, die als solche anzuerkennen sei.

Gemeinnützigkeit i.S. der §§ 52 ff. AO 1977 sei nicht erforderlich. Doch selbst wenn man darauf abstelle, verfolge der Kläger nach seiner Satzung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke (dazu BFH-Urteil vom 26. Februar 1992 I R 47/89, BFH/NV 1992, 695).

Komme eine verfassungskonforme Auslegung des § 10b EStG nicht in Betracht, müsse die Sache nach Art. 100 des Grundgesetzes (GG) dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorgelegt werden.

2. Das FG habe seine Pflicht zur Sachaufklärung verletzt; es hätte aufklären müssen, ob die Glaubenslehren des Klägers allgemein bekannt seien. - Das FG habe das rechtliche Gehör des Klägers verletzt. Ihm sei zu keiner Zeit des Prozesses unter Hinweis auf die Entscheidungserheblichkeit Gelegenheit zur Stellungnahme zu der Frage seiner Eigenschaft als Weltanschauungsgemeinschaft gegeben worden. Von Anbeginn des Prozesses an sei er davon ausgegangen, daß diese Eigenschaft unbestritten sei. Das Gericht habe an der Eigenschaft des Klägers als Weltanschauungsgemeinschaft keine Zweifel geäußert.

3. Zur Revision des FA erwidert der Kläger: Ein Verstoß gegen § 41 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liege nicht vor. Ein Rechtsverhältnis zwischen Kläger und FA ergebe sich insbesondere aus § 10b Abs. 4 EStG. Auch existiere ein berechtigtes Feststellungsinteresse. - Das FA entnehme § 10b Abs. 1 Satz 1 EStG eine Anwendungssperre, die diese Vorschrift nicht enthalte. Solange der Verordnungsgeber keine wirksamen Konkretisierungen vorgenommen habe, müsse der Vollzug des § 10b Abs. 1 Satz 1 EStG nach allgemeinen Maßstäben vorgenommen werden. - Ein Verstoß gegen § 10b EStG liege auch nicht darin, daß das FG "Nebenzwecke" zur Spendenbestätigung zugelassen habe.

II. Die Revision des Klägers ist begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Stattgabe des Feststellungsantrags.

1. Das FG hat zutreffend entschieden, daß die Feststellungsklage zulässig ist. Gemäß § 41 Abs. 1 FGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden.

Unter "Rechtsverhältnis" im Sinne dieser Vorschrift ist die sich aus einem konkreten Sachverhalt ergebende, aufgrund von Rechtsnormen geordnete rechtliche Beziehung zwischen Personen zu verstehen. Die begehrte Feststellung braucht sich nicht auf das Rechtsverhältnis als Ganzes zu beziehen, sondern kann sich auf einzelne Berechtigungen oder Verpflichtungen beschränken, die aus einem umfassenden Rechtsverhältnis erwachsen (vgl. auch BFH-Urteil vom 27. Februar 1973 VII R 100/70, BFHE 109, 4, BStBl II 1973, 536). Nicht feststellungsfähig sind hingegen einzelne Vorfragen oder Elemente eines Rechtsverhältnisses (BFH-Urteile vom 22. April 1986 VII R 184/85, BFHE 146, 302; vom 18. Mai 1988 X R 42/81, BFH/NV 1989, 54).

Im Streitfall begehrt der Kläger die Feststellung, ob und in welchem Umfang er befugt ist, Spendenbestätigungen auszustellen. Diese Feststellung ist nicht auf Tatsachen oder auf die Auslegung einer Rechtsnorm gerichtet, sondern betrifft die Frage, ob dem Kläger eine bestimmte öffentlich-rechtliche Befugnis zusteht. Besteht diese Befugnis nicht, droht eine Haftung wegen des Ausstellens einer unrichtigen Bestätigung (§ 10b Abs. 4 Satz 2 EStG). Das FA kann sich nicht mit Erfolg auf das BFH-Urteil vom 11. September 1956 I 188/55 U (BFHE 63, 292, BStBl III 1956, 309) berufen, nach dem eine Entscheidung über die Voraussetzungen der Abziehbarkeit letztlich nur im Veranlagungsverfahren des einzelnen Spenders ergehen könne. Durch das Gesetz zur Verbesserung und Vereinfachung der Vereinsbesteuerung vom 18. Dezember 1989 (BGBl I 1989, 2212, BStBl I 1989, 499) wurde mit § 10b Abs. 4 EStG eine Vertrauensschutzregelung in das Gesetz aufgenommen, die dem Spendenempfänger das Risiko der zutreffenden Behandlung der zugewendeten Leistung auferlegt (vgl. auch BTDrucks 11/4176, 17).

Das berechtigte Interesse an der baldigen Feststellung gemäß § 41 Abs. 1 FGO, das auch in einem ideellen oder wirtschaftlichen Interesse bestehen kann (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., 1997, § 41 Rz. 29 f.), hat das FG zu Recht bejaht. Von der Ausstellung von Spendenbestätigungen wird die Höhe des Spendenaufkommens wesentlich beeinflußt. Der Kläger kann sein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung nicht im Wege einer anderen Klageart geltend machen; die Voraussetzungen für eine Verpflichtungsklage sind nicht gegeben, da die Verpflichtung zu der Erteilung einer Rechtsauskunft nicht besteht (vgl. BFH-Urteil vom 10. Juni 1992 I R 107/91, BFH/NV 1993, 13).

2. Die Klage ist, soweit sie den Feststellungsantrag betrifft, auch begründet.

a) Der Feststellung zur Berechtigung, Spendenbestätigungen auszustellen, steht nicht entgegen, daß nach Auffassung des X. Senats im Urteil in BFHE 173, 519, BStBl II 1994, 683 an der Rechtmäßigkeit des § 48 Abs. 2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) insoweit Zweifel bestehen, als sich die Exekutive von den in der Ermächtigungsgrundlage bestimmten materiellen und formellen Anforderungen möglicherweise selbst entbunden hat. Im Anschluß an die Rechtsprechung des BVerfG (z.B. Urteil vom 9. April 1992 2 BvE 2/89, BStBl II 1992, 766, 773) ist für eine Übergangszeit zur Vermeidung von Rechtsunsicherheit oder zur Vermeidung eines weitergehenden verfassungswidrigen Zustandes von der übergangsweisen Weitergeltung des § 48 Abs. 2 EStDV auszugehen. Nach Ankündigung des Bundesministeriums der Finanzen (Schreiben vom 17. August 1994, BStBl I 1994, 710) ist für die nächste (also die jetzt laufende) Legislaturperiode eine Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Zweifel im Rahmen der Neuregelung des Spendenrechts geplant (vgl. Hildesheim, in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 10b Rz. 45); dieser Planung entsprechend hat die Bundesregierung im Juli 1999 einen Entwurf zur Änderung der EStDV vorgelegt (BRDrucks 418/99).

b) Nach § 10b Abs. 1 Satz 1 EStG sind Ausgaben zur Förderung religiöser Zwecke im bestimmten Umfang als Sonderausgaben abziehbar. Auch für den Begriff "religiöser Zweck" gelten gemäß § 48 Abs. 1 EStDV die §§ 51 bis 68 AO 1977. In den §§ 52 ff. AO 1977 wird der Begriff "religiöser" Zweck nicht ausdrücklich definiert. In § 52 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 heißt es lediglich, daß insbesondere als Förderung der Allgemeinheit (auch) die Förderung der Religion anzuerkennen ist.

aa) Religion beinhaltet die Frage nach Gott, nach der Deutung der Welt, nach Lebenssinn und Wert, nach Normen sittlichen Handelns (so auch Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 10b Rdnr. B 151; Sachs/Kokott, Kommentar zum Grundgesetz, 2. Aufl., 1999, Art. 4 Rz. 14 f.). Der Begriff "religiöse Zwecke" i.S. des § 10b Abs. 1 Satz 1 EStG ist indes vor dem Hintergrund der Verfassung in einem weiteren Sinn zu verstehen. Nach Art. 4 Abs. 1 GG ist die Freiheit des religiösen und des weltanschaulichen Bekenntnisses unverletzlich. Religion und Weltanschauung werden von der Verfassung grundsätzlich gleich behandelt; eine Differenzierung ist nicht statthaft; der Staat hat weltanschauliche Neutralität zu wahren (Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 10b Rdnr. B 154). Beiden Bekenntnissen (der Religion und der Weltanschauung) liegt eine Gesamtansicht der Welt zugrunde (vgl. Sachs/Kokott, a.a.O., Art. 4 Rz. 14 ff.; Hollerbach, Handbuch des Staatsrechts, 1989, Bd. VI, § 138 Rz. 137). Dem Begriff der Weltanschauung kommt dabei eine Ergänzungsfunktion zu, über den alle Bekenntnisse ohne diskriminierende Unterscheidung erfaßt werden, deren Grund und Ziel eine sinnstiftende Überzeugung im umfassenden Sinn ist (Hollerbach, a.a.O.). In bezug auf die Bezeugung, das Bekenntnis und die Gestaltung des Lebens gleicht die Weltanschauung der Religion. Neben ausgesprochen religiösen Weltanschauungsgemeinschaften existieren säkulare und auch antireligiöse Weltanschauungen (Reimer, in Evangelisches Staatslexikon, 3. Aufl., 1987, Bd. 2 S. 3963 "Weltanschauungsgemeinschaften"). Zwischen Weltanschauung und Religion besteht keine klare Trennung; die Übergänge sind fließend (Badura, Der Schutz von Religion und Weltanschauung durch das Grundgesetz: Verfassungsfragen zur Existenz und Tätigkeit der neuen Jugendreligionen, 1989, S. 36). Auch nach Art. 137 Abs. 7 WRV, der über Art. 140 GG Bestandteil des GG ist, werden die Weltanschauungsgemeinschaften den Religionsgemeinschaften gleichgestellt (dazu Sachs/Ehlers, a.a.O., Art. 140 Rz. 25). Angesichts dieser in verfassungsrechtlicher Hinsicht weitgehenden Gleichstellung von Religion und Weltanschauung ist § 10b EStG verfassungskonform dahingehend auszulegen, daß § 10b Abs. 1 Satz 1 EStG nicht nur religiöse Zwecke, sondern auch weltanschauliche Zwecke begünstigt. Der Senat weicht mit seiner Beurteilung nicht von dem Urteil in BFHE 127, 352, BStBl II 1979, 492 ab; der I. Senat hatte nur darüber zu entscheiden, ob die Tätigkeit eines Ordens als gemeinnützig zu beurteilen war.

bb) Entgegen der Auffassung des FG ergibt sich aus der Satzung wie auch aus dem vom FG festgestellten tatsächlichen Auftreten mit hinreichender Deutlichkeit, daß sich der Kläger als eine Weltanschauungsgemeinschaft in der Tradition der europäischen Aufklärung versteht (vgl. im einzelnen § 2 der Satzung). Auch aus der vom Verband herausgegebenen Schrift "Humanistisches Selbstverständnis" (September 1993) ist der humanistische Weltanschauungscharakter des Klägers deutlich erkennbar; insbesondere die dort unter Punkt 1 bis 14 dargelegten Ideen der humanistischen Lebensauffassung lassen erkennen, daß es dem Kläger in erster Linie auf ein Leben in Toleranz, Selbstbestimmung und Solidarität ankommt. Unabhängig davon ist allgemein anerkannt, daß das humanistische Freidenkertum eine Weltanschauung darstellt (vgl. nur Reimer, a.a.O.; Badura, a.a.O., S. 38; Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 8. November 1995 Z B 34.93, OVGE Be 22, 7).

c) Das FG hat zu Recht einen Vorrang des religiösen bzw. weltanschaulichen Zwecks verneint. Der sog. Überlagerungs- und Abfärbetheorie (BFH-Urteil in BFHE 88, 282, 284, BStBl III 1967, 365) ist nicht zu folgen. Eine unterschiedliche Abziehbarkeit von Spenden im Hinblick auf die ihnen zugrundeliegende Motivation ist verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Einheitlicher Anknüpfungspunkt ist der Zweck, der durch die Verwendung der Spende tatsächlich gefördert wird (Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 10b Rdnr. B 624). Der Hauptzweck überlagert daher nicht generell die weiteren Zwecke, die Gegenstand der jeweiligen konkreten Tätigkeit sein können. - Der Senat ist berechtigt, von der Entscheidung des VI. Senats in BFHE 88, 282, 284, BStBl III 1967, 365 abzuweichen, da die Zuständigkeit für den Spendenabzug nach § 10b EStG auf den erkennenden Senat übergegangen ist.

III. Die Revision des FA ist aus den dargelegten Gründen zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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