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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 27.06.2006
Aktenzeichen: 1 StR 129/06
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

1 StR 129/06

vom 27. Juni 2006

in der Strafsache

gegen

wegen Mordes

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. Juni 2006, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Nack

und die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Wahl, Dr. Kolz,

die Richterin am Bundesgerichtshof Elf,

der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Graf,

Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt als Verteidiger,

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 15. November 2005 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Mordes an der albanischen Staatsangehörigen A. C. aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. A. C. , die regelmäßig an einem Straßenabschnitt eines Vororts der italienischen Stadt T. der Prostitution nachgegangen war, wurde in dem Zeitraum zwischen dem 13. und dem 17. Mai 2001 erstickt, und ihre Leiche wurde im Industriegebiet der italienischen Ortschaft P. zwischen dort gelagerten Betonträgern abgelegt.

Gegen den Freispruch richtet sich die auf zwei Verfahrensrügen und auf Angriffe gegen die Beweiswürdigung gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt nicht vertreten worden ist, bleibt ohne Erfolg.

Der Angeklagte wurde von dieser Schwurgerichtskammer bereits im Jahre 2004 - rechtskräftig seit Februar 2005 - wegen Vergewaltigung und Mordes sowie Mordes in Tateinheit mit versuchter sexueller Nötigung zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe unter Feststellung der besonderen Schwere der Schuld verurteilt. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass der Angeklagte bei Lkw-Fahrten nach Italien im Jahre 1999 die An. K. und im Jahre 2000 die Ca. W. als Anhalterin mitgenommen und nach erzwungenen sexuellen Handlungen erwürgt hatte. Die Leiche hatte der Angeklagte jeweils zunächst auf der oberen Schlafkoje seines Lkw versteckt, bevor er sie in einiger Entfernung vom Tatort an einer abgelegenen Stelle liegen ließ.

Nach den Feststellungen im vorliegenden Verfahren passierte der Angeklagte am 14. Mai 2001 gegen 21.00 Uhr mit dem Lastzug seiner Arbeitgeberin die italienische Grenze. Gegen 22.17 Uhr verließ er die Autobahn und befuhr die Staatsstraße Nr. 13 in Richtung T. . Diese Straße führt an dem Standort vorbei, an dem A. C. üblicherweise, auch in der Nacht vom 14. auf den 15. Mai 2001, auf Freier wartete. Am 15. Mai 2001 befand er sich von 8.10 Uhr bis 9.00 Uhr in L. und von 9.30 Uhr bis 10.40 Uhr in St. And. zur Entladung des Lkw. Ab 11.19 Uhr fuhr er mit einem Zwischenstopp in M. , wo er Ware auflud, auf der Autobahn zurück nach Österreich, dessen Grenze er gegen 18.20 Uhr passierte. In dem von ihm benutzten Lkw wurde an der Schaumgummimatratze der oberen Schlafkoje biologisches Spurenmaterial sichergestellt, das mittels einer DNA-Analyse der A. C. zugeordnet werden konnte.

Das Landgericht vermochte sich von der Täterschaft des - bestreitenden - Angeklagten nicht zu überzeugen: Aufgrund erheblicher Widersprüche zwischen den Aussagen des Freundes, der Schwester und einer Kollegin der A. C. , Unklarheiten in den erhobenen Telefonverbindungsdaten sowie der Wetterverhältnisse in dem fraglichen Tatzeitraum lasse sich nicht ausschließen, dass A. C. noch am Leben war, als der Angeklagte am 15. Mai 2001 gegen 18.20 Uhr wieder nach Österreich einreiste. Der Zeitpunkt, zu dem die DNA-Spur der Getöteten entstanden sei, könne nicht eingegrenzt werden; dies könne Monate vor der Tötung der A. C. geschehen sein. Darüber hinaus fehle es an der sicheren Überzeugung, dass der Angeklagte überhaupt Kontakt mit A. C. hatte, da ein anderer Fahrer seines Arbeitgebers als Kontaktperson nicht ausgeschlossen werden könne. Aussagekräftige Vergleiche mit den Taten, wegen derer der Angeklagte bereits verurteilt wurde, seien nicht möglich. Auch bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände hätten Zweifel nicht überwunden werden können.

Der Freispruch hält rechtlicher Nachprüfung stand. Der näheren Erörterung bedarf allein die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung.

1. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Dieses hat insoweit nur zu beurteilen, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Rechtlich zu beanstanden sind die Beweiserwägungen auch dann, wenn sie erkennen lassen, dass das Gericht überspannte Anforderungen an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt und dabei nicht beachtet hat, dass eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende Gewissheit nicht erforderlich ist, vielmehr ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit genügt, das vernünftige und nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten gegründete Zweifel nicht zulässt (st.Rspr.; vgl. nur BGHSt 10, 208, 209; 29, 18, 20).

2. An diesen Grundsätzen gemessen lässt die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils keinen Rechtsfehler erkennen. Das Landgericht hat alle für und gegen eine Täterschaft des Angeklagten sprechenden Tatsachen sachgerecht abgewogen und diese nachvollziehbar für eine Verurteilung nicht für ausreichend gehalten. Wenn es aufgrund der im Einzelnen dargelegten Widersprüche und Unklarheiten die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten nicht gewinnen konnte, spricht dies nicht für übertriebene Anforderungen an die zu einer Verurteilung erforderliche Gewissheit.

Die zentralen Erwägungen der Schwurgerichtskammer, A. C. könne zu dem Zeitpunkt noch gelebt haben, als der Angeklagte Italien wieder verließ, knüpfen an konkrete Anhaltspunkte an und überschreiten auch sonst die aufgezeigten Grenzen tatrichterlicher Beweiswürdigung nicht, selbst wenn auch eine Würdigung der Beweise im Sinne der Anklage möglich gewesen wäre. Die im Gegensatz zu den Aussagen des Freundes und der Kollegin der Getöteten stehende Aussage ihrer Schwester, A. C. sei nicht in der Nacht zum 15., sondern in der Nacht zum 16. Mai 2001 zum letzten Mal gesehen worden, wird bestätigt von dem Gutachten des Deutschen Wetterdienstes. Danach war es im Bereich des Tatortes in der Nacht zum 15. Mai niederschlagsfrei, während es in der Nacht zum 16. Mai - entsprechend den Bekundungen der zuletzt mit der Getöteten an ihrem Standort befindlichen Kollegin - stark regnete. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht sich deshalb und zusätzlich auch wegen der Unklarheiten in den erhobenen Telefonverbindungsdaten gehindert sah, sich eine sichere Überzeugung über den Todeszeitpunkt zu bilden. Die DNA-Spur der Getöteten, die in dem vom Angeklagten benutzten Lkw gefunden wurde, brauchte die Kammer entgegen der Auffassung der Revision in diesem Zusammenhang nicht zu erörtern, weil der Zeitpunkt, zu dem diese Spur entstanden ist, gerade nicht festgestellt werden konnte und somit für die Bestimmung des Todeszeitpunktes außer Betracht zu bleiben hatte.

Zu Unrecht beanstandet die Revision weiterhin, das Landgericht habe den Zweifelssatz "überdehnt", indem es entgegen der Einlassung des Angeklagten, er habe A. C. nie getroffen, unterstellt habe, er habe vor dem 14. Mai 2001 Kontakte zu ihr gehabt. Dies hat das Landgericht gerade nicht getan. Es stellt vielmehr - worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hinweist - lediglich rechtsfehlerfrei fest, dass diese Möglichkeit trotz des Bestreitens durch den Angeklagten nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann. Die Kammer hat sich aber gerade nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der Angeklagte schon Kontakte zu A. C. hatte, weil die Feststellungen zur Verwendung des vom Angeklagten benutzten Lastkraftwagens wegen fehlender Diagrammscheiben und der Benutzung des Fahrzeugs durch zwei weitere, nicht zu ermittelnde Personen erhebliche Lücken aufwiesen.

Das Landgericht hat auch ausdrücklich die gebotene Gesamtwürdigung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Indizien vorgenommen. Es ist dabei auf die Parallelen und Unterschiede zu den Tötungsdelikten zum Nachteil der An. K. und der Ca. W. eingegangen und hat nachvollziehbar deren begrenzte Indizwirkung für den vorliegenden Fall dargelegt. An. K. und Ca. W. hatte der Angeklagte zum Geschlechtsverkehr und zur Duldung sexueller Handlungen gezwungen und anschließend zur Verdeckung der Sexualstraftat getötet. Die Prostituierte A. C. hätte er nicht zu sexuellen Handlungen nötigen müssen. In diesem Falle ist das Vorgeschehen, das eigentliche Tatgeschehen und das Motiv des Täters im Dunkeln geblieben. Wenn die Schwurgerichtskammer es angesichts der gefundenen DNA-Spur, des engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhangs der Fahrt des Angeklagten mit dem Verschwinden der A. C. und der Vortaten des Angeklagten zwar durchaus für möglich hält, dass der Angeklagte A. C. getötet hat, jedoch auch bei einer Gesamtbetrachtung aller belastenden und entlastenden Umstände vernünftige Zweifel an der Schuld des Angeklagten nicht zu überwinden vermochte, so ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.



Ende der Entscheidung

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